Russland (1721 - 1917).
Die Provinzialverwaltung des russischen Reichs.[]
[1]
Mehr noch eigenthümlich Charakteristisches, als die allgemeine und höhere Staatsverwaltung hat die untergeordnete und besondere Verwaltung der Provinzen des ungeheueren russischen Reichs. Ihre erste Einrichtung rührt, so wie die Begründung der ganzen russischen Staatsverwaltung von Peter dem Ersten her. Wie sie jetzt aber ist, ist sie -- einige von Kaiser Alexander dem Ersten hinzugefügte Modificationen und Zusätze abgerechnet, -- das Werk Katharina's der Zweyten. Sie hat dieselbe durch den Ukas vom 12. Nov. 1775 angeordnet, und äußert sich über die Mängel, so wie über die bezweckten Verbesserungen der, bis dahin bestandenen Provinzialverwaltung, in dem erwähnten Ukas selbst, wie folgt:
"Wir haben gleich einer zärtlichen Mutter, welcher das Wohl ihrer Kinder immer am Herzen liegt, jeden besonderen Theil der inneren Reichsverfassung von neuem und aufmerksam in Erwägung gezogen. Und da fanden wir sowohl, daß verschiedene Gouvernements wegen ihres weiten Umfangs nicht mit hinlänglichen Gerichtshöfen, und weil an einem, und eben dem Orte zugleich die Gouvernementsregierung, die Gefälle der Krone und deren Berechnung, die Polizey und noch dazu alle Civil- und Criminalsachen besorgt werden, die Gerichtshöfe nicht mit den, zur Verwaltung nöthigen Personen besetzt waren, als auch, daß eben diese Unbequemlichkeiten bey der Administration der Provinzen und Districte gedachter Gouvernements obwalteten, indem sich, wie bekannt, in einer Woywodskanzley eine Menge Sachen von verschiedener Art vereinigen.
In ihrer Folgen sind die hieraus entstehenden Verwirrungen offenbar. Auf der einen Seite entspringen Saumseligkeit, Nachlässigkeit, und Verzögerungen, aus einer so unschicklichen und fehlerhaften Anordnung, indem eine Sache die andere aufhält, und noch dazu die einleuchtende Unmöglichkeit, so viele durchkreutzende Geschäfte in einer Woywodkanzley anzuthun, den langwierigen Aufschub oft beschönigen, die Hintansetzung schuldiger Pflichten entschuldigen, und oft zu Parteylichkeiten Anlaß geben kann. Auf der anderen Seite rühren aus der saumseligen Behandlung der Angelegenheiten sowohl Muthwille als Chikane und andere Verbrechen, weil die erforderliche Ahndung derselben nicht so schnell erfolgt, als doch nöthig wäre, um kühne Verbrecher durch Schranken zurückzuhalten. An noch anderen Orten hemmen die häufig erlaubten Appellationen den Lauf der Gerechtigkeit. So, wer z. B. in Handlungs- und anderen bürgerlichen Sachen mit der Entscheidung des summarischen Berichts nicht zufrieden ist, bringt seine Sache von neuem bey dem Stadtmagistrate an, dann an der Provinzial- und dann an den Gouvernements-, dann an den Obermagistrat, und endlich an den Senat.
"Diesen und manchen anderen Unordnungen abzuhelfen, und überall bessere Ordnung einzuführen, auch der Gerechtigkeit eine freye Laufbahn zu eröffnen," -- fährt der Ukas fort -- "haben wir für gut gehalten, jetzt eine neue Verordnung zur Verwaltung der Gouvernements bekannt zu machen, diese Gouvernements als Theile des weit ausgedehnten russischen Reichs damit zu versehen, auf daß dadurch die strengere und bessere Erfüllung des künftig zu publizirenden allgemeinen Gesetzbuchs vorbereitet und erleichtert werde."
"Unsere Anordnung sondert, wie zu ersehen ist, jeden Gerichtshof von der Gouvernementsregierung; sie gibt jedem Tribunale seine Regeln und Pflichten, setzt es in den Stand, der Vorschrift nachzuleben; ist ihrer ganzen Beschaffenheit nach dem jetzigen inneren Zustande unseres Reichs angemessen, und gründet im Vergleiche mit dem vorigen, die allgemeine Ruhe und Sicherheit fester, da sie den persönlichen Zustand und die Rechte aller, an Sitten und Herkunft so verschiedenen Völker, die in unserem Reiche wohnen, sichert und durch manche Vortheile verbessert."
