Freistaat Genua.[]
[1]
Der ehemalige Freistaat Genua gränzte gegen Abend und Mitternacht an Savoyen und Piemont und die Lombardei, gegen Morgen an Lucca und Toscana, gegen Mittag ans Meer. Das Land ward in den östlichen und westlichen Theil, oder die Riviera di Levante und Riviera di ponente abgetheilt. In jenem, dem wichtigsten, lagen Genua, Rapallo, Sestri di Levante; in diesem Vintimiglia, San Remo, Savona, Finale. Längs der ganzen Nordseite des Freistaats zogen sich die Apenninen, und erstreckten sich in einzelnen Nebenästen bis zur Küste. Dieser Landstrich ist, ungeachtet seines gebirgigen Bodens, sehr fruchtbar. Der Adel zeichnet sich durch Kenntnisse und seine Sitten, das Volk überhaupt durch Arbeitsamkeit und Muth aus. Die ältesten Bewohner dieses Landes waren die Ligurier, welche zwischen dem ersten und zweiten Punischen Kriege von den Römern besiegt wurden. Nach dem Untergange des Weströmischen Reiches gehörten sie zu dem Longobardenreiche, und kamen mit diesem, als Carl der Große den Longobardischen König Desiderius bezwungen hatte, unter Fränkische Herrschaft. In den folgenden Zeiten, nach dem Verfalle des Reichs Carls des Großen, setzte Genua sich in Freiheit, und theilte bis ins eilfte Jahrhundert das Schicksal der Lombardischen Städte. Die Lage der Stadt begünstigte das frühe Gedeihen des Handels, und früher noch als Venedig, trieb sie Levantehandel. Erwerbungen auf dem festen Lande gaben schon im Anfange des 12ten Jahrhunderts Anlaß zu blutigen Kriegen mit den gewerbefleißigen und handelslustigen Bewohnern von Pisa, welche ihre Gränznachbarn wurden, sobald Genua des Golfo de la Spezzia sich bemächtigt hatte. Im Jahre 1174 besaß die mächtige Stadt schon Montferrat, Monaco, Nizza, Marseille und fast die ganze Küste der Provence. Der Kampf mit den Pisanern dauerte über 200 Jahre, und es ward nicht eher Friede geschlossen, bis die Genueser die Insel Elba erobert und den Hafen von Pisa zerstört hatten. Nicht minder heftig wurden die Fehden gegen Venedig geführt, die erst im Jahre 1382 durch einen Frieden geendigt wurden. So wie die Herrschaft über den westlichen Theil des Mittelländischen Meeres der Gegenstand des Kampfes mit Pisa war, so ward in dem Kriege gegen Venedig um den Besitz des östlichen Theils, nach welchem beide Freistaaten strebten, gekämpft. Die Genueser schlossen Handelsbündnisse mit den Morgenländern, um bei dem Einkaufe der reichen Landeserzeugnisse sich Begünstigungen zu verschaffen. Am höchsten stieg ihre Handelsmacht zur Zeit der Erneuerung des Griechisch-Byzantinischen Reichs nach der Mitte des 13ten Jahrhunderts. Schon lange hatte die Unthätigkeit der reichen Bewohner von Constantinopel, die zu träge waren, sich ihrer eigenen Schiffe zur Verführung der Morgenländischen Waaren in die übrigen Länder Europa's zu bedienen, den Genuesern großen Antheil an dem Handel der Griechischen Staaten verschafft; ganz Constantinopel stand unter dem Druck der kühnen Kaufleute aus Genua. Um sich aber einen unmittelbaren Antheil an dem gewinnvollen Ostindischen Handel zu verschaffen, bemächtigten die Genueser sich der Stadt Kaffa (jetzt Feodosia) auf der Krimischen Halbinsel, gaben dem Hafen von Kaffa eine bessere Einrichtung, verstärkten und vermehrten die Befestigungen, und verschönerten die Stadt mit vielen Gebäuden, von