Von Bastille bis Waterloo. Wiki
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Valenciennes.[]

[1]
Valenciennes, eine französische Stadt und starke Festung an der Schelde, im Departement Norden. Sie hat eine starke, von Vauban erbaute Citadelle, die, wie die Stadt mehrere hartnäckige Belagerungen ausgehalten hat, und zählt in 2500 Häusern, 16,918 Einwohner, die nicht allein vortrefflichen Battist und Linon, wovon jährlich gegen 50,000 Stück auswärts gehen, sondern auch die bekannten dentelles de Valenciennes in größten Vollkommenheit liefern.


Festung.[]

[2]
Valenciennes, eine große sehr starke Vestung in Hennegau auf beiden Seiten der Schelde, durch welche die Graben mit Wasser bedeckt werden. Ueberschwemmungsschleusen. Linnenzeug-Fabriken. 2500 Häuser, 17'000 E.


Valenciennes.


Von Reisende.[]

Georg Friedrich Rebmann.

[3]

[1796]

Paris, den 30. Thermidor des 4ten Jahrs der Republik..

Der Anblik von Valenciennes ist schreklich. Ich bin nicht leicht so übermannt worden vor dem tiefen Gefühl, was Krieg heisse, als hier. Wenn man auch nicht mit jedem Schritte sich daran erinnert, daß der Boden ringsumher mit Blut getränkt ist, so würde doch der Anblik der Vestung das treffendste Bild der Zerstörung geben. Die Vorstädte sind bis auf wenige Häuser ganz vernichtet, hier steht eine verfallene Schanze der Oesterreicher, dort ein zerschossenes Aussenwerk der Franken. Die Mauern sind von Kugeln ganz durchlöchert. Nun kommt man durch eine Strasse von Ruinen, und Hunderte von Bettlern mit Lumpen bedekt, hungernd und klagend, umringen den Wagen. Am Stadthause ist kein Fenster ganz, durch die Kirche und den Thurm sind grosse Bomben gefallen. Mitten im Schutt erblikt man halbe neuaufgebaute Strassen, und reparirte Häuser, und während man glaubt, daß hier nichts als Bettler wohnen müssen, sieht man doch links und rechts Einladungen zu Seiltänzern und sogar zu Schauspielen.

Endlich wurden wir hier einmal genöthigt, unsre Pässe von der Munizipalität einsehen zu lassen, was auf der ganzen Reise nicht mehr geschah. Hätte ich gewust, was ich nachher erfuhr, so sollten meine Reisegefährten nicht einen Schritt weiter nach Frankreich gekommen sein.

Nach allem, was diese Stadt gelitten hat, sollten Sie wohl glauben, daß hier der Patriotism sehr erkaltet sein müsse. Ich glaubte es auch, aber -- so sonderbare Anomalien giebt es im Charakter der Menschheit. -- Valenciennes und die Städte im ganzen Departement du Nord, das durch die terroristischen Agenten und durch den Krieg am meisten gelitten hat, sind die patriotischesten Städte, und das Departement du Nord das terroristischeste Departement in ganz Frankreich. Die Munizipalität von Valenciennes wählte, während alles in Frankreich der rojalistischen Reaktion Preis gegeben war, Deputirte vom Berge, und ein ganz neuer Beschlus der Gemeinde zu Valenciennes erklärt, daß sie durchaus keinen von der Liste der Emigranten Ausgestrichenen in ihren Mauern dulden würden.

Diese anscheinende Anomalie erklärt sich aber leicht, sobald man weis, daß zwölfhundert Bürger dieser Stadt diese Festung gegen eine der geübtesten Belagerungs-Armeen so lange tapfer vertheidigt, und den Belagerern so vielen Schaden gethan haben, daß der österreichische General nach der endlichen Uebergabe, erstaunt fragte: "Aber ihr Leute, wie habt ihr es denn angefangen, mit so viel Leute zu tödten!" Der Verlust der Koalisirten vor Valenciennes betrug über 20000 Mann. Diese Leute, welche mit so unbeschreiblichem Muthe fochten, und ihre Häuser fast mit Gleichgültigkeit niederbrennen sahen, sind jezt gar nicht geneigt, so viele Aufopferungen umsonst gemacht zu haben, und würden, so unglaublich dies auch scheinen mag, weit lieber noch einmal alle erlittene Leiden dulden, je selbst noch einmal sich der Blutregierung Robespierres unterwerfen, als zum Rojalism zurükkehren.

