Von Bastille bis Waterloo. Wiki
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Turin.[]


Turin (ital. Torino),[1] die Hauptstadt der königl. sardinischen Staaten auf dem festen Lande, und die Residenz des Königs von Sardinien, eine der schönsten und regelmäßigsten Städte Italiens, am linken Ufer des Po, hat eine überaus angenehme Lage in einem weiten Thale, das von der einen Seite mit Hügeln, die mit Klöstern, Schlössern und Landhäusern bebaut sind, umgeben wird.

Nuovo Ponte sul Po.

Ueber den Po führt eine schöne steinerne Brücke. Turin war ehemals eine starke Festung, und wurde 1706 von den Franzosen vergebens belagert. Jetzt sind die Festungswerke abgetragen und in Spaziergänge verwandelt; auch hat die Stadt jetzt keine Mauern und nur noch ein Thor (porta nuova) an der Mittagsseite. Turin hat 32 Hauptstraßen, die alle gerade gehen und sich in rechten Winkeln durchschneiden. Unter den Häusern gibt es viele Palastähnliche, die meisten sind 4 bis 5 Stockwerke hoch, und aus gebrannten Steinen gebaut. In mehrern Straßen, besonders in der Po-Straße, welche die schönste ist, besteht das Parterre der Häuser aus Bogengängen, in welchen sich Kaufläden befinden.

Piazza St. Carlo.

Unter den sechs öffentlichen Plätzen ist der viereckigte Königs- oder Carls-Platz der schönste und größte, und mit schönen Gebäuden umgeben; die vorzüglichsten darunter sind: die Kirche St Carlo, das königliche Schloß und das Operntheater. Das Schloß ist von weitem Umfange; die königl. Minister haben ihre Wohnungen und ihre Bureaux in demselben. Bei dem Schlosse ist ein schöner Garten, der zur öffentlichen Promenade dient, und von welchem aus man die herrlichsten Aussichten hat. Das Universitätsgebäude ist ebenfalls ein sehr ansehnliches Gebäude. Zu der Universität gehören eine Bibliothek, eine Sternwarte, ein Naturaliencabinet und ein botanischer Garten. Der jetzige König verabschiedete nach seiner Rückkunft (1815) verschiedene Lehrer der Universität, welches viel Aufsehen erregte. Man gibt die Bevölkerung der Stadt, aber wahrscheinlich zu hoch, auf 73,000 Menschen an. Für den Handel, und als eine Hauptstraße aus Frankreich nach Italien, ist die Stadt sehr wohl gelegen. Der meiste Handel wird mit piemontesischer Seide getrieben, und es gibt hier sehr wichtige Seidenfabriken, auch gibt es Tapeten-, Tabacks-, Porcellain- und Gewehrfabriken. Doch soll es, wie neuere Reisende versichern, den Einwohnern an Betriebsamkeit fehlen. Schon in den ältern Zeiten war Turin öfters den Angriffen der Franzosen ausgesetzt. Im J. 1796 wurde es von den französischen Republikanern erobert, aber am 25sten Mai 1799 von den Oesterreichern und Russen unter Suwarow wieder genommen. Nach der Schlacht bei Marengo (1800) kam es wieder in die Gewalt der Franzosen und blieb in derselben als Hauptort des Po-Departements, bis es 1814 seinem ehemaligen Herrn, dem Könige von Sardinien, wiedergegeben wurde.


Plan von Turin.


Von Reisende.[]

Friedrich Leopold zu Stolberg-Stolberg

[1791]

Turin, den 27sten October 1791. [2]

Die Lage von Turin ist außerordentlich schön. Sie hat, wie schon mehrere Reisende bemerkten, Aehnlichkeit mit Dresdens Lage.

Der schöne Po krümmt sich um die eine Seite der Stadt, welche von Hügeln und Bergen umgeben ist, die das Auge mit mannigfaltigen Aussichten auf Weinberge, Haine, Lusthäuser und Gärten ergötzen. Ueber nahe Hügel und Berge ragt die schneebedeckte Kette der Alpen in furchtbarer Schönheit hervor, und unter diesen Riesen erheben der Viso und der Rochemelon ihre strahlenden Häupter. Dieser schönen Aussicht genießet man am besten auf dem Wall, nur Schade, daß dieser Spaziergang durch den verschloßnen königlichen Schloßgarten unterbrochen wird.

