Siena.[]
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Siena, große und alte Stadt des Großherzogthums Toscana, auf 3 Hügeln, in einer anmuthigen und gesunden Gegend. Die Gassen sind mit Backsteinen gepflastert, ziemlich krumm und höckrich, und ziemlich einsam, indem sich im J. 1807 nur 23882 Seelen, 380 Juden mit gerechnet, daselbst befinden. Es finden sich hier mehrere Manufakturen von Wollenzeuchen, Hüten, Leder und Darmsairen. Die Bürger von Siena werden eingetheilt in rifeduti und non refeduti. Die letztern machten den Bürgerstand, und die erstern den Adel aus, der an allen Ehrenstellen Antheil hatte. Das vornehmste Gebäude ist hier die erzbischöfliche Kathedralkirche, die mit weissen, aschgrauen und schwarzen Marmor von innen und aussen reichlich überzogen ist. Der Fußboden hat sehr künstlich eingelegte Figuren von Geschichten des alten Testaments, davon nur Fremde etwas zu sehen bekommen, weil sie mit Brettern überlegt sind. In dieser Kirche besieht man viele Statuen von Päbsten und andere Kostbarkeiten. Das Kloster bey der neuerbauten Augustinerkirche enthält eine öffentliche Bibliothek: und in der Dominicanerkirche verwahrt man das Haupt der heil. Catharina von Siena. In den übrigen Kirchen und Klöstern befinden sich sehenswürdige Gemälde. Die vom Kaiser Carl V. gestiftete Universität hat sonderlich ansehnliche Privilegia für die Deutschen: sie bedeutet jetzt sehr wenig, hat aber doch 60 Professores, und eine 1769 durch die benevoglientischen Bücher und Manuscripte ansehnlich vermehrte Bibliothek, und eine wohleingerichtete Reitschule. es werden auch in dem Collegio Tolemei junge Adeliche erzogen. Es befinden sich auch unterschiedene Akademien hier. Die Citadelle bedeutet nicht viel. Der Marktplatz, mit seiner muschelförmigen Vertiefung, (wo zur Carnevalszeit das Pferderennen, und der Edelleute Spiel, Giuoco de Pugna, wo sie sich mit Fäusten auf die Köpfe schlagen,) ist sehenswerth. Das neuerbaute Opernhaus, das Thor Camollia, und der Springbrunnen auf dem großen Marktplatze (der Fonte Gaja genennt wird), sind ebenfalls schön. Aus dieser Stadt ist das durch Päpste, Feldherren und Staatsmänner berühmte Geschlecht der Piccolomini, wie auch die in der Geschichte der Theologie bekannte Familie der Socini gebürtig. Es soll hier das zierlichste Italienisch gesprochen werden.
Siena ist seit 1808 die Hauptstadt vom Französ. Departement des Ombrone, welches das ehemalige Gebieth von Siena begreift, und zugleich der Hauptort eines Bezirks in demselben.
Von Reisende.[]
Joseph Gorani.
Siena. [2]
Diese Stadt ist groß, wohlgebaut und voller Palläste: die Hauptkirche ist prächtig. Auf einem öffentlichen Platze, der einer Hauptstadt Ehre machen würde, steht ein hoher Thurm; da aber die Häuser auch eine ansehnliche Höhe von vier bis fünf Stock haben, und nicht weiß angestrichen sind, so giebt dieses der Stadt ein finsteres Ansehen, und erweckt ein Gefühl von Traurigkeit beym Eintritt in dieselbe. Vorzeiten zählte sie an hundert tausend Einwohner; damals war sie auch ein republikanischer Staat; jetzt, da sie Unterthanen in ihren Mauern enthält, erstreckt sich die Anzahl derselben nicht über achtzehntausend, und da diese geringe Volksmenge mit der Geräumigkeit des Orts in keinem Verhältnisse steht, so giebt es der Stadt ein ödes und melancholisches Ansehn.
Siena hat sieben Thore und einen Umfang von sechs Meilen, der aber viel Gärten in sich faßt. Mit dem Verlust ihrer Freiheit verlor die Stadt einen Theil ihres Glanzes, und die Pest verheerte sie vollends. Seitdem hat sie sich nicht wieder erholt. Der Erzbischof von Siena hat drei tausend fünf hundert römische Thaler *) Einkünfte. Sein Kollegiatstift **) ist mit sechs und zwanzig Kanonicis besetzt, deren Präbenden ziemlich mager sind. Der Adel ist zahlreich, aber nicht reich; dessen ohngeachtet beläuft sich die Anzahl der Equipagen auf neunzig.
- *) Der römische Silberthaler beträgt genau einen halben Dukaten, oder sechs französische Livres, weniger einige Sous. A. d. U.
- **) Kollegiata ist ein von der Kathedral- oder Hauptdiocese verschiedenes Stift. A. d. U.
Siena ist die Vaterstadt verschiedener verdienstvolle Männer, unter denen sich Doktor Muscagni, Verfasser des geschätzten Werks über die lymphatischen Gefäße, und Dr. Battini, Professor der Medicin, vorzüglich auszeichnen.
Die an Geburt und Reichthum vorzüglichsten Familien sind die Bianchi, Lueri, Bandi-Bandini, Sansidoni, Piccolomini und Lucchesini. Ihre jährlichen Einkünfte übersteigen keine sechs tausend römische Thaler.
Zur Zeit Kaiser Franz des Ersten war Siena noch ärmer. Aber seitdem der Ackerbau emporgehoben, und durch ein Edikt die Ausfuhr des Korns freigegeben worden ist, hat es siech erholt, und, so zu sagen, ein neues Leben erhalten. Wenn auch daselbst kein übermäßiger Reichthum ist, so giebt es doch auch keine absolute Dürftigkeit; und viele Einwohner sind wohlhabend.
