Von Bastille bis Waterloo. Wiki
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St. Amand.[]

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St. Amand, so genannt von einer reichen hier befindlichen Benediktiner Abtei von St. Amand. Der Abt war Herr des ganzen Ortes, und also einer der reichsten Priester in Frankreich. Es war daher kein Wunder, daß die Gebäude des Klosters mehr einem königlichen prachtvollen Pallaste, als der Wohnung friedlicher Mönche, glichen. *) Da das Kloster reich genug war, so wurde ein Theil seines Vermögen zu Erbauung einer neuen Kirche verwendet, welche der übrigen Pracht des ganzen Klosters entspricht. Man hat gleichsam über der erstern, alten, Kirche eine zwote aufgeführt, dadurch hat das Ganze eine auserordentliche Höhe erhalten. Diese obere Kirche war zum Chor für die Horas und Litaneien der Mönche bestimmt, die Laien mußten Gott in der ältern, untern, Kirche dienen, welche zugleich den heiligen Bewohnern des Klosters zur Ruhestätte nach dem Tode diente. Eine grose Treppe von schwarzem Marmor führt aus der obern Kirche in die untere, vermuthlich sollte dadurch bei den Mönchen der Gedanke an das Grab, welches ihrer hier wartet, erregt werden. An den Seitenwänden der Treppe sind in Gruppen, aus Alabaster gehauen, die Todesarten und Martern vorgestellt, welche, im eilften Jahrhunderte, die damals hier lebenden Mönche von den Gothen bei ihren Streifereien erlitten, und dadurch den Märtirernamen sich erworben haben sollen.

*) Ihr Bau hatte über 3 Millionen Gulden gekostet.

Auch dieser Ort hat im ietzigen Kriege nicht wenig gelitten. Die Oestreicher und Preussen behandelten ihn wie Feinde, und was sie noch übrig liessen, nahmen die Franzosen, wenn sie iene vertrieben, selbst mit fort, damit es nicht dem Feinde, bei einer möglichen Rückkehr, in die Hände fallen sollte.

Noch berühmter, als wegen seiner Benediktinerabtei, war St. Amand wegen seiner Bäder, welche manchen Elenden und Kranken Genesung und Linderung verschaften. Es liegt nämlich in dieser Gegend ein schwarzer Morast, dessen übelriechendes schwarzes Wasser bei Gicht und Nervenkrankheiten ein wohlthätiges Gegenmittel ist. Ungefähr 200 kleine Zellen sind über diesen Morast gebauet, so, daß die Franken blos mit dem Fusse, oder auch mit dem ganzen Körper, sich in das Wasser setzen können. Da sie beim Herausgehen aus dem Bade wegen der dunkeln Farbe und dem Schlamme des Wassers sehr schmutzig aussehen, so sind in der Nähe Kammern angebracht, in denen sie sich wieder durch frisches Wasser reinigen können. Unweit von diesem Bade ist ein andres, dessen Boden mehr Sand als Morat ist, und welches ebenfalls Heilkräfte in manchen Krankheiten zeigt.


S. Amand.[]

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S. Amand, befestigte Stadt mit 8,039 Einwoh. und ehemalige Abtey in der Castellaney Dornick oder Tournesis, im französischen Flandern, am Fluß Scarpe, an den hennegauischen Gränzen, welche dem Könige in Frankreich in dem badischen Frieden überlassen worden ist. Das Kapitel dieser Abtey bestund in 44 Ordensleuten, wovon der dritte Theil unter französischer Botmäßigkeit war. Jezt ist St. Amand der Hauptort eines Cantons im Departem. des Nord, Bezirk Douay. Man bewundert die Eleganz und Kühnheit der Kirche bey der nun aufgehobenen Abtey. Die hiesigen mineralischen Wasser, und der von ihnen durchdrungene Koth, sind sehr heilsam gegen rhevmatische Zufälle, und gegen den Stein. Sie enthalten Eisen-, Schwefel- und Salztheile.


Von Reisende.[]

Samuel Christop Wagener.[]

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[1793]

Zum Schlusse dieses Briefes noch etwas von den Greueln der Verwüstung in der weiland überaus prächtigen Abteikirche zu Saint Amand. Ich sah seit kurzem, in Amsterdam, Herzogenbusch, Antwerpen, Brüssel und Dornick Kirchen, deren kühne Größe und majestätische Bauart meine Bewunderung erregte: allein diese zu Saint Amand übertrifft in Absicht des ungeheuren Umfangs sie alle. Sie ist indessen jetzt mit ungewöhnlichen, zu traurigen Betrachtungen einladenden Gegenständen angefüllt, und hat, außer ihrer Größe, fast nichts mehr, woran man einen dem höchsten Wesen geweihten Tempel wieder erkennen könnte. Der höchst anstößige Luxus, der unermeßliche Reichthum, und die bis zur Schändlichkeit getriebene Schwelgerei der katholischen Geistlichkeit in Frankreich, veranlaßte und ermunterte die Neufranken endlich, das von jenen ausgesogene Mark der Unterthanen, als der Nation gehörig, freilich etwas sehr stürmisch, zurück zu fordern, und das lange getragene Joch der Geistessklaverei unwillig von sich zu werfen *). Hieraus erklär' ich mir den Muthwillen, die Aufgebrachtheit und die Wuth, womit sie allenthalben, und auch in dieser Abteikirche, selbst die kostbarsten Kunstwerke, und alles, was die gemißbrauchte Religion ihrer Väter für ehrwürdig und heilig erklärte, zerstöret haben. Immerhin hätte man die goldnen und silbernen Götzenbilder sogenannter christlicher Altäre, den prahlhaften Juwelenprunk des Priesterschmukkes, und die in unglaublicher Menge vorhandenen überflüssigen Glokken, in gangbare Nationalmünze und in Kanonen umwandeln mögen: aber sehr dauerten mich die kunstreichsten Werke des Meissels in dem schönsten karrarischen Marmor, und die Schöpfungen der berühmtesten Mahler, die sie in ihr voriges Nichts zurückwarfen. Es ist in der That schaudererregend, wie sie hier gehauset haben. Die Standbilder der weiland Heiligen, die Marmorbekleidung der Wände mit halberhabener Arbeit, die schönsten Gemählde, die geweihten Altäre mit den kostbaresten Marmorsäulen, alles das ist recht geflissentlich verstümmelt, niedergerissen, gesprengt und zertrümmert. Ja die Altäre sind, noch sichtbar, durch solche Handlungen des Muthwillens entweihet, welche die Schaamhaftigkeit an geheimen Orten zu verrichten, und wovon die Wohlanständigkeit nicht gerne zu sprechen pflegt. -- Selbst die Todten, selbst den in dieser Kirche begrabenen großen Dagobert hat man nicht ungestört ruhen lassen. Der Golddurst, der in ihren Gräbern noch einige Kostbarkeiten vermuthete, hat ihre Grabmähler zersprengt, ihre Särge durchwühlt, ihre Schädel und Gebeine wild umher geschleudert, und ihre aschigten Ueberreste den Winden übergeben.

