Geist der französischen Staatsumwälzung.[]
- (Aus Marmontels Memoiren.)
Unter den Mitgliedern [[der Académie française]] befand sich ein eifriger Anhänger der republikanischen Faction, dieß war Herr Chamfort; ein feiner, gewandter Mann, der über die Laster und Thorheiten der Menschen mit heiterer Laune scherzte, aber in Eifer gerieth, sobald er der Vorrechte gedachte, die Geburt und Reichthum geben, und die seinen Stolz beleidigten. Keiner von den vielen Neidischen in der Welt verzieh den Vornehmen und Begüterten ihre prächtigen Mobilien und glänzenden Tafeln weniger als Chamfort, so begierig er sich selbst nach ihnen war. Er schonte die Großen, schmeichelte ihnen und suchte sich bey ihnen in Gunst zu setzen, wenn er mit Einem allein sprach; es schien selbst, daß er einige achte und liebe, denen er Weihrauch mit vollen Händen streute, wofür er sich aber nicht nur bey ihnen einquartirte und mit ihnen wie mit seines Gleichen lebte, sondern wofür sie ihm auch, durch ihren Einfluß bey Hofe, Pensionen verschaffen mußten. Auf diese Art hatte er ein Paar tausend Thaler jährlich bereits einzunehmen: aber das war ihm nicht genug. Eines Tages sagte er zu Florian: 'Diese Menschen müssen mir 20,000 Livres jährlicher Einkünfte verschaffen; drunter thue ich es nicht." Solche Große verschonte er mit seinem Witze; aber die ganze Caste war der ewige Gegenstand seiner Spötterey, und als der Augenblick herannahte, wo der Umstürz der Würden und Glücksgüter ihm gewiß dünkte, brach er mit ihnen insgesammt, da er ihrer nichts weiter bedurfte, und trat auf die Seite des Pöbels.
In unsern litterarischen Zirkeln ergötzten wir uns zuweilen an seinen spitzigen Einfällen; und ich unterhielt seine Bekanntschaft, ohne ihn zu lieben und ohne Vertraulichkeit, um mir ihn nicht zum Feinde zu machen.
So kam es, daß wir einst, nach geendigter akademischer Sitzung im Louvre, allein beysammen im Saal blieben, da er mich mit den Worten anredete: "Nun, Sie sind nicht Deputirter geworden *)?" -- Nein, erwiederte ich, und ich tröste mich darüber wie der Fuchs, dem die Trauben zu hoch hingen: sie sind unschmackhaft! -- "In der That, nahm er das Wort auf, ich halte sie nicht für mürbe genug für Ihren Gaum. Ihr Gemüth ist zu gut und empfindlich für die Probe, auf die es gestellt werden dürfte. Man hat wohl gethan, Sie auf eine zweyte Legislatur aufzusparen. Sie verstehen sich trefflich darauf, eine Wohnung einzurichten; aber es fehlt Ihnen an Kraft zum einreißen."
- *) Nämlich von der Stadt Paris. Der Abbe Sieyes ward ihm vorgezogen.
Da ich wußte, daß er ein vertrauter Freund des Grafen Mirabeau war, so wünschte ich hinter dessen Plane zu kommen, und war gewiß sich durch Chamfort erfahren zu können. Ich that daher, als ob ich ihn nicht verstände. "Ums Himmels willen! sagte ich; Sie sprechen von einreißen. Ich glaubte, man wolle blos ausbessern."
"Allerdings! war seine Antwort; aber das Ausbessern zieht oft den Einsturz eines Gebäudes nach sich. Schlägt man mit dem Hammer an eine alte Mauer, so kann man nicht dafür gut seyn, daß sie stehen bleiben wird; und offenherzig, die Wände sind hier so morsch und zerfressen, daß es mich nicht Wunder nehmen sollte, wenn man alles bis auf den Grund abtragen müßte." -- Bis auf den Grund? rief ich. -- "Warum nicht? erwiederte Chamfort; um nach einem regelmäßigern und minder gothischen Plan den Bau von neuem zu beginnen. War es zum Beyspiel ein so großes Unglück, wenn die vielen Stockwerke wegfielen und alle Häuser nur Ein Erdgeschoß hätten? Würden Sie trauern, nicht mehr von Eminenzen, Excellenzen, hoher und niederer Geistlichkeit, Adel und drittem Stande, noch von Wappenkunde und Lehnsrecht sprechen zu hören?" Ich machte ihn darauf aufmerksam, daß die Gleichheit von jeher das Hirngespinnst der Republiken und die Lockspeise, welche der Ehrgeiz der Eitelkeit vorhielte, gewesen wäre; daß aber eine solche Abmessung nach der Wasserwage, zumahl in einer weitläuftigen Monarchie, unmöglich sey, und fügte hinzu: wenn man alles aufheben wolle, so ginge man weiter, wie es mir schien, als die Nation es haben wolle und vergäße die von ihr erhaltenen Aufträge.