Man erstaunt, den Viso, aus welchem der Po entspringt, so nahe, und zugleich den schon so mächtigen Po zu sehen. Mich verlangt darnach diesen Strom am adriatischen Meer als Mann zu sehen, da seine Jugend so viel verheißet.

Unmittelbar vor dem Thore, welches nach dem Po seinen Namen hat, liegt eine Brücke über diesem Fluß, welche aber weder der Schönheit der Stadt noch der Würde des Stromes entspricht. Die Postraße, welche zu diesem Thore führet, ist sehr schön. Die Stadt ist überhaupt nach einem edeln Plan angelegt, die Straßen sind schnurgerade, die Thore in gutem Styl, die Häuser mit Geschmack gebauet. Nach Maßgabe ihrer Höhe sind die Straßen, die Postraße und die neue Straße ausgenommen, nicht breit genug. Die Postraße hat zu beiden Seiten überaus schöne, hohe Hallen unter den Häusern. Das Schloß verspricht nicht viel von außen, die Gemächer sind aber prächtig. Gleich beim Eingange steht in einer Niche die Bildsäule von Victor Amadeus des Ersten zu Pferde. Das Pferd ist von Marmor, der Herzog von Erz. Seine Gestalt ist edel, das Roß aber ist nicht schön.

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Zwischen dem Schloß und der Hauptkirche steht die Kapelle des heiligen Schweißtuchs, in dessen Besitz die Stadt zu sein vermeinet. Sie ist ganz von schwarzem Marmor, die Knäufe der Säulen und die silbernen großen Leuchter, welche allein dem Gebäude Licht geben, sind vergoldet. Heiliges Grauen ergreift einen beim Eingange. Das vermeinte ächte Schweistuch wird beim Antritt der Regierung eines Königes, bei seiner oder des Kronprinzen Vermählung, und auf Bitte großer Herren, welche nach Turin kommen, öffentlich ausgesetzt. Hier ward uns auch eine Monstranz von ungeheurem Werth an Juweelen gezeigt, sie soll die kostbarste von Italien sein, und ist mit Geschmack gefaßt. So wohl mit dem Schloß als der Hauptkirche hängt diese Kapelle zusammen. Mit dem Schlosse hängt auch das große Theater zusammen, welches eins der schönsten von Italien sein soll. In diesem wird nur zur Zeit des Carnavals gespielt, ich habe es also nicht zu seinem Vortheil, und nur beim Schein einer Fackel gesehen. Dennoch ergötzte mich der Anblick, durch den edeln Styl, in welchem es gebauet ist. Man wirft ihm aber vor, daß es nicht akustisch eingerichtet sei, und daß man nur aus einer Loge die Spieler gut hören könne. Das Theater des Prinzen von Carignan ist schön ohne Pracht. In diesem wird die Opera buffa im Sommer gegeben. es wird noch ein drittes Theater hier, und an einem vierten wird gebauet.

Weit schöner als das Schloß nimmt sich dicht dabei der so genannte Palast des Herzogs von Savoyen aus mit seiner edeln Fasade von korinthischen Säulen. Nach diesem scheint mir des Prinzen von Carignan Palast der ansehnlichste.

Das Zeughaus, an dessen Vergrößerung noch gebauet wird, ist ein schönes, ungeheuer großes Gebäude, welche fünf Höfe einschließet. Die Säle ruhen, gleich gothischen Kirchen, auf großen Säulen. Um jede dieser Säulen sind tausend Musketen in zierlicher Ordnung aufgestellet. Dazwischen stehen Pyramiden, um welche mit großer Eleganz die Pistolen für die Reiterei gereihet sind. Zwischen den Sälen ist ein großer runder Saal; dessen Wände und Säulen prangen mit Trophäen von alten Rüstungen in kriegerischer Pracht. Vor den Thüren dieses Saals stehen wie lebendige alte Krieger, die von der Scheitel bis zur Ferse gewaffnet sind.

Das Zeughaus enthält Waffen für hundert und zwanzig tausend Mann. Der Gebrauch der cylindrischen Ladstöcke ist noch nicht eingeführt; doch sind sie alle von Eisen.

