Preußischer Bericht.[]
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Wir theilen hier nunmehro den Bericht mit, welchen der Chef des preußischen Generalstabes, Graf von Gneisenau, auf Befehl des Feldmarschalls von Blücher bekannt gemacht hat.
Es war am 15. Juny, als Napoleon die Feindseligkeiten begann, nachdem er am 14. fünf Armeecorps und die Garden zwischen Maubeuge und Beaumont zusammengezogen hatte. Die Concentrationspunkte der vier preußischen Armeecorps waren Fleurus, Namur, Cinay und Hannut, und so gelegen, daß die Armee auf einem dieser Punkte in 24 Stunden versammelt seyn konnte. Napoleon drang am 15. über Thuin auf beiden Seiten der Sambre gegen Charleroi vor. Der General Ziethen hatte das 1ste Armeecorps bei Fleurus zusammengezogen, und bestand an dem Tage ein heftiges Gefecht mit dem Feinde, der, nachdem er Charleroi genommen, gegen Fleurus marschirte. General Ziethen behauptete seine Stellung bei Fleurus. Der Feldmarschall Blücher war gesonnen, dem Feinde so schnell wie möglich eine große Schlacht zu liefern; die drei übrigen preußischen Armeecorps waren dem zu Folge gegen Sombref (1 ½ Stunde von Fleurus) in Marsch gesetzt worden, wo das 2te und 3te den 15., und das 4te den 16. eintreffen mußten. Lord Wellington hatte seine Armee den 15. bei Ath und Nivelles zusammengezogen, und war auf diese Art im Stande, im Fall es am 16. zur Schlacht kommen sollte, den Feldmarschall zu unterstützen.
Schlacht vom 16. Juny bei Ligny.Die preußische Armee stand auf den Höhen zwischen Brie und Sombref, und über Sombref hinaus, die Dörfer Ligny und St. Amand in der Front stark besetzt haltend. Drei Armeecorps waren indeß nur versammelt; das 4te, welches zwischen Lüttich und Hannut gestanden hatte, war in seiner Bewegung durch allerlei Zufälligkeiten etwas verspätet worden, und nicht herangekommen. Nichts destoweniger entschloß sich der Feldmarschall zu schlagen, da Lord Wellington bereits eine starke Abtheilung seines Heeres, so wie alle seine bei Brüssel stehenden Reserven, ihm zur Unterstüzzung in Marsch gesetzt hatte, und das 4te Armeecorps erwartet wurde. Um drei Uhr Nachmittags begann die Schlacht. Der Feind entwickelte über 130,000 Mann; 80,000 Mann war das preußische Heer stark. Das Dorf St. Amand war zuerst vom Feinde angegriffen, und nach heftiger Gegenwehr genommen. Hierauf wandte sich der Feind gegen Ligny. Ligny ist ein sehr großes massiv gebautes Dorf längs des Ligny-Bachs. Hier nun begann ein Kampf, der unter die hartnäckigsten gehört, die je gekämpft worden sind. Sonst werden Dörfer genommen und wieder genommen, hier aber dauerte das Gefecht fünf Stunden lang im Dorfe selbst, und bewegte sich nur durch geringe Räume vor- oder rückwärts. Unaufhörlich rückten von beiden Seiten frische Truppen ins Gefecht. Jeder hatte hinter derjenigen Abtheilung des Dorfes, die von ihm besetzt war, große Massen Infanterie aufgestellt, die das Gefecht ununterbrochen nährten, und ihrer Seits wieder unaufhörlich von rückwärts her ergänzt wurden, und von den dieß- und jenseits liegenden Höhen herab war das Feuer von beinahe zweihundert Geschützen beider Armeen gegen das Dorf gerichtet, das an vielen Orten zugleich in Brand gerathen war. Nach und nach hatte sich das Gefecht längs der ganzen Stellung ausgedehnt, denn auch gegen das 3te Armeecorps bei Sombref hatte der Feind viele Truppen entwickelt; bei Ligny indeß lag die