Von Bastille bis Waterloo. Wiki

Von Reisende.[]

Karl Christian von Berckheim.[]

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Paris am 8ten April 1806.

Gestern Abend war ich in der großen Oper in der Rue de la loi, die man jetzt die kaiserliche musikalische Akademie nennt. Der Saal dieses Schauspiels ist zirkelrund, und erhält vier Reihen Logen über einander; er ist mit Säulen geschmückt, die zwar gut ins Auge fallen, aber zuviel Platz einnehmen, und an einigen Stellen am Sehen hindern. Gestern gab man die Oper Saul, deren Musik aus den besten musikalischen Werken der berühmtesten Komponisten, als Haydn, Mozart, Winter, Paisiello, Martini, Cimarosa, und andern zusammengesetzt ist. Der Kompilator dieser Musik hat sich auch nicht einmal Mühe gegeben, sein Plagiat zu verbergen; denn man erkennt sehr bald in dieser Mischung, die wirklich einen vortrefflichen Effekt macht, die Bestandtheile, aus welchen sie zusammengesetzt ist.

Die große Oper, die ehemals wegen ihrer reichen Decorationen, die einen höchst magischen Effekt thun, durch die Schönheit und Pracht ihres Kostums, durch die Vortrefflichkeit ihres Orchesters und Ballets, und die ausgezeichneten Talente der dabei angestellten Künstler, so sehr berühmt war, erreicht jetzt nicht mehr den hohen Grad der Vollendung, der ihr sonst die erste Stelle unter allen hiesigen Schauspielen zusicherte. Die Decorationen und die Maschinerie, die in einem Augenblick die erstaunenswerthesten Veränderungen bewirkt, verdient noch immer Bewunderung. Das Ensemble des Orchesters, dessen richtige und genaue Ausführung, der schöne Einklang aller Instrumente, gewähren noch immer denselben Genuß; nur kann man dem Talent der Sänger und der Ausführung der Vocalmusik nicht mehr dasselbe Lob beilegen. Keine einzige Stimme zeichnet sich jetzt bei diesem Theater aus, und es erregt ein sehr unangenehmes Gefühl, wenn man die herrlichste Musik durch Sänger entstellen hört, welche die italienische Methode mit der französischen vereinigen wollen, und dadurch einen geschmack- und ausdruckslosen Mischmasch hervorbringen. Da hört man Stimmen, die sich überschreien, dissonirende Cadenzen, und Triller ohne Ende; so daß man ohne Anmaßung diesen Künstlern aus der neuen Schule die Gerechtigkeit wiederfahren lassen muß, zu gestehen, daß sie das Talent, der guten Musik allen Effekt zu benehmen, in der höchsten Vollkommenheit besitzen. Wenn unser guter Gesanglehrer diese Singweise vernähme, er würde mit der Miene der Zerknirschung, die er im höchsten Unwillen annahm, sagen: "lieben Leute, schreien heißt nicht singen."

Ich habe neulich eine Vorstellung der Oper Don Juan mit untermischten Balletten auf diesem Theater beigewohnt. In Hinsicht des Kostum's, der Decorationen und Ballets war das Ganze vortrefflich; was dagegen die Ausführung der Musik dieses Meisterwerks des unsterblichen Mozart betrifft, welches die Zartheit, den Einklang, den feinen Geschmack und die gefällige Behandlung erfordert, die allein die Methode der italienischen Schule geben kann, so ward diese gänzlich verfehlt. Es ist wirklich zu bedauern, daß dieses Theater, welches bei so vielen vereinten Vorzügen das Erste in der Welt seyn könnte, nicht mit mehr Sorgfalt dirigirt wird, und daß man sich nicht eifriger bemüht, Künstler von vorzüglichern Talenten dabei anzustellen. Es scheint aber fast, als ob Madame Saint-Huberti, nachheriger Markisin von Entraigues, eine Zöglingin des berühmten Ritters Gluck, deren einfache und kunstlose Methode, so wie ihr vortreffliches Mienenspiel, ihr die allgemeine Bewunderung erworben hatten, diesem Theater, als sie es verließ, den Vorzug, glänzende Talente zu besitzen, geraubt habe. Madame Armand und Laïs sind jetzt das Vorzüglichste, was die Oper besitzt; denn der Demoiselle Maillard kann ich nicht mehr erwähnen; da ihre immer zunehmende Körperfülle sie gezwungen hat, von der Bühne abzutreten.

New York Public Library
New York Public Library

Ich weiß nicht, welchen Grad der Vollkommenheit das Ballet vor der Revolution erlangt hatte; aber darin ist jedermann einig, daß es seitdem noch vorzüglicher geworden ist. Wirklich kann man, ohne es gesehen zu haben, sich keine richtige Vorstellung von der Schönheit eines Anblicks machen, der an Reichthum und Eleganz der Kostum's, an Grazie, Gruppirungen, Stellungen, und hinreißender Schönheit der Formen alles gewährt, was nur Kunst und sinnlicher Reiz darbieten können. Der berühmte Vestris, Madame Gardel, bei deren Reizen und hohem Kunsttalent man vergißt, daß sie nicht mehr jung ist, Henry, die jugendliche Millier, die reizende Clotilde, die Schwestern Faulnier bilden einen Verein, der die Magie des Sinnreizes zu einer schwindelnden Höhe erhebt. Die Krone der Tänzer ist aber jetzt der junge Duport, den Vestris, wegen des großen Umfangs seines Talents beneidet, und in ihm einen Mitbewerber sieht, der ihm jeden Augenblick den Ruhm: der erste Tänzer zu seyn, entreißen wird. Er hat neuerdings ein Ballet, der Barbier von Sevilla, verfertigt, das schon mehrmals getanzt worden ist, und worin er und seine Schwester den allgemeinsten Beifall verdienten.

Vor einigen Tagen habe ich eine himmlische Musik gehört: es war die Ouverture, der Barden, einer großen Oper, die Lesueur, Kapellmeister beim kaiserlichen Conservatorium komponirt hat. Zwölf Harfen im Orchester, welche sich mit einemmale hören lassen, machen einen Eindruck, der sich nicht beschreiben läßt; man glaubt Harmonien himmlischer Töne zu hören, welche an Wohlklang noch die der Harmonika übertreffen, und die Seele in überirdische Räume, welche die Phantasie bildet, erheben. Eine neue Oper, Uthal, von demselben Komponisten, die vor einigen Tagen auf dem Theater Feydeau vorgestellt wurde, macht denselben Harmonischen Effekt, wenn Fingal, die Harfe in der Hand, im Gefolge der Druiden auftritt. Lesueur's Kompositionen sind im Ganzen im großen Styl und von der ernsthafteren Gattung. Sie scheinen mehr für die Kirche als für die Schaubühne geeignet zu seyn, für welches Mehul, der Komponist des Irato und der Chasse du petit Henri ein entschiedeneres Talent gezeigt hat, da er die Kunst verstand, die wahre Methode der italienischen Schule s|ich vollkommen eigen zu machen.


Carl Theodor von Uklanski.[]

[2]

Die große Opera,
oder
l'Académie impériale de Musique.

Amas de pompeuses merveilles -- nennt ein französischer Schriftsteller diese Oper; also eine Menge prächtiger Wunder, die sich übrigens recht leicht erklären lassen, wenn man weiß, daß ihre Kasse bei jeder Vorstellung der Vestalie 7 - 8000 Franks einnimmt, bei der ersten des Triumphs von Trajan sogar 15000 Franks gewann, und die Regierung dennoch jährlich über eine halbe Million zuschießt.

Mit zwo Millionen läßt sich etwas wirken, besonders wenn man so selten Neues giebt, wie hier geschieht, und es mit einem Volk zu thun hat, das lieber sein Mittagessen als das Schauspiel versäumt. In der That wird auch hier vieles geleistet. Ob Alles? -- da frage man einen Pariser. Was möglich ist, wird er sagen. -- Ich aber behaupte: sehr wenig!

Was hier vorzüglich ist, sind das Orchester, zuweilen die Dekorazionen, immer die Kostüms und das Ballet. Vom Gesang laßt mich schweigen; denn ich bin kein Franzose, und kann ihn also auch nicht loben. Seid zufrieden, wenn ich mich nicht sehr stark gegen ihn auslasse.

Oft sind die Dekorazionen bewundernswerth, manchmal aber auch sehr fehlerhaft. In der Regel schadet ihnen die zu starke Beleuchtung des Hauses, und öfters sündigen sie gegen die Perspektive.

Aber gegen die großen Ballets von Gardel und Milon ist nichts zu sagen. Was das Auge überraschen, das Herz entzücken, die Fantasie hinreissen kann, wird hier in den reitzendsten und wollüstigsten, gemüthlichsten und anmuthigsten Bildern vorgestellt. Zahlreiche Chöre der geübtesten Tänzer schweben wie Genien über den Brettern; der Olymp leert alle seine Götter aus, und die Zauberwelt erfüllt das heilige Haus der schönsten unter allen Künsten der menschlichen Bewegungen. Man muß das große Ballet, Psyche, gesehen haben, um zu begreifen, was die schönen Künste zu wirken vermögen! Und dennoch hab' ich Duport nicht gesehen. Ich muß aber bekennen, daß mit die Anmuth der Gardel und der Wollusttanz der Chevigny lieber ist als jeder andere Tänzer, wenn er sich auch zehntausendmal hintereinander auf Einem Bein umdrehen kann.

Man hat Recht, über diese Ausartung der ehemaligen hohen Tanzkunst in Künstlichkeit zu klagen. Auch sind dergleichen Solos und Duetts nicht das Angenehmste in den Ballets, weil sie gewöhnlich nichts ausdrücken, wohl aber die Mühe bemerklich machen, mit der man den Beifall eines Volks erringen muß, das sich am wahren Schönen und stillen Großen satt gesehen hat.

Man fängt immer mehr an, die Ballete in die Opern zu verweben, und es gefällt mir sehr wohl, wenn man diese Gattung der