Von Bastille bis Waterloo. Wiki
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Merkwürdige Justiz- und Polizey-Vorfälle.[]

[1]
Von der großen Gerichtssache, welche seit einigen Wochen die Aufmerksamkeit des gesammten Publikums spannt, sind uns folgende weniger allgemein bekannte Umstände berichtet worden. Bonaparte las vor einiger Zeit das Verzeichniß der im Tempel Verhafteten durch, er fand darauf drey Menschen, die schon seit drey Monaten als englische Spionen unerhört gefangen saßen. Er machte den Richtern Vorwürfe, und ließ die Sache untersuchen, es fand sich, daß die Menschen nach den in solchen Fällen üblichen Gesetzen des Todes schuldig waren; ihr Todesurtheil wurde ihnen angekündigt; der eine erklärte, er würde, wenn man ihm das Leben schenken wollte, wichtige Dinge offenbaren. Man hörte ihn zuerst mit vielem Mißtrauen an, da er nicht frey heraus sprach, und nicht alles verrathen wollte, endlich gab er einen Pack Hemden an, der an einem gewissen Orte verborgen lag, und sagte, man dörfe nur das eine derselben, das er bezeichnete, dem Feuer entgegenhalten, so werde man Proben finden. In der That war auf diesem Hemde mit geheimer Dinte ein äusserst genauer und jedes einzelne Plätzchen bemerkender Plan von St. Cloud gezeichnet. Man fieng an, aufmerksamer zu werden, man drang weiter in das Geheimniß ein, und Bonaparte selbst schickte jede Stunde hin, um zu wissen, was neues entdeckt sey. Doch wollte er nichts wichtiges beginnen, bis schriftliche Proben entdeckt wären; erst nach Entdeckung eines Theils der Correspondenz ward Moreau in Verhaft genommen, und die aufgefundenen Papiere wurden dem Senat mitgetheilt. Dieser General läugnete Anfangs alles, als aber Pichegru und Georges auch in Verhaft gebracht waren, schrieb er an Bonaparte, daß er gestehen müsse, er habe um die Verschwörung gewußt, daß aber dies sein einziges Verbrechen sey, und daß dasselbe theils durch seine Entfernung von der Regierung (eigentlich durch seinen Zwiespalt mit derselben), theils durch die Unannehmlichkeiten, die ihm schon seine ehemalige Denuntiation Pichegru's zugezogen habe, zu entschuldigen sey, und daß er bitte, man möchte ihm die Procedur ersparen. Bonaparte überlegte die Sache mit dem Großrichter und mit einigen Mitglieder des Staatsrathes, und fand, daß es in Ansehung der Meinung, welche das Publikum davon haben würde, gefährlich seyn könnte, die Sache auf diese Weise zu endigen. Doch wollte er nicht von diesem Privatbriefe gegen Moreau Gebrauch machen, sondern schickte ihn dem General zurück. Pichegrü war in den Verhören äusserst freymüthig; Georges noch mehr. Dieser merkwürdige Mensch ist ein Müllersbursche aus der Bretagne, während dem Kriege der Chouans erhob ihn seine Tapferkeit zum General, die adelichen Generale behandelten ihn anfänglich mit Uebermuth, nachher aber setzte ihn seine Brauchbarkeit so sehr, sowohl am englischen Hofe, als an dem des Prätendenten, in Gunst, daß er diesen Hochmuth mit gleicher Münze bestrafen konnte. Man behauptet, daß er in seinen glänzendsten Momenten das geheime Projekt gehabt habe, sich zu einem Herzog von Bretagne aufzuwerfen. Nach dem Frieden der Vendée wollte ihn Bonaparte zum Divisions-General machen, er schlug es aus, und als ihm nachher der Consul freundschaftlich sagte, er hoffe, nunmehr werde dieses Land ruhig seyn, antwortete Georges, "es wird thun, was Georges will." Er soll seitdem mit dem Prätendenten in Mietau gespeist und diesem categorisch versprochen haben, er wolle ihn wieder auf den Thron setzen; man belohnte seine Aeusserungen mit vielen Ehrenbezeugungen und trank so häufig auf seine Gesundheit, daß er etwas betrunken wurde, in diesem Zustande sagte er zum Prätendenten: "ja Sire, ich will Sie wieder auf den Thron setzen, aber das erste, was Sie dann für mich thun müssen, ist: mich von den Betrügern, den Priestern, und von den Schlingeln, den Adelichen, zu befreyen."

Georges erhält im Gefängniß täglich 30 Sols für seinen Unterhalt, und ist in Händen und Füssen geschlossen. Moreau genießt einer anständigen Freyheit, kann Bücher und alles, was er will, kommen lassen, und arbeitet an der Geschichte seiner Feldzüge.

