Chronik.[]
- [1792]
Das ehmalige Palais Royal und der ganze Bezirk, welchen bisher das Haus Orleans vom Staat zur Nuzniessung besaß, soll als Eigenthum der Nation an den Meistbietenden verkauft werden.
Von Reisende.[]
Friedrich Johann Lorenz Meyer.[]
- [1796]
Gleichheits-Haus. Maison d'Egalité, vordem Palais-royal.
Mit dem Namen, hat sich für eine Zeitlang ein Theil des Wesens dieses ehemaligen Sammelplatzes des Luxus und des Geschmacks verwandelt. Er ist den grössten Theil des Tages zum Schlupfwinkel der hässlichsten Menschenrace, der Agioteure, Taschendiebe und ihn ähnlicher Gauner geworden.
Der vorige Polizei-Minister Merlin that den Vorschlag, diesen Pallast des Luxus und jedes wollüstigen Genusses, in Kasernen umzuschaffen, und so jener schändlichen Menschenrace ihren Vereinigungsort zu verschliessen. Der Einfall war so originell als für die Zeit karakteristisch, aber auch zu rasch: denn die Ausführung wäre vielleicht ohne Aufstand der Pariser nicht zu Stande gekommen.
Die Arkaden mit ihren Gewölben glänzen noch in tausendfacher Mannigfaltigkeit schöner und kostbarer Waaren. Was Aufwand und Geschmack, was Bequemlichkeit und Uberfluss, reiches, schönes, genussvolles und sättigendes erfinden kann, strömt hier in unendlicher Abwechslung dem Blicke entgegen. Aber es fehlt an Käufern, wenigstens an freigebigen Käufern. "Ah, cela est trop cher k)" hört man sehr oft aus den Gewölben schallen, und die Verkäufer klagen über Mangel an Absatz.
- k) Ach, das ist viel zu theuer!
In den Morgen- und Abendstunden, wo vordem alles, was Paris reizendes, geschmackvolles und verführerisches hat, herbei eilte, um in dem Garten des Palais-royal zu sehen und gesehen zu werden, füllt jezt den Gleichheitsgarten und die Hallen umher, jene hässliche Menschenrace von Agioteuren und betrügerischen Wechslern. In grossen Zügen schlendern sie Arm in Arm auf und ab, oder stehen in einzelnen Gruppen bei einander, Menschen, in ungebürsteten durchlöcherten Hüten, zottigen ungekämmten Haaren, abgetragnen Überröcken, schmutzigen langen Hosen, herabhängenden Stiefeln mit einem keulenähnlichen Knotenstock in der Hand, das ist der grosse Theil dieses Publikum. Hier und da sieht man einen Fremden, den die Neugier herzog, oder anständig gekleidete Einheimische, die sich in Geschäften bestellten: -- dort auf den Stühlen im Schatten, stille Bürger die Zeitungen lesend oder plaudernd, käufliche Mädchen aus dem untern Range, denn die höhern Klassen dieser Weiber des Palais-royal besuchen den Garten nur sehr selten. Anständiges verheirathetes oder unverheirathetes Frauenzimmer erscheint fast gar nicht mehr, weil jeder scheuet, unter diesen schmutzigen Haufen, der den ganzen Tag hier hauset, sich zu mischen, oder von einer Agioteur-Jagd überrascht, und von den rohen Polizeibedienten gehudelt zu werden. Diese Agioteur-Jagden waren der Polizei-Minister Merlin Hauptpass; man nannte sie auch deswegen Merlinaden. Die pünktliche Schnelligkeit womit die eröffnet wurden, war merkwürdig, das übrige der Sache aber bloss Grimasse, worüber man lachte, weil sie durchaus unwirksam blieb. Um Mittag, wenn der Garten am vollsten war, ward das Palais in aller Stille vom Militair umzingelt; ein Polizeibedienter gab ein Zeichen mit einer kleinen Pfeife, und in demselben Moment wurden durch Aufpasser alle Gitterthüren der Arkaden geschlossen. Ward die Geschichte nicht früher verrathen, so stürmte, in dem Augenblick wenn die Pfeife ertönte, alles aus dem Garten gegen die Arkadengitter und Ausgänge, um sich durch die Gassenthüren oder zu den Mädchen in die obern Stockwerke des Hauses zu retten. Die im Garten Eingefangenen passirten dann einzeln durch die mit Wache besetzte grosse Eingangsthür, und mussten ihre Karten vorzeigen. Wer keine Karte hatte, oder sonst verdächtig schien, ward festgehalten und fortgeführt. Die Expedizion dauerte immer mehrere Stunden. -- Die Thüren wurden nun geöffnet, und nach wenig Minuten war die vorige Gesellschaft wieder da, und trieb ihr Wucherspiel wie vorher. Vor dem Eingänge des Hintertheils des Hauses, gegen die Strasse Vivienne, war den ganzen Tag ein ähnlicher Versammlungsort dieser verächtlichen Menschen, gegen welche hier alle Stunden Kavallerie anrückte, um die Gruppen auseinander zu treiben, die sich aber gleich hinter den durchtrabenden Pferden wieder schlossen.
