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Vicarius.[]

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Vicarius (von dem lateinischen Worte vices, das eine Abwechslung, auch eine Stelle oder Amt bedeutet), der die Stelle eines Andern vertritt, Stellvertreter, Verweser. Dieser Titel wird verschiednen Personen beigelegt. Bei der ehemaligen Verfassung des deutschen Reichs gab es Reichsvicarien. Schon in frühern Zeiten ernannten die Kaiser, wann sie einen Zug nach Italien machten, oder auch unter andern Umständen, für gewisse Provinzen Vicarien. Durch die goldne Bulle wurde (1356) festgesetzt, daß jedesmal nach dem Tode eines Kaisers und bis zur Wahl eines neuen, die Churfürsten von der Pfalz und von Sachsen Reichsvicarien seyn sollten; jener am Rhein, in Schwäben und in den Landen des fränkischen Rechts, dieser in den Landen des sächsischen Rechts. Der Wirkungskreis für Beide war zugleich in der goldnen Bulle vorgeschrieben, und erstreckte sich in den neuern Zeiten fast bloß auf Standeserhöhungen und Ertheilung des Adels. Der rheinische Bund hat auch diesen Artikel der Reichsverfassung aufgehoben. Auch in andern Ländern außer Deutschland gab es zuweilen Reichsverweser, z. B. die bekannten Steen Sture, Vater und Sohn, in Schweden, im 15ten und 16ten Jahrhunderte. Das deutsche Wort Verweser ist dem lateinischen Vicarius ganz gleichbedeutend. Daher nennt man in Sachsen Erbmarschallamtsverweser denjenigen, der an der Stelle Erbmarschalls das Directorium bei den Landtagen führt. --

Amtsverweser heißt in Sachsen ein Actuarius, der die Geschäfte einer erledigten Justizbeamtenstelle besorgt. In einer eignen Bedeutung wird die Benennung Vicarius im Großherzogthume Toskana gebraucht. Vicario heißt da so viel als ein Oberrichter, und der District, über welchen er die Jurisdiction führt, Vicariato. Diesen Vicarien sind die Podesta (Unterrichter) untergeordnet. --

Geistliche Personen wird die Benennung Vicarius in sehr verschiednen Beziehungen beigelegt. Der Papst nennt sich den Vicarium, d. i. Statthalter Christi auf Erden. Vicarius Apostolicus ist in Ländern, wo die catholische Religion nicht herrschend ist, ein angesehener Geistlicher dieser Kirche, der vom Papste besondre Vollmacht erhalten hat, in gewissen geringern Fällen ohne vorherige Anfrage zu entscheiden. Doch ist sein Wirkungskreis beschränkt, und er muß sich, wenn er nicht zugleich Bischof ist, verschiedner Handlungen, die nur einem Bischofe zukommen, enthalten. In verschiednen Ländern z. B. in Frankreich und Deutschland, heißen Vicarien Geistliche, welche einen Pfarrer in den Amtsgeschäften seines Kirchspiels unterstützen, und einen Theil seiner Verrichtungen besorgen. Auch in England ist diese Benennung üblich; Goldsmiths Vicar of Wakefield (Landpriester von Wakefield) ist wohl hinlänglich bekannt.


Quellen.[]

  1. Conversations-Lexicon oder encyclopädisches Handwörterbuch für gebildete Stände. Stuttgart bei A. F. Macklot. 1816.