Man weiß noch nicht, wann und wo dieser merkwürdige Proceß öffentlich verhandelt werden wird; die bisherigen Untersuchungen waren sehr geheim, und scheinen es seit den weitumfassenden politischen Maasregeln, welche diese Sache veranlaßte (und die nicht in das Gebiet dieser Blätter gehören) noch mehr geworden zu seyn. Uebrigens ist die Verhaftnehmung des Georges und der siebzig andern Mitverschwornen ein Meisterstück der Polizei, die bei dieser Gelegenheit gezeigt hat, daß, wenn sie ihre gesammte Kraft aufbietet, es unmöglich ist, ihr zu entwischen. Die unzählige Menge Auflaurer und Spionen aller Art, welche überall in der Stadt unter allen möglichen Gestalten verbreitet sind, machen den Polizeiprefekten zum allwissenden Mann. Sie statten ihre Berichte mit der grösten Eile an die geheimen Registratoren ab, welche das wichtigste ohne Zeitverlust an ihre Divisions-Chefs referiren. In den Gesellschaften vom ersten Rang, bei Festen und allen Privat-Ergötzlichkeiten sind gewiß immer einige Polizei-Spionen. So wurde jüngst Mad. Recamier, die bei einem glänzenden Diner, welches sie gab, im Lauf des Gespräches gesagt hatte: Sie sey gewiß, daß Georges aus Paris entwischt wäre, sogleich den andern Morgen vor das Polizei-Bureau citirt, um dort zu erklären: woher sie dies wisse u. s. w., und sie mußte sich in eigener Person hinbegeben. Die Barrieren wurden lange Zeit mit der grösten Genauigkeit bewacht, alles wurde durchsucht, jedes Ausgehende mußte seinen Paß vorweisen, und wenn sein Aeusseres mit dem Signalement irgend eines der sogenannten Brigands in etwas übereinstimmte, so wurden alle möglichen Untersuchungen über ihn angestellt. Diese Aufsichtsanstalten erstrecken sich noch jetzt über das ganze Reich. Auch gehören die jährlichen Ausgaben des Justiz-Ministeriums zu den allerbeträchtlichsten. Die Pariser Polizei muß besonders ganz ungeheure Summen kosten, denn man sagt, die Anzahl der Personen von allen Ständen, Alter und Geschlecht steige gegen vierzigtausend, auf deren Treue man nur dann zählen kann, wenn man sie reichlich besoldet. -- Wir nehmen uns vor, unsern Lesern eine Uebersicht des Polizeiwesens mitzutheilen, sobald wir einige Data, die uns noch fehlen, werden erhalten haben.


Von Reisende.[]

Anon.[]

[2]

Marseille im September 1804.

. . . .

Es ist wahr, ich habe unangenehme Folgen der letzten Conspiration gesehen: ich bin lange in der Gesellschaft eines Mannes gereist, der, weil er mit Moreau in einer schuldlosen Correspondenz stand, von Weib und Kindern weggeschleppt und aus einer entfernten Provincialstadt nach Paris geführt, in den Tempel geworfen, vor die Tribunale gestellt und da man ihn des angeschuldigten Verbrechens nicht überführen konnte, nach 3 Monaten mit einem öffentlichen Lobspruch in den Zeitungen, der ihn für einen braven Bürger erklärte, freigelassen wurde, und doch immer jede Woche sich der Polizei seiner Vaterstadt zeigen muß. Sein Hauptverbrechen ist freilich das, daß er lebt und gut lebt, ohne daß man weiß wovon; denn reich ist er nicht, und keinen Nahrungszweig treibt er. Daß solche Fälle in den letzten Zeiten viele statt gehabt haben in Frankreich, will ich nicht bezweifeln: aber man bedenke die Geschäfte eines Polizeiministers in Frankreich zu allen Zeiten und besonders zu den Zeiten einer so ausgebreiteten Conspiration als die letzte: wie ist es möglich, daß ein einziger Mensch das auf einmal übersehen kann, worüber hunderte Jahre lang gebrütet haben, und wie ist es möglich, daß, indem er mit eins seine Gewalt zur Erhaltung des Staats anwendet, er den beiden Fehlern ausweichet, den wirklich Schuldigen unbestraft entschlüpfen, oder den Unschuldigen leiden zu lassen. Bedenke, wie es in Irland heut zu Tage zugeht, wie es in deinem aufgeklärten Vaterlande zuging, da ein Mann deportirt wurde, weil er den Marseiller-Marsch übersetzt hatte. Daß die Zahl der Unzufriedenen in Frankreich groß war, konnte ich mir freilich vorstellen, denn, wenn auch der eine Hut für 24 von 31 Millionen Menschen paßt, so sind immer die übrigen 7 Millionen eine große Zahl; daß aber die Zahl so groß war, wie ich jetzt glaube, habe ich vorher nicht gedacht: Wenn ich hier an einer table d'hôte in einem öffentlichen Wirthshause speise, so führt der halbe Theil von 20 und mehr Gästen ein Gespräch über die Regierung, da es in meinem Vaterlande niemals erlaubt war, über diesen Gegenstand zu sprechen und noch weniger in W.; und wer ist es, der so unvorsichtig ist, Fremde etwa? oder vormalige Emigrirte? nein, Menschen, die jetzt im Staate dienen, Officiere, ja Mitglieder der Ehrenlegion, die die Insignien derselben tragen und vorzüglich dazu verpflichtet sind, die Regierung zu erhalten. Es war gestern bei diesem Tische ein 30jähriger Mensch, der hier im Wirthshause eine Eskadre von drei Fregatten kommandirt, die auf der Rheede hin und her segelt, er führte das Wort bei einem Gespräche über den Tod des Enghien, über die Moreauische Affaire und andere dergleichen Steckenpferde der Unzufriedenen: ihm gleich gegenüber saß ein Mann, dessen Aussprache zeigt, daß er ein Fremder war; de quelle nation étes-vous, Monsieur? fragte der Officier -- je suis Anglais war die Antwort -- touchez, sagte jener, und gab ihm die Hand, vous-êtes un brave homme, j'aime beaucoup les Anglais, und jetzt fing er an Englisch mit ihm zu sprechen.


Quellen.[]

  1. Französische Miscellen. Tübingen in der J. G. Cotta'schen Buchhandlung. 1804.
  2. Paris zur Zeit der Kaiserkrönung. Nebst einer Schilderung der Hauptpersonen bei diesem merkwürdigen Schauspiele. Aus den Briefen eines Augenzeugen. Kölln, bei Peter Hammer. 1805.
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