Ein unbefangneres ruhiges Publikum versammelt sich in den Kaffeehäuser unter den Arkaden und die Leckermäuler treiben sich in den glänzenden Restaurateur-Sälen Bouvillier's und Roberts umher. Lebhafte politische Debatten hört man selten in den Kaffeehäusern, oder wenigstens werden sie ohne Geschrei und Thätlichkeiten verhandelt, welches in den ersten Jahren der Revoluzion so ganz anders war.
Der hier wegen seiner Bauart berühmte unterirdischen Gartensaal, der Zirkus, diese merkwürdige architektonische Grille, ist nicht mehr der Sammelplatz taumelnder Freude, sondern hat eine gemeinnützigere Bestimmung erhalten. Er ist von dem Liceum der Künste gemiethet, das darin seine Privat- und öffentlichen Versammlungen hält.
Der Parteigeist der Decadins und Dominicains, so nennen einander spöttelnd die Anhänger der Feier des Dekaden- oder des Sonntages, ist besonders in den Kaufläden im Gleichheitshause, so wie in den unzähligen ähnlichen Gewölben der Gassen sichtbar. Hier sind einige dieser Läden am Dekadentage, dort andre, und bei weitem die meisten, am Sonntage geschlossen, und die Kaufleute legen dadurch stillschweigend ihr politisches Glaubensbekenntniss ab. Eine dritte Klasse steht zwischen diesen, mehr aus Politik und um sich einen Feiertag mehr zu gestatten, als aus entschiedner Anhänglichkeit an dieser oder jener Partei, in der Mitte, und schliesst die Buden an beiden Tagen.
Und überhaupt ist nicht etwa ein religiöser Eifer, der die Leute zur Feier des Sonntages auffordert, sondern bloss ein gehässiger Widerspruchsgeist, der sie gegen alles antreibt, was die Regierung und ihre Anordnung betrift, die Ursache, warum sie ihre Buden schliessen. Es ist den meisten dieser Budenschliesser am Sonntage, sehr gleichgültig, ob ihre Kirchen, wie das mit vielen noch der Fall ist, in Korn-Mehl oder Kriegsmagazine umgewandelt, oder ob sie unter der feierlichklingenden Thürüberschrift: Le peuple françois reconnoit un Être suprême et l'immortalité de l'ame, l) der Gottesverehrung wieder geöffnet sind; -- und sie waren es nicht, welche an der ausschweifenden Freude des Volks über den ihm wiedergegebenen Glauben, Theil nahmen., als Robespierre seine Heuchlerfarce gespielt hatte, und besonders die Landleute bis zu einem Grade froh darüber waren, der an Wahnsinn grenzte, indem sie ihre Dörfer illuminirten, und über die Eingänge die Inschrift aufpflanzten: Vive l'Etrernel!! m).
- l) Das französische Volk erkannt ein höchstes Wesen und die Unsterblichkeit der Seele.
- m) "Es lebe der Ewige!!!" -- Ich weiss diese Anekdote von einem Augenzeugen.
Eine Sehenswürdigkeit in diesem Hause ist Louvet's Bücherladen. Die Bürgerin Louvet, die durch die Memoiren ihres Gatten so berühmt gewordene Lodoiska, führt den Handel darin; und man empfindet es beim Bücherkauf gar bald, dass sie ihn versteht, und die Gelegenheit bei dem Fremden, der oft mehr, um von Lodoiska, als um Bücher zu kaufen, in den Laden kommt, zu ihrem eignen und ihres Mannes Vortheil zu benutzen weiss.
Das Ideal, welches man sich bei der Schilderung interessanter Personen selbst zu schaffen pflegt, erfüllt Lodoiska zwar nicht ganz: aber sie trägt in ihrem etwas männlichen Anstand und Bewegungen und in den Gesichtszügen, den bestimmten und entschlossnen Karakter einer Retterin ihres Geliebten. Sie ist durchaus nicht schön, aber sehr verbindlich und gesprächig.
