Von Bastille bis Waterloo. Wiki
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Rede des Reichsstandes Friedrich Ludwig von Berlepsch.[]

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in der zweiten Sitzung der Versammlung der Reichsstände des Königreichs Westphalen den 4ten Julius 1808, bei der Berathschlagung derselben über die Sr. Majestät dem König von Westphalen zu überreichende Dankadresse gehalten.

Hochzuehrender Herr Präsident!

Als die Schöpfer einer neuen politischen und bürgerlichen Welt seine ewig denkwürdige, der Geschichte des Universiums angehörende Laufbahn begann, sprach Er, dessen Voraussehungen immer in Erfüllung gegangen sind, die merkwürdigen Worte aus: Nous sommes à l'ère des gouvernements représentatifs.

Eine wahre National-Repräsentation wird in Zukunft statt finden. Sie wird das ganze Volk -- nicht einige Mitglieder desselben -- vorstellen. Sie wird durch die von allen Staatsbürgern gewählten Deputirten zur Gesetzgebung in allen Theilen der Staatsverwaltung mitwürken. Den Forderungen des allgemeinen Staatsrechts, welche so alt sind, wie die civilisirte Welt ist, wird Genüge geschehen. Allgemeine Gerechtigkeit, nicht blos die peinliche und bürgerliche Rechtspflege, wird gehandhabt werden. Gemeinheit, nicht der Rechte, sondern des Rechts -- der schönste Gedanke, dessen Menschen fähig sind, und wodurch der Mensch seinen Nebenmenschen in sich achtet und ehrt -- wird die Grundlage des neuen politischen Gebäudes ausmachen. Alle Staatsbürger werden folglich vor dem Gesetze vollkommen gleich seyn. Gemeinheit des Rechts, woraus für Alle nur Eine Hoffnung, eine Furcht entstehet, wird die heilige Flamme des Patriotismus auf dem Altare des Vaterlandes anzünden. Und was ist diese Nationaltugend, wenn man sie heller beleuchtet, anders, als die lebendige Vorstellung der Ausübung einer allgemeinen Gerechtigkeit? Dasjenige, was der Lenker der Schicksale der civilisirten Welt, der große Napoleon -- dessen Tage bis zu dem äußersten Ziel des menschlichen Alters verlängert werden mögen -- vorhergesagt hat, tritt heute in einem Theile von Deutschland, in dem jugendlichen Königreiche Westphalen, der That nach, ein.

Wir, meine hochzuehrende Herren, sind unter dem mächtigen Schutze unserer wohlthätigen Constitution und unsers erhabenen Staatsoberhaupts, durch eine frei Wahl aller Westphalen, zu ihren National-Repräsentanten ernannt, von unserm Souverän zusammen berufen und versammelt, um uns, mit Sr. Maj. unserm verehrten Könige, über die wichtigsten Angelegenheiten des Westphälischen Volks zu berathen. Wir sind aufgefordert, Gegenstände in Erwägung zu ziehen, die seine Weisheit und allgemeinen Gerechtigkeit vorbereitet hat, und die das dauerhafte Glück aller seiner Unterthanen begründen sollen. Welch hoher, welch ehrenvoller, welch wichtiger Beruf! Allein -- wer unter uns kann es sich verhehlen -- welch schwere Aufgabe! schwer an sich: doppelt schwer unter den gegenwärtigen Zeitumständen, in welchen die neue Welt mit der veralteten noch immer im Streite begriffen ist -- in einem Kampfe, wo entgegengesetzt Elemente sich zu vernichten drohen.

Deutschland -- dieses in so vielen Rücksichten merkwürdige Land -- hat die Augen auf uns gerichtet.

Das Königreich Westphalen ist dazu bestimmt, ein Muster für die mehrsten Deutschen Staaten zu werden. Viel -- sehr viel ist, während der kurzen Zeit der Regierung unsers weisen, gerechten und humanen Königs, zur Errichtung jenes Zwecks und zum Glück des Westphälischen Volks, geschehen. Lassen Sie uns dasjenige, was zum Wohl des ganzen Staats bisher eingetreten, in eine gedrängte Uebersicht zusammenfass_n.