*) St. Saure, Vicogne, St. Amand, Hasnon und Marchienne -- fünf sehr reich begüterte Abteien ohnweit Valenciennes -- liegen in dem engen Flächenraum von drei Quadratmeilen. Die herrlichen Waldungen, fruchtbaren Gefilde und fürstlichen Gärten, so wie überhaupt fast alle Grundstükke und Einkünfte dieser Fläche gehören den beschäftigten Müssiggängern dieser fünf geistlichen Stiftungen. Die um und neben ihnen wohnenden Landleute müssen im Schweiße ihres Angesichts sich kümmerlich von den Brosamlein nähren, die von den schwelgerischen Tischen ihrer geistlichen Herren fallen -- gleichsam als ob jener Fluch, der dem Apfelbisse folgte, über sie allein ausgesprochen wäre -- -- Wenn in dem übrigen Frankreich die geistlichen Usurpationen auch nur den vierten Theil so weit getrieben sein sollten, als in diesen Abteireichen Gegenden des französischen Flanderns; so müßte man sehr boshaft und sehr unvernünftig zugleich sein, wenn man es dem französischen Volke verargen wollte, daß dasselbe ein gewisses, zur allgemeinen Volksglückseligkeit unentbehrliches Gleichgewicht, oder ein richtigeres Verhältniß unter den Einwohnern Frankreichs wieder herzustellen sucht. Freilich wär's gut, wenn dies nicht mit stürmender Hand hätte geschehen dürfen, aber desto schwerer ruhet eben darum Verantwortung auf dem Gewissen derer, in deren willenloser Macht es stand, durch billige Aufopferungen den Sturm zu zertheilen, der jetzt ihre Palläste über den Haufen wirft, und sie selbst unter deren Trümmern begräbt.

Daß man darauf recht studirt haben muß, in dieser Kirche auch nicht Ein Kunstwerk unvernichtet zu lassen, beweiset der marmorne Heilige, der über einem der Altäre in einer Nische so hoch, und so nahe am Hauptgewölbe der Kirche aufgestellt steht, daß die Verwüstenden keine Leiter hatten herbei treiben können, welche groß genug gewesen wäre, um ihn erreichen, und herunter stürzen zu können. Was meinst du wol, daß sie in dieser ihrer Verlegenheit mit dem unerreichbaren Heiligen werden begonnen haben? Sie schossen mit ihren Flinten so lange nach ihm bis die Kugeln sein Gesicht verunstaltet hatten. –

Zu allen diesen Greueln der Verwüstung kommt noch, daß jetzt in einem Theil dieser Kirche das große Fouragemagazin der Preußen angelegt worden ist. Die mit Heu, Stroh und Hafer beladenen Wagen mit Pferden, welche man in ihrem ungeheuern Raum umher fahren sieht -- das Stampfen beschlagener Pferde auf dem marmornen Fussboden -- das Gewühl geschäftiger Militärpersonen, deren einzelne kommandirende Worte in dem leeren Raum der Wölbungen dieses vormaligen Gotteshauses dumpfig wiederhallen: das alles bewirkte in meiner Seele einen gewissen Aufruhr vieler einander unangenehm durchkreuzender Ideen, deren Resultate immer wieder auf die leidige Wahrheit hinauslaufen, daß Kriege der nothwendigen Uebel gar viele mit sich führen. Indessen hat das Ganze meine Einbildungskraft bereichert, und ihr einen anschaulichen Begriff von der römischen Verwüstung des jüdischen Tempels zu Jerusalem verschafft.


Quellen.[]

  1. Geschichte und Beschreibung der französischen Niederlande des Elsasses und Lothringens. Leipzig bei J. A. Barth. 1794
  2. Geographisch- Historisch- Statistisches Zeitungs-Lexikon von Wolfgang Jäger, Professor der Geschichte zu Landshut. Landshut, bei Philipp Krüll, Universitätsbuchhändler. 1811.
  3. Ueber den Feldzug der Preußen gegen die Nordarmee der Neufranken im Jahr 1793. Von einem Beobachter, welcher die jetzigen Feldzüge der verbündeten deutschen Heere mitmacht. Stendal, bei Franzen und Grosse, 1795.
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