Für die Grundbestimmung der Gouvernements nimmt diese neue Verwaltungsorganisation eine Volkszahl, und zwar die von drey bis vier Mahl hundert tausend Personen männlichen Geschlechts an. Jedes Gouvernement wird in Kreise abgetheilt, und für diese eine Volkszahl nach gleicher Bestimmung von 20 - 30 Tausend angenommen. An die Spitze der Verwaltung wird ein Statthalter mit dem Titel: Generalgouverneur gestellt, dem ein Verweser mit dem Prädicate: Gouverneur zugeordnet ist. Die Verwaltung hat die wesentliche Verbesserung erfahren, daß wenigstens in den Hauptparthien die Gerechtigkeitspflege von der Administration abgesondert, und besonders dazu eingerichteten Collegien anvertraut ist. In den oberen Instanzen ist auch die Criminal- und Civiljustitzstelle gesondert, und für jede ein besonderes Tribunal angeordnet.
Diese Gerichtshöfe stehen nur unter dem Senat und dem Kaiser selbst, und nehmen daher von niemanden, als von diesem Gesetze oder Befehle an; erstatten auch an keine andere Behörde Berichte. Jeder dieser Gerichtshöfe besteht aus einem Präsidenten, zwey Räthen, und zwey Assessoren. Das Criminaltribunal "hat die Untersuchung solcher Sachen, die ein Verbrechen gegen Amt und Pflicht betreffen, und die Revision aller peinlichen Strafen, die Leben und Ehre angehen, und ohne Appellation vom Oberlandgerichte der Oberrechtspflege und dem Gouvernementsmagistrate hierher zur Revision gelangen, um genau zu untersuchen, ob das Verfahren regelmässig, und zur Vertheidigung der Unschuld oder Überführung des Verbrechens geführt worden."
Das Civiltribunal ist ebenfalls Revisions- und zugleich Appellationsinstanz für das Oberlandgericht, den Gouvernementsmagistrat und die Oberrechtspflege, um "sorgfältig zu untersuchen, ob den Gesetzen gemäß in Aufklärung der Rechts der siegenden Partey, und in Widerlegung der Gegenseite sey verfahren worden."
"In jeder Statthalterschaft wird, falls nicht mehr erforderlich sind, ein Oberlandgericht verordnet, das aus einem Präsidenten, einem Vicepräsidenten, und zehn aus der Gerichtsbarkeit desselben, alle drey Jahre zu wählenden, gegenwärtig seyenden Assessoren besteht. Dieß Gericht hat zwey Departements, ein criminales, worin ein Präsident und fünf Assessoren sind. Beyde theilen sich, wenn keine peinlichen Sachen vorhanden sind, in die bürgerlichen Rechtssachen."
"Vor das Oberlandgericht gehören alle, durch Appellationen von den Kreis-, Adeligen- Pupillen- und Niederlandgerichten dahin gelangende Sachsen, Klagen und Beschwerden des Adels gegen einen Edelmann sowol in Criminal- als Civilsachen; Sachen, die Landgüter, Privilegien, Testamente, Nachfolge im Vermögen, Reicht der Nachfolge, streitigen Besitz, wichtige Injurien, und die Rechte der Anwalde betreffen; und endlich Sachen der Personen allerhand Standes, die vermöge der Appellation von dem Kreis- oder Niederlandgerichte, vor das Oberlandgericht gehören. -- Die Appellation an das Civiltribunal kann binnen achttägiger Frist eingelegt werden, wenn die streitige Sache über hundert Rubel beträgt."
"Das Oberlandgericht erhält Befehle und Verordnungen von der Gouvernementsregierung und den Gerichtshöfen des Gouvernements, in welchem es errichtet ist, und sendet an dieseleben Berichte und Vorstellungen. An die, ihm untergeordneten Gerichte und Behörden, die Kreisgerichte, die adeligen Vormundschaftsämter und die Niederlandgerichte erläßt es Befehle und Verfügungen, und erhält von denselben Berichte und Vorstellungen. Es hat die Befugniß, auch andere ihm nicht untergeordnete Gerichte und Behörden, an die Erfüllung der Gesetze zu erinnern, oder sie dazu anzuhalten; doch kann es dieß nur vermittelst bey seiner Gouvernementsregierung deßhalb einzureichenden Vorstellungen."
