Von Bastille bis Waterloo. Wiki
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ULB Darmstadt


Dörpt.[]

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Dörpt oder Dorpat, eine russische Kreisstadt in dem jetzigen Gouvernement Riga, sonst Herzogthum Liefland, am Fluß Embach gelegen, von ungefähr 4000 Einwohnern und 534 Häusern, bekannt durch die neuerlich hier wieder angelegte Universität. Zwar wurde schon 1632 eine Universität hier von Gustav Adolph, König von Schweden, gestiftet, welcher 1625 diese Stadt von Polen erobert hatte: allein 1695 nach Pernau verlegt, ging sie in der Folge ganz ein. Am 7. Febr. 1803 wurde sie durch eine Ukase Kaiser Alexanders nebst fünf andern Städten zu einer Universität erklärt, und zwar besonders für die Provinzen Lief- und Esthland, Finnland und Curland, und mit 126,000 Rubeln jährlicher Einkünfte ausgestattet. Ein Lehrer derselben ist der als Archäolog bekannte und verdiente Hofrath Morgenstern. Die Zahl der Studirenden beträgt ungefähr 150. Uebrigens war die Stadt ehedem in sehr blühendem Zustande, und sogar im 13ten Jahrhundert eine Mitgenossin des Hansebundes.


Grundriß der Kaiserl. Stadt Dörpat. [2]



Von Reisende.[]

August von Kotzebue.

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[1804]

Daß Dorpat jetzt eine Universität ist, bemerket man sehr bald beim Hereinfahren, weil man alle Augenblicke Jünglingen begegnet, welche Helme tragen ohne Soldaten zu seyn; eine Mode, die natürlich nur Studenten aufbringen konnten. Indessen kleiden diese Helme nicht übel, zumal da eine Art von Uniform die Täuschung unterstützt. Sie ist geschmackvoll, dunkelblau mit schwarzsammtnen Aufschlägen und Kragen, auf dem letztern gestickte goldene Schleifen, dabei die Unterkleider weiß. Natürlich giebt es auch manche junge Helden, die bei dieser Uniform, und den behelmten Häuptern, noch einen gewaltigen krummen Säbel um ihre Lenden gürten, den sie an die steifen, mit klirrenden Sporn versehenen Stiefeln schlagen lassen, und einher schreiten, als ob sie, nicht ins Collegium sondern, in die Schlacht zögen. So ist es ja überall, wo die freundlichen Musen thronen, und welcher unter uns ältern Musensöhnen hat diese wichtigen Kleinigkeiten nicht auch einmal mitgemacht? Wenn die Jünglinge über dem Helme der Minerva die Eule nicht vergessen, so kann man ihnen die Spielerei wohl gönnen. Uebrigens sind sie, trotz ihres kriegerischen Ansehens, wohl so fein gesittet, als man sie schwerlich auf einer deutschen Universität im Ganzen findet, wenigstens waren es die, mit welchen ich in Gesellschaft war.

Ueberhaupt wird man wohl schon längst in Deutschland die Bemerkung auch gemacht haben, daß auf allen Universitäten die jungen Lief- und Ehstländer, die Gesittetsten sind, die man ohne Anstand in jeder Gesellschaft produciren kann. Der Grund ist klar. In Lief- und Ehstland lassen blos Edelleute, Prediger (die dort in allen Ständen dem Adel gleich sind) und angesehene Civilbeamten ihre Söhne studieren, nicht aber Bürger oder gar Bauern. Jene Alle kommen, durch die gastfreie, weit liberalere Lebensart, welche diese Provinzen so vortheilhaft auszeichnet, von Jugend auf beständig in gute Gesellschaften, haben hingegen fast gar keine Gelegenheit, unter den Pöbel zu gerathen und dort schlechte Sitten anzunehmen. Wie bengelhaft sind sonst gewöhnlich unsere deutschen Knaben von vierzehn bis funfzehn Jahren, wie albern blöde oder wie vorlaut. In Lief- und Ehstland findet man dergleichen verwahrloste Sprößlinge sehr selten. Die Knaben sind freimüthig bescheiden, denn der gute Ton gehört gleichsam zur Hausordnung, und sie lernen ihn blos aus der Uebung. -- Eben das ist auch der Grund, warum der liefländische Dialekt der deutschen Sprache nach meiner Meinung der angenehmste von allen unsern Dialekten ist. Das eigentliche Volk nehmlich spricht nicht deutsch, die Aussprache hat sich daher nicht vergröbern können. Doch ich vergesse, daß ich noch immer in Dorpat bin.