Entscheidung. Manches sprach den preußischen Waffen eine günstige Wendung, denn ein Theil des Dorfes St. Amand war von einem Bataillon unter persönlicher Anführung des Feldmarschalls den Franzosen wieder gewonnen worden, die nach dem Verluste von St. Amand unserer Seits verlassen worden war. Bei Ligny jedoch stand die Schlacht mit gleicher Wuth. Jetzt war der Augenblick, wo das Erscheinen der Engländer, oder die Ankunft des 4ten Armeecorps entschieden haben würde; denn kam das 4te Armeecorps an, so hätte der Feldmarschall unverzüglich einen Angriff mit dem rechten Flügel gemacht, der seinen Erfolg nicht verfehlt haben würde. Doch es ging die Nachricht ein, daß die zu unserer Unterstützung bestimmte Abtheilung des englischen Heeres selbst von einem französischen Armeecorps heftig angegriffen worden sey, und sich nur mit Anstrengung in seiner Stellung bei Qautre-Bras behauptet habe; das 4te Armeecorps blieb ebenfalls aus, und so waren wir denn angewiesen, der großen Uebermacht allein zu widerstehen. Es war bereits in der Dämmerung, und immer noch wüthete die Schlacht bei Ligny gleich mörderisch und gleich unentschieden fort. Es wuchs die Noth unter vergeblichem Sehnen nach Hülfe. Alle Truppenabtheilungen waren im Gefechte, oder hatten gefochten, und keine frischen Truppen waren mehr zur Hand. Plötzlich griff eine Abtheilung feindlicher Infanterie, die unter Begünstigung der Dämmerung sich auf der einen Seite um das Dorf herumgeschlichen hatte, während auf der andern einige Cuirassierregimenter durchbrachen, unsere hinter dem Dorfe aufgestellten Massen im Rükken an. Diese Ueberraschung des Feindes entschied, doch ward sie nur dann erst entscheidend, als unsere Kavallerie, die hinter dem Dorfe auf den Höhen aufgestellt war, in wiederholten Angriffen von der feindlichen Kavallerie zurückgeschlagen worden war. Unsere hinter Ligny aufgestellten Massen Infanterie, wenn schon sie sich zum Rückzuge genöthigt sahen, ließen sich jedoch durch die Ueberraschung des Feindes in der Dunkelheit, die dem Menschen jede Gefahr vergrößert, so wie dadurch, daß sie von allen Seiten umringt war, nicht irre machen. In Massen gestellt, schlug sie alle Kavallerieangriffe kaltblütig ab, und zog sich mit Ruhe auf die Höhen zurück, von wo der weitere Marsch gegen Tilly langsam fortgesetzt wurde. Durch das plötzliche Vorbrechen der feindlichen Kavallerie hatten mehrere unserer Geschütze im schnellen Abziehen Richtungen eingeschlagen, wo sie in Defiléen geriethen, in welchen sie sich verfuhren. Funfzehn Stück fielen auf diese Art dem Feinde in die Hände. Eine Viertelmeile weit vom Schlachtfelde stellte sich die Armee wieder auf; der Feind wagte nicht zu folgen. Das Dorf Brie blieb die Nacht über noch von uns besetzt, eben so Sombref, wo der General Thielmann mit dem 3ten Armeecorps gefochten hatte, und sich mit anbrechendem Tage langsam nach Gembloux zurückzog, wo das 4te Armeecorps unter dem General Bülow in der Nacht eingetroffen war. Das 1ste und 2te Corps am andern Morgen hinter das Defilé von Mont St. Guibert. Unser Verlust an Todten und Verwundeten war groß, an Gefangenen hatten wir nichts als einen Theil unserer Verwundeten verloren. Wenn schon die Schlacht verloren war, so war sie jedoch so ehrenvoll wie möglich. Unsere Truppen hatten mit einer Tapferkeit gefochten, die nichts zu wünschen übrig ließ, darum war auch bei Niemand der Muth gebeugt, denn die