"Was thut's? erwiederte er. Weiß ein Volk, was es will? Man muß statt seiner denken, und ihm die Worte, wie Kindern bey der Katechisation, in den Mund legen. Staunt es ob dem, was man ihm sagen läßt, so antwortet man wie Crispin in Regnards Légataire: daran ist eure Schlafsucht Schuld. (C'est votre léthargie.) Die Nation gleicht einer Viehheerde, und denkt auch auf nichts, als sich zu nähren. Mit gut abgerichteten Hunden führt der Hirt sie, wohin er will. Genug, man will des Volks Bestes und befördert es ohne sein Zuthun. Denn, lieber Mann, Ihre veralterte Staatsverwaltung, Ihre Religionsgebräuche, Ihre Gewohnheiten und Vorurtheile des Mittelalters verdienen sammt und sonders keine Schonung. In einem Jahrhundert, wie das unsrige, erregen diese Dinge nur Ekel und Gelächter. Soll unser Plan zur Ausführung kommen, so darf nichts so bleiben, wie es itzt steht; alles muß herunter, damit wir einen ganz freuen Platz erhalten."
"Einen ganz freyen Platz?" fiel ich ein. "Und der Thron? und der Altar?" -- "Thron und Altar, sagte er mir, werden mit einander fallen. Es sind zwey Strebepfeiler, die sich gegenseitig unterstützen. Stürzt der eine, so bricht auch der andere."
Ich verbarg den Eindruck, den diese Rede auf mich machte, und um ihn noch mehr auszuforschen, sagte ich: "Sie kündigen mir da eine Unternehmung an, die ich für höchst schwierig und wenig ausführbar halte."
"Glauben Sie mir," erwiederte er, "die Schwierigkeiten sind vorhergesehen und die Mittel, sie zu heben, berechnet." Nun ließ er sich näher heraus, und ich merkte, daß die Faction ihre Hofnungen auf den Charakter des Königs, der jeder gewaltsamen Maaßregel so gram war, daß man ihn für verzagt hielt; so wie auf den gegenwärtigen Bestand der Geistlichkeit stützte, unter der es, wie er sagte, ein Bischen Tugend ohne Talent, und etwas Talent durch Laster entstellt und herabgewürdigt gäbe: endlich auch auf die itzige Beschaffenheit der ersten adlichen Häuser, die sämmtlich herabgekommen wären, und worin man wenig Männer fände, die den Ruf ihres Namens zu behaupten verstünden.
Das meiste Vertrauen könne aber der dritte Stand auf sich selbst setzen. Seit lange her über eine willkührliche und stufenweis belastende Gewalt misvergnügt, habe er über die beyden andern Stände nicht nur den Vortheil der doppelte Repräsentation, sondern auch der Einigkeit, des Muthes und der Kühnheit alles zu wagen. "Mit einem Wort, sagt Chamfort, die Anhäufung von Verdruß und Unwillen hat ein Ungewitter zusammengezogen, das zum Ausbruche reif ist. Verbindungen zum Aufstand sind überall geschlossen. Das von der Provinz Dauphiné gegebne Beyspiel hat allerwärts große Freude erregt. Ganz Frankreich will frey seyn. Die Provinzen sind mit einander darüber in schriftliche Verhandlungen getreten, und von Paris, als dem Mittelpunkte, aus, verbreitet sich der republikanische Geist, und mit ihm Wärme und Erleuchtung, bis an die entferntesten Gränzen. Dieß sind Thatsachen, und keinesweges Lustschlösser, mein Lieber!"
Ich räumte ihm ein: in der Speculation nähme sich alles dieß recht hübsch aus; aber, fügte ich hinzu, so sehnlich man eine Reform wünscht, so wird doch der bessere Theil der Nation nie zugeben, daß die Grundpfeiler der Monarchie, auf denen das allgemeine wie das Privat-Wohl beruht, über den Haufen geworfen werden.
Er gab zu, daß ein guter Theil der friedliebenden Bürger hinter ihren Schreibpulten, oder in ihren Werkstätten, Entwürfe gewagt finden dürften, die leicht ihre Ruhe und ihre Freudengenüsse stören könnten. "Aber, wenn sie solche auch misbilligen, sagte er, so wird es doch nur ganz leise und ohne Nachdruck geschehen, und um ihnen den Daum aufs Auge zu setzen, hat man jene entschlossene Klasse von Leuten, die bey der Veränderung nichts zu verlieren hat, wohl aber viel zu gewinnen hofft."
