Von Bastille bis Waterloo. Wiki

Von Reisenden.[]

Johann Nikolaus Becker.[]

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[1792]

Da du schon lange Erläuterungen von der hiesigen Universität gefordert hast; so sollen diese heute der Inhalt meines Briefes seyn.

Für eine Universität ist Mainz der Ort nicht, denn hier wird alles zu Lustbarkeiten, die so häufig sind, gereizt; du weißt aus Erfahrung, daß ein junger Mensch sich nicht genug mäßigen kann, wenn er etwas von einem Ball, schönen Mädchen und dergl. höret. Hat er das darzu erforderliche Geld nicht, so giebts allerley Anschläge, um dieses Bedürfniß zu erhalten. Und also bleibt der Kopf leer; sehr oft ist auch der Koffer sehr leicht, wenn man nach Hause gehen soll.

Die Einrichtungen bei der hiesigen Universität sind übrigens nicht zu tadeln. Der itzige Kurfürst hat sehr viel darauf verwendet. Er zog Klöster ein, und gab ihr die Stiftungen, wo das Geld auch natürlicherweise mehr Interesse bringt. Man endet die Vorlesungen alle halbe Jahre; diese Anordnung, welche wir Protestanten zuerst gemacht haben, hat sowohl für den Lehrer als Schüler sehr vielen Nutzen geschafft. Der Lehrer zieht mehr Kollegiengelder, die hier von jeder Stunde 5 Fl. betragen; der Schüler sparet vieles Geld, und eines Theils wird die Ausschweifung dadurch gehemmet, da der Studierende täglich 6 bis 7 Stunden Kollegien hat.

Landeskinder sind sehr strenge gehalten, und dies aus löblicher Absicht. Wer von ihnen seine Zeugnisse der Fortschritte im Studieren nicht genau aufzeichnen kann, kömmt nicht durch. Was die Fremden angehet, so haben diese auch nicht mehr so viele Freiheiten als in vorigen Zeiten; dies hat man auch weise abgeändert, denn daher entstanden oft viel Verdrüßlichkeiten und Schlägereien. Die Juristen und Mediziner bestehen größtentheils aus Fremden. Die Anzahl jener beläuft sich ohngefähr auf 250, und dieser auf 100 oder etliche mehr.

Wer von Fremden hierher studieren kömmt, findet sich nicht betrogen, denn Mainz ist ohnstreitig die beste Universität im katholischen Deutschland. Um dich davon zu überzeugen, will ich dich mit den Lehrern jedes Faches, so viel als möglich, bekannt machen.

Die Philosophie lehret seit Anfang dieses Jahres Hr. Dietler, den du aus seiner Vernunftwissenschaft kennen wirst. Er ist ein Mann, der viele Kenntnisse besitzt. Mir gefällt nicht an ihm, daß er einen besondern philosophischen Gang führet, und besondre zugeschnittne Kleider und gar keine Frisur trägt, wie sich dermahlen viele philosophische Kleinmeister angewöhnen. Dies letztere geht übrigens Dietlern nicht so sehr an; ich wünsche nur von ihm, daß er sich von jenen Afterphilosophen in die Zukunft besser unterscheiden soll. Ich kann nicht umhin, bei dieser Gelegenheit dir etwas von Dorsch, vormaligen Professor der Philosophie, zu berichten. Mainz und die hiesigen Studierenden haben an diesem Manne sehr viel verlohren. Er besitzt eine weitumfassende Kenntniß, hat die Philosophie sowohl in deutscher als fremden Sprachen studieret. Er wußte seinen Schülern Alles so deutlich und lebhaft vorzustellen, daß sie Fortschritte machen mußten, wenn sie nur ein wenig mitarbeiteten. Er lehrte das Kantische Sistem, welches er sehr gründlich durchdacht hat, so groß auch die Mühe ist, von selbem sich deutliche Begriffe zu machen. Diesem Manne machte man hier sehr viele Verdrüßlichkeiten; man erbrach Briefe an ihn; einige gaben mir zur Ursache an, weil er ein Mitglied der berufnen Propaganda gewesen sey; man untersuchte alles in seinen geschriebenen Heften, und hielt Kommission in seinem eignen Hause. Man wollte sogar den gelehrten und für das Wohl seiner Schüler so bedachten Dorsch nach Marienborn führen. Aber er dankte ab, unter dem Vorwande, in Zukunft ein stilles Leben für sich zu führen. Kurz darnach hörte man, er sey in Straßburg mit dem nämlichen Gehalte, den er in Mainz hatte, in diesem Freiheitssitze erschienen; einige wohlausgearbeitete Predigten von ihm, worunter sich vorzüglich die von der Vaterlandsliebe auszeichnet, machen ihm Ehre. Es scheint jedoch, daß Dorsch noch viele Feinde in Mainz hat. Neulich ließ sogar einer dieser niedrigen Seelen in die Frankfurther Zeitung einrücken: Dorsch hätte Reue über seinen gethanen Schritt, wünschte wieder nach Mainz, und sey itzt aus Verdruß nach Paris gereist, um den Bischoff von Straßburg bei der Nationalversammlung zu verklagen. Dies alles hat keinen Grund; am nämlichen Tage hatte noch Dorsch an einen seiner hiesigen Freunde geschrieben, dem er seine vergnügten Stunden zu wissen that. Die Reise nach Paris machte er mit einem seiner Bekannten blos aus Vergnügen. Wenn ich mündlich mit dir sprechen kann, so werde ich dir von diesem Manne mehr erzählen.

