Fürchterlicher Sturmwind in Wien.[]
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In der Nacht vom 30. September auf den ersten October 1807 erhob sich in Wien und auf einer Strecke von mehreren Meilen in der Umgegend der Hauptstadt, ein Sturmwind aus Nordwest, der als ein fürchterlicher Orkan, dergleichen man bey Mannesgedenken nicht empfunden hat, wüthete. Der Tag vorher so wie der Abend waren heiter und windstill. Nach Mitternacht erhob sich ein starker Wind, und des Morgens zwischen drey und sechs Uhr tobte der Orkan mit wildem Gebrause, und weckte alles aus dem Schlafe. Fenster und Thüren klirrten fürchterlich, ganze Flügel wurden ausgehoben und auf die Gasse geworfen. Die Erde schien zu erbeben, die Häuser schienen zu zittern. Das Geheul und Pfeifen des Windes, das Zuschlagen der Thore, Thüren und Fenster, die aus ihren Angeln gehoben wurden, das Geklirre der gebrochenen Glastafeln, das Anprellen der losgerissenen Dachziegel an die Mauern und Fenster, das Gekrache der einstürzenden Schornsteine, Feuermauern und Schoppen, alles dieses erfüllte mit Schrecken und Grauen. Viele Familien, welche höher liegende oder baufällige Häuser bewohnten, verließen ihre Wohnungen, weil sie keinen Augenblick vor dem Einsturze derselben sicher waren.
Erst des andern Tages sah man die Verwüstungen, welche dieser Orkan angerichtet hatte. Bis neun Uhr wagten es nur wenige, auf der Gasse zu erscheinen; denn noch immer wüthete der Sturm, obwohl er sehr nachgelassen hatte, und niemand war sicher, durch die von den Schornsteinen, Dächern und Mauern herabgeworfenen Ziegel getödtet oder verwundet zu werden. Alle Plätze, Straßen und Gassen waren mit Trümmern von Ziegeln, Glas-Scherben, Fenster-Flügeln und losgerissenen Bretern bedeckt. Die hölzernen Buden waren niedergerissen, beladene Frachtwagen umgeworfen, die Bäume entwurzelt, entwipfelt oder in der Mitte des Stammes abgedrehet. Die Kuppen des Thurmes von der Kirche der Augustiner in der Stadt lag auf der Erde in Trümmern zerschmettert. Der Sturm hatte sie vom Mauerwerke gehoben, in der Luft umgedrehet, so daß sie in einer ganz verkehrten Richtung auf der Erde längs der Gasse da lag. Hätte er sie auf das gegenüberstehende Fürstlich Lobkowitz'sche Haus geschläudert, welche Verwüstungen würde sie durch ihren schweren Fall angerichtet haben? Vom Stephans-Thurme wurde eine steinerne Bildsäule herab geworfen. Da war kein Thurm, keine Kirche, kein Haus, das nicht mehr oder weniger Schaden litt, mindestens wurde ein oder das andere Fenster zertrümmert. Die hölzernen Trödlerbuden, welche sich außer dem Kärntner-Thore auf dem Wege gegen das Theater an der Wien befanden, waren alle ohne Dach und niedergerissen, die Kleidungsstücke und das Leinenzeug, welches darin zum Verkaufe war, lag weit und breit zerstreut herum.
Die größten Verwüstungen hat dieser Orkan in den Gärten, Auen und Wäldern angerichtet. Die stärksten Bäume lagen, mit der Wurzel aus der Erde gerissen oder zersplittert, da. Wo sie mit ihren Wurzeln zu fest in dem Boden hielten, lösete sich ein Ballen Erde, mehrere Klafter im Durchschnitte, mit den Wurzeln los, und der Baum stürzte. Besonders haben der Prater, der Augarten, die Brigitten-Au, und die Auen zwischen den Tabor-Brücken viel gelitten. Sie glichen Verhauen, so lagen die Bäume über einander. Noch jetzt stehen viele Bäume im Prater da, welche in diesem Orkane ihre Gipfel verloren haben. Wo sich die jungen Anlagen im Augarten befinden, dort hat der Orkan die alten Bäume entwurzelt und zersplittert.
Quellen.[]
- ↑ Vaterländische Merkwürdigkeiten: Ein belehrendes und unterhaltendes Lesebuch für die Jugend Von Leopold Chimani. V. Theil. Wien, 1819.