Der Justizpallast.[]
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Nur wenige Oerter der an Pallästen so reichen Stadt Paris, bieten dem Beobachter ein so manchfaltiges Interesse dar, als der Justizpallast. Vertieft er sich mit seinen Gedanken gerne in die entlegenen Zeiten der Vorwelt, verweilt seine Phantasie gerne am bunter Gedränge von Begebenheiten, berühmten Männern, Zeitaltern, welches sie mit ihrem Zauberstab der Vergangenheit zu entreissen und dem spähenden Blicke zu fesseln weiß, so eile er dorthin, und der geweihte Boden, den er betritt, der Luftkreiß, der ihn umweht, wird ihn begeistern. Denn auf dieser größten der Seine-Inseln wohnten die Stammväter der Pariser, als noch ungeheure Wälder das ganze Land bedekten, und der ungebändigte Strom im ungewissen Beete seine Fluthen durch Einöden dem Ozean entgegenwälzte. Hier ordnete der unterjochende Cäsar den Bau der Veste an, die ihm den Gehorsam des eroberten, unruhigen Volkes zusicherte; hier entwarf er den Plan des Feldzugs, der durch die Unterwerfung einer benachbarten Insel seine Herrschaft und seinen Ruhm an die Gränzen der Erde führen sollte. So manche römische Imperatoren verweilten hier, und der kühne Julian von seinen ergebenen Kriegsgefährten hier zum Kaiser ausgerufen, eilte von hier mit Blitzes Schnelligkeit dem Oriente zu, einen Thron und eine Welt sich zu erobern. Von diesem Punkte bildete sich die neue Monarchie aus, denn seit den Einfällen der Normänner flüchteten sich die Könige auf diese Insel, welche auch über fünf Jahrhunderte hindurch von ihnen bewohnt wurde. Hugo Capet, Robert, der heilige Ludwig und Philipp der Schöne erweiterten nach und nach die königliche Burg, deren Garten sich über die ganze westliche Spitze der Insel erstreckte. Erst als im vierzehnten Jahrhundert die Könige diesen Wohnsitz der Väter verliessen, nahm das Parlament die verlaßne Stelle ein, woselbst dann alle wichtigen öffentlichen und Privat-Streitigkeiten bis auf den heutigen Tag entschieden wurden.
Der heutige Justizpallast ist größtentheils ein neues Gebäude, welches an der Stelle des alten königlichen Schlosses steht, und die Hauptzierde der Insel, welche von jeher Isle du palais hieß, bildet. Ludwig der XVI. ließ ihn nach den Planen des Architekten Desmaisons aufführen. Die Anlage und der Styl der Façade sind edel. Ein sehr hoher Stufengang, der schönste in Paris, führt zu den Portalen; der Vorsprung der Mittelfaçade ist mit vier kolossalischen dorischen Säulen geziert, über deren Gebälke oben eine Balustrade, auf welcher die Statuen der Stärke, des Ueberflusses, der Gerechtigkeit und der Klugheit stehen, hinläuft. Der Hof ist durch zwei symmetrisch hervortretende Flügelgebäude gebildet, und durch ein eisernes Gitter geschlossen, dem an Schönheit keines in Paris gleichkömmt. Das Innere des Gebäudes ist sehr weitläufig. Mehrere grosse Hallengänge sind hindurchgezogen. Die Zahl der Säle, Vorsäle, Kammern ist außerordentlich groß. Dieser Pallast enthält eine Welt im Kleinen.
Sechs Gerichtshöfe haben hier ihren Sitz, das Cassations-Tribunal, das Appellations-Gericht und das erste Instanz, sodann die beiden Criminal-Gerichte und das Zuchtpolizei-Tribunal. Da jedes derselben sich in verschiedne Sektionen theilt, welche ihre besondern Säle und Kammern haben, so wird schon dadurch ein grosser Raum eingenommen. Hiezu muß man noch die Menge von Buden, einige Säle, wo Erfrischungen verkauft werden, den ungeheuren gewölbten Saal, la grand' halle, wo sich die Advokaten mit ihren Clienten versammeln, und die anstossenden Gefängnisse zählen, um sich einen vollständigen Begriff von der Weitläufigkeit des Gebäudes zu entwerfen.