Die vielen, auf der Flucht erduldeten, mit so grossen Gefahren verbundnen körperlichen Anstrengungen und Leiden haben Louvet's Gesundheit untergraben. Er kränkelt immer; doch strahlt Geist und Feuer noch aus seinen grossen schwarzen Augen. Über seine schwankenden politischen Grundsätze ist er in seinem Journal, die Schildwache, mit sich selbst eben so uneins, als er sie gegen die starken Angriffe anderer in den Pariser Tageblättern vertheidigt. Die Sentinelle hat daher wenig Interesse, und ist der Tummelplatz politischer und literarischer, oft sehr langweilig geführter Händel. -- Die versprochne Fortsetzung der Memoiren, worin Lodoiska ihre Geschichte selbst vortragen sollte, wird nicht erscheinen. Bei einem einfachen Frühstück, in ihrem kleinen Zimmer im vierten Stockwerk des palais d'Egalité, das zugleich Wohnzimmer und die republikanische Küche ist, wo das Mittagessen in einem Topf im Kamin brodelt, klagten mir Louvet und Lodoiska den Verlust aller seiner Manuskripte. Bei seiner Flucht hatte er sie, diese Arbeiten von zwanzig Jahren, seinem Bruder übergeben. Dieser ward arretirt, und alle Schriften des geächteten Louvet wurden ins Feuer geworfen.
August von Kotzebue.[]
- [1804]
Das Palais-Royal
gleicht noch ganz dem Gemälde, welches unser Landsmann, Friedrich Schulz, einst davon entwarf. Nur der innere Hof, 320 Schritte lang und 150 breit, ist neu bepflanzt worden. Die jetzige Generazion wird es schwerlich erleben, unter dem Schatten dieser Pflanzungen zu wandern. Indessen, beschattet oder unbeschattet, bleibt das Palais-Royal doch immer ein täglicher Sammelplatz vieler tausend Menschen, und unter den Arkaden desselben ist es den größten Theil des Tages so voll, daß man nur mit Hilfe der Ellenbogen sich durchwinden kann. Kein Wunder, denn man findet hier 18 Kaffeehäuser, 10 Restaurateurs, ein halbes Dutzend Pastetenbäcker, eben so viele Viktualienhändler, mehrere Weinhändler, Eisverkäufer, Obstweiber, ein Paar Billards, eine Menge Zuckerbäcker, kurz, man kann hier essen und trinken, so viel und so delikat als irgend in der Welt. Unter Andern ist auch eine eigene Waffelbude hier, wo einige Menschen, den ganzen Tag vor dem Feuer sitzend, nichts Anders thun, als Waffeln backen, und zwar ganz vortreffliche Waffeln. In einem kleinen Stübchen, hinter der Bude, werden sie heiß aufgetragen, und, wenn man Lust hat, ein Glas Mallaga dazu. Es war mein gewöhnliches, den Magen nicht beschwerendes Frühstück. Wem das nicht genügt, der kann aus der nächsten Bude sich eine kalte Pastete von rothen Rebhühnern holen, oder sonst eine von den tausend kalten Speisen, die ihn, höchst appetitlich für das Auge zubereitet, überall locken. -- Ist er satt, so kann er, eine Treppe hoch, in schön geschmückten Sälen, mit allen möglichen Hazardspielen sich die Zeit vertreiben, und den Beutel fegen; oder er kann dem Gesange einer Syrene folgen, der aus den Fenstern des Entreesols ihm herabtönt; oder er kann in ein Lesekabinet gehen, welches ein gewißer Jorre hält, wo man stets zwei warme Zimmer findet, und, für sechs Livres monatlich, von Morgens bis Abends einige 40 Zeitungen und Journale lesen kann. Ist er auch das überdrüßig, so mag er -- (man merke wohl, immer unter denselben Arkaden,) -- ins Theater Montansier gehen, oder die Chinesischen Schatten des Monsieur Seraphin besuchen, (wo noch immer, wie vor dreizehn Jahren, die Russinn, die durchaus von ihrem Manne geprügelt seyn will, um dessen Liebe zu erkennen, den Parisern großen Spaß macht) oder eine Kinder- und Puppen-Komödie, oder ein Gesellschaftstheater unter im Keller. Zu meiner Zeit waren auch Pyramus und Thisbe iu Wachs zu schauen, und der guten Thisbe, die sich, vermuthlich von Pyramus, in gesegneten Leibesumständen befand, konnte der Leib aufgethan, und die Lage des Kindes gezeigt werden. Vor der Thüre stand ein Ausrufer, den man schon von ferne