Von Bastille bis Waterloo. Wiki
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Simplon.[]

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Simplon, Simpelen (ital. Sampione) heißt ein 6174 Fuß hoher Berg, und eine auf demselben belegene Pfarre im Walliserlande. Ueber den Berg führt ein Weg aus Frankreich nach Italien. Statt desselben legten die Franzosen eine große gezogene Straße an, welche im Jahre 1806 vollendet wurde, welche 8 Stunden lang ist, und über 264 Brücken und durch mehrere in Felsen gehauene Grotten führt.


ULB Darmstadt


Ueber den Simplon oder Sempione.[]

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Der Weg über den Simplon ist der kürzeste, der nach Mailand führt, er beträgt von Brieg in Wallis bis Domo d'Ossola (Wirthshaus al Angelo) 14 - 15 Stunden. Diese Reise gehörte, nach meiner Erfahrung und mehrerer Meinung, in seinem Alter, wilden Zustand, unter die interessantesten, die man in Felsengegenden machen konnte, wo Zerstörung, Wildheit, Einsamkeit und Schauderhaftes sich so vereinigen, daß es unmöglich war, auch nur ein schwaches Bild davon zu entwerfen. Das Lissaboner Erdbeben rüttelte hier Felsen durcheinander. Und welch ein Grausenvoller Schlund, mit einem reißende Alpstrom in der Tiefe, öffnete da seine Kluft, wo General Bethencourt und Quatremere d'Isjouval an der Spitze von 810 Mann, sich an Stricken, einzeln, hinüberließen, und die feindlichen Vorposten überfielen und schlugen. Eine Steinschrift, an einer Felsenwand, enthält auch die Namen der Officiere, welche an der Spitze dieser Braven standen. Von Brieg gelangte man zuerst zum alten Spital, wo man eine herrliche Aussicht auf die Alpen und Gletscher hat; dann zum Dorfe Simplon, dann nach Ruden, wo ein Wirthshaus ist und wo man noch deutsch spricht; durch die Oesellen (ein gräßlicher, zerbrochener Felsenschlund, wie die Schöllenen auf dem Gotthard, damals mit einer Art Teufelsbrücke und einem Loche durch den Felsen), nach Davedro, und über die Tosa, ins reizende Thal Ossola. So sah vor 1800 die Simplonstraße aus: allein seit kurzem wird sie, auf Befehl des Kaysers Napoleon, der sich hier ein Monument, würdig seiner Größe, setzt, in die bequemste Heerstraße verwandelt, die aus der Schweiz und Frankreich nach Italien führt. Schon hat die Republik Wallis, bey ihrer Gründung, den Durchzug dieses militärischen Heerwegs durch ihr Gebiet, in eigenen Tractaten anerkannt. Auf der Spitze des Simplons, wird ein Hospiz, auf Art des auf dem Bernhardsberg, erbaut, das mit diesem affiliirt ist, und von demselben Geistlichen bedient wird. Diese Heerstraße -- ein Unternehmen ganz im Altrömer Geist, muß, so wie sie gewiß die gemächlichste und kürzeste seyn wird. Zwey Geistliche und 4 dienende Brüder sind schon jetzt provisorisch, auf dem Simplon, im alten Stockalberschen Spital, zur Pflege der Reisende angestellt. Die Höhe der Simplonstraße ist zu 6114 Fuß über dem Meere berechnet.


Die neue Straße über den Simplon.[]

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Von jeher gehörten die Schweizergebirge zu den unzugänglichsten und unwirthbarsten. Hier, wo Berg auf Berg gethürmt, nur durch enge Schluchten von einander getrennt ist, wagten es kaum einzelne Fußgänger, die gefährlichen Steige zu durchklettern, durch welche man sich mit Mühe, Noth und Lebensgefahr hindurchwindet. War die Gefahr schon für einzelne Wanderer so groß, wie unendlich größer mußte sie nicht für Kriegsheere seyn, die den Muth hatten, in diese Alpen einzufallen! Und doch hat es seit dem berühmten karthagischen Hannibal bis auf den neuesten Helden der Zeitgeschichte manchen Feldherrn gegeben, der dieses Wagstück unternahm. Seit Jahrhunderten wünschte man indeß bequemere, gefahrlosere Wege, ohne daß es Jemand wagte, nur an die Möglichkeit der Erfüllung dieses Wunsches zu denken. jetzt aber führt aus Frankreich eine gebahnte Straße über den Berg Simplon durch die Schweiz nach Italien.

