Von Bastille bis Waterloo. Wiki
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Von Reisende..

Ralph Fell.

[1]

[1800]

In keiner Stadt innerhalb des Gebiets der vereinigten Staaten erweckten die Fortschritte der französischen Waffen in den Jahren 1794 und 1795 eine grössere Unruhe als zu Rotterdam. Es war ein Zeitpunkt der allgemeinen Trauer und Bestürzung. Die angesehensten Einwohner der Stadt standen durch Verwandschaft oder Heirath mit England in Verbindung, und alle Stände der Gesellschaft erfuhren die Wohlthaten eines ausgebreiteten Handels mit dem brittischen Reiche.

Mit dieser Vorliebe für die Feinde der französischen Republik verbanden sie eine starke Anhänglichkeit an die statthalterische Regierung, wie sie durch England's und Preussen's Einfluss im Jahre 1787 bestimmt war, und eine gerechte Hochachtung für die Person des Prinzen Oranien. Unter diesen Umständen musste das Anrücken der Franzosen gegen die Republik bei gänzlicher Unmöglichkeit eines Widerstands, ein allgemeines Gefühl von Schrecken und Traurigkeit erwecken.

Die angesehensten englischen Familien verliessen die Stadt, und ihrem Beispiele folgten auch viele Holländer. Zur Ehre eines zahlreichen und nützlichen Menschenklasse muss ich anführen, dass, sobald es gewiss wurde, dass aller Verkehr mit England aufhören würde, kein einziges englisches Dienstmädchen in Rotterdam bleiben wollte, so lange die Franzosen diese Stadt im Besitz haben würden. Viele unter ihnen hatten so lange in dieser Lage gelebt, dass sie aus Dienstboten gleichsam Glieder der Familie geworden waren; aber weder persönliche, noch örtliche Anhänglichkeit konnte die Stärke ihrer Vaterlandsliebe besiegen, und selbst die vortheilhaftesten Bedingungen, in Holland zu bleiben, schlugen sie aus. Dieses Betragen verdient um so mehr Bewunderung, wenn man erwägt, wie viel Entschliessung und Energie es erforderte, diese armen Geschöpfe zu einer solchen Aufopferung zu vermögen; sie überlegten vielleicht nicht einmal, dass sie sich von ihren vertrautesten Freunden auf immer trennen mussten. Die Jahrszeit war bei ihrer Abreise ungewöhnlich rauh, und nur die Reicheren konnten sich mit einigen Bequemlichkeiten versehen. Da die Schifffahrt auf der Maas wie auf den Kanälen durch den Frost unterbrochen war, so fiel auch die in diesem Lande gewöhnliche Art zu reisen weg, und die Nachfrage nach Fahrzeugen war so gross, dass selbst die Wohlhabenden sich glücklich schätzten, wenn sie einen Platz in einem offenen Wagen erhalten konnten. Diejenigen, denen diese Bequemlichkeit nicht zu Statten kam, setzten ihre traurige Reise von Rotterdam nach Helvoetsluis, wo sie sich nach England einschiffen liessen, über Schnee und Eis fort.

Den 22sten Januar nahm die Division des Generals Bonneau von Rotterdam Besitz. Die Französischen Truppen, Infanterie, Kavallerie und Artillerie rückten zu dieser Eroberung auf den gefrornen Gewässern der Maas vor, gleichsam als wollte die Natur ihren Plan begünstigen, und boten ein Schauspiel dar, wie man es in der Kriegsgeschichte nur selten antrifft. Die Festigkeit, welche der Fluss erlangt hatte, beweist hinreichend die rauhe Jahrszeit. Dennoch fehlten den französischen Soldaten die nothwendigsten Kleidungsstücke. Ganze Bataillone hatten weder Schuhe noch Strümpfe und selbst die Kleidung der Offiziere war nicht viel besser als die der Gemeinen. Einer Schildwache auf dem Posten diente oft statt des Überrocks eine zerrissene wollene Decke zum Schutz gegen die Kälte, und Hüte oder Mützen sah man nur selten.

In dieser traurigen Verfassung kamen die französischen Truppen zu Rotterdam an und wurden bei den Einwohnern der Stadt einquartirt. Eine mässige Anzahl von Kleidungsstücken wurde gefordert, die Vertheilung geschah sehr unpartheiisch, und wie der erste Lärm vorbei war, erwarben sich die französischen Soldaten allgemeinen Beifall. Keine Gewaltthätigkeit oder Plünderung entehrte die Disziplin der republikanischen Armee und auch die geringsten Klagen hörten die Generale an und halfen ihnen ab.

An die Stelle der abgesetzten alten Obrigkeit wurde ein provisorischer Magistrat angestellt, der zum Glück aus Männern von gemässigten Grundsätzen und wahrhaft patriotischen Gesinnungen bestand. Durch ihre weisen Maassregeln, verbunden mit dem Beistand und der Unterstützung des französischen Kommandanten wurde die öffentliche Ruhe erhalten, und obgleich der Handel dieses Orts einige Wochen hindurch gänzlich stockte, so wurden doch von den zahlreichen missvergnügten Armen, die hierdurch ausser Brod gesetzt wurden, keine Aufruhr und Unordnungen veranlassende Handlungen begangen.

Die Geschäfte dieser provisorischen Regierung hörten nach Errichtung der neuen Staatsverfassung auf, und mit Bedauern muss ich erwähnen, dass ihre Nachfolger die Mässigung und Tugend dieser rechtschaffenen und nützlichen Männer nicht nachahmten. Die Munizipalität besteht hauptsächlich aus partheisüchtigen, deklamatorischen Bürgern, die, stolz auf ihre ehrenvolle Ämter, die tyrannisch verwalten, und die Schande einer Verbindung mit solchen Männern hält Leute von Ansehen und Charakter ab, sich der Angelegenheiten der Stadt anzunehmen.

Dem von der Macht in den Händen solcher Männer zu befürchtenden Unheil wurde durch den Umstand vorgebeugt, dass die Majorität, und zwar eine starke, grosse Vorliebe für das alte Regierungssystem und die Verbindung mit England hegte. Als die Ringelblume, weil sie das Sinnbild des Hauses Oranien ist, in allen Gärten der Patrioten ausgerottet wurde, waren die Fenster des besonders von den ärmern Klassen der Einwohner bewohnten Theils der Stadt mit Gefässen voll solcher Blumen angefüllt, und eine der Jungfrau Maria in einem frommen Zeitalter geweihte Pflanze *) drückte hier die lebhafte Liebe ihres Besitzers gegen einen vertriebenen Statthalter von Holland aus. Von den rothen und weissen Rosen, welche die York'sche und Lancastersche Partei unterschieden, kannst Du auf die Achtung schliessen, in welcher die Ringelblume von den Anhängern des Oranischen Hauses gehalten wurde. Aber warum sollte die schöne Frucht, die den Namen dieser Familie führt, von den Tafeln der gegenseitigen Partei verbannt seyn? Mässigung, Vernunft und Zeit hat die Strenge der Patrioten in diesem und ähnlichen Punkten sehr gemildert und Orangen können nun wieder, ohne Verdacht zu erregen, genossen werden; doch tragen noch immer manche Bedenken, diese Frucht auf ihre Tafel zu bringen.

*) Sie heisst im Englischen Marigold.


Quellen.

  1. Fell's Reise durch die Batavische Republik Aus dem Englischen übersetzt, und mit Anmerkungen begleitet von D. Karl Murhard. Leipzig, bei C. H. Reclam. 1805.
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