In einem Nebenzimmer verwahrt man eine ziemliche Anzahl kleiner, leichter Gewehre, welche nach ihrer sich gegen das äußerste Ende erweiternden Oeffnung Tromboni (Posaunen) genannt werden. Der König hat den Gebrauch dieser fürchterlichen, leicht mit sich zu führenden, und daher für Banditen äußerst bequemen Waffen verboten, und alle die im Lande waren, aufgekauft. Sie können mit vielen Kugeln oder mit Kartetschen geladen werden, und schreckliche Verwüstung anrichten.

Mit dem Zeughause ist eine Kanonengießerei und ein chymisches Laboratorium verbunden. Das Ganze steht unter der Aufsicht des gelehrten Grafen von Saluzzo, welcher so vielen Antheil hat an der verbesserten Einrichtung der Akademie. Dieser Mann, welcher Kenntnisse eines großen Gelehrten mit kriegerischem Verdienste, seinen Sitten, und altritterlicher Freiheit im Wesen verbindet, stammet von den alten Marchesen von Saluzzo, deren Land, als im sechzehnten Jahrhunderte zween Brüder darum stritten, von dem einen an Frankreich überlassen, bald vom Herzog von Savoyen als Lehnsherrn wieder gefodert, und den Franzosen genommen, dann von Heinrich dem Vierten, Könige von Frankreich, wieder erobert, und im Jahr 1601 an Savoyen abgetreten ward.

Gleich den ersten Nachmittag fuhr ich mit meiner Frau nach dem Corso. So heißt ein schöner Spatziergang, wo in dieser Jahreszeit alle Nachmittage von fünf bis sechs der Adel hin und her fährt, vielleicht mehr, um sich und seine Equipagen auf dieser stummen Assemblee zu zeigen, als um der schönen Aussicht am Po zu genießen. Nicht so wohl der Natur als der Mode wird hier gehuldiget. Am Ufer des Po stehet dicht bei der Stadt das schöne königliche Schloß Valentin, welches der itzige König dem Oberkammerherrn zu seiner Sommerwohnung eingeräumt hat. Der dazu gehörige Garten ist der Botanik gewidmet.

Mit dem Wasser eines aus der Dora geleiteten Kanals, werden durch Schleußen alle Straßen gereiniget. Aus den Straßen fließt es durch Gossen in den Po. Die Stadt ist daher immer sauber. Unter den verschiednen großen Plätzen ist der Platz des heiligen Karls der größte und schönste. Schöne Gebäude umgeben ihn, und geräumige Hallen, auf beiden Seiten.

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Das Münzkabinet enthält schöne Münzen aus dem Alterthum. Die Bibliothek der Universität besteht aus fünf und funfzig tausend Bänden, und hat über zweitausend Manuscripte. Unter den letztern ist ein Plinius aus dem funfzehnten und ein Dante aus dem vierzehnten Jahrhundert vorzüglich schön. Der Plinius ist mit saubern Bildern, welche dem Inhalt angemessen sind, geschmückt.

Unter den gedruckten Büchern ist ein Bibel von elf Bänden in Folio, in vier Sprachen, in der hebräischen, chaldäischen, griechischen und lateinischen. Philipp der Zweite, König von Spanien, hat sie einem Herzog von Savoyen geschenkt. Ich glaube nicht je einen so schönen Druck gesehen zu haben.

Verschiedne Merkwürdigkeiten in und um Turin habe ich nicht besuchen können. Nicht nur der Hungerharke einer gewissen Art und Reisenden, welche aus dem Reisen ein Gewerbe machen, sondern auch dem vernünftigen Nachleser habe ich manches zurück gelassen. Ich habe weder das Landschloß Stupinigi, welches sehr gelobt wird, noch den Weinberg der Königin gesehen. In der Stadt nur einige Kirchen, und diese nur flüchtig.

Die Stadt ist sehr volkreich. Es wimmelt selbst itzt auf den Straßen, da doch der Hof, des Adels größter Theil, und der Ferien wegen viele Geschäftsmänner und Studenten, deren Zahl sich auf dreitausend beläuft, abwesend sind.

Im Winter wird die Bevölkerung der Stadt auf beinahe hunderttausend Menschen geschätzt.