Die Straße nimmt ihren Anfang bei dem Dorfe Glies, welches eine Viertelstunde von dem Städtchen Brieg *) entfernt liegt. Ein Menge Brücken, theils aus Holz, theils aus Stein, führen über Bäche und Flüsse. Eine derselben, die über die Saltina geht, ist sogar bedeckt. Drei Mal geht der Weg durch lange unterirdische Gallerien, die in Felsen gehauen sind. Ein Theil dieser Straße ist noch de Schneelawinen ausgesetzt. Die größte Hohe der Straße ist 6174 Fuß über der Meeresfläche. Von dieser größten Höhe senkt sich der Weg wieder unmerklich abwärts. Bei diesem Herabsteigen kommt man bald an die Stelle, wo ein neues Hospiz errichtet wird. Nicht weit davon steht noch das alte, wo zwei Mönche vom großen St. Bernhard **) wohnen. Das Dorf Simplon, etwa ein Paar Stunden entfernt, liegt 4548 Fuß über dem Meere erhaben und besteht aus 43 Feuerstellen. Die Einwohner sind Mauleseltreiber und Gemsenjäger. Von diesem Dorfe aus bis Domo d'Osola, eine Strecke von sechs Stunden, ist die Straße am interessantesten; aber auch auf dieser Straße muß man wieder drei Mal durch unterirdische Gallerien. Die größeste ist 202 Schritte lang durch eine Felsenmauer des härtesten Granits gesprengt. Damit das Tageslicht hindurchfallen könne, sind an der Seite des Gewölbes drei Oeffnungen angebracht. Am Ausgange aus diesem unterirdischen Gewölbe steht die Jahrzahl 1803 in den Felsen gehauen und gleich daneben stürzt ein Bach, der Alpirnbach genannt, von einer ungeheuern Höhe herab und geht hier durch eine Brücke hindurch. Nicht allzu weit davon, bei Gondo, einem einzelnen Wirthshause bei einer kleinen Kapelle, sieht man den schönen Wasserfall von Zwischbergen, dessen Wasser Goldstaub mit sich führt. Eine Viertelstunde von Gondo betritt man das italienische Gebiet. Die ganze Straße hat eine große Mannichfaltigkeit furchtbar schöner und schrecklicher Abwechselungen von Thälern, Felsen und Wäldern. Der Kostenbetrag dieses kostbaren Baues beläuft sich auf mehrere Millionen Thaler.

*) Es liegt in Oberwallis, am Flusse Saltina und ist wegen seiner Bäder bekannt.
**) Der große St. Bernhard ist einer der höchsten Berge in der Schweiz. Er liegt im Walliserlande an der piemontesischen Grenze bei Aosta. Man muß drei Tage klettern, ehe man den Gipfel dieses Berges erreicht. Oben liegt die Abtei St. Bernhard, in welcher alle Reisende drei Tage frei bewirthet werden. Eine ähnliche Anstalt soll am Abhange des Simplon errichtet werden.


Von Reisende.[]

Friedrich von Matthisson

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[1804]
Achter Tag.

Da gegen Mittag der Himmel sich aufhellte, und zu regnen abließ, gebot ich dem Führer sich marschfertig zu machen, um wenigstens noch die kleine Strecke bis zum Dorfe Simplon zurückzulegen. Da man den Straßenbau nur zu Fuße verfolgen konnte, so traf ich diese Wahl, indeß Führer und Pferd zu einem Umwege von zwei Stunden genöthigt waren. Mit den Empfindungen eines entkerkerten Gefangenen, wurde die unwirthliche Zigeunerschenke verlassen, wo man nichts mehr und nichts weniger als ein Feuerländer seyn müßte, um noch mit einem bekannten Dichter deutscher Nation in der Freude des Herzens ausrufen können: Es geht doch, bei Ja! und Nein! für einen freisinnigen Biedermann nichts über das goldene Wirthshausleben!