Leopold hatte auf jeden Ballen Kaufmannsgut, welches ausgeführt würde, eine Prämie von sechs Procent gesetzt; allein diese Belohnung ist von keiner Dauer gewesen, und man hat sie unter dem Vorwande, daß man die ausgeführten Waaren aus Habsucht heimlich wieder in die Stadt brächte, um sie ein zweitesmal versenden, und die Prämie doppelt ziehen zu können, wieder abgeschafft. Wenigstens wird allgemein dafür gehalten, daß die Regierung diesen Grund nur deswegen angegeben habe, um die ausgesetzte Prämie nicht weiter bezahlen zu dürfen.
In Siena sind dreyzehnhundert Juden; sie genießen zwar keiner so großen Freiheit, als zu Livorno, sind aber dennoch der Ruin vieler Familien, weil sie den jungen Leuten die Mittel, Schulden zu machen, und sich zu Grunde zu richten, erleichtern.
Das Frauenzimmer zu Siena ist im Ganzen genommen schön; und einzeln hübscher, geistreicher und besser unterrichtet als in den übrigen Gegenden Italiens. Es giebt viele darunter, deren Reize wirklich verführerisch sind. Dabei besitzen sie den seltnen Vortheil, ihre Schönheit bis im Alter zu erhalten, und auch dann noch, wenn sie nicht mehr schön sind, liebenswürdig zu bleiben. Unter allen Sprachidiomen Italiens, ist das ihrige das sanfteste und reinste, und der Ton ihrer Stimme giebt jedem ihrer Ausdrücke einen unbeschreiblichen Reiz. Dabei haben sie alle etwas in ihrer Physiognomie, was Liebe einflößt und Leidenschaften erregt. Ihr Wuchs ist schön, ihr Gang edel und ihr Blick schmachtend. Es findet sich vielleicht in der ganzen Welt keine Stadt, wo das Frauenzimmer so sehr zur Liebe reizt. Da in Italien Ehescheidungen wegen des männlichen Unvermögens etwas gewöhnliches sind; da oft das Frauenzimmer auf positives oder relatives Unvermögen ihrer Ehemänner klagt; da es alsdann Sitte ist, mit den Männern sehr unbedeutende Untersuchungen vorzunehmen, und sie auf gewisse Proben zu setzen, deren Unbescheidenheit den Ausgang leicht voraussehen läßt; so könnte man, bis zur Zeit, wo Italien zur Freiheit reif seyn wird, die im Verdacht des Unvermögens stehenden Männer nach Siena schicken, und den, dessen Bildsäule daselbst nicht belebt werden könnte, für unheilbar und seines Amts als Ehemann verlustig erklären. Was man in Sklavenländern das Volk zu nennen gewohnt ist, ist hier weit höflicher und einnehmender, als in Turin, Neapel und Mayland die Leute vom ersten Stande.
In Neapel glänzt Pracht neben dem Elende, und scheint seiner zu spotten. In Toscana hingegen herrscht Gleichförmigkeit in den Glücksgütern, und Vernunft im Gebrauche derselben; Sparsamkeit ist die große Kunst die man daselbst studiert und ausübt. Die Art, wie ich die fünf Abende zugebracht habe, die ich der Kenntniß dieser Stadt widmete, wird hinreichend seyn, die Sitten und Gebräuche von Toscana zu schildern. Ich war beym Signor Sinsinetti, Gouverneur der Provinz. Es war zu Anfang Aprills, und eine kalte Luft; welches nicht auffallen wird, wenn man bedenkt, daß diese Stadt mit den Apenninen gleicher Temperatur hat. Das Besuchzimmer der Excellenz ist nicht mit jenen künstlichen Röhren versehen, die selbst in Rußland die Sinne täuschen, und mitten im Winter den Frühling herbeizaubern. Es ist mit einem Kamine geziert; denn viel mehr als Zierrath ist dieser gewiß nicht. Mitten im Saale stand ein runder Tisch, um welchen die ganze Gesellschaft im Kreise saß. Unter dem Tische stand ein großes Kohlenbecken. Ueberdieß hatte noch ein jeder auf den Knien ein kleines Töpfchen von Fayence mit Kohlen, um sich die Hände zu wärmen. Mitten auf dem Tische brannte eine silberne Lampe mit zwey Dochten, nur schwach, aber doch hell genug für Leute, deren einziges Geschäft die Conversation war. Der Gouverneur, der Artigkeit und Weltkenntniß mit Wissenschaften verband, hatte eine allerliebste Nichte neben sich sitzen, an deren Seite mir mein Platz beständig angewiesen wurde. Ich hatte diese Ehre der Rücksicht zu verdanken, daß ich ein Fremder war, und machte sie mir bestens zu Nutze; doch wie das Andenken an diese reizende Schöne nie aus meinem Gedächtnisse kommen wird, so wird es auch nie die sparsame Haushaltung des Oheims, die mit ganz besonders aufgefallen ist; und nach angestellter Vergleichung mit den Sitten der alten Griechen, habe ich gefunden, daß ihnen die toscanischen weit näher, als die neapolitanischen kommen.
Quellen.[]
- ↑ Geographisch- Historisch- Statistisches Zeitungs-Lexikon von Wolfgang Jäger, Professor der Geschichte zu Landshut. Landshut, bei Philipp Krüll, Universitätsbuchhändler. 1811.
- ↑ Geheime und kritische Nachrichten von Italien nebst einem Gemälde der Höfe, Regierungen und Sitten der vornehmsten Staaten dieses Landes. Von Joseph Gorani, französischem Bürger. Aus dem Französischen übersetzt. Frankfurt und Leipzig 1794.