Von Bastille bis Waterloo. Wiki
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Die deutschen Universitäten.[]

[1814]

Es gehört zu den Zeichen der Zeit, daß seit zwanzig Jahren von den deutschen Universitäten funfzehn aufgehoben, und einige noch jetzt in ihrer Existenz bedroht sind. Denn kaum war das linke Rheinufer an Frankreich abgetreten worden, so wurden auch die deutschen Universitäten Mainz, Trier, Cöln, Bonn und Löwen aufgehoben und in untergeordnete Schulanstalten verwandelt. Der darauf in Deutschland erfolgende Reichsdeputations-Hauptschluß mit seinen politischen Resultaten ward die Veranlassung, daß die Universitäten Bamberg, Altorf, Osnabrück, Paderborn und Fulda aufgehoben wurden; schon vorher ward Ingolstadt nach Landshut verlegt. Späterhin zerstörte der französische Prinz, der in Westphalen regierte, die Selbstständigkeit der Universitäten Helmstädt und Rinteln; und selbst Halle ward im Sommer 1813 nach Napoleons Willen von seinem Bruder Jerome aufgehoben. Die Preußische Regierung hingegen, welche, mitten unter dem Drängnisse der Zeit, die Universität Königsberg mit bedeutenden Fonds vermehrt, die Universität Frankfurt an der Oder nach Breslau verlegt, und mit der daselbst bestehenden hohen Bildungsanstalt zu Einer zeitgemäßen Organisation vereinigt hatte, rief eine neue Universität zu Berlin in's Daseyn, und gab auch im Winter 1813 der ehrwürdigen Akademie Halle ihre Existenz und ihre Fonds zurück. Dagegen ist noch immer die Universität Wittenberg, welche Napoleon durch seine erneuerte Befestigung der Stadt aus ihrem Wohnsitz vertrieb, ohne definitive Entscheidung ihres Schicksals; und noch weniger scheint man jetzt voraussehen zu können, was aus den schon längst kränkelnden Universitäten Erfurt, Münster und Duisburg, und aus der bisherigen primatischen Universität Aschaffenburg werden solle.

Rechnen wir einstweilen diese letztern Institute ab, so finden wir, daß im gegenwärtigen Augenblicke nur folgende deutsche Universitäten in ihrer Existenz gesichert sind:

im preußischen Staate: Berlin, Halle, Breslau und Königsberg;
im Königreiche Bayern: Landshut und Erlangen;
im Königreiche Wirtemberg: Tübingen;
im Königreiche Sachsen: Leipzig;
im Großherzogthum Baden: Heidelberg und Freiburg;
im Großherzogthum Würzburg: Würzburg;
im hannöverschen Staate: Göttingen;
im hessencasselschen Staate: Marburg:
im hessendarmstädtschen Staate: Gießen;
in den Ländern der fünf sächs. Herzoge: Jena;
im mecklenburgischen Staate: Rostock;
in den deutschen Ländern des Königs von Dänemark: Kiel und Greifswalde.

Nicht ohne Freude und Erhebung des Geistes über die Besiegung des antifranzösischen Geistes, der alle unsere Universitäten -- die Ehrensache der deutschen Nation -- zuletzt vernichtet haben würde, liest man, daß der König von Dänemark und der Kronprinz von Schweden sich in dem letzten Friedensschlusse über die Fortdauer der neuen norwegischen Universität zu Christiania, und der alten schwedischen Universität zu Greifswalde vereinigt haben, obgleich Dänemark, bei seiner durch diesen Frieden verminderten Bevölkerung und bei seinen völlig zerrütteten Finanzen, mit Kopenhagen und Kiel ausgereicht haben würde. Dennoch soll, zur Ehre Friedrichs VI., Greifswalde fortbestehen. Heil und Preis solchen Fürsten, welche, selbst nach den wildesten Stürmen des Krieges, in ihren Friedensschlüssen der Universitäten nicht vergessen, und sie als Angelegenheit der Nation behandeln. In Staaten, wo solche Könige regieren, können und werden der gelehrte Stand und die Wissenschaften nicht an Einfluß, Achtung und Anerkennung ihrer Verdienste verlieren. Eben so erfreulich ist es, daß die hannöversche Regierung sogleich unter ihren ersten öffentlichen Acten die Herstellung der vormaligen Verfassung der Universität Göttingen decretirt, und dieser Universität die ihr unter französischen Machtschlägen geraubte Jurisdiction und Polizeieinrichtung zurückgegeben hat, für deren Verlust kein Ordensband der westphälischen Krone und keine erbaute Sternwart, keine geschenkte Büste Jerome's entschädigen konnte! Frei muß das Leben und die Verfassung der Universitäten seyn; frei, wie seit vierhundert Jahren, muß sich der Geist der akademischen Lehrer und der Studirenden in der Sphäre der Wissenschaft und des äußern Lebens bewegen, wenn diese Institute nicht zu Klosteranstalten und bischöflichen Seminarien herabgewürdigt werden, und allen Einfluß auf die Fortbildung der Wissenschaften verlieren sollen. Denn wodurch hat seit vierhundert Jahren die deutsche Nation über alle andere Völker Europens hervorgeragt, als durch ihren strengen wissenschaftlichen Geist, durch ihre unaufhaltbare Fortführung der Wissenschaften zu höherer Vollendung, durch ihr Uebergewicht in allen Zweigen der Literatur, und durch die unermeßlichen Folgen der aus ihrer Mitte ausgegangnen Kirchenverbesserung!