welchen noch jetzt die Trümmer sichtbar sind. Kassa ward einer der schönsten und reichsten Handelsplätze in Europa. So lange die Genueser die Stadt besaßen, hatten sie auch die Herrschaft über das schwarze Meer, und erhielten auf dem Handelswege, der sich über das Kaspische Meer zog, die köstlichen Waaren Indiens. Man kann wohl behaupten, hätte Genua ein weises Colonialsystem eingeführt, und seine nahen und fernen Niederlassungen zu einem Ganzen zu verbinden und fest an den Mutterstaat zu knüpfen gewußt, so würde es vielleicht schon im 14ten Jahrhundert die Rolle als Handelsmacht gespielt haben, die späterhin Holland zufiel. Als Constantinopel von dem großen Muhammed II. bezwungen war, empfingen die Genueser bald ihre Strafe für den unklugen Beistand, welchen sie den Türken geleistet hatten. Muhammed nahm ihnen (1475) ihre Niederlassung am schwarzen Meere. Sie trieben zwar, auch nach dem Verluste der Herrschaft über dieses Meer, noch geraume Zeit als Kaufleute einen gewinnreichen Handel mit den Anwohnern desselben, aber endlich wurde ihnen von den Türken der Zugang zu diesem Handelswege so strenge verschlossen, daß sie sich auf dem schwarzen Meere nicht mehr sehen lassen durften. Selbst die Handelsverbindungen, welche die Krimischen Tataren noch eine Zeitlang durch ihre eigenen Schiffe mit Genua unterhielten, ward bald von der eifersüchtigen Besorgniß der Türken für immer aufgehoben. -- Während Genua's äußere Macht und Handelsdrang durch Ländererwerbungen und regsamen Gewerbfleiß sich so hoch erhoben, ward das Innere des Staats von Unruhen und Parteiungen gestört. Demokraten und Aristokraten, und unter den Aristokraten selbst verschiedene Parteien, unterhielten fortdauernd unruhige Bewegungen. Im J. 1339 ward ein lebenslänglicher höchster Staatsbeamter, der Doge, von dem Volke erwählt. Aber er hatte nicht Macht genug, der Parteiwuth zu steuern. Es wurden ihm endlich Räthe zur Seite gesetzt, und doch ward bei allen Versuchen, eine feste Staatsordnung einzuführen, kein Friede im Innern, ja man unterwarf sich sogar, um aus der unglücklichen Anarchie, die der stete Parteikampf herbeiführte, sich zu retten, einige Male fremder Herrschaft. Mitten unter diesen Unruhen ward (im J. 1407) die Georgsbank (compera di S. Georgio) gestiftet, welche ihre Entstehung den Anleihen, die der Staat zu seinen Bedürfnissen von reichen Bürgern machte, zu danken hatte, und von den abwechselnd herrschenden Parteien gewissenhaft aufrecht erhalten wurde. Im J. 1528 erhielt endlich der gährende Staat Ruhe und eine bleibende Ordnung, welche bis zu Ende des 18ten Jahrhunderts fortdauerte. Die Regierungsform war streng aristokratisch. Das Oberhaupt des Staats war der gewählte Doge. Er mußte 50 Jahre alt seyn, wohnte im Palaste der Republik (palazzo della signoria), wo auch der Senat sich versammelte. Der Doge hatte den Vortrag im Senate, der sich in demselben Palaste versammelte. Ohne seine Einwilligung konnte kein Rathschluß gefaßt werden, und die Staatsverordnungen wurden in seinem Namen gegeben. Er blieb nicht länger als zwei Jahre im Amte, dann ward er wieder Senator und Procurator, und nach 5 Jahren konnte er wieder zum Doge erwählt werden. Ihm zur Seite standen zwölf Governatori und acht Procuratori, nicht gerechnet diejenigen, welche Dogen gewesen waren. Jede