Von Reisende.[]
P. J. Rehfues.
Puerta del Sol.[]
So heißt einer der kleinsten und unregelmäßigsten Plätze von Madrid. Dafür ist er aber der berühmteste, und das mag ihn wohl für diese Mängel trösten. Wenigstens wurde das bei den meisten Menschen ausreichen.
Warum man ihn Sonnenthor genannt hat, weiß ich nicht. Vielleicht weil er den Strahlen der Sonne den größten Theil des Tags über ausgesetzt ist. Das scheint aber sehr unwahrscheinlich, wenn man ihn beinah von Morgends bis Abends, selbst mitten im Sommer, von einer Menge Müßiggänger bedeckt sieht, die, um ja recht warm zu haben, in dicke Mäntel gehüllt sind.
Wo viele Müßiggänger sind, da gibt es auch viele Intriguen, und man kann vielleicht behaupten, daß die meisten, welche in Madrid angesponnen werden, einige ihrer Szenen auf diesem Platze spielen müssen. Denn um ja immer gehörig à jour zu seyn, ermangelt ein Frauenzimmer nicht leicht, täglich wenigstens einmal hier vorüber zu gehn.
Dieß ist meist der Fall, wenn sie zur Messe geht. Sucht sie Jemand, der ihr gefalle, und dem sie gefällt, so findet sie ihn ohne Zweifel hier. Entweder ist sie auf dem Wege zur Messe, oder sie kommt von daher zurück, und begibt sich nach Hause. In beiden Fällen wird sie von dem Glücklichen verfolgt. In dem erstern hört er seine Messe mit ihr, kniet sich ihr gerade gegenüber, und heftet den Blick unaufhörlich auf sie. Verläßt sie die Kirche, so schleicht er ihr in einiger Entfernung nach. Sie kehrt sich unter ihrer Hausthüre noch nach ihm um. Was will er mehr, als das? Die nächste Nacht hört sie klagende Liebestöne unter dem Fenster. Den folgenden Morgen harrt er auf sie auf dem Sonnenplatz. Wer in Spanien gefallen hat, schmachtet nicht lange. In Kurzem stehen die Sachen so, daß er sie hier nur erwartet, um von ihr ein Zeichen zu erhalten, oder ihr an den Ort nachzufolgen, wo sie sich ohne Zeugen sprechen können.
Nun sind aber freilich nicht Alle, nicht immer so glücklich, eine Grund der Art zu haben, um nach Puerta del Sol zu gehn. Allein für diese ist hier andre Unterhaltung. Entweder sind sie elegante Herrchen, und da ist dieser Ort der glänzendste Schauplatz, sich in einem neuen Anzug sehen zu lassen. Oder sie wissen überhaupt nicht, was sie mit dem lästigen Ding, Zeit genannt, anfangen sollen, und da finden sie doch Andre ihres Gleichen, welche sich in der nemlichen Verlegenheit befinden. Auf jeden Fall hören sie hier die Stadt und Weltneuigkeiten, geben ihre Bemerkungen darüber mit Bescheidenheit oder Anmassung von sich, und sammelten sich neulich immer in großen Haufen hier, um die Zeitung zu lesen, weil es ihnen einmal eingefallen war, daß ausser Spanien sie doch auch noch andre Länder interessiren könnten.
Von hier aus verbreiteten sich zuerst die vielen falschen Gerüchte und Ansichten, welche Spanien in Flammen gesetzt haben. Hier wurden die Zeitungen und die übertriebenen Nachrichten von den Siegen der Insurgenten verschlungen. Hier wurde das künftige Schicksal des Staats von Müßiggängern bestimmt, zuweilen ein großer Gedanke von einem kleinen Menschen ausgesprochen, und das Wichtigste, was einer Nation geschehen kann, von Leuten eröffnet, die sich politische Ereignisse, wie Liebesgeschichten, vorstellen, und alles geleistet haben, wenn sie sich für jene auf die nemliche Weise interessiren, wie für diese. > > >
Quellen und Literatur[]
- Spanien. Nach eigener Ansicht im Jahr 1808 und nach unbekannten Quellen bis auf die neueste Zeit von P. J. Rehfues, Bibliothekar des Kron-Prinzen von Würtemberg Frankfurt am Main, bei Varrentrapp und Sohn 1813.