Nun auch von Vogt, Prof. der Geschichte. Dieser ist ein sehr lustiger und unterhaltender Mann. Ich hörte diesen Winter einige seiner Vorlesungen über die Geschichte der ältern Zeiten in Beziehung auf neuere Begebenheiten; ich kann dir sagen, es war mir leid, wenn es Abends 6 Uhr war, daß sein Kollegium aufhörte; mit solcher Laune, mit solchem Geschmacke hörte ich noch nie eine Geschichte vortragen. Er giebt sich auch itzt mit schönen Wissenschaften ab. Die Proben davon sind seine chimischen Bilder, wo du ein Gedicht auf Walpoden, Faust und Frauenlob finden kannst.

Was den philosophischen Kurs angehet, muß ich dir noch etwas von Engel, Lehrer der schönen Wissenschaften, sagen. Er ist ein Mann, den seine Schüler sehr lieben. Was seine Kenntnisse betrifft, kannst du schon genug aus seiner Uebersetzung des Agrikola von Tazit abnehmen.

Die Physik lehren Bergmann und Metternich. Ersterer ist ein Jünger von Loiola, weswegen ihn vielleicht seine Schüler nicht achten. Dieser hat sich schon durch etliche Schriften Ruhm erworben. Sowohl im physischen als mathematischen Fache hat er es in kurzer Zeit weit gebracht.

Hier hat jeder Studierende sehr viele Gelegenheit, sich in der Physik und Mathematik Kenntnisse zu erwerben, denn die dazu nöthigen Instrumente sind mit großen Unkosten angeschafft worden, und was fehlet, suchet man noch täglich zu bekommen. Die Instrumente werden sehr gut bewahrt; sie stehen in einem wohleingerichteten Saale, der seine Aufseher hat.

Ueber den philosophischen Kurs machte ich die Anmerkung, daß man Fremde mehr zum frequentiren anhalten sollte. Diese wählen sich in einem halben Jahre oft nur eine Stunde, und treiben, anstatt zu studieren, ein liederliches Leben, da doch die Philosophie den Grund zu Allem legen muß. Diese Bemerkung eröffnete ich auch einigen Professoren. Allein es soll sich nicht ändern lassen.

Nun wollen wir auch etwas von deinem Fache, dem juristischen Studium, reden. Es ist sehr stark besetzt. Du wirst mir keinen Theil der Rechtsgelehrtheit nennen, zu welchem nicht ein Lehrer bestimmt ist. An der Spitze steht itzt der Hofrath Hartleben, der die Pandekten liest, dessen Kenntnisse in allen Fächern der Rechtswissenschaft, besonders aber im römischen Civil-Rechte, man nicht genug bewundern kann. Diesen trocknen Theil der Rechtsgelehrtheit weiß er seinen Schülern sehr geschmackvoll zu erläutern. Man wird selten einen Mann finden, den seine Schüler so sehr lieben, als diesen. Hartleben weiß sich auch dieser Liebe würdig zu machen. Nicht aber bei seinen Schülern allein, sondern auch bei der gelehrten Welt steht er in großem Ansehen. Du kennst ja seine Meditationen über euren hochberühmten Leyser, seine gelehrten Anzeigen, Fortsetzung der Schottischen juristischen Litteratur u. s. w. Dies sind Werke, woraus man seinen unerschöpflichen Geist beurtheilen kann, woraus man sieht, wie sehr er die römische Terminologie hasset und alles auf deutschen Fuß zu bringen sucht. Er ist übrigens sehr lustig, hat seine jungen Jahre auf alle Art genossen, aber auch schon sehr vieles auf der Welt gelitten. Von diesem Manne kannst du nun schon schließen, daß man hier auf das juristische Studium sehr bedacht ist, welches du auch noch weiter vernehmen wirst, wenn ich von den übrigen Lehrern rede. -- Aber die hiesige Universität bekam einen sehr großen, sehr empfindlichen Stoß durch die Beförderung Frank's, Prof. der Reichsgeschichte und des deutschen Staates, zum Reichs-Referendar. Er ist ohne Vergleich der erste Publizist im katholischen Deutschlande, und viele Protestanten werden ihm den Vorzug auch nicht streitig machen. So froh ich über die Beförderung dieses Mannes war, so sehr bedauerte ich den Verlust der Universität. Er trug seine Lehren stehend auf dem Katheder so hitzig und mit solchem Enthusiasmus vor, daß, wer ihn nur eine Stunde hörte, gleich auf seinen Eifer in jenem Fache schliessen konnte. Er war so patriotisch gesinnet, daß er sich nicht mehr freute, als wenn er einen Deutschen nennen konnte, der Epoke in einer Wissenschaft gemacht hatte. Pütter in Göttingen sagte selbst in seinen Vorlesungen: Frank sey einer der ersten Publizisten Deutschlands. Mehr kann ich wohl nicht sagen, wenn dieses ein Pütter spricht.