dieser Würden hatte eine Dauer von 2 Jahren. Von den Governatori wohnten drei, von den Procuratori zwei mit dem Doge im Palaste der Republik, so daß sie von drei zu drei Monaten durch andere Amtsgenossen abgelöset wurden. Sie bildeten den geheimen Rath, der mit dem Doge alle Staatssachen besorgte. Die Procuratori waren die Aufseher des öffentlichen Schatzes und der Staatseinkünfte. Die souveraine Gewalt stand erstens bei dem aus 300 Gliedern bestehenden großen Rathe, zu welchem alle Genuesische Edelleute, die 22 Jahre alt waren, gehörten; zweitens bei dem kleinen Rathe von 100 Gliedern. Beide hatten das Recht, mit den Governatori und Procuratori über Gesetze, Zölle, Auflagen und Steuern zu berathschlagen, und in diesen Fällen ward durch Stimmenmehrheit entschieden. Ueber Krieg, Frieden und Bündnisse ward im kleinen Rathe verhandelt, und wenigstens 4 Fünftheile der Glieder mußten einstimmig seyn, wenn ein Schluß abgesagt werden sollte. Der Adel ward in den alten und neuen abgetheilt. Zu dem alten gehörten, außer den Geschlechtern Grimaldi, Fieschi, Doria, Spinola, noch 24 andere, die an Alter, Reichthum und Ansehen jenen am nächsten standen; zu dem neuen Adel aber 437 Geschlechter. Der Doge konnte aus dem alten wie aus dem neuen Adel genommen werden. Im J. 1797 ward die alte Staatsordnung zerrüttet. Die Franzosen hatten sich die benachbarten Länder unterworfen. Die Parteilosigkeit, welche die Republik strenge beobachtet hatte, konnte das schwankende Staatsgebäude nicht vor dem Untergange schützen. Der französische Oberfeldherr (Bonaparte), der glückliche Eroberer Italiens, gab ihr eine neue Verfassung, welche auf die Grundsätze des französischen Repräsentativssystems gebaut war. Zwei Jahre später fiel ein Theil des Genuesischen Gebietes wieder in die Gewalt der Oestreicher, aber der Sieg von Marengo entschied auch Genua's Schicksal. Es ward anfangs eine provisorische Regierung eingeführt, bis endlich im J. 1802 eine neue Verfassung für die Ligurische Republik gegründet wurde. Die höchste Regierungsgewalt erhielt ein Doge. Ihm standen zur Seite 29 Senatoren und als Volksrepräsentation eine Consulta von 72 Mitgliedern, welche sich jährlich versammelte, Staatsrechnungen untersuchte, und die Gesetze genehmigte, welche ihr von dem Senate vorgelegt wurden. Die Mitglieder der Consulta wurden von 3 Collegien, nämlich von 300 Gutsbesitzern, 200 Kaufleute und 100 Gelehrten gewählt. Die Republik ward zugleich durch Länderzuwachs vergrößert, und hatte (1804) auf einem Flächenraume von 97 Quadratmeilen eine Volksmenge von mehr als 600,000 Bewohnern. Ihre Seemacht, im Mittelalter so furchtbar, bestand nur noch aus 4 bis 6 Galeeren und einigen bewaffneten Barken; ihre Landmacht aus 2 Deutschen Garderegimentern für das Oberhaupt der Regierung, 3000 Mann Nationaltruppen und 2000 Mann Landmiliz. Im J. 1805 fand es Napoleon für zuträglich, die Ligurische Republik mit seinem Kaiserreiche zu vereinigen. Auf seine Veranstaltung erschien der Doge, an der Spitze einer Deputation, vor dem kaiserlichen Throne zu Mailand, und forderte die Einverleibung, die denn auch sogleich vollzogen wurde. Das Gebiet der Republik ward, mit Einschluß einiger Parcellen von Piemont und Parma, in 3 Departements, Montenotte, Genua und der Apenninen eingetheilt. Am 19. Apr. 1814 nahm der