Nachrichten von der großen Armee.
Viertes Bülletin.[]
Wilna, den 30sten Jun. [1]
Der Kaiser kam am 27sten um 2 Uhr Nachmittags bey den Vorposten an, und ließ die Armee sich in Bewegung setzen, um sich Wilna zu nähern und am 28sten mit Tagesanbruch die russische Armee anzugreifen, wenn sie Wilna vertheidigen oder die Einnahme dieser Stadt verzögern wollte, um ihre daselbst befindlichen ungeheuern Magazine zu retten. Eine russische Division hielt Troki besetzt, eine andere stand auf den Anhöhen von Waka.Am 28sten mit Tagesanbruch setzte sich der König von Neapel mit der Avantgarde und der leichten Cavallerie des Generals Bruyères in Bewegung. Der Marschall, Prinz von Eckmühl, unterstützt ihn mit seinem Corps. Die Russen zogen sich allenthalben zurück. Nach einigen gewechselten Kanonenschüssen passirten sie in aller Eile die Vilia, verbrannten die hölzerne Brücke von Wilna und steckten die ungeheuern Magazine in Brand, die auf mehrere Millionen Rubel geschätzt werden; mehr als 150,000 Centner Mehl, ein ungeheures Heu- und Hafermagazin und eine beträchtliche Masse von Kleidungsstücken wurden verbrannt. Eine große Menge Waffen, woran Rußland im Allgemeinen Mangel leidet, und Kriegsmunition wurde vernichtet und in die Vilia geworfen.
Um Mittag zog der Kaiser in Wilna ein. Um 3 Uhr war die Brücke über die Vilia hergestellt; alle Zimmerleute der Stadt hatten sich mit größter Bereitwilligkeit dahin begeben, und erbauten zu gleicher Zeit eine Brücke, während die Pontonniers eine andere schlugen.
Die Division Bruyères verfolgte den Feind auf das linke Ufer. Bey einem leichten Gefechte mit dem Nachtrabe wurden den Russen bey 50 Wagen abgenommen. Einige Mann wurden getödtet und verwundet, unter den letztern befindet sich der Husarencapitän Segur. Die polnischen Chevauxlegers machten einen Angriff auf dem rechten Ufer der Vilia, schlugen die Cosaken in die Flucht, verfolgten sie und machten eine ziemliche Anzahl zu Gefangenen.
Am 25sten hatte der Herzog von Reggio auf einer bey Kowno geschlagenen Brücke die Vilia passirt. Am 26sten marschirte er auf Javu, am 27sten auf Chatui. Diese Bewegung nöthigte den Fürsten von Wittgenstein, Commandanten des ersten Corps der russischen Armee, ganz Samogitien und das zwischen Kowno und dem Meere gelegene Land zu räumen, und sich nach Wikomir zu begeben, wo er durch 2 Regimenter von der Garde verstärkt wurde. Der Marschall, Herzog von Reggio, fand den Feind Develtovo gegenüber in Schlachtordnung aufgestellt. Die Kanonade begann, der Feind wurde von Stellung zu Stellung vertrieben, und ging in solcher Eile über die Brücke zurück, daß er dieselbe nicht verbrennen konnte. Er verlor 300 Gefangene, worunter einige Officiere, und hatte gegen 100 Mann an Todten und Verwundeten. Unser Verlust belief sich ungefähr auf 50 Mann.
Der Herzog von Reggio lobt die leichte Cavalleriebrigade, welche der General Baron Castex commandirt, und das 11te leichte Infanterieregiment, das gänzlich aus Franzosen des Departements jenseits der Alpen besteht. die jungen römischen Conscribirten zeigten viele Unerschrockenheit.
Der Feind hat sein große Magazin zu Wilkomir in Brand gesteckt. Im letzten Augenblicke hatten die Einwohner einige Tonnen Mehl geplündert; es gelang, einen Theil davon zu retten.
Am 29sten schlug der Herzog von Elchingen Suderva gegenüber eine Brücke über die Vilia. es haben sich Colonnen auf den Wegen von Grodno und Volhynien in Marsch gesetzt, um die verschiedenen abgeschnittenen und zerstreuten russischen Corps aufzusuchen.