Ich lernte einen dieser Helden, der in Valenciennes zu unsrer Gesellschaft kam, kennen, dem fünf Häuser niedergeschossen wurden, und der dennoch die schrekliche Belagerung von Lyon mitmachen muste. "Wenn unsre Brüder zu Paris gethan hätten, wie wir, meinte er, so würden sie jezt ihr Brod um zwei Sols essen. Aber sie mögen nun fortfahren, die Stunde der Rache wird nicht aussen bleiben. Unsrer, sagte er, sind funfzehnhundert, lauter sässige Bürger, lauter Leute, die Pulver gesehen haben. Wir sind verschworen auf Tod und Leben, daß jeder Verräther, der je siegend in unsre Mauern einziehen wollte, in unsern Gräben sein Grab fertig finden solle! So denken wir, so denkt das ganze Norddepartement!" Ich erkundigte mich, ob die Guillotine in Valenciennes arg gehaust habe. "Wohl, antwortete er mir, es sind 92 aus unsere Gemeinde gefallen, und unter diesen allen keiner mit Unrecht." Ich machte ihm den Vorwurf, daß er etwas Terrorist zu sein schiene. Freilich, meinte er, sagt man uns das oft. "Wenn aber die Herren, die damit so freigebig sind, bedächten, daß wir unsre Angehörigen und unsre Hütten von den feindlichen Bomben zerschmettern, und unser Vermögen in Rauch aufgehen sahen; daß wir an den Grenzen fochten, während sie in Paris ihres Leichnams pflegten, so würden sie es uns nicht verdenken können, wenn wir nicht mit Gleichgültigkeit ansehen können, daß die den Kredit der Assignaten und Mandaten vernichteten, um mit diesem Papiergelde, welches sie um Palais Egalité um 50 Sous fürs Hundert kaufen konnten, die besten Nationalgüter an sich zu bringen; daß wir von allen Pläzzen entfernt werden, um amnestirte Chouans und zurükgekommene Ausgewanderte dafür einzuschieben; daß Maitressen und Kommissairs den empörendsten Luxus zur Schau tragen, und Weiber die vor der Revolution nichts hatten, mit Diamanten bedekt in den Schauspielhäusern prangen, während das Volk hungert; daß die Leute, welche sich während der Gefahr verkrochen, oder wohl gar die Bomben gegen unsre Häuser geworfen haben, jezt mit offnen Armen in Paris aufgenommen werden; daß man die verwundedeten Vertheidiger des Vaterlandes, wie Hunde betrachtet, und den Priestern Summen in die Hände spielt, um den mit so vieler Mühe im Zaum gehaltenen Fanatism aufs neue zu beleben; daß jeder eifrige Patriot, der, aufgefordert von der Konvention, die sklavisch sich unter den Tyrannen beugte, einigen Muth und einigen Kraft zeigte, als Blutsäuger und Robespierrist verabscheuet wird; daß man zu irgend einer Periode sich gegen die Revolution erklärt haben mus, um in Paris nicht mit scheelen Augen angesehen zu werden; daß -- daß -- daß xc. In Summa, wir sind entschlossen, durchzusezzen, was wir angefangen haben, und, ohne das lächerliche organische Gesez predigen zu wollen, werden wir noch eine kleine Zeit harren, um erst das Ausland zu überwinden, und dann unser Direktorium mit Macht gegen Menschen unterstüzzen, welche uns eine grosse Rechung abzulegen haben, und schwerlich darin bestehen möchten." Sie sehen, daß mein Terrorist, der eben kein so grosses Ungeheuer war, als man wohl denken möchte, und, ohnerachtet er einige Neigung zur Konstitution von 93 zu haben, und eben nicht zu wünschen schien, daß Drouets Kopf zur Freude des neuen rojalistischen Berges fallen möchte, so war er doch der festen Meinung, jeder gute Bürger müsse sich an die jezzige Regierung, als an die jezzige Konstitution anschliessen, aber nicht zugeben, daß eine gewisse Parthei, immer unter dem Schein, die Konstitution genau zu beobachten, die Republik untergrabe, und dem dikken Kapet in Dillingen in die Hände arbeite.