Der Anblick des Gewühls der vielfach geschäftigen Menge, der verschiedenartigen Verrichtungen und der ganz entgegengesezten Erscheinungen ist äusserst auffallend und seltsam. Auch hier trifft man die deutlichsten Spuren des Nationalcharakters an. Modehändlerinnen bieten ihre Putzwaaren neben einem Buchhändler feil, der die Vorübergehenden an seine mit juristischen Folianten reichbesezten Schäfte, zu locken sucht. Nahe dabei ist die Eingangsthür eines Criminalgerichts und einer Bude von Nürnberger Spielsachen. Eine Menge Menschen füllen von Morgens bis Abends diese Hallengänge, welche zwei getrennte Strassen mit einander verbinden, und deßwegen sehr bequem sind. Aber die meiste Bewegung herrscht in dem gewölbten Saale, der wegen seines grossen Raumes, er ist über hundert Schritte lang, und fünfzig breit, zum Sammelplatz aller derer, die hier Geschäfte zu vertreiben haben, dienen kann. Hier sieht man die Advokaten und Prokuratoren in ihren gothischen schwarzen Faltenhemden mit ungeheuern Ermeln, geziert mit Ueberschlags-Halsbinden, die auf die Brust herab hängen, mit offenen fliegenden Haaren und einer schwarzen vieleckigen Mütze, von ihren Clienten umgeben, hastig auf- und niederspatzieren. Der eine beweißt ihnen mit lauter Stimme und heftigen Gestikulationen, daß er den Prozeß gewinnen wird, dagegen ein anderer heimlich und lies seinen Begleitern von der Schwäche der Vertheidigungsmittel der Gegenparthie spricht und in jedem Moment behutsam um sich her schaut, damit je niemand etwas von seinem Arkan vernehmen könne. Hier ist ein Streit zwischen mehrern Rechtsverständigen entstanden Er betrift eine Schimpfrede, welche der eine gegen den andern vor den Richtern ausgestossen hat. Die beiden Kämpfer werden hitzig, sie sprechen beide zu gleicher Zeit, und so wie der eine den herabfallenden unbequemen Ermel zur Rechten jeden Augenblick wieder aufstützt, so nimmt der andre mit periodischer Schnelligkeit die Mütze vom Haupt, und sezt sie eben so eilig wieder auf. Unterdessen bildet sich um sie ein Kreis von Laien und Amtsgenossen, und ungezogene Knaben, die hier auch ihren Vereinigungsort haben, belustigen sich, leztern kreidebestrichene Filzteufelchen auf den schwarzen Talar abzudrücken, welche ihnen dann, wenn sie nach Haus gehen, die lärmende Begleitung des alten und jungen Pöbels zuziehen. Aber in jenen Saal mit Fensterthüren treten so viele Amtspersonen ein, sie stehen um einen Tisch herum, gewiß halten sie eine wichtige Berathschlagung, denn sie gestikuliren alle, und scheinen alle gleich lebhaften Antheil an dem zu nehmen, was ihnen der eine, der sich gesezt hat, vorlegt! Was mag es wohl seyn? -- Himmel, welch ein Irrthum! Diese Herren haben sich um eine große Gänzeleber-Pastäte versammelt, und der Sitzende hat die Mühe des Zerlegens und Austheilens übernommen. Das Zimmer ist kein Audienzsaal, keine Kanzleistube, es ist der Saal eines Traiteurs, wie es ja schon die Aufschrift Burette, Dejeûners chauds et froids, anzeigt. Aber diese Aufschrift ist so dicht neben der von einer Tribunats-Behörde, daß es verzeihlich ist, wenn ein Fremder beide Thuren miteinander verwechselt. In diesem ungeheuren Saale werden alle möglichen Geschäfte beendigt, Vergleiche abgeschlossen, Verträge eingegangen, Käufe verabredet. Ist man im Falle, hier auf jemand zu warten, so kann man unterdessen bey einem Zeitungs-Vermiether, deren sich einige im Saale aufhalten, mit Lesung der Neuigkeiten aller Journale sich die Zeit recht gut verkürzen. Ueberhaupt sind alle Winkel dieses Gebäudes benuzt. In den Fenster-Nischen der Gänge haben sich Abschreiber, sogenannte Ecrivains, die jedoch zur Noth auch Bittschriften u. dgl. aufsetzen, kleine Behälter zusammengeklebt, aus welchen sie mit allen Attributen des Hungerleidens spähend und fragend die Vorübergehenden anblicken.