Wilna ist eine Stadt von 25 bis 30,000 Seelen, sie hat eine große Anzahl Klöster, schöne Gebäude und Einwohner voll Patriotismus; 4 bis 500 Studenten, alle über 18 Jahre alt, die zu den besten Familien gehören, haben verlangt, ein Regiment zu bilden.
Der Feind zieht sich hinter die Düna zurück. Eine große Anzahl Officiere vom Generalstabe und Staffetten fallen mit jedem Augenblicke in unsere Hände. Wir erhalten den Beweis davon, wie seht alles dasjenige übertrieben war, was Rußland über das Ungeheuere seiner Hülfsmittel publicirt hat. Nur 2 Bataillons von jedem Regiment sind bey der Armee, die 3ten Bataillons, von denen viele listen in der Correspondenz der Officiere in den Depots mit den Regimentern aufgefangen wurden, belaufen sich meistentheils nur auf 120 bis 200 Mann.
Der Hof ist 24 Stunden nachher von Wilna abgereist, als er unsern Uebergang bey Kowno erfuhr. Samogitien und Lithauen sind beynahe gänzlich befreyt. Die Concentrirung Bagrations [xxxx] gegen Norden hat die Truppen, welche Volhynien vertheidigen sollen, sehr geschwächt.
Der König von Westphalen wird mit dem Corps des Fürsten Poniatowsky und dem 7ten und 8ten Armeecorps am 29sten Grodno eingerückt seyn.
Verschiedene Colonnen haben sich in Bewegung gesetzt, um dem Corps des Bagration in die Flanke zu fallen, welcher am 20sten die Ordre erhalten hat, sich mit forcirten Märschen von Prujanui nach Wilna zu begeben und dessen Vortrab schon 4 Tagmärsche von Wilna angekommen war. Die vorgefallenen Ereignisse zwangen ihn aber zurückzumarschiren und gegenwärtig wird er verfolgt.
Bis jetzt floß auf dem Schlachtfelde nicht viel Blut; das Ganze bestand nur aus Manövers, wir haben in alle, ungefähr 1000 Gefangene gemacht. Der Feind hat aber schon die Hauptstadt und den größten Theil seiner polnischen Provinzen verloren, welche im Aufstande begriffen sind. Alle Magazine der 1sten, 2ten und 3ten Linie, das Resultat einer 2jährige Sorgfalt und im Werthe von mehr als 20 Mill., sind theils durch die Flammen verzehrt, theils in unsere Hände gefallen. Das französische Hauptquartier befindet sich dermalen an demjenigen Orte, an welchem sich der russische Hof vorher 6 Wochen aufgehalten hat.
Unter der großen Anzahl der aufgefangenen Briefe bemerkt man folgende zwey: einen von dem Intendant der russischen Armee, aus welchem man ersieht "daß Rußland, nachdem er schon in der 1sten, 2ten und 3ten Linie seine Magazine verloren hat, sich in die Nothwendigkeit versetzt sieht, in aller eile neue Magazine zu errichten. Der andere Brief ist von dem Herzoge Alexander von Würtemberg; man sieht daraus, daß nach dem kaum eröffneten Feldzuge die im Mittelpuncte liegenden Provinzen schon in Kriegszustand erklärt worden sind.
Sollte bey der gegenwärtigen Lage der Dinge die russische Armee glauben, das Glück des Kampfes versuchen zu können, so vertrat Wilnas Vertheidigung allein schon die Stelle einer förmlichen Schlacht, und in jedem andern Lande, vorzüglich aber in demjenigen, worin wir und dermalen befinden, würde die Erhaltung einer dreyfachen Linie von Magazinen jeden General bestimmt haben, es auf das Glück ankommen zu lassen.
So hat sich nun die franz. Armee lediglich durch das Mittel von Manövers in den Besitz eines großen Theils der polnischen Provinzen, der Hauptstadt und dreyer Linien von Magazinen gesetzt. Die Magazine zu Wilna wurden mit so vieler Uebereilung in Brand gesteckt, daß man noch sehr vieles retten konnte.
Quellen.[]
- ↑ Leipziger Zeitung Nr. 143. Donnerstags den 23. July 1812.