Von Bastille bis Waterloo. Wiki
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Rawa.[]


Die Hauptstadt Rawa,[1] liegt am Fluß Rawa, besteht aus hölzernen Häusern, hat ein altes Schloß, ein Kollegiatstift, 1,636 Einwohner, und ist nun der Sitz einer Kreis-Justizkommission und eines landräthlichen Kreises, in Südpreussen, Departement Warschau, steuerräthl. Kreis Lowicz; jezt zum Herzogthum Warschau gehörig.


Von Reisende.[]

Friedrich Schulz. [2]

[1793]

Weg und Gegend bleiben sich gleich bis Chrzczonowies, (2½ M.) einem einzeln stehenden Kruge, worin zugleich die Posthalterey ist. Von da an wird der Weg durchgehends waldigt und zeigt keine andere Abwechslung, als jene Thäler, worin man jedesmal, der Länge nach, ein mehr oder weniger beträchtliches Dorf antrifft. Rawa selbst, wo die nächste Post ist, (2½ M.) findet man in solch einem Thale gelagert. Diese Stadt zeigt sich aus der Ferne alt und räuchrig, und wenn man hineinkömmt, ist sie es auch in der That. Kurz vor derselben geht die Gränze von Südpreußen an, und in dem Thore daselbst standen schon preußische Soldaten. Am Wachthause wurde ich schon eben so umständlich und regelmäßig, nach Stand, Charakter, (wie man es nennt) und Ort, woher und wohin, befragt, wie in den altbrandenburgischen Städten. Ein sonderbares Gefühl von wiedererlangter Sicherheit und Ordnung lebte in mir auf und möchte wohl in einem ähnlichen Falle Jedem natürlich seyn, der Polen und seine chaotische Verfassung kennt. Auch eine preußische Post fand ich schon hier niedergesetzt, die aber vor der Hand nur noch die Briefe besorgte; der Posthalter selbst war noch ein Pole; er gab die Pferde, und das Geld dafür nahm die preußische Verwaltung. Diese ließ sich auch schon die Arbeit eines Wagenmeisters zu meinem Fortkommen bezahlen, ungeachtet ich von keinem Wagenmeister etwas gesehen hatte, ungefähr so, wie ich hier und da im deutschen Reiche schon Weggeld für Wege habe bezahlen müssen, die -- nicht da waren.

Daß übrige die hier angesetzten neuen preußischen Postbedienten nur, im eigentlichen Verstande, zwey Wort Polnisch konnten, wunderte mich so sehr nicht, wenn ich bedachte, daß bey schnellen Besetzungen solcher Art nicht erst lange untersucht werden kann, ob die Leute, die man für diese Stellen braucht, auch wirklich mehr als zwey Worte von der Sprache des neuen Landes verstehen, besonders wenn ihre Vorgesetzten selbst von dieser Sprache nichts wissen. Ein Beweis, daß selbst in Staaten, die so regelmäßig eingerichtet sind. wie der Preußische, unmöglich Alles übersehen werden kann.

Der Briefträger wußte noch das meiste Polnische unter den hiesigen Postbedienten. Da ich die bevorstehende Nacht in Rawa bleiben wollte, so mußte ich der Frau des Postmeisters, der nicht zu Hause war, dieß verständlich machen und zugleich, daß ich ein Abendessen zu haben wünschte. Gebärden und Mienen reichten nicht zu. Man holte also einen Dolmetscher, und dieß war besagter Briefbote. Ich trug ihm deutsch mein Anliegen und meine Bedürfnisse vor; er sagte es der Wirthin polnisch wieder; aber sie lachte und schüttelte den Kopf. Ich fragte den Dragoman um die Ursache dieser Erscheinung. "Ja, ich weiß nicht," sagte er: "was das ist." -- Nun, erwiederte ich: Sie sprechen doch polnisch mit ihr? -- "Ja," sagte er: "ich spreche freylich polnisch, aber sie versteht mein Polnisch nicht, und des Herrn Deutsch hab' ich nicht recht verstanden." -- Nach dieser naiven Erklärung von seiner Seite blieb mir nichts weiter übrig, als ihn um die Gefälligkeit zu bitten, daß er mir einen Juden verschaffen möchte. Erst dieser riß mich, als er kam, aus der Verlegenheit, und ich erhielt, was ich begehrte.

Von Rawa weiß ich übrigens in der That nicht mehr zu sagen, als was davon zu sagen ist und ich schon gesagt habe. Es ist ein Ort von lithauischem Schlage, mit hölzernen Häusern. krummen Gassen und viel Schmutz auf diesen Gassen. Aber folgenden Zug wird man, wenn ich nicht irre, echt polnisch finden. Die Stadt hat drey Kirchen, die alle den Einsturz drohen, obgleich die eine -- noch nicht fertig ist. Die beyden erstern, die ganz verfallen waren, gaben die Veranlassung zur Erbauung der dritten. Diese Dritte ward bis auf das Dach vollendet. Das Baugerüst steht noch um sie her, aber es fault; man gab der Kirche ein Nothdach, und es fault. Solchergestalt versammeln sich die christlichen Gemeinen, zwischen bretternen Verschlägen, in den beyden alten und in der neuen Kirche, die gefährlicher zu betreten ist, als die beyden alten.

Daß aber in Rawa, trotz verfallenen Kirchgebäuden, die christliche Kirche selbst in voller Kraft noch blühe, zeigt die Geschichte der unglücklichen verrückten Frau, die, wenn ich nicht irre, in einem Anfalle von Wahnsinn, eine Hostie zertrat, und dafür, mit ihrer ganzen Familie, zum Verbrennen verurtheilt wurde. Diese Begebenheit trug sich fast um eben die Zeit zu, wo die neue Konstitution bey dem letzten Reichstage durchgesetzt wurde. Da die Vollstreckung jenes eifrigen Urtheils sehr schlecht zu den Grundsätzen jener Verfassung gepaßt haben würde, so legte sich der König ins Mittel, und die Frau ward von einem schrecklichen Tode gerettet.

Von Rawa aus bis Lubochin (3½ M.) führt der Weg anhaltend durch Wald und Gewährt nicht die mindeste Abwechslung. Viertehalb Meilen werden, durch diese Einförmigkeit, länger und langweiliger als sonst ihrer sechs. Lubochin ist ein Dorf, das, in einem ähnlichen Thale, wie Rawa, nicht ganz unangenehm liegt.


Quellen.[]

  1. Geographisch- Historisch- Statistisches Zeitungs-Lexikon von Wolfgang Jäger, Professor der Geschichte zu Landshut. Landshut, bei Philipp Krüll, Universitätsbuchhändler. 1811.
  2. Reise eines Liefländers von Riga nach Warschau, durch Südpreußen, über Breslau, Dresden, Karlsbad, Bayreuth, Nürnberg, Regensburg, München, Salzburg, Linz, Wien und Klagenfurt, nach Botzen in Tyrol. Berlin, 1795. bei Friedrich Vieweg dem ältern.
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