Bemerkungen eines Reisenden über den jetzigen Zustand von England.[]
- [1812]
Von einem Hamburger Kaufmann, der von London angekommen ist, erhalten wir einige Details über die Lage Englands und seines Handels, für deren Mittheilung uns unsre Leser Dank wissen werden.
Bey der Abreise jenes Partikuliers war die Meinung jener Klasse von Beobachtern, deren die Engländer sehr viele unter sich haben, die, daß vier wirksame Ursachen allmählig die brittische Macht untergrüben, und zwar durch Untergraben jener Macht der Meinung, auf welcher der öffentliche Kredit und folglich die Konstitution beruht. Diese Ursachen waren die Kolonialwaaren, die Fabriken, das Fallen des Wechselkourses und der Mangel an Getreide.
Man muß dem Berichterstatter in jedem Punkte folgen, um zu dem Geständnisse genöthigt zu werden, daß seine Bemerkungen richtig sind.
Die Kolonialwaaren sind an dem Ufer der Themse bis zu einem wirklich unglaublichen Punkt aufgehäuft. Man schätzt den vorräthigen Kaffee auf 150 Millionen Pfund und den vorräthigen Zucker auf 280 Millionen Pfund. Die gewöhnlichen Magazine, Westindia-Docks genannt, sind bey ihrer ungeheuren Größe so unzureichend geworden, daß die Aktionnärs sich genöthigt gesehen, neue Docks für 50,000 Pf. St. zu miethen. Im Monat November waren sie schon angefüllt, und gleichsam als wenn es in der Natur einen Augenblick gäbe, wo die Wohlfahrt selbst zu fürchten ist, so wurden neue Flotten von allen Gegenden von Westindien mit unermeßlichen Ladungen eben dieser Reichthümer erwartet, unter denen der Kredit und die Kräfte des Handels erlagen.
Die Regierung ermuntert und giebt Prämien für die Fabrikation des Brannteweins aus Zucker. Eine fruchtlose Veränderung, weil sie nur die Natur entstellt, ohne Abflüsse zu verschaffen.
Die Fabriken befinden sich in dem Zustande der größten Stockung. Den Stahlfabriken von Sheffield und von Woodstok fehlt es gänzlich an Arbeit.
Zu Manchester, wo alle Einwohner industriös sind, ist die Geschäftlosigkeit von der Art, daß die Anzahl der Einwohner um 50,000 Menschen abgenommen hat. Um dem gänzlichen Verfall der Manufakturen vorzubeugen, ist man auf den Einfall gekommen, alle Leinewandartikel, welche Schlesien undWestphalen liefern, in Baumwolle nachmachen zu lassen. Eine neue Täuschung, da das Uebel nicht in der Art der Arbeit, sondern in dem gänzlichen Mangel an Absatz liegt. Gleiche Verlegenheit zu Paisley. Die Arbeiter dieser Gegend zerstreuen sich. Einige ziehen nach Amerika, andere lassen sich anwerben, noch andre überlassen sich dem Ackerbau. Die Anzahl der Letztern ist natürlich die geringste. Nichts paßt sich in der That weniger zu dem thätigen und arbeitsamen Landleben als der Mensch, der zu dem sitzenden Leben und zu den einförmigen Bewegungen einer Profession genöthigt ist.
Die irländischen Manufakturen würden allein bey der Unterbrechung der Kontinentalverhältnisse gewinnen. Ein besonderer Umstand verhindert, daß sie von dieser Begünstigung Nutzen ziehen. Man kann in England ohne eifersüchtige Unruhe die Wohlfahrt eines Landes nicht sehen, welches man als fremd zu behandeln gewohnt ist und dessen Flor man fürchtet.
Die Unruhen zu Nottingham sind lange nicht beygelegt. Die Leute, welche die Weberstühle zerbrachen, setzen ihre Excesse fort und man folgt ihrem Beyspiele an andern Orten. Brotlose Arbeitsleute haben Häuser angezündet und verlassenen Zittern bey den Eigenthümern.
Dieser Zustand der Dinge konnte nicht anders als einen ungünstigen Einfluß auf den Wechselkours haben; auch fällt er fortdauernd. Man würde sich sehr irren, wenn man dies Fallen der ausserordentlichen Anhäufung der Zettel der Londoner und der Provinzialbanken zuschriebe. Es rührt bloß von der Hemmung alles Absatzes her. Es ist das unbestreitbare Resultat der Kontinentalblokade.
Hierzu füge man noch, daß der Krieg in Portugal, dessen Kosten jährlich auf 300 Millionen geschätzt werden, baar Geld erfordert, und daß die Regierung sich vor allem die zu diesem Dienste nöthigen Gelder verschaffen muß. Man hat freylich den Versuch gemacht, durch die Kommissarien der Armee auf die Schatzkammer ziehen zu lassen; allein nur mit 20 Procent Verlust haben sie einige Negociationen zu [[Lissabon] machen können.
Die Lebensmittel machen die vierte Ursache aus, die man als verderblich für den jetzigen Zustand von Großbrittannien ansieht. Diese ist nur zufällig, und wenn sie auf das Schicksal desselben Einfluß hat, so kann man die Unvorsichtigkeit des Ministeriums oder jene Fatalität darüber anklagen, nach welcher alle Uebel auf einmal zusammen treffen.
Am Ende Novembers war der Preis des Brots ungeheuer hoch. Man rechnete auf die Kartoffelnärndte, um einem Mangel vorzubeugen, der ohne diese Hülfe um so unvermeidlicher war, da die Ostsee durch das Eis verschlossen wurde, die Barbarey Spanien und Portugal Lebensmittel lieferte, und da sich Amerika in einer zweifelhaften politischen Lage befand, und man daher nicht wußte, woher man gegen den März und April Getreide beziehen könnte.
Dieses Gemälde ist von einem Augenzeugen entworfen; durch einen Mann, dessen ganzes Vermögen sich in England befindet. Er hatte sich dahin begeben, um es zu realisiren, und mußte daher sorgfältig und unparteyisch alle Veränderungsfälle studieren, deren seine Kapitalien ausgesetzt wären.
Zu diesen Details würden die fremden Zeitungen, wenn man sie einlüde, uns die Lage Englands zu schildern, so wie sie ihre Korrespondenzen zu London ihnen darstellen, andere, eben so reelle, Details hinzufügen, z. B. den Verlust an Menschen, den der spanische Krieg zur Folge hat; das Mißvergnügen und die Unruhen, welche die Folgen davon sind; die Abwesenheit der regelmäßigen Truppen, um selbige zu unterdrücken; die Besorgniß, welche die Flotten veranlassen, die sich in den Häfen des Reichs bilden, die unzureichende Macht der Regentschaft und die Unbeständigkeit des brittischen Ministeriums.
Der Handelsstand, der gewohnt ist, in demjenigen, was ihn angeht, die Ursachen des Flors oder des Falls von Reichen zu suchen, wird seine Berechnungen nach der naiven und aufrichtigen Erzählung eines seiner ausgezeichnetsten Mitglieder desto leichter einrichten können, und wird einsehen, daß wenn seiner Seits noch einige Opfer für nöthig erachtet werden, der Augenblich nicht entfernt ist, wo er den Preis für seine Standhaftigkeit und Ergebenheit gegen die öffentliche Sache erhalten wird.
Quellen.[]
- ↑ Allgemeine deutsche Zeitung für Rußland. No. 17. Freytag, den 19. Januar 1812.