"Um diese nun in Bewegung zu setzen, giebt es Mittel in Menge und kräftige Mittel; wie Theurung, Hunger, Geld, Schreckensnachrichten, und den Wahnsinn der Furcht und Wuth, mit denen man die Gemüther erfüllt. Sie kennen aus der Bürgerschaft nur die eleganten Schwätzer. Unsere Redner auf der Tribune (in den damaligen Wahlversammlungen) sind nichts gegen die Demosthene für Einen guten Thaler des Tags auf den Mann, die in den Wirthshäusern und Lustgärten, auf den Marktplätzen und an den Straßen-Ecken Verheerungen, Feuersbrünste, eingeäscherte und in Blut schwimmende Dorfschaften, und verrätherische Entwürfe, Paris zu belagern und auszuhungern, dem Volke verkündigen. Diese sollten Sie hören. Unter dieser Klasse des Volks kann man mit Geld und der Aussicht zum Plündern alles bewürken. Wir haben davon den Versuch in der Antons-Vorstadt kürzlich gemacht, und Sie würden kaum glauben, wie wenig es dem Herzog von Orleans gekostet hat, die Manufactur des ehrlichen Reveillon bis auf den Grund niederreißen zu lassen, größtentheils von Leuten, die mit sammt ihren Familien einzig und allein ihren Unterhalt von ihm zogen. Mirabeau behauptet drollicher Weise: mit eintausend Stück Louisd'or könne man einen allerliebsten Aufstand bewürken."
Sonach, sagte ich, sind eure politischen Experimente Verbrechen, und eure Heerschaar besteht aus Räubern. -- "Das läßt sich nicht ändern!" antwortete er kalt und trocken. "Könnte man den gemeinen Mann zu seinen Zwecken gebrauchen, wenn man ihm durch die Grundsätze der Sittlichkeit und des Rechts einen Kappzaum anlegte? Die rechtlichen Leute sind schwach, selbstsüchtig und furchtsam; nur Taugenichtse sind entschlossen. Die unwiderstehliche Kraft der Volksmasse in Revolutionszeiten liegt darin, daß sie nichts achtet. Wem alle Mittel gleich sind, gelangt gewöhnlich zu seinem Zwecke. Mirabeau hat recht: Keine von unsern veralteten Tugendgrillen kann uns nützen. Das Volk bedarf ihrer nicht, oder doch nicht auf die gewöhnliche Weise. Alles, was die Revolution befördert, ist heilsam, und sie muß es ergreifen. Dieß ist unser Wahlspruch."
"So denkt vielleicht der Herzog von Orleans," erwiederte ich: "denn ich sehe nur ihn, um ein Oberhaupt für das im Aufstand begriffene Volk zu finden; nur, muß ich gestehen, ich habe kein großes Zutrauen zu seinem Muthe." -- "Das ist sehr wahr," sagte er mir; "und Mirabeau, der ihn genau kennt, versichert, es hieße auf Sand bauen, wenn man sich viel auf ihn verließe. Aber er hat sich beliebt gemacht; den Name, den er führt, macht Eindruck aufs Volk; er hat Millionen dran zu wenden; er haßt den König, noch mehr die Königinn; und wenn es ihm an Muth fehlt, so wird man ihm welchen leihen: denn kühne Anführer werden sich aus dem Volks selbst erheben, sobald nur erst es sich als Rebellen gezeigt hat und als Verbrecher betrachtet. Denn man muß wohl vorwärts, wenn man hinter sich nichts sieht als das Schafot, um sein Haupt darauf zu legen. Die Furcht, alles zu verlieren, treibt ein Volk zum Muthe. Unsere Kräfte werden nicht zu berechnen seyn, wofern wir nur Mitschuldige ohne Zahl erhalten. Aber, fügte er hinzu, ich sehe, daß meine Hoffnungen Sie betrüben: Sie wollen keine Freyheit, deren Erlangung viel Geld und viel Blut kosten würde. Glauben Sie denn, daß man Staatsumwälzungen mit Rosenwasser bewürken kann?"
Hiermit endigte unsere Unterredung, und wir trennten uns, er ohne Zweifel voll Verachtung meiner kleinlichen Denkart, und ich wenig erbaut von seiner unsittlichen. Der Unglückliche hat sich selbst bestraft, indem er sich entleibte, nachdem er seinen Irrthum inne ward.
Ich theilte diese Unterredung noch denselben Abend dem Abbe Maury mit. "Es ist nur zu wahr," sagte er mir, "daß sie sich in ihren Spekulationen selten betrügen, und daß die Faction, um wenig Hindernisse zu finden, ihre Zeit gut abgepaßt hat. Ich habe beyde Theile beobachtet, und bin fest entschlossen, mein Leben der Vertheidigung der bestehenden Verfassung zu weihen; aber nichts desto weniger sehe ich ihren Umsturz und eine allgemeine Plünderung voraus."