Diese Stelle ist nur eines Theils durch Roth ersetzt. Wer dieses Mannes Vorlesungen hört, macht gleich die Bemerkung, daß er sehr fleißig studieret, und es sich sehr angelegen seyn läßt, daß die Zuhörer seine Kollegien nicht leer verlassen möchten. Seine Kenntnisse im Staatsrechte der deutschen Reichslande haben schon mehrere große Männer aus seinen Schriften anerkannt. Es wäre zu wünschen, daß er das in die Feder diktiren abschaffte, denn hiedurch geht vieles verloren; der Zuhörer sucht nur alles ordentlich aufs Blättchen zu bringen und kann nicht weiter auf den Inhalt Acht haben; kömmt er hernach nach Hause, so muß er nochmals so lange studieren, bis er das Gesagte in gehöriger Ordnung fassen kann.

Auch Bodmann, itziger Prorektor, macht der Universität sehr viele Ehre. Er lehrt das deutsche Recht und Diplomatik. In beiden Theilen ist er sehr weit gekommen, und sucht es durch seinen unermüdeten Fleiß noch immer weiter zu bringen. Er weiß jeden mit den meisten Urkunden zu unterhalten, und besitzt hierinn sehr ausgebreitete Kenntnisse. Schade für den Mann, daß er keinen Vortrag hat!

Unter den Lehrern des juristischen Faches verdienen auch noch bemerkt zu werden, Hoffmann, Prof. des Naturrechtes, und Waldmann, Prof. der Institutionen und des peinlichen Rechtes. Jener hat sich durch seine freie Denkungsart schon manchen Verdruß über den Hals gezogen; bleibt aber immer noch ein trefflicher Kopf, und wer bei ihm Naturrecht hört, geht nicht ohne gute Grundsätze von ihm. Dieser hat den Ruhm, daß er seine Materien gründlich aus einander legt, und durch seine Fragen in den Vorlesungen manchen zum Studieren anhält, der sonst ein fauler Taugenichts würde. Im peinlichen Rechte hegt er sehr gelinde Grundsätze, besonders hat er hierinnen das Verdienst, daß er Alles mit praktischen Fällen belegt.

In dem Fache der kameralischen Wissenschaften thut sich unter andern Nau hervor, der Polizei und Finanzwissenschaft Lehrer. Er ist ein aufgeklärter Kopf, und hat sich schon durch verschiedne Schriften dem Publikum bekannt gemacht. Polizei und Finanz sind die Hauptgrundlagen des Kameralwesens, und verdienen also auch mit einem Manne, wie Nau ist, besetzt zu seyn. -- Unter den übrigen sind auch noch Schleenstein und Spoor zu bemerken. Sie lehren Oekonomie und Technologie. Ich muß dir aber doch sagen, daß kein so großer Kameralist hier ist, als dein Lehrer, Beckmann in Göttingen.

Unter allen Fächern der Wissenschaften ist meiner Meinung nach die Medizin am besten besetzt. Welche Wissenschaft verdient auch mehr in Aufnahme gebracht zu werden, als jene, welche dem Staate Menschen erhält, ohne die er gar nicht bestehen kann? Hierinn hat sich nun der itzige Kurfürst einen unsterblichen Ruhm verschafft. Er rief protestantische Mediziner zu sich, gab ihnen großen Gehalt, und besetzte auf diese Art die medizinische Fakultät mit Männern, die sich in ganz Deutschland den größten Ruhm erworben haben. Unter diesen ist besonders Sömmering merkwürdig. Er lehret die Anatomie. Man will behaupten, er sey einer der größten Eingeweihten in dieser Kunst. So viel kann ich dir von ihm sagen, daß er die feinsten Nerven des Menschen, die kaum mehr dem unbewaffneten Auge sichtbar sind, so zu trennen weiß, daß man nicht die geringste Beschädigung eines Theiles derselben merken kann. Man sieht an seinem Vortrag, dem ich etlichemal in seinen Vorlesungen zuhörte, daß er viel Originelles an sich hat. Ich möchte wünschen, du wärest hier, daß du die Präparaturen dieses Mannes in dem besonders dazu eingerichteten Saale sehen könntest; du würdest ihn bis in den Himmel erheben.