Die hohen Hallen, welche die Poststraße und verschiedne andre schöne Straßen zieren, sind mit Kramladen angefüllt. Die Zahl der Krämer und Handwerker, welche ihre Schilde aushängen, ist außerordentlich groß. Auf den großen Plätzen der Stadt versammelt sich das Volk häufig, um Künste der Taschenspieler zu sehen, oder einem Marktschreier zuzuhören, der mit einem Affen auf einem hohen Gerüste steht. An den Affen, welcher die Rolle eines Kranken spielt, wendet er sich bei Anpreisung seiner Mittel, äffet aber eigentlich das Volk, dem er sie diese Art anschwatzt.

Nicht sowohl des Marktschreiers possierliche Würde, welche zu seinem Amte gehöret, fiel mir auf, als der stille Ernst des ihn angaffenden Volks. Ich glaube dennoch, nicht sowohl, daß sie ihn für einen großen Wundermann halten, sondern vielmehr, daß sie ihn als eine Virtuosen von besondrer Art ansehen. Alles, was auf irgend eine, auch entfernte Art mit dem Schauspiel verwandt ist, wird von den Italiänern als eine sehr wichtige Angelegenheit behandelt. Was, wo ich nicht irre, Cicero von den Griechen seiner Zeit sagte, fiel mit schon mehr als einmal bei diesem Volke ein: Natio comoeda est.

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Von Reisende..[]

Johann Heinrich Karl Menu [3]

[1803]

Der Schlossgarten, wohin ich nach abgelegtem Besuche mit Herrn Actis einen Spaziergang machte, ist nicht sehr gross, und durch den vom General Menou abgeschnittenen Theil für seine Gemahlinn noch verkleinert worden. Die Aussicht auf die Alpen und die umliegende Gegend ist vortreflich, besonders von dem Pavillon, worin sich ein Caffetier befindet, von dem wir uns Sorbet reichen liessen. Jedoch wird diese Promenade mehr des Mittags von zwölf bis ein Uhr, als des Abends besucht. Von hier gingen wir endlich auf den Hauptwall, der mit Bäumen bepflanzet ist, und woselbst sich des Abends die schöne Welt versammelt. Ich umging wohl ein Viertheil der Stadt, und fand stellenweise den Wall auf beiden Seiten dicht mit Stühlen und munterer Gesellschaft besetzt. -- Eine andere Promenade in Turin ist das Glacis der Citadelle, welches nach der Stadtseite ebenfalls mit Bäumen bepflanzt ist. Sonst wurde der Garten Valentino häufig besucht, um aber gehört er einem Particulier, der ihn nebst dem dazu gehörigen Schlosse während der Insurrection für ein Spottgeld kaufte. Der Corso, eine lange Allée, war ehedem zwischen fünf und sieben Uhr mit Wagen bedeckt, die langsam auf- und abfuhren, während die Fussgänger zu beiden Seiten der Bäume hin- und herspazierten. Da sich aber seit der Revolution die Vermögensumstände vieler Bewohner sehr verändert haben, so giebt es jetzt nur noch wenige Equipagen, und daher wird auch der Corso nur wenig noch besucht.

Zu den Belustigungsörtern der Stadt gehören eine Menge auf den Bergen und in der Ebene gelegene Landhäuser. Unter diesen zeichnet sich besonders der Weinberg der Königinn mit einem Lustschlosse und der Capuzinerberg aus. Dieser liegt jenseits des Po, und man hat von ihm eine herrliche Aussicht in die umliegende Gegend und über die Stadt Turin. In einer grössern Entfernung umher liegen die Soperga, von der ich vorhin zu Ihnen sprach, Montcalieri, Stupinigi und la Vénerie, ehemalige Lustschlösser, die aber nun vernachlässigt und ihrer innern Zierde gänzlich beraubt sind. Ich habe sie daher auch nicht besucht.

