Von Bastille bis Waterloo. Wiki
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Rheims.[]

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Rheims, eine der ältesten Städte Frankreichs, am Flusse Vesle in Champagne, und zwar im jetzigen Marne-Departement, enthält mit den Vorstädten über 4000 Häuser und 30,000 Einwohner. Sie war vor der Revolution der Sitz eines Erzbischofs, welcher erster Herzog und Pair von Frankreich war, und das Recht hatte, die Könige in seiner prächtigen Kathedralkirche, vor dem ehemals mit Goldblech überzogenen Hochaltare zu salben und zu krönen. Es befindet sich hier ein Lyceum, welches anstatt der durch die Revolution untergegangenen Universität errichtet ist. Mit Weinen und hier verfertigten Seiden- und Wollenwaaren, Leder, Lichtern, Hüten xc. wird bedeutender Handel getrieben. Der in dem Arrondissement von Rheims wachsende champagner Wein ist der vorzüglichste.


Église cathédrale de Rheims.

Von Reisende.[]

Ludwig Rhesa.[]

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[1813]

Laon, den 12. März. 1814.

Da die Armee sich rechts gewandt hatte, so konnten wir die Straße nach Epernay nicht einschlagen, sondern mußten nach Reims fahren, welches 9 Lieues von Chalons entfernt ist. Unermeßliche ebene Gefilde breiten sich meilenweit ohne Unterbrechung von Wald und Gebüsch nach allen Seiten aus; daher diese Gegend, eben so wie jene um Leipzig stets zum entscheidenden Schlachtfelde gedient hat. Zwei Stunden von Chalons, rechts von der Straße nach Reims soll das berühmte Treffen zwischen Attila und den Römern vorgefallen seyn. Wenn es wahr ist, was Gregor von Tours erzählt, so blieben 200,000 Hunnen auf dem Platze, und Merowich, nach dessen Namen sich die erste französische Königslinie nennet, focht an der Seite des tapfern Aetius, um die Reste der abendländischen Cultur, vor der Barbaren Ueberschwemmung zu retten. Ein Schauer der Ehrfurcht überfällt mich jedesmal, wenn ich ein berühmtes Schlachtfeld betrete. Hier standen die Völker vor den Schranken des Weltgerichts; hier entschied das stumme Schwert in dem letzten Erkenntniß, während der unschuldige Bewohner die Kosten des großen Prozesses mit Thränen bezahlen mußte. Aber Huldigung dem Glauben an die vergeltende Nemesis, die über den Schwerter-Spitzen schwebte und dem Urtheil die vollgültige Rechtskraft ertheilte!

Reims, die alte Hauptstadt der Champagne und des alten Frankreichs, sieht man schon mehrere Stunden vorher mit ihren Thürmen prangen; aber wenn man den Weg fast zurückgelegt hat, so ist sie auf einmal verschwunden, und man erblickt die Stadt nicht eher wieder, als bis man auf die Anhöhe kommt, welche dieselbe in einem Halbkreise umgiebt. Daher das Sprichwort entstanden ist: "das verlorene Reims" (la Reims perdue.) Hier ist das Prachtwerk von altgothischer Baukunst, vielleicht das einzige der Art in Europa, die große Cathedralkirche zu sehen, in welcher die Könige gesalbet werden. Das Hauptportal ist mit Figuren des Alten Testaments reich verzieret; das Aeußere und Innere dieses Gebäudes trägt einen solchen Charakter von Größe und Erhabenheit, daß es mit Recht die Königinn der Kirchen genannt werden kann. Kolossale Säulen tragen die majestätische Decke; reiche Teppiche mit biblischen Geschichten, hängen an den Wänden und Marmor ist der Boden, auf den der Fuß der Könige wie der Bettler tritt.

Dies herrliche Denkmal von 300 Fuß Länge und 70 Fuß Breite, mit vier Thürmen und einer Kuppel versehen, ward im Jahre 1212, von Robert Coucy erbauet. Zu der Gallier Zeit soll an dieser Stelle der Tempel der Venus gestanden haben. Der Bischof Nicasius schuf ihn 438 in eine christliche Kirche um, Hincmar verbesserte sie 846, aber 1182 wurde sie ein Raub der Flammen; worauf, nach einer dreißigjährigen Arbeit dieses Prachtwerk zu Stande kam. Nicht in dieser Kathedrale wurde Chlodowich von Remigius getauft, sondern in der Kirche St. Nicolai, bei welcher Gelegenheit sich auch das Wunder mit der Oelflasche zugetragen haben soll. Dem heiligen Remigius zu Ehren ward im eilften Jahrhundert eine andre, gleichfalls prachtvolle Kirche erbauet, in welcher die Gebeine vieler Könige, Fürsten und Bischöfe liegen. Besonders zeichnet sich das Grabmal des heiligen Remigius aus, welches eine Rotunde, mit acht Säulen und vielen bischöflichen Statüen umgeben, vorstellt. Itzt war die eine Hälfte dieser Kirche von der französischen Behörde zum Krankenhospital gemacht. Die Stadt hat einen großen Umfang, und gegen 40,000 Einwohner. "Das weite Reims faßt nicht die Zahl der Gäste, die freudig strömen zu dem Völkerfeste," sagt Schiller in der Jungfrau von Orleans. Welcher Deutsche erinnert sich nicht, wenn er diese Stadt betritt, an die herrlichen Scenen aus jenem Drama, welches die Heldin Johanna eher verewigen wird, als Voltaires zweideutige Pucelle! Die Namen der Stadt-Thore erinnern an die Römerzeiten; so hat man ein Thor der Ceres, des Mars, Bacchus und ein Sonnenthor. Auch zeigt man noch Reste von dem Triumphbogen des Julius Cäsar. Von der herrlichen Nicasius-Kirche sind noch ehrwürdige Trümmer vorhanden; in deren Nähe man aus dem Schutt viel römische Denkmäler ausgräbt. An der Westseite, wo die Vesle vorbeifließt, verschönern zahlreiche Gärten die Stadt; an der Nordostseite ist ein romantischer Linden-Park gepflanzt, in dessen Schatten sich die Spazierenden erquicken. Auch gewährt der mit Bäumen gezierte Wall um die Stadt den Einwohnern einen sehr anmuthigen Lustgang. Ich traf in Reims viele deutsche Kaufleute an, die sich des Weinhandels wegen theils ansässig gemacht haben, theils sich einige Jahre hier aufhalten, um Bekanntschaften zu machen und die französische Sprache zu erlernen. Wein und Steinkohlen sind die zwei Hauptgegenstände des Handels, und die Quelle alles Reichthums für den hiesigen Handelsstand. Auch werden viele Baumwollenwaaren verfertigt, daher verschiedene Spinnmaschinen zu sehen sind. Eine auffallende Erscheinung war für mich die Menge der Bettler, die hier in allen Straßen wimmeln. Die Kirche wird von ihnen wie von einer Wache umringt. Auf keinem einzigen Gesichte las ich die Demuth des Evangeliums; auf allen waren Verstellung und Unverschämtheit, als Hauptzüge eingegraben. Uebrigens fanden wir wenig Truppen in der Stadt, denn der General Winzingerode war Tages zuvor mit seinem Corps Russen gegen Fismer aufgebrochen, weil die Franzosen Miene machten, auf der Straße zwischen Soissons und Reims unsre Linie zu durchbrechen.


Quellen.[]

  1. Conversations-Lexicon oder encyclopädisches Handwörterbuch für gebildete Stände. Stuttgart bei A. F. Macklot. 1816.
  2. Nachrichten und Bemerkungen aus den Feldzügen des Jahres 1813 und 1814, aus dem Tagebuche eines Feldgeistlichen in dem Preußischen Heere. Nebst einer Beschreibung der Schlachten, von welchen der Verfasser Augenzeuge war. Berlin, 1814. Bei Friedrich Maurer, an der Spittelbrücke No. 17.
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