Der zweite Mann ist Wedekind, dessen Diätetik ich im vorigen Jahre selbst hörte. Der große Saale war kaum geräumig genug, um alle Zuhörer zu fassen. Er ist so vertraut mit seinen Zuhörern, als die besten Freunde unter einander seyn können. Bei den hiesigen Bürgern ist er auch sehr wohl gelitten, wozu vieles beiträgt, weil er theils große Kuren verrichtet, theils denenjenigen, die ihn um Rath fragen und von ihm bedient werden, kein Geld abnimmt, und ohne allen Eigennutz handelt.

Prof. Veidemann hat sich um die Entbindungskunst sehr verdient gemacht und ist zugleich ein sehr bescheidner Mann. Von den hiesigen Entbindungsanstalten wirst du in einem andern Briefe mehreres erfahren.

Prof. Fibig verdienet auch als Mineralog und Botaniker bemerkt zu werden. Nur Schade, daß der Mann immer kränklich ist.

Nun auch etwas von den Theologen, deinen Erzfeinden. Zwar muß ich dir überhaupt sagen, daß das theologische Fach hier nicht mit den besten Männern besetzt ist. Doch giebt es einzelne Gelehrte darunter, worunter ich vorzüglich Blau, Lehrer der Dogmatik, rechne. Dieser Mann weiß dogmatische Sätze wohl von theologischen Alfansereien zu unterscheiden. Besonders ist merkwürdig von ihm, daß er die ganze Dogmatik, so viel es nur thunlich ist, nach kantischen Grundsätzen docirt. Er soll ein besonderer Freund von Dorsch gewesen seyn. Dies setze ich darum hieher, weil man daraus schon den ganzen Blau erkennen kann.

Pat. Bertulf Weyl, ein Franziskaner-Mönch, ist als Ausleger der Bibel und Lehrer der orientalischen Sprachen sehr merkwürdig. Das gelehrte Publikum hat einen Theil der Bibel von ihm übersetzt, der für Katholiken immer brauchbar seyn mag. Viele Kenntnisse der fremden Sprachen kann man ihm nicht absprechen, wir können ihm aber doch wichtigere entgegen setzen.

Hierher gehöret auch Frank, ein Bruder des obgenannten Reichs-Referendar. Er lehret das kanonische Recht. Seine ausgebreitete Gelehrsamkeit, kann niemand, der ihn kennet, läugnen. Er hat alle alte sowohl als neue ins geistliche Recht einschlagende Werke mit Nutzen gelesen. Als Lehrer ist an ihm zu tafeln, daß er jede Materie zu weit ausdehnt, und Alles mit zu vieler Litteratur belegt, wodurch der Zuhörer sehr verdrüßlich wird. Auch hat die große Weitläuftigkeit den Schaden, daß am Ende des Jahres noch viele wichtige Materien übrig bleiben, wovon keine Erörterung geschehen ist.

Als Lehrer des kanonischen Rechts kommt auch noch Krikk in Anschlag, dessen Vorlesungen die meisten Juristen und Theologen frequentiren, wiewohl Frank mehr Verdienste hat. Krikk hat mehr Zulauf, weil er nicht so weitläuftig ist, und seine Zuhörer sehr gut zu unterhalten weiß.

Ich habe dir bisher die besten und vorzüglichsten Lehrer der Universität geschildert. Hieraus wirst du nun schließen können, daß Mainz hierinn sehr viele Vorzüge hat, daß ein Jüngling in jedem Fache große Fortschritte machen kann, wenn er nur will, denn man kann, wie du wohl weißt, auf Akademien keinen zum Studieren zwingen, sondern jeder, der sich durchaus Fortkommen verschaffen will, muß aus eignem Antriebe nichts versäumen, wodurch er an Wissenschaften mehr bereichert werden kann. Ohngeachtet dessen kann man es jungen Leuten nicht so sehr übel nehmen, weil sie auf einer Universität, wie die hiesige ist, oft Gelegenheit zu Ausschweifungen finden, zumal wenn sie keine feste Grundsätze haben. Diesem Allen aber wäre wohl vorzubeugen, wenn man nicht an Höfen, sondern in andern kleinen Städten, wo der Jüngling nicht so vieler Verführung unterworfen, Universitäten errichtete. Dies aber wird freilich nur ein frommer Wunsch bleiben müssen.


Quellen.[]

  1. Ueber Mainz. In Briefen an Freund R. Auf einer Rheininsel. 1792.