Von Ruden bis zum Dorfe Simplon giebt es der Lücken in der neuen Straße noch mehrere. Nicht ohne Gefahr und Mühe arbeitet man sich durch das Chaos der gesprengten Felstrümmer. An einigen Stellen muß man senkrechte Leitern hinansteigen, unter welchen der Strom hintobt und an andern über schlüpfrige Bretter balanciren, die neben Abgründen schwanken. Die Arbeiter sind eine armselige Menschenklasse, meistens Italiener, die, nur um dem Hungertode auszuweichen, dieses wahre Galeerenleben wählten, das ihnen kaum Polenta genug abwirft, um ihr kümmerliches Daseyn zu fristen. Sie bilden eine Gesellschaft, bei deren Anblicke nichts natürlicher seyn kann, als die Vorstellung, man habe Zuchthäuser und Kerker der gesammten italienischen Republik bis auf den letzten Mann ausgeleert. Diese Elenden wohnen in kleinen, dürftig zusammengeflickten Baracken, die gruppenweis, gleich hottentotischen Kraals, am Ufer des Bergstroms liegen. Der Donner der Sprengschüsse begleitete mich, wie vor drei Jahren, und eben so wie damals, hätte die Nachläßigkeit, womit die Arbeiter das übliche Warnungszeichen geben, auch jetzt meinen Lauf plötzlich unterbrechen können. Beim Umbeugen um einen Vorsprung befand ich mich auf einmal in der Nähe einer glimmenden Lunte. Nun schrien die Arbeiter aus ihrem Sicherheitswinkel in vollem Chore. Die Mine versagte aber, weil die regenfeuchte Lunte nicht bis zum Pulver fortbrannte. Eins der merkwürdigsten und kühnsten Werke ist eine dreihundert Schritte lange Gallerie, woran in diesem Augenblicke mit größter Anstrengung und Thätigkeit gearbeitet wird. Man sprengte gerade an den Oeffnungen, durch welche der Tag einfallen soll. Die Arbeiter werden an Seilen heruntergelassen, und, nachdem sie die Mine gebohrt, geladen und angezündet haben, wieder heraufgewunden. Viele sind aber schon umgekommen, weil man sie entweder nicht schnell genug emporzog oder die Mine ssch zu früh entlud.

Im Dorfe Simplon, wo ein reinlicher und bequemer Gasthof mich des vortägigen Ungemachs leicht vergessen ließ, versicherte der Wirth, daß von einer Entschädigung der Eigenthümer, auf deren Häuser, Gärten und Wiesen die neue Straße traf, bis auf den gegenwärtigen Moment, noch keine Silbe laut geworden sei. Nachmittags langte ich wohlbehalt wieder in Brieg an, wo ich am folgenden Morgen meinen kleinen Wagen bestieg, und machte noch die Seitenreise nach Leukerbade. Unter den Kurgästen befand sich der berühmte Choiseul-Gouffier. Mit diesem, allen Freunden der Wissenschaften und Künste ehrwürdigen Namen, mag sich denn diese Erzählung, da mein Rückweg nach Vevey nichts Denkwürdiges mehr darbietet, wie mit einem harmonischen Tonfalle schließen.


Zeitungsnachrichten.[]

[1806]

Miscellen. [5]

Die neue Strasse über den Simplon ist nun größtentheils fertig. Der ganze Weg über diesen Berg beträgt 14 Französische Lieues, und das Steigen und Fallen der Strasse beträgt auf den steilsten Puncten nicht mehr als 3 und einen halben Zoll auf die Klafter, woraus man sich einen Begriff machen kann, wie leicht dieselbe passirt werden könne.