Von Reisende..[]

F. J. L. Meyer.

[4]

[1801]

Paris. Der Anblick der Trümmer in Valenciennes nach der furchtbaren Belagerung von drei und vierzig Tagen, in welchen es unaufhörlich beschossen ward und brannte, war selbst, als ich bald darauf vor fünf Jahren hier war, nicht so schreklich, und die Verwüstung nicht so allgemein, als die deutschen Zeitungen sie darstellten, und als der Postmeister in der Stadt, -- diese ersten und übertreibenden Referenten für Fremde -- sie machte. "Die Hälfte der Stadt, rief dieser mit damals entgegen, liegt im Schutt, zwölftausend Bürger und sechstausend Soldaten sind während der Belagerung getödtet. Haufenweise liegen die Todten noch unter den Trümmern der Häuser, die die Einwohner lebendig begruben. Eine Pest würde entstehen, wenn man unter zehn Jahren den Schutt wegzuräumen wagte. Kein neues Haus kann bis dahin auf diesen Todtengrüften gebauet werden." -- "Vous allez voir sagte mir der Cit. T. damals Directeur des subsistances militaires, dem ich einen Brief übergab, Vous allez voir les décombres de Troy. Valenciennes n'est plus! ("Sie werden Troja's Trümmer sehen. Valenciennes ist nicht mehr.") Das alles waren schrekhafte Vorbereitungen auf den Anblick der verschütteten Stadt. Ich bestieg die Wallhöhe gegen die Seite des Angriffs hin. Der Anblick war traurig genug, doch minder erschütternd als diese Beschreibungen, die meine Erwartung aufs peinlichste gespannt hatten. Etwa hundert und fünfzig Häuser des unmittelbar am Wall gelegenen Quartiers Poterne lagen mit einem Kloster, einer Kirche und einem grossen öffentlichen Gebäude halb oder ganz zertrümmert. Nur auf dieses Quartier richteten die Belagerer ihre Brandkugeln. Eine nicht unbedeutende Zahl Häuser der innern Stadt, ist hie und da von Bomben leicht getroffen oder gestreift. Achttausend Menschen sollen geblieben seyn. -- Tief erschütternd aber, war der Anblick der allgemeinen Armuth. Heere von beynahe nackten Männern, Weibern, und Kindern verfolgten mich mit Jammergeschrey über Gewerb- und Nahrungsmangel. So sah ich Valenciennes im Jahr 1796. -- Jezt fand ich die traurige Ansicht gemildert. Ohne gerade an die sieben Millionen pünktlich zu glauben, welche, nach den Worten des in's Grosse rechnenden Postmeisters, schon an die Herstellung der Stadt verwendet worden, ist ihre Wiederaufnahme doch sichtbar. Aus dem Tode keimt Leben. Zwischen den Trümmern des Quartiers Poterne steigen Gebäude hervor. Reihen neuer oder ausgebesserter Häuser sind wieder bewohnt. Der Schutt wird weggeräumt, Linien zu neuen Gassen werden gezogen; der lere Raum einer umgestürzten Kirche ist zur Esplanade, und zum Marktplaz geebnet; in einem auf ofnen Markt angelegten Gärtchen von Blumen und Stauden wächst üppig ein Plantan -- als Freyheitsbaum. Das Spizenklöppeln ist in den einzelnen Häusern, wieder im Gange, und die Linon- und Battist Manufacturen arbeiten stark. Die Betteley hat sich vermindert, ist aber doch lange noch nicht gehoben, und der Schmuz nistet in den engen und finstern Gassen der Stadt und in ihren Häusern mehr, als wie in andern französischen Städten. Der Präfekt dieses Departements du Nord, mit dem ominösen Namen Dieudonné, wird ein rechtlicher und thätiger Mann genannt. -- Merkbar ist in Valenciennes der Abgang von Menschen, an dem grossen Tagelohn der Bauhandwerker. Ein Zimmermann wird täglich mit 4 Liv. 10 Sous, ein Maurer mit 3 Liv. bezahlt. Diese Theurung hindert den Fortgang der Herstellung der Stadt.


Quellen.[]

  1. Conversations-Lexicon oder encyclopädisches Handwörterbuch für gebildete Stände. Stuttgart bei A. F. Macklot. 1816.
  2. Lehrbuch der Militär-Geographie von Europa, eine Grundlage bei dem Unterricht in deutschen Kriegsschulen, von A. G. Hahnzog, Divisionsprediger und Lehrer an der Kriegsschule in Magdeburg. Magdeburg, bei Ferdinand Rubach 1820.
  3. Holland und Frankreich, in Briefen geschrieben auf einer Reise von der Niederelbe nach Paris im Jahr 1796 und dem fünften der französischen Republik von Georg Friedrich Rebmann. Paris und Kölln.
  4. Briefe aus der Hauptstadt und dem Innern Frankreichs, von F. J. L. Meyer Dr. Domherrn in Hamburg. . . Tübingen in der J. G. Cotta'schen Buchhandlung. 1802.
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