Generallieutenant Macferlane, Oberbefehlshaber der combinirten englischen und sicilianischen Truppen in dem dortigen Küstenlande, in Gemäßheit einer mit dem Divisionsgeneral Fresia geschlossenen Capitulation, von Genua Besitz; damit nahm die französische Herrschaft ein Ende, und der General Lord Bintink, erklärte in einer Proclamation vom 26. Apr. daß der Staat seine Selbstständigkeit und die Constitution von 1797 wieder erhalten sollte; und setzte eine provisorische Regierung ein. Während man sich in Genua der Freude über die wiederkommende alte Ordnung der Dinge überließ, erscholl das Gerüchte, daß nach Entscheidungen des Wiener Congresses, der gesammte Staat, unter dem Titel eines Herzogthums, an den König von Sardinien fallen sollte, und am 27. Dec. 1814 machte der englische General Dalrymble bekannt, daß er beauftragt sey, denselben an die Behörden des neuen Regenten zu übergeben. Die Zusicherung verschiedener nicht sehr bedeutender Privilegien, die der König in dem Patent vom 7. Jan. gab, trug nicht dazu bei den Schmerz der getäuschten Hoffnung in den Genuesern zu mildern. Indeß empfing der königl. bevollmächtigte Commissair am 10. und 11. Jan. 1815 von den öffentlichen Beamten und dem Militär den Eid der Treue. Die Handelsschifffahrt war zu der Zeit, wo die Republik dem Französischen Reich einverleibt wurde, zwar nur ein Schatten von dem, was sie einst gewesen, aber immer noch wichtig, obgleich die Genueser nicht weiter gingen, als nach Italien, nach Frankreichs südlichen Küsten, nach Spanien und Portugal. Es waren 40 größere und viele kleinere Fahrzeuge mit diesem Handel beschäftigt. Die Genueser versahen vor dem Seekriege einen großen Theil Italiens mit Ostindischen Gewürzen, welche ihnen von den Holländern gebracht wurden, so wie mit Zucker und Kaffee, die theils von Lissabon, theils von Marseille kamen, und mit Fischwaaren und Salze. Schiffe aus Hamburg brachten Sächsische Leinwand und Tücher, die größtentheils nach Spanien und Amerika verführt wurden. Der Speditionshandel war daher bedeutend, die wichtigsten Zweige des Handels aber waren der Handel mit baarem Gelde und das Wechselgeschäft. Mehrere Staaten Europa's, besonders aber Spanien, waren Schuldner der Bank zu Genua und einzelner reichen Staatsbürger. Die Bank war zum Theil eine Leihbank, zum Theil eine Depositen- und Staatsbank. Sie besaß ansehnliche liegende Gründe und über 10 Millionen Französische Livres Einkünfte. Die Verwaltung derselben wurde von 8 Protectoren besorgt, und die Bank hatte eigne Richtergewalt über die zu ihr gehörigen Beamten. Je häufiger aber der Staat bei dringenden Bedürfnissen seine Zuflucht zu der Bank nahm, desto mehr verlor sie allmählig an Ansehen und Vertrauen. Die Republik hatte, um die Zinsen für die aus der Bank genommenen Kapitalien zu bezahlen, verschiedene Abgaben und Auflagen angewiesen, die immer erhöht wurden, wenn sie zur Bezahlung der Zinsen nicht hinreichend waren. Bei der Vereinigung der Republik mit dem Französischen Reiche ward die Bank ganz aufgehoben, und die Renten von 3,400,000 Genuesische Lire, welche sie ihren Gläubigern zu zahlen hatte, wurden auf das Schuldenbuch von Frankreich übertragen.
Quellen.[]
- ↑ Conversations-Lexicon oder encyclopädisches Handwörterbuch für gebildete Stände. Stuttgart bei A. F. Macklot. 1816.