[1808]

Miscellen. [6]

Aus der Schweiz, vom 10. Novemb. Ueber die beyden kühnen Kunststrassen, welche Napoleon über den Simplon, aus Wallis, und über den Cenis aus Frankreich nach Italien hat anlegen lassen, findet sich in öffentlichen Blättern folgende Nachricht: der weg vom Fusse des Simplon bis Domo d'Ossolo hat allein 12 Millionen Franken gekostet, er ist 30 Fuß breit, vortrefflich geebnet, und steigt gewöhnlich nicht über 3 Zoll auf einen Fuß. Ueber alle Ströme und Bäche sind Brücken, und wo der Weg am Felsen eingehauen, Schutzwehren von Mauerwerk. In einer Höhe von 4500 Fuß über dem Meere, liegt die hölzerne Wohnung des Wegaufsehers, und 6170 Fuß hoch das Hospital. Zwischen wilden Felsen und Gletschern, senkt sich dann der Weg zum elenden Dorfe Simplon, wo, die dortigen Bauern sagen, 9 Monat Winter und 3 Monat Kälte herrscht. Nicht weit davon, wälzt sich ein Gletscher-Wasser zwischen 3000 Fuß hohen Felsenmauern, die sich so nähern, daß kaum Platz für dasselbe bleibt, in der Tiefe, in welche auch der Weg führt, der an mehreren Orten durch die Felsen in Grotten gehauen ist. Die längste derselben von 250 Schritt, empfängt das Sonnenlicht durch 3 Oeffnungen, und wenn man aus ihr hervortritt, stürzt sich ein starker Waldstrom, von hohen Felsen, tief unter eine Brücke herab. Nach 6 Stunden Weges öffnet sich ein von 4000 Fuß hohen Bergen umgebenes, enges, aber angenehmes Thal, das überall Gebüsch, Pappeln und zerstreute grüne Häuschen von bemoos'tem Schiefer zeigt, und schon Italienisches Klima verräth; eine kostbare Brücke über den reissenden Variola führt nach Domo d'Ossolo. Die Strasse über den Cenis ist weniger mahlerisch, aber das ganze Jahr zu bereisen, wogegen der Simplon, der Lavinen wegen, nur vom May bis Sept. befahren werden kann. Von Su~a, das 2000 Fuß hoch liegt, gelangt man in 6 Stunden 5500 Fuß hoch zum Wirthshause a la grande Croix, und noch 400 Fuß höher zum Forellensee und dem Hospizium, dessen Direktor und 4 Geistliche im Winter die verirrten Reisenden ausspähn. Ueber der Thüre steht: Viatori succurrere Alpium Penninarum domitor julsit. Bald darauf erreicht man die größte Höhe 6360 Fuß. Der Weg geht auf einem sanften Abhang hinunter, ist aber noch nicht geebnet, obgleich im vergangenen Sommer 10,000 Mann daran arbeiteten. An einigen Stellen ist er gleichsam dem Felsen angeklebt.


Quellen.[]

  1. Conversations-Lexicon oder encyclopädisches Handwörterbuch für gebildete Stände. Stuttgart bei A. F. Macklot. 1816.
  2. Der Passagier auf der Reise in Deutschland und einigen angränzenden Ländern, vorzüglich in Hinsicht auf seine Belehrung, Bequemlichkeit und Sicherheit. Ein Reisehandbuch für Jedermann vom Kriegsrath Reichard, auch Verfasser des Guide des voyageurs en Europe. Berlin, 1806. bey den Gebrüdern Gädicke.
  3. Bildungsblätter oder Zeitung für die Jugend. 1808. Leipzig, bei Georg Voss.
  4. Erinnerungen von Friedrich von Matthisson. Zürich, bei Orell, Füßli und Compagnie. 1810.
  5. Wiener Zeitung. Nro 75. Mittewoche, den 17. September 1806.
  6. Wiener-Zeitung. Nro 98. Mittwoch, den 7. Dezember 1808.
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