Wenn dem so ist, sagte ich, wie widersinnig handelt der Adel und die Geistlichkeit, den König in einen solchen Streit zu ziehen? -- "Was sollen sie denn thun?" -- Was man bey einer Feuersbrunst thut, sie sollen das Feuer dämpfen. Ich verlange, daß sie das Deficit dadurch heben, daß sie die Staatschuld übernehmen. Ich verlange, daß sie das Schiff wieder flott machen; kurz, daß sie dem König aus den Klippen heraushelfen, zwischen die sie ihn selbst hinein getrieben haben, und daß sie, für welchen Preiss es auch sey, ihn dahin vermögen, die General-Staaten nach Hause zu schicken, bevor die Sitzungen angehen. Ich wünsche, daß man ihnen sage: sie wären verloren, wenn die Staaten sich versammeln, und es seyn kein Augenblick zu verlieren, um das Gewitter zu zerstreuen, das sich über sie zusammenzieht und das ihnen den Tod droht. -- Maury machte mir einige Einwürfe; ich bestand auf meinem Kopf. "Sie fodern es von mir?" sagte er. "Nun gut! ich will den Schritt thun. Man wird mich aber nicht hören."
Unglücklicher Weise wandte er sich an den Bischoff D***, einen Schwindler, der meine Warnungen als leere Träume behandelte. Er erwiederte: "Man sey noch nicht so weit gelangt, als man zu seyn glaube, und die Klerisey werde, das Schwert in der einen, das Kruzifix in der andern Hand, ihre Rechte zu vertheidigen wissen."
Nach beendigtem Wahlgeschäft bezog ich mein Landhaus, um hier die Ruhe zu genießen, deren ich bedurfte. Hierdurch entzog ich mich auch einer neuen Gesellschaft, die sich in meinem Hause gebildet hatte, und die aus Leuten bestand, die ich in ruhigern Zeiten mit großem Vergnügen bey mir würde gesehn haben. Dieß waren der Abbe Perigord, seit kurzem Bischoff von Autün, der Graf von Narbonne und der Marquis de la Fayette. Ich kannte sie seit lange und als Männer, welche List und Ränke so wenig liebten als ich. Der Eine war ernst, aber sanft und gefällig; der Andre fröhlich, schimmernd und witzig; der Letzte zutraulich und durch Anmuth und Offenheit beliebt. Ihre Denkart nahm aber jetzt einen neuen Schwung und die Politik verscheuchte die fröhliche Laune. Aus einigen Reden, die ihnen entfielen, konnte ich die Ursache dieser Veränderung leicht abnehmen. Auch sie wurden gewahr, daß unsere gegenseitige Grundsätze nicht zusammen stimmten, und daß sonach mein Haus kein schicklicher Platz für ihre Zusammenkünfte und Verabredungen war. Meine Entfernung trennte uns für immer.
An solchen Tagen, wo ich die Akademie besuchte, schlief ich in Paris, und bracht dann öfters die Abende bey Herrn Necker zu. Da ich mich hier im Zirkel der Minister befand, so sprach ich mit ihnen ohne Rückhalt über das, was ich gesehn und was ich vernommen hatte. Ich fand sie wie verdutzt und als Menschen, die nicht wissen, wo ihnen der Kopf steht. Die Vorfälle zu Versailles hatten Herrn Necker die Augen geöffnet, und ich fand ihn niedergeschlagen. Als ich eines Tages bey ihm mit den vornehmsten Deputirten des dritten Standes zu Mittag speißte, glaubte ich an der kalten Art, womit sie seine Höflichkeiten und seine zuvorkommende Achtsamkeit erwiederten, zu bemerken, daß sie ihm wohl die Verwaltung der Staatsgeschäfte anvertrauen, aber sich nicht von ihm leiten lassen wollten.
Herr von Montmorin, mit dem ich gleichfalls über die dringende Nothwendigkeit sprach, den König dahin zu bringen, daß er sich in eine Gränzfestung begebe und an die Spitze eines Heeres stellte, setzte mir den Geldmangel, den zu befürchtenden Bankerot und Bürgerkrieg entgegen.
"Sie halten also die Gefahr für sehr dringend, um sobald zu den äußersten Mitteln zu schreiten?" fügte er hinzu. -- So dringend, war meine Antwort, daß nach Verlauf eines Monaths ich weder für die persönliche Freyheit des Königs, noch für sein Leben, oder auch des Ihrigen, mich verbürgen mögte.
Ach! Chamfort hatte mich zum Propheten gemacht. Aber ich ward nicht gehört; oder vielmehr, ich ward es von einem schwachen Minister, der selbst nicht gehört ward.
Quellen.[]
- ↑ Erste Linien zu einer Geschichte der europäischen Staatenumwandlung am Schluß des achtzehnten und zu Anfang des neunzehnten Jahrhunderts. 1807.