Von Bastille bis Waterloo. Wiki

Die Welt wird durch Meinungen regiert.[]

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Ein emigrirter Franzos von reifem Alter erklärte einem Deutschen die tollen, rasenden Grausamkeiten der französischen Volks-Repräsentanten auf folgende Weise:

"Die Revolution verbreitete gleich anfangs freyere Meinungen über Regierungsformen; allein die Meinungen waren getheilt. Diese wollten eine engländische Regierung, jene die Constitution von 1789; diese wollten den Adel beybehalten, jene ihn abschaffen; diese verlangten eine vollkommene Toleranz in Religionssachen, jene drangen darauf, die katholische Religion sollte die herrschende bleiben. Der Streit hob hier erst an. Jede Parthey wußte sich Einfluß zu verschaffen. Man kämpfte gegen einander; anfangs mäßig, dann hitziger. Man fing an zu verfolgen. Die eine Parthey wollte gar nichts nachgeben, und die andere ging, um sie zu zwingen, oder in der Hitze des Streits, noch einen Schritt weiter. Natürlich wurde der Zwiespalt noch grösser, die Meinungen der verschiedenen Partheyen noch unterschiedener, die Behauptungen von beyden Seiten kühner, der Haß gegen einander noch giftiger. Aus den gemäßigten Monarchisten wurden den Republikaner, und sie siegten, weil das gedrückte Volk sich der Parthey in die Arme warf, die es am weitsten von der ihm verhaßten Regierungsform wegführte. Die Gegenparthey hielt sich noch, verdrehte die Meinungen ihrer Gegner, schimpfte, vergrößerte ihre Fehler, verkleinerte ihr Gutes, ersann Unwahrheiten, sichte sich Parthey unter dem Volke zu machen, und trieb, wenn sie einen kleinen Sieg erfochten hatte, den Triumph so weit als sie konnte. Die siegende Parthey machte es nicht besser. Der Streit erhitzte sich zur Wuth, zum Haß, zum Raserey. Man wußte oft selbst nicht mehr, warum man stritt; man haßte sich nur. Die Menschlichkeit wurde im Gedränge der tobenden Leidenschaften vergessen. Es floß Blut; aber das Blut erhitzte den Streit, anstatt ihn zu dämpfen. Man schwieg nicht eher, als bis eine Parthey ganz vernichtet war, und sie konnte nicht eher vernichtet seyn, als bis ihre Anhänger ermordet waren. Sie starben fast alle mit dem Muthe der Märtyrer; sie blieben bey ihren Meinungen bis an den letzten Hauch der Brust. Aber nie gaben sie Beweise davon, daß die andere Parthey es mit den auswärtigen Mächten gehalten hätte.

"Die eine Parthey hatte nun gesiegt, und auch so lange enge zusammen gehalten. Aber nun war der Zeitpunkt gekommen, wo sie sich in sich selbst trennte. "Hier wollen wir nun stehen bleiben!" rief die eine Hälfte; die andere hatte in der Hitze des Streits, aus Haß gegen die vorige Parthey, schon Meinungen gefaßt und behauptet, die dem Stehenbleiben entgegen waren. Man zankte sich aufs neue. Die vorigen Scenen; außer, daß nun Alle sich schon mehr an Grausamkeiten gewöhnt hatten, noch die letzten Spuren der Menschlichkeit unterdrückten, der Parthey zum Trotz, die den positiven Gottesdienst beybehalten wollte, gerade das Daseyn Gottes ableugneten und die Vernunft anbeteten, Blut in Strömen vergossen, und so nach und nach in dem wilden Tumulte die rasenden Ungeheuer wurden, weil man ihnen nicht erlauben wollte, mindere Ungeheuer zu seyn."


Quellen.[]

  1. Erste Linien zu einer Geschichte der europäischen Staatenumwandlung am Schluß des achtzehnten und zu Anfang des neunzehnten Jahrhunderts. 1807.