Die Stadt Turin selbst ist schön regelmässig gebaut. Mehrere Strassen haben längs den Häusern breite Bogengänge, worunter man bei schlechtem Wetter Schutz vor der Nässe, und im Sommer vor der Sonne und Hitze findet. Der Zufluss von Menschen ist auch hier stets sehr gross, weil man an der einen Seite dieser Arcaden viel Kaufläden antrifft, die in den Wochentagen viel Menschen dahin ziehen; und des Sonntags sind sie eine gewöhnlich stark besuchte Promenade. Der Schlossplatz und hauptsächlich der St. Karlsplatz sind ihrer Regelmässigkeit wegen schön zu nennen; allein ich ziehe doch den Berliner Gensd'armes-Markt vor. Das ehemalige königliche Schloss hat von aussen, und besonders seines Einganges wegen, wenig Ansehen; allein das Innere ist prächtig verziert. Die Façade des Palais von Carignan ist schön und imposant; der übrige Theil aber altmodisch. Turin hat noch mehrere schöne Gebäude und Kirchen, die ich aber nicht zu beschreiben wage. Im Ganzen gefällt mit Turin besser als Berlin; allein einzelne Theile dieser grossen Residenz, wie etwa die Gegend vom Schlosse nach dem Brandenburger Thore, sind unstreitig prächtiger und erhabener, als irgend eine Strasse oder ein öffentlicher Platz in Turin. Die Strasse vom Po, jetzt Eridan, ist freilich schön, hält aber doch keinen Vergleich mit Berlins Linden aus. Was mir in Turin besonders noch gefällt, ist die Bewässerung der meisten Strassen durch Wasserrinnen, die in der Mitte durchgeführt sind.

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Von Reisende...[]

Elisa von der Recke. [4]

[1806]

Turin Abends nach 9.

Mit einem dichten Nebelschleier, der sich in Regen auflöste, waren auf dem kurzen Wege von Cignano hieher, die Gegenstände der Landschaft umhangen; dennoch aber konnt ich an den tüchtig bearbeiteten Feldern, an den gut unterhaltenen Wiesen und den sorgfältig behandelten Viehheerden den ungemeinen Fleiß und die unermüdliche Beflissenheit des Landvolkes wahrnehmen; die Menschen selbst aber boten mir -- ich sag es mit Schmerz -- einen minder erfreulichen Anblick dar, als ihr Vieh. In ihren trübseligen Hütten, hinter Papierfenstern sind sie in Schmutz begraben. Ein grausamer Krieg und ein aussaugender Friede mit den Franzosen hat den vorherigen geringen Wohlstand dieses Landes völlig zu Grunde gerichtet; die fast unerschwinglichen Abgaben lassen den unglücklichen Einwohnern nur einen kleinen Rest für ihre eigenen Bedürfnisse übrig. Die Franzosen, als sie das Land an sich gerissen hatten, ließen in den Zeitungen erklären: daß die Völker Piemonts und Savoiens die Glückseligkeit der neuen französischen Regierung dankbar empfänden. Die neuen Herren fingen ihre Völkerbeglückung damit an, das Abgabenverhältniß auf das Doppelte zu erhöhen. Unter der vorigen Regierung zogen die Staatskassen aus Piemont und Savoien fünf Millionen Reichsthaler, jetzt werden aus diesen Provinzen zehn Millionen erpreßt. Man kann die Klagen dieser armen Menschen nicht hören, ohne bis ins Innerste gerührt zu werden. Ihre Söhne verschlingt der Krieg, und ein fremdes Volk verschwelge die Frucht ihrer Arbeit. Dieser fortwährende Druck hat ihnen ein widerwärtiges finsteres Ansehn aufgeprägt, und so scheinen sie ein dumpfes, muthloses Daseyn aus einem Tag in den andern überzutragen. -- Ist das die Nachkommenschaft der alten Tauriner, dieses Heldenvolkes, welches den raubsüchtigen Römern einen so kräftigen Widerstand entgegensetzte, daß es dem August mit großen Anstrengungen, und durch den Beistand verrätherischer Nachbarvölker nur mühsam gelang, sie gänzlich niederzubändigen?