(Die Fortsetzung folgt.)
Ueber die Grundmacht des Russischen Reiches.[]
- [1808]
Bei den gegenwärtigen großen Staats- und Kriegs-Angelegenheiten sind fast aller Blicke auf diese bedeutende Macht geheftet, und es wäre wohl der Mühe werth, Betrachtungen über dieses Reich anzustellen, welches zwar noch immer unvollendet aber doch im großen Werden da steht; und schon als gewaltig eingreifend in das Schicksal zweier Völker anzusehen ist.
Man könnte füglich diese Arbeit in drey Theile zerlegen, und wie die aufzustellenden Fragen zu beantworten wären, darüber könnte nachfolgende Skizze zur Erläuterung dienen:
Was war Rußland vor hundert Jahren? -- Eine unermeßliche Wildniß voller Halbwilden, mehr zu Asien als zu Europa zählend; es hatte mehr zerstreute Hütten, als Dörfer und bleibenden Wohnsitze, es baute sich eine Hauptstadt, vor deren Thoren noch lange die Wölfe herumschwärmten; es hatte mehr kriegerische Horden, als disziplinirte Heere, unbeachtet von den Nationen des Abendlandes ahnete es selbst kaum deren Dasein, noch weniger deren erhabenere Existenz.
Was ist Rußland unter Alexander dem Ersten? Der größte Staat des ganzen Erdkreises in geographischer Hinsicht, der mächtigste Staat Europens neben Frankreich und England; unerschöpflich an innrer Kraft; Asien und Europa durch seinen Zorn erschütternd, und bey alle dem doch nur ein Staat fern noch von seiner Vollendung, erst im Werden begriffen, die rohe Asiatische Kraft in Europäische Formen veredelnd.
Was wird Rußland in einem Jahrhundert sein? Wenn es mit dem zunehmenden Anbau seines noch nicht urbaren Bodens die Bevölkerung verdoppelt, und eben so viele Einwohner innerhalb seinen Gränzen allein nähren wird, als die hundert großen und kleinen Staaten des übrigen Europas zusammen enthalten? -- Eine gigantische Macht, wie die Weltgeschichte noch keine gekannt hat; eine Macht neben der selbst das große Römerreich als schwaches Vorbild verschwindet; den Europäern furchtbar durch Ueberzahl der Heere und Waffen, den Asiaten furchtbar durch Ueberlegenheit der Kultur.
Würden diese Fragen gehörig auseinander gesetzt und unpartheiisch betrachtet, so erhielten wir dadurch eine richtige Uebersicht der Grundmacht dieses Reiches, das wir bis jetzt mehr den Namen nach als in Ansehung seines innern Gehalts kennen.
Zeitungsnachrichten.[]
- [1806]
Rußland.
Der Herr von Novosilzoff hat auf sein Ansuchen die Entlassung von dem Amte eines Justiz-Minister-Collegen erhalten, und ist zum Senator ernannt worden, mit Beybehaltung seiner übrigen Aemter. Das Ministerium ist jetzt folgendermassen organisirt: 1. Minister der auswärtigen Angelegenheiten: Baron Budberg; College desselben: Graf Soltikoff. 2. Justizminister: Fürst Lapuchin. 3. Minister des Innern: Graf Kotschubey; College desselben: Graf Stroganoff (gegenwärtig Ambassadeur am Londner Hofe.) 4. Minister der Volksaufklärung: Graf Sawadofsky; College desselben: der Geheimerath Murawieff. 5. Finanzminister: Graf Wasiljeff; College desselben: der Geheimerath Gölubzoff. 6. Commerzminister: Graf Romanzoff. 7. Minister der Landmacht: der General von der Infanterie Wäsmitinoff. 8. Das Ministerium der Marine ist nicht besetzt; die Geschäfte desselben verwaltet der College des Ministers dieses Departements, der Vice-Admiral Tschitschagoff.
Quellen.[]
Literatur.[]
- Geheime Nachrichten über Russland unter der Regierung Catharinens II. und Pauls I. Ein Gemälde der Sitten des Petersburger Hofes gegen das Ende des achtzehnten Jahrhunderts. Paris, und in Commission bei den vorzüglichsten Buchhändlern Deutschland, 1800.