Da alle gerichtlichen Verhandlungen öffentlich sind, so sind die Audienzsäle jedesmal mit einer Menge Zuhörer angefüllt. Diese Erlaubniß wird sehr gemißbraucht, denn der Pöbel benuzt diese Säle des Winters als Arbeitsstuben und Oerter, um auszuruhen. Sie sind auch wirklich sehr bequem hiezu, da sie immer gut eingeheizt werden. Es ist daher ein seltsamer Anblick, wenn man im Audienzsaal des Cassations-Gerichts, des ersten Tribunals des Reichs, Wasserträger, Fischweiber, andre Weiber, die stricken oder Gemüße reinigen, überhaupt den Auswurf des Pöbels antrift. Man kann sich leicht vorstellen, daß eben kein angenehmer Geruch diese Säle erfüllt. Freilich ist das Auditorium, wenn Rechtshändel von allgemeiner Wichtigkeit verhandelt werden, ungleich besser zusammengesezt, weil alsdann der Saal nicht eher eröfnet wird, als bis alle anständige Personen, die durch eine Seitenthüre eingeführt werden, Plätze gefunden haben. Die Richter haben dann sehr oft das Vergnügen, eine Menge schöner Damen, welche in einem halben Kreiß vor ihnen sitzen, die ganze Audienz hindurch im Angesicht zu haben. Mehrere diese Säle sind mit guten Gemälden und Gobelins-Tapeten geschmückt. Wenn die Appellations- und Cassations Richter in großem Kostüme sind, welches aus scharlachrothen Falten-Mänteln mit schwarzen Umschlägen und herabhängenden weissen Halsbinden besteht, so hat der Anblick des versammelten Gerichts wirklich etwas malerisches und Ehrfurcht einflößendes.
In diesem Pallast hatte während der Jakobiner Regierung das fürchterliche Revolutions-Tribunal seinen Sitz. Die Gefängnisse der Conciergerie bilden das eine Flügelgebäude. Jene Tiger hatten so ihre Schlachtopfer in der Nähe, so konnten sie mit höllischem Wohlgefallen auswählen, sich an ihrem Anblick weiden, und ihre Todesstunde willkührlich zum Voraus bezeichnen. Hier verlebten Bailly, Lavoisier, Malesherbes, Condorcet die leztern bittern Stunden ihres Daseyns. Eine Königin wurde hier vor verworfene Bösewichter geschleppt, und mußte ein unverschuldetes Todesurtheil über sich aussprechen hören! -- Doch fort von einer Stätte, wo die lezten Erinnerungen so schröcklich und blutig sind! -- Damals nannte man diesen Pallast auch Justizpallast! Möge die Bedeutung dieses Wortes nie wieder auf eine so fürchterliche Weise umgestürzt und zerstört werden.
- A. . .
Quellen.[]
- ↑ Französische Miscellen Tübingen in der J. G. Cotta'schen Buchhandlung. 1804.