den ganzen Tag schreien hörte: Messieurs voyez en passant le chef d'oeuvre de l'art, curieux et intéressant, le professeur va commencer l'explication dans l'instant. Entrez! entrez! Diese Einladung wurde gleichsam nach einer Art von Melodie abgesungen, und unaufhörlich wiederholt, daß man endlich von dieser Melodie, wie von einem Gespenst, verfolgt wurde, und sie noch immer zu hören glaubte, wenn man das Palais schon längst verlassen hatte. -- Ernstere Unterhaltung bietet, wie ich schon oben erwähnt, einige Schritte weiter, Bertrands physikalisches Kabinet dar. -- Auch das Théatre Français (das erste in Paris) ist dergestalt mit dem Palais-Royal verbunden, daß eine Fortsetzung der Arkaden trocknes Fußes bis dahin führt. -- Sind alle diese Zeitvertreibe erschöpft, so wird doch wohl Einer von den zwanzig Buchhändlern, die unter den Arkaden hausen, eine pikante Nouveauté haben? -- oder man giebt dem Drange der Eitelkeit nach, und läßt sich von einem Miniaturmaler porträtiren. Nicht weniger als neunzehn haben ihre Tafeln und Proben ausgehängt, gut und schlecht, wohlfeil und theuer, für sechs Livres und für zehn Louisd'or. Es sind welche darunter, die in einer Stunde ein fertiges Gemälde zu liefern versprechen, und, wenigstens was Aehnlichkeit betrifft, Verdienst haben. So habe ich z. B. das schlecht gemalte, aber wohlgetroffene Bildniß des Erbprinzen von Weimar, während meines ganzen Aufenthalts im Palais-Royal hängen sehen. -- Ist man trotz allem Dem noch immer mit seiner Zeit verlegen, (welches doch schwer möglich) so gewährt das Lesen der vielen tausend angeschlagenen Zedel, und das Angaffen der schön aufgeputzten Buden, schon allein Unterhaltung: denn da sind nicht weniger als sechszehn Putzmacherinnen, zwanzig Buden mit fertigen Kleidern, dreißig mit allerlei Zeugen für Herren- und Damenputz, eine Menge der prächtigsten Qincaillerien, Glas- Porzellain- Gewehrbuden, Pitschierstecher, Kinderspielzeug u. s. w.
Hat man etwa kein Geld, um diese Herrlichkeiten zu kaufen, so giebt es hier auch zehn Leihhäuser, und zwei Lotteriebüreaus. Die erstere geben baares Geld für gutes Pfand, und die letztern Hoffnung für baares Geld. -- Kurz, man kann im Palais-Royal sich Zeitlebens einsperren lassen, und man wird, wenn man nur Geld hat, dennoch nie Etwas von allem Dem entbehren, was das Leben angenehm macht, vom Theater français an, bis auf die Schuhputzbude, mit der pompösen Inschrift: aux artistes réunis.
Die Kaffeehäuser wetteifern mit einander im artigen Aufputz. Eins nennt sich aux milles colonnes, (zu den tausend Säulen,) weil seine Säle etwa von einem halben Dutzend Säulen getragen werden, die sich in den Spiegelwänden rings umher zu einigen Dutzenden, und folglich Tausenden vervielfältigen. Ein anderes, au mont St. Bernard, nennt sich unique, und das Mittel, wodurch es sich auszeichnet, ist auch in der That seltsam genug. Man hat nämlich einen ziemlichen Raum des eines Saales aufgeopfert, um eine Art von Modell des Bernhardsberges dahin zu stellen, ungefähr so verfertigt, wie die Zuckerbäcker in Berlin ihre Weihnachtsausstellungen machen. Ferner sind alle Wände mit einer unendlichen Menge kleiner, in Handlung gesetzter Puppen, unter Glas und Rahmen verziert. Sie bilden zum Theil allerlei Nationen nach, und sind besonders aus Cooks Reisen entlehnt, zum Theil stellen sie auch französische Landleute aus entfernten Provinzen vor, und sind wirklich sehr gut gemacht. Allerdings kann man hier, während man eine Tasse Kaffee trinkt, sich recht angenehm unterhalten.
Quellen.[]
- ↑ Chronik. 77. Dienstags, den 25sten September 1792.
- ↑ Fragmente aus Paris im IVten Jahr der französischen Republik von Friedrich Johann Lorenz Meyer Dr. Domherrn in Hamburg. Hamburg bei Karl Ernst Bohn 1797
- ↑ Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. von August von Kotzebue. Berlin 1804 bei Heinrich Fröhlich.