Die Ortschaften in der Nähe der Hauptstadt gewähren einen freundlichern Anblick, als die entfernteren. In der Hauptstadt fließen ja durch so viele Kanäle die Kräfte des Landes zusammen, und werfen, wie zurückschlagende Wellen, von dem Zufluß einigen Antheil den nächsten Umgebungen zu; doch zeigten auch diese Orte häufige Spuren zerstöhrenden Krieges: der merkwürdigsten Punkt auf dem Wege von Mayland nach Turin ist das Mausoleum der vormaligen Könige von Sardinien; es ist die Superga, die etwas über viel Miglien von der Hauptstadt, auf dem Gipfel eines hohen Berges liegt, der eine weit umfassende Aussicht gewähren soll. bemerkenswerth ist die Superga, besonders durch ihre Entstehung. Auf dieser Höhe war es, wo Victor Amadeus, erster König von Sardinien, mit dem kaiserlichen Feldherrn dem Prinzen Eugen im Jahr 1706 den Plan entwarf, die Franzosen, welche Turin belagerten, zu vertreiben. Er gelobte der heiligen Maria auf dieser Höhe eine prächtige Kapelle zu errichten *), wenn das Unternehmen gelingen sollte. Es gelang; und der Bau der Kapelle begonnen im Jahre 1715, ward vollendet im Jahre 1731, und zur Grabstätte der Könige geweihet. Zum Andenken jener Rettung aus den Händen der Franzosen, wurde jährlich ein feierliches Dankfest dort oben gehalten. Der Weg hinauf ist breit und bequem, doch mußte ich mich bei der ungünstigen Witterung, begnügen dies Prachtgebäude von unten zu betrachten. -- Je näher wir der Hauptstadt kamen, um so mehr Bezeichnungen der Kriegsfurie trafen wir an: die tiefsten Wunden aber hat Turin selbst aufzuweisen.

In meiner Vorstellung hatte sich, aus mündlichen Erzählungen und gedruckten Nachrichten, ein glänzendes Panorama von Turin zusammengesetzt: wie grell stach dagegen der erste Eindruck der Wirklichkeit ab. Alle Greuel des Krieges haben auf diesem Schauplatz gewüthet. Das Thor zu welchem man von Mayland hereinfährt, ist gänzlich zertrümmert; die Wälle der berühmten Festungswerke liegen größtentheils darnieder geworfen. Dieser Anblick und andre Spuren der Verheerung wirkten so ängstend auf mich, daß ich einen eiligen Durchflug beschloß.

Wir kamen zur Mittagszeit hier an, unsre freundschaftlichen Begleiter speiseten mit uns. Das Tischgespräch betraf Italien, und den Charakter der Italiener in Vergleichung mit den Franzosen. Unsere Freunde schienen das Bedürfniß zu empfinden, ihre Landsleute gegen die Zeugnisse in Schutz zu nehmen, welche Italien wider sie aufstellt. Sie sprachen darüber mit dem leisen Ausdruck einer sehr gemessenen Mißbilligung, und meinten, daß ihre Nation noch nach dem Rufe zu beurtheilen sey, welchen die Schaar der Krieger hinter sich gelassen, denen noch der wilde Geist ihrer unglücklichen Staatsverwirrung beiwohne. Besonders war der Capitain Cambon ein Protestant, recht froh, in der frechen und rohen Sinnesart Buonapartes einen Zug aufzufinden, der ihm vor dem Richterstuhle der Billigkeit zu gute gerechnet werden müsse; es war die von ihm geschützt Glaubensfreiheit. Um dem guten Capitain die unschuldige Freude nicht zu verderben, ließ ich dieser buonapartischen Regententugend alle Gerechtigkeit widerfahren, ohne auf die Quelle hinzuweisen, aus der sie bei ihm fließt. Im übrigen waren wir stillschweigend einverstanden, und schieden mit gegenseitiger Zufriedenheit von einander.

Die Wirthshäuser in Turin stehen in keinem guten Rufe, das unsere, Hôtel de Londres, an einem der lebhaftesten Plätze belegen, ist nicht schlecht. Vor meinem Fenster bewegt sich eine Volksmasse von allerlei Ständen. Zeichen des Luxus, den sonst auch die Verarmung nicht verdrängt, lassen sich hier nicht wahrnehmen, wohl aber zeigte sich mit manches seltsame Gemisch von Armseligkeit und Eitelkeit. Wohlgekleidete Bürger sah ich ohne Strümpfe, in Schuhen mit großen silbernen Schnallen spazieren gehn. Die Bürgerfrauen tragen thurmähnliche zugespitzte Hauben, und erscheinen überhaupt in einem Anzuge von entstellender Form, wobei ihnen noch überdem alle körperliche Grazie mangelt; so daß sie das vollständigste Gegenbild zu den Toskanerinnen darstellen.

Turin von den Urbewohnern, den celtischen Taurinern, Tauriska, später nachdem die Römer die Alpenvölker unterjocht hatten, Augusta Taurinorum genannt, liegt anmuthig am Po, da wo dieser den Dora-Fluß in sich aufnimmt.