Allgemein religiöse und politische Duldung ist eingeführt Die politisch-bürgerliche Scheidewand, welche die ältesten Bekenner eines einzigen unsichtbaren höchsten Wesens von andern Glaubensgenossen schied, ist hinweggerissen Ein großer Theil der Deutschen ist in eine politische Einheit verschmolzen. Aus Einheit entsteht aber Kraft und Stärke. In Westphalen kennt man nicht mehr Magdeburger, Altmärker, Halberstädter, Braunschweiger, Göttinger Eichsfelder, Hildesheimer, Paderborner, Ravensberger, Osnabrücker und Hessen, sondern nichts als Westphalen. Sie machen, durch die eingeführte Gleichheit insgesammt nur eine große Familie aus. Die Ursachen ihrer ehemaligen Trennung sind verschwunden. Sie sind dem Gesetze und der Handhabung desselben, durch eine öffentliche Pflege der Gerechtigkeit, völlig gleich unterworfen. Durch die Abschaffung der Leibeigenschaft und der ungemessenen Frohndienste werden Menschen nicht mehr wie Sachen angesehen. Kopf und Kenntnisse -- Amtsgeschicklichkeit und Herz -- Amtstreue geben jedem Westphalen gleichen Anspruch auf alle Ehrenstellen und Staatsämter. Diejenigen Vorrechte, Privilegien, Freiheiten und Berechtigungen, welche die allgemeine Gerechtigkeit vernichteten, sind aufgehoben. Die Zehnten und die gemessenen Dienste sind ablösbar geworden. Der Sachführer der Erde und seiner Bewohner hat den für die Erzielung der Urproducte wichtigen Prozeß gewonnen. -- Alle Westphalen müssen zu den Staatsl_sten, nach den Kräften ihres Vermögens, gleich beitragen. Sie müssen ohne irgend eine Ausnahme, sobald es ihre physischen Kräfte erlauben, die heiligste Pflicht eines jeden Staatsbürgers -- die Vertheidigung des Vaterlandes -- erfüllen. Bei Allen, welche diesem ruhmvollen Berufe folgen, ist, durch die Entfernung der, die Würde des Menschen entehrenden Strafen, das Ehrgefühl -- dieser, allen Menschen angehörende mächtige Sporn zu allem Großen, Edlen und Schönen -- rege gemacht. -- Der besondere Wahn der Menschen, Ungleichheiten in den Familien verewigen zu wollen, ist durch eine weise Aufhebung der Familien Fideicommisse vernichtet.

Aus gleichem Grunde läßt sich die ausdrückliche Aufhebung des mit der Constitutionsacte des Königreichs Westphalen unverträglichen und unserm neuen, nach liberalen Grundsätzen gemodelten bürgerlichen Gesetzbuche zuwiderlaufenden Lehnsnexus erwarten. (Nun folgen umständliche Bemerkungen über das nothwendige Aufhören der Lehns-Verfassung xc.) Alsdann heißt es weiter:

Wenn nun gleich aus diesem politischen Gemälde auf der einen Seite die gegründete Hoffnung einer glücklichen Zukunft hervorgeht, so wird man es sich doch auf der andern nicht verbergen können, daß der Anfang unserer Reichsständischen Laufbahn eben so mühevoll seyn werde, als die Regierung unsers Monarchen unter beschwerlichen Zeitumständen angefangen hat, da der Feind des ganzen festen Landes, und insonderheit Deutschlands, seinen menschenfeindlichen Plan eines ewigen Krieges, welchen der schmutzigste Kaufmannsgeist *) erzeugt hat, mit eiserner Hartnäckigkeit fortsetzt.

*) Die Engländer.

Wir können daher die Nothwendigkeit voraus sehen, daß unsere Nation manches entbehren, sich manchen Genuß versagen, manche Probe von Resignation und Geduld ablegen, und dem Genius der neuen Welt manches Opfer werde bringen müssen. Es werde daher bei uns Gewohnheit, weniger zu verbrauchen, um mehr hervorzubringen.