Und welches war die erste Grundbedingung dieses Uebergewichts der intellectuellen Kraft der deutschen Nation? Keine andere, als die Menge und der gute Geist ihrer Universitäten. Daß überall in kleinen und großen deutschen Staaten die für die damaligen Zeiten mit hoher Liberalität gestifteten Universitäten mit einander wetteiferten; daß in der Mitte dieser Institute Regenten und Fürsten, Staatsmänner und künftige Lehrer der Welt ihre Bildung und höhere Richtung empfingen; daß dadurch der deutsche Buchhandel einen Aufschwung nahm, wie er in dieser Beziehung bei allen übrigen Völkern der Erde fehlt; daß in jener Zeit der Universitätsgelehrte in großem Ansehen, und, was noch mehr sagen will, in großem Einfluß auf den Staat selbst stand, bevor man den Staatsdienst als Maschinenwerk zu behandeln anfing und die Universitäten ihrem zufälligen Schicksale überließ, oder sie wohl gar in ihrem wohlthätigen Einflusse durch Censuredicte und beschränkende, demüthigende Maßregeln störte: das war es, was dem Geiste der Deutschen jene Tiefe des Wissens, jene Vielseitigkeit der Kenntniß, jenen rein kosmopolitischen Sinn mittheilte, der zu tief gewurzelt hatte, als daß er in den letzten Zeiten, wo man die Universitäten zu vernachlässigen anfing, hätte plötzlich vernichtet werden sollen.

Fragt ihr nach den Heroen der Theologie, der Philologie, der Philosophie, der Geschichte, des Staatsrechts, der Völkerrechts, der Statistik, der Heilkunde; so werdet ihr sie unter den Stadt- und Landgeistlichen, unter den practischen Geschäftsmännern, unter den Höflingen, unter den Advocaten, Actuarien u. s. w. vergeblich suchen; aber jedes Blatt in der Geschichte einer deutschen Universität zeigt euch ruhmvolle Namen in diesen Fächern. Selten verfloß ein Menschenalter, wo nicht wenigstens einige, auf die Nachwelt übergegangne, Namen auf jeder deutschen Universität aufglänzten; oft wirkten Literatur auf einer und derselben Universität in verschiednen Fächern der Erkenntniß und des Wissens für die Unsterblichkeit ihrer Akademien in den Annalen der Cultur; und wenn auch die Systeme, die sie begründeten, in der Folge der Zeit durch jüngere und bessere verdrängt wurden, so war doch gewöhnlich jeder neue Versuch, den geistigen Horizont zu erweitern, -- wenigstens in seinen unmittelbaren Folgen -- ein Fortschritt zum Bessern.

Dadurch bekam aber auch die deutsche Literatur ihren eigenthümlichen Charakter, daß sie zunächst von der Universitäten ausging. Wolf, Kant, Fichte u. A. waren und blieben Universitätslehrer, die mit den Philosophen Frankreichs in den Akademien ihrer Hauptstadt gar nicht verglichen werden können. Die ersten deutschen Historiker waren und sind Universitätslehrer, bei denen Gründlichkeit erste Bedingung ihres öffentlichen Credits ist; nie hätte Voltaire zum Universitätslehrer getaugt! Die ersten Statistiker der Nation lehrten auf Universitäten, und sind gewiß unschuldig daran, wenn einzelne Expeditoren in Cabinetten und Kanzelleien sich für Statistiker halten, sobald die eine Accistabelle zusammenrechnen! Mag also immer mancher oberflächliche Kopf, dem die Breite und Länge lieber als die Tiefe ist, die Arbeiten der Universitätslehrer für pedantisch erklären, und mag auch mancher Universitätslehrer auf seiner Studirstube wirklich manche Dinge zu pedantisch nehmen; so hat doch die Gründlichkeit und Tiefe der Universitätslehrer in Deutschland überhaupt die Gründlichkeit und Tiefe unsrer Literatur begründet und bis jetzt in diesem Charakter erhalten!

Bis vor den letzten zwanzig Jahren standen diese ehrwürdigen Institute vor der Nation in dem Glanze und in der Achtung, die sie verdienten. Nur als das revolutionirte Frankreich in seiner Mitte die Universitäten aufhob, die mit den eigentlichen deutschen keine Vergleichung aushielten; als kopfscheue und kopflose Obscuranten auch diesseit des Rheins, auf Einflüsterung der Emigranten, in jedem Lehrer des Naturrechts einen Jacobiner rochen; als man die Universitätslehrer in ihren heiligsten Vorrechten kränkte, und sie bald in ihrem persönlichen Ansehen zurücksetzte, bald ihnen, wie jedem Handwerksmanne, Einquartierung zumuthete, bald sie -- trotz ihres geringen Gehalts -- zu jeder neuen Abgabe zog; da gehörte diese Nachäffung der Franzosen in Hinsicht der Behandlung der Universitäten zum Modeton der Zeit. Freilich schien man der Universitäten in einem Zeitalter nicht mehr zu bedürfen, wo man die aufblühenden Jünglinge nur aus dem Gesichtspunkte der Conscription betrachtete, und die Wissenschaften bloß nach ihrem Verhältnisse zur Pulverfabrication und zu den erhöhten Abgabesystemen berechnete. Wie konnte da, wo die bürgerliche Freiheit systematisch untergraben wurde, die Freiheit der Geister geduldet werden, oder gar gedeihen! Wenn in dem Parlamente des freien Großbritanniens zuletzt fast allein noch auf dem Continente verschollene Sprache männlicher Freimüthigkeit gehört ward; so verpönte man, namentlich in Deutschland, durch ängstlich abgemessene Censuredicte und durch reichlich bezahlte Censoren jeden kräftigen Laut gegen die weitergreifende Unterdrückung und Verfinsterung der Geister.

Dies alles hat der October vorigen Jahres geändert, der Zerstörer deutscher Universitäten, der ihren Geist entweder nicht begriff, oder bei seinem Despotismus nicht ohne Grund fürchtete, (denn nur Despoten fürchten die Sprache der Wahrheit!) ist hinübergedrängt über den deutschen Rhein, und vier Fürsten, die Kaiser von Oesterreich und Rußland, der König von Preußen und der Kronprinz von Schweden, welche Universitäten theils neu stifteten, theils neu dotirten, haben seine Gewalt gebrochen. Für die glorreiche Sache der Freiheit des Gedankens und der Person, für die Wiederherstellung der Universitäten zu ihren ehemaligen heiligen Rechten und zu ihren unverwelklichen Ehren, und für die Rache der langen Schmach derselben an ihrem grausamsten Feinde ist mancher deutsche Jüngling gefallen, den diese Universitäten gebildet hatten! Darum, ihr Deutschen, die ihr bereits in der Nachäffung der Franzosen durchgehends eingelenkt habt, schenkt auch euern Universitäten die ihnen vom Auslande entzogenen Würden, Vorrechte und Wirkungskreise wieder! Erblickt in ihnen den Stolz eurer Nation, die Hoffnung künftiger Zeiten! Hier wird eine Saat ausgestreut, die in's unendliche fällt; ihre Frucht reift sicher, aber unmerkbar dem sterblichen Blicke, nach Decennien und Jahrhunderten! Noch sind sie nicht alle heimgegangen, oder verstummt, die Männer, die vor zwanzig Jahren mit Ernst und Feuergeist die Sprache der Wahrheit, des Rechts, der Pflicht und der Staatenwohlfahrt laut und freimüthig redeten; die werden wieder hervortreten vor die Nation, deren Ehre sie sind, sobald ihr sie würdig behandelt; sie werden eure Söhne für eine bessere Zeit bilden, als die ihr mit ihnen zugleich erlebtet!

(Beschluß folgt.)


Quellen und Literatur.[]

  • Deutsche Blätter Herausgegeben von Friedr. Arn. Brockhaus. Zweiter Band, Leipzig und Altenburg, 1814.
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