Die Bevölkerung der Stadt, welche vormals mit Einschluß der Garnison, über 120000 Seelen stark war, soll jetzt kaum noch die Hälfte betragen.

Sogleich nach Tische setzte ich mich in einen Miethswagen und besahe einige der merkwürdigsten Theile der Stadt. Die ausgezeichnete Regelmäßigkeit und Ausdehnung der Straßen und Plätze machte eine gefällige Wirkung auf mich und entsprach mehr als jene Stelle, wo wir einfuhren, der frühern Vorstellung, dich ich von Turin mir gemacht hatte. Die Straßen sind breit und mit schönen großen Gebäuden besetzt, die Plätze prangen mit Pallästen, sind aber, nach der allgemeinen Sitte in Oberitalien, mit Arkaden umgeben, die obgleich sie zum Theil auf kräftigen Säulen und architektonisch geschmückten Pfeilern ruhen, dennoch den Eindruck verderben, den die Gebäude machen würden, wenn sie frei ständen. Unter den Bogengängen sind Kramladen und Buden angebracht. Die Straße vom Schloßthore führt zu dem Schloßplatze, an den die sogenannte rue neuve stößt; diese hat eine Länge von 1710 Schritten in gerader Linie, und eine Breite von 18 Schritten. Die Straße du Po ist 1100 Schritte lang und 25 Schritte breit. Die Gebäude dieser Straße sind sämmtlich drei Geschoß hoch und ebenfalls mit Arkaden versehen. Der Platz St. Carlo, der vorzüglichste in Turin, ist mit den bedeutendsten Pallästen umgeben, wo aber wiederum die Arkaden nicht fehlen. In der Mitte der Straße ziehen sich durchgängig Abzug- und Reinigungskanäle hin. Das Schloß ist ein edles Gebäude, steht aber jedem Römischen Pallaste weit nach. Das vormalige Lustschloß der Königin umgiebt der Reiz einer ungemein freundlichen Natur; aber das königliche Leben ist aus diesen Prachtgebäuden entwichen; dürftige Familien bewohnen jetzt die Prunkzimmer, wo einst Glanz und Ueberfluß herrschten.

Ich durchzog noch einige Theile der alten Stadt Turin: diese sticht durch enge krumme Gassen sehr ab gegen die neue, wo alles auf einen prachtvollen Königssitz hindeutet, der aber gegenwärtig gleichsam mit einem düsteren Trauerflore umhangen ist. Ich konnte mir, als ich die Stadt durchfuhr, leicht vorstellen, wie belebt einst diese Straßen gewesen seyn mögen, als der Sardinische Hof alles aufbot, um Fremde herbeizuziehen, und Glanz und Herrlichkeit um sich zu verbreiten. Aber eine Bemerkung bringet vor allen dem Beobachter sich auf, der die großen jetzt so stillen Plätze Turins durchwandert: das ist Unverhältnißmäßigkeit dieser Hauptstadt zu dem Ertrag und dem Flächeninhalt des Landes, welches kaum drei Millionen Einwohner nährt. Als die Herzoge von Piemont und Savoyen die Königskrone in ihr Fürstenhaus brachten, glaubten sie es ihrer Würde schuldig zu seyn, eine königlichen Aufwand zu zeigen, und einen prachtvollen Königssitz aufzurichten: dem zu Folge erscheint nun Turin, als ein Kopfgeschwulst der Landes, welche den übrigen Körper auszehrt.


Quellen.[]

  1. Conversations-Lexicon oder encyclopädisches Handwörterbuch für gebildete Stände. Stuttgart bei A. F. Macklot. 1816.
  2. Reise in Deutschland, der Schweiz, Italien und Sicilien. von Friedrich Leopold Graf zu Stolberg. Königsberg und Leipzig, bei Friedrich Nicolovius, 1794.
  3. Reise durch einen Theil von Teutschland, Helvetien und Ober-Italien im Sommer 1803. Berlin, in der Himburgischen Buchhandlung, 1804.
  4. Tagebuch einer Reise durch einen Theil Deutschlands und durch Italien, in den Jahren 1804 bis 1806. Von Elisa von der Recke, gebornen Reichsgräfin von Medem. Herausgegeben vom Hofrath Böttiger. Berlin, 1815. In der Nicolaischen Buchhandlung.
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