Das einst sehr ernstlich die Rede davon gewesen, die Universität von Dorpat nach Plescow zu versetzen, ist eine Thatsache, obgleich der akademische Senat, oder vielmehr der Hr. Professor Scherer im Nahmen desselben, in den Zeitungen dagegen protestirte, und zwar in einem Tone, der einem so respektabeln Corpus nicht wohl geziemte. Es hieß unter andern: die Nachricht sey historisch unwahr. Seltsam, eine Nachricht historisch unwahr zu nennen, die gerade der Professor der Historie zuerst verbreitete; denn nach authentischen von mir an Ort und Stelle eingezogenen Berichten, war er es, der sie mit aus Petersburg brachte, und dem damaligen Rektor officiell von Seiten des Curators anzeigte, und zwar, nicht als Bedrohung der Stadt, (wie man jetzt vorgiebt) sondern der Universität selbst, aus Ursachen die ich nicht berühre. Die Sache war so ernsthaft, daß schon Manche daran dachten, ihre Häuser zu verkaufen. Weil man aber in Dorpat, eben so wenig als irgendwo sonst in der Welt, gern die Wahrheit hören mag, so mußte der arme Freimüthige, der sie aussprach, verunglimpft werden, ja man erlaubte sich sogar Ausfälle gegen meine Person, die doch bei der ganzen Sache nicht im Geringsten interessirt war. Vielleicht wird, was ich hier sage, abermals einige dergleichen veranlassen, aber sie werden unbeantwortet bleiben. Genug, ich schrieb nichts unverbürgtes, will aber der Ehre keines Menschen dadurch zu nahe treten.

In Dorpat hat vor einige Zeit die Runthelersche Schauspielergesellschaft ihr Wesen getrieben, von der geschrieben steht: Herr erbarme dich unser! unter andern hat sie ein Schauspiel in Manuscript aufgeführt, Blick in die Zukunft betitelt, von dem mir mehrere Zuschauer eine komische Beschreibung gemacht haben. Im Vorgrunde der Bühne stand eine Rasenbank, auf diese setzte sich ein Pärchen, erzählte sich allerlei, trat ab, und machte einem andern Pärchen Platz. Dieses Ablösen der erzählenden Paare währte so lange, bis das Publikum endlich die arme Rasenbank verfluchte, welche sie sämmtlich dahin lockte. Der Verfasser soll ein Professor in Dorpat seyn; da er sich aber nicht öffentlich dazu bekannt hat, so verschweige ich wie billig seinen Nahmen.

Woher kommt er doch wohl, daß Jedermann glaubt, es sey so leicht ein Schauspiel zu schreiben? An keine Art von Schriftstellerei wagt man sich mit keckerm Muthe; keine beurtheilt man vorschneller und strenger. Mißglücken eigne Versuche, so kann man sich nie überreden, daß man das Ding nicht verstehe, sondern -- es liegt am Publikum, das hat keinen Sinn für höhere Schönheiten u. s. w. Weil man sich aber an diesem stumpfen Publikum nicht rächen kann, so müssen es die wenigen dramatischen Dichter entgelten, die gewöhnlich lauten Beifall erhalten. Ueber diese fallen sie mit bitterer Wuth:

Ces êtres gonflés du besoin de médire,
Trouvent qu'il est plus grand de blâmer que d'écrire,
Et dont les noms obscurs au mérite inconnu,
Sont répétés sans cesse et jamais retenus.

Der gemishandelte Dichter muß sich trösten, indem er mit Chazet ausruft:

Je chercherai dans leur plaisir
Ma reponse à leurs ontrages,
Et je veux, forçant leur suffrages,
Les amuser pour les punir.

Doch in bemerke, daß Dorpat mich abermals zu einem Seitensprunge verleitet hat, und verlasse jetzt dieses artige Städtchen schnell, indem ich nur noch die einige Bemerkung hinzufüge, daß man daselbst für eine Universität viel zu theuer lebt. Wenigstens sechshundert Rubel bracht ein Student. In Deutschland bildet man sich ein, ein Professor habe sein Glück gemacht, wenn er mit einem Gehalt von zweitausend Rubeln nach diesem neuen Musensitz berufen wird, aber man irrt sehr. Fast die Hälfte dieses Gehalts muß er aufopfern, wenn er nur eine gute Wohnung haben will. Mit dem Lesen der Collegien ist wenig zu verdienen, da die Anzahl der Studierenden zu gering ist. In der Nähe also verschwindet der Rubelschimmer, den das Wort zweitausend um den Ruf herzog. Andere Vortheile jedoch, wohin ich besonders die starken Pensionen für Wittwen rechne, sind nicht zu verkennen. Die Auszeichnungen des Ranges möchten auch manchen locken, da bekanntlich der Fluch der Rang- und Titelsucht fast auf allen deutschen Gelehrten ruht. Man denke doch! in Dorpat trägt der Rektor einen Federhut, so lange er dieses Amt verwaltet, läßt sich auch wohl Etatsrath nennen, welches ihm aber nicht gebührt, weil er, so bald er den Federhut wieder ablegen muß, auch nicht mehr zur fünften Klasse gezählt wird, und weil es in Rußland keine Etatsräthe auf gewisse Zeit giebt.


Quellen.[]

  1. Conversations-Lexicon oder encyclopädisches Handwörterbuch für gebildete Stände. Stuttgart bei A. F. Macklot. 1816.
  2. Sammlung verschiedner Liefländischer Monumente, Prospecte und dergleichen *Johann Christoph Brotze *Latvijas Universitāte
  3. Erinnerungen von einer Reise aus Liefland nach Rom und Neapel von August von Kotzebue. Berlin 1805. bei Heinrich Frölich.
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