Zuversicht auf die eigne Kraft war nicht erschüttert worden. An diesem Tage schwebte der Feldmarschall in großer Gefahr. Ein Kavallerieangriff, wo er sich selbst an der Spitze befand, war mißlungen. Als die feindliche Kavallerie schnell verfolgte, durchbohrte ein Schuß das Pferd des Feldmarschalls. Der Schuß hemmte jedoch nicht der Pferdes Lauf. Der Schmerz trieb es vielmehr immer heftiger zu convulsivischen Sprüngen an, bis es plötzlich in vollem Rennen todt zu Boden stürzte. Der Feldmarschall lag, vom gewaltsamen Sturze ganz betäubt, unter dem todten Pferde. Die feindlichen Cuirassiere jagten in der Verfolgung heran; unsere letzten Reiter waren schon beim Feldmarschall vorüber; nur ein Adjutant war bei ihm *); vom Pferde abgesprungen, stand er neben ihm, sein Schicksal zu theilen entschlossen. Die Noth war groß, doch der Himmel wachte über uns. Die Feinde jagten in wilder Eile vorüber, ohne den Feldmarschall zu bemerken, und eben so jagten sie noch einmal bei ihm vorbei, als die Unsrigen sie wieder zurückgeworfen hatten. Jetzt erst brachte man mit Mühe den Feldmarschall unter dem todten Pferde hervor, wo er sodann ein Dragonerpferd bestieg. Am 17. Juni Abends hatte sich die preußische Armee bei Wavre enger zusammengezogen. Napoleon setzte sich an dem Tag gegen Lord Wellington auf der großen Straße von Charleroi nach Brüssel in Bewegung. Bei Quatre-Bras bestand eine Abtheilung der englischen Armee ein heftiges Gefecht mit dem Feinde. Lord Wellington hatte auf der Brüsseler Straße eine Stellung genommen mit dem rechten Flügel gegen Braine-la-Leud, mit der Mitte bei Mont-Saint-Jean, und mit dem linken Flügel gegen la Haye. In dieser Stellung, schrieb Wellington an den Feldmarschall, sey er Willens die Schlacht anzunehmen, wenn der Feldmarschall ihn mit zwei Armeecorps unterstützen wollte. Der Feldmarschall versprach mit der ganzen Armee zu kommen, und schlug selbst vor, im Fall Napoleon nicht selbst angriffe, ihn am andern Tage mit gesammter Kraft anzugreifen. Hiervon mag man ermessen, wie wenig die Schlacht vom 16. die preußische Armee zerrüttet, und ihre moralische Kraft geschwächt hatte. So ward die Schlacht beschlossen.
Im Dorfe Ligny begann ein Kampf, der unter die hartnäckigsten gehört, die je gekämpft worden sind. Sonst werden Dörfer genommen und wieder genommen, hier aber dauerte das Gefecht 5. Stunden lang im Dorfe selbst, und bewegte sich nur durch geringe Räume vor oder rückwärts. Unaufhörlich rückten von beiden Seiten frische Truppen ins Gefecht. Ieder hatte hinter derjenigen Abtheilung des Dorfes, die von ihm besetzt war, grosse Massen Infanterie aufgestellt, die das Gefecht ununterbrochen nährten und ihrer Seits wieder unaufhörlich, von rückwärts her ergänzt wurden, und von den diese- und jenseits liegenden Höhen herab war das Feuer von beinahe 200. Geschützen beider Armeen gegen das Dorf gerichtet, das an vielen Orten zugleich in Brand gerathen war. - Blüchers eigener Bericht.
Quellen.[]
- ↑ Kriegsbibliothek enthaltend die Geschichte der Befreiungskriege in Spanien, Portugal, Rußland, Teutschland, Italien, Holland, den Niederlanden und in Frankreich, von Jahr 1808 bis 1815. Fünfter und letzter Band. Der Krieg in Italien in den Jahren 1813, 1814 und 1815. Napoleons Wiedererscheinung in Frankreich und der Krieg in den Niederlanden und in Frankreich im Jahr 1815. Leipzig, 1817 in der Baumgärtnerschen Buchhandlung.