Wir müssen nun einmal die Probe bestehen, welche das Schicksal uns und dem übrigen festen Lande auferlegt hat. Im Entbehren, in der Frugalität, muß sich unser Gemeinsinn zeigen. So eroberte Nordamerika seine Freiheie und Unabhängigkeit. Aus diesem Gemeingeste werden alle Volkstugenden -- Muth, Beharrlichkei, Ausdauer, treue Anhänglichkeit an Verfassung, König und Vaterland entstehen. Die gegenwärtige Zeit ist der Uebergang von der veralteten Ordnung der Dinge zu einer neuen Welt, die eine glückliche Zukunft verspricht. Entschlüpft uns dieser Gedanke nie, so können wir uns mit dem Weltgeiste vereinigen. Er hat sich durch Cultur langsam entwickelt, und die Zeitumstände haben ihn zur Reife gebracht.

Uns, als den Repräsentanten des Westphälischen Volks, liegt es insbesondere ab: allen Vorurtheilen zu entsagen, und uns den Geist der neuern Zeit anzueignen. –

Wahrhaftigkeit und lebendiges Gefühl für Gerechtigkeit sind den Deutschen vorzüglich eigen. Deutsche sind wir aber und werden es hoffentlich bleiben. Die Sprache der Wahrheit und des Rechts hat noch immer die herrlichsten Wirkungen hervorgebracht. Sie wird daher auch die mächtige Stütze unserer Reichsständischen Arbeit seyn.

Schlagen wir die Jahrbücher der alten und neuern Geschichte auf, so liegt folgende Wahrheit klar vor Augen: Je einheimischer die Tugenden der Wahrhaftigkeit und der Gerechtigkeit bei einem Volke waren, je mehr sich die Verfassungen der allgemeinen Gerechtigkeit näherten, und je gerechter und energischer sich der Regent zeigte, desto mehr nahmen die Nationen einen hohen Rang in der Völkerrepublik ein, und desto glücklicher waren sie in ihren innern Verhältnissen. Wodurch fielen große Monarchien? Sie fielen durch das Verderbniß der Verfassung und durch geschwächte Regenten. Wer veranlaßte jene politische Krankheit und lähmte die Energie dieser? -- Beide Klippen, woran ein jeder Staat scheiterte, und wodurch er stets Schiffsbruch leiden wird, sind in dem Königreiche Westphalen nicht zu befürchten.

Wir besitzen eine, auf allgemeine Gerechtigkeit gegründete Staatsverfassung. -- Unsere Constitutionsacte ist unsere Magna Charta -- und wir verehren einen, aus einer Dynastie entsprossenen Regenten, dem ein durchdringender Verstand und der festeste Wille -- vernünftige Energie -- eigen sind.

Lassen Sie uns beide -- unsere Verfassung und unsern Regenten -- durch Worte und Thaten schätzen und ehren. --Sein menschenfreundliches Herz fühlt tief die große Wahrheit, welche die Helden des vorigen und des gegenwärtigen Jahrhunderts von ihren Thronen öffentlich verkündet haben, nemlich: daß der Regent des Volks, und nicht das Volk des Regenten wegen vorhanden sey.

Möge sich die Westphälische Nation, und mögen wir, ihre Repräsentanten, uns dieser ewigen Wahrheit durch unser Betragen stets würdig bezeigen!


Sitzung der Westphälischen Reichsstände vom 7. Jul. 1808.[]

[2]
Der Minister des Justizwesens und der innern Angelegenheiten, hat folgende Darstellung der Lage des Königreichs verlesen:

Meine Herren Reichsstände! Des Königs Majestät hat mit aufgetragen, Ihnen die Lage des Reichs zu schildern. In diesem Gemälde erkennen Sie die Vortheile der neuen Verfassung; die stäte Sorge des Königs dieselben Ihnen fortdauernd zu sichern, und wie viel Sie thun können, seine väterlichen Gesinnungen zu unterstützen. Neben den glücklichen Früchten, welche in sieben Monaten aufblühen mochten, werden sie zahlreiche Keime derjenigen bemerken, deren Entwickelung die Regierung bereitet, welche die Zeit, und, meine Herren, Ihre Rathschläge zur Reife fördern werden. Die Völker, deren Vertreter Sie sind, so lange sie unter viele Herrschaften getheilt waren, hatten keinen Anspruch auf ruhmvollen Rang unter den Nazionen. Hannover, für seine Sicherheit zu fern von dem Mittelpunkte der Brittischen Macht, war auf dem festen Lande wie ein Unterpfand gegen ungerechte Ansprüche der Englischen Könige. Die Preussischen, meist vor nicht langen Jahren zusammengebrachten Provinzen einer von Friedrich über ihre natürliche Grösse erhobenen Monarchie waren in die Unfälle des Nachfolgers verwickelt. Braunschweig und Hessen, von dem politischen System ihrer Nachbarn fortgerissen, erhielten sich, letzteres durch die Ueberlassung seiner tapfern Krieger in ausländische Dienste, Braunschweig durch die Weisheit und gute Verwaltung des Fürsten; ein vorübergehendes Glück, welches an dem Leben eines Mannes hieng. Die Vereinigung dieser nicht grossen Staaten giebt jedem derselben mehr Reichthum und Kraft. Es fallen die Hemmungen ihres Handels und Wandels. Eine Nazion steht auf, wo Provinzen waren; Gemeingeist erhebt sich, wo lokale und fast persönliche Interessen die Ansicht beschränkten. Jene, dem allgemeinen Glück verderblichen Vorurtheile, in einem engen Kreise einheimisch, verschwinden in einem offenen weitern Raum. Alle Unterthanen sind vor dem Gesetze gleich; von ihm alle Formen der Gottesverehrung beschirmt; nicht nach dem Namen eines Glaubens, nach seinem Benehmen wird jeder geschätzt. Alle Knechtschaft ist aufgehoben. Freye Männer, überall, treiben jeder das Werk seines Fleisses; für sich thun sie es und für ihre Kinder; da theilt kein Heer den errungenen Sparpfenning; treulich aber bringen die Leute rechtmässige Erkenntlichkeit für das einst von ihm erhaltene Gut. Angestammter Namensunterschied bleibt, auf daß die Begünstigten der Thaten und Verdienste gedenken, welche den Vätern Adel gaben, durch die allein der Adel rein und ehrwürdig bleibt. Nicht ist er im Geblüt, nicht wie Gesundheit und Stärke physisch; der Adel ist in der Denkungsart, er ist im Gefühl. Das graue Alter des hohen Stammes erregt, wie die grauen Haare des hochbejahrten Mannes, eine eigenthümliche Ehrfurcht; aber nur bemitleidet wird ein gesunkenes Alter; und sollte der uralter Häuser entartete Zweig eine grössere Verehrung verdienen! Der Adel, welcher seinen Vorzug durch die Eigenschaften behauptet, auf die er sich gründet, vereinigt Rechte der Gegenwart mit jenen der Jahrhunderte, ist Beyspiel und Muster jeder Klasse der Menschen. Anders, als wenn einer Ahnen zählte, unwürdig, in der Gesellschaft selbst mit Auszeichnung gezählt zu werden. Da ist herrlich emporsteigender Adel dem in dunkler Trägheit alternden weit überlegen. Zu Anstellungen, Aemter, Würden, giebt kein Name das Recht; sie sind Lohn und Ermunterung der wirklichen Dienste und auszeichnenden Gaben. Oeffentlicher Lasten darf keiner sich entäussern; alle insgemein vom Staat beschirmten Güter tragen die gemeine Pflicht, seinen Schirm zu erkennen. Der Adel, mit Recht eifersüchtig auf Edelmuth und Uneigennützigkeit, wie möchte er fernere Ansprüche auf Ausnahmen machen, die in jenen unwissenden Zeiten waren? Könnte er dem Vaterlande seinen Theil der Beyhilfe versagen, welche ihm neuere Geschlechter darbieten? Demnach war eine der ersten Sorgen des Königs, die Gütersteuer auf bisher Steuerfreye mit zu verbreiten. (d. F. f.)


Quellen.[]

  1. Politisches Journal nebst Anzeige von gelehrten und andern Sachen. Jahrgang 1808.
  2. Wiener-Zeitung Nro 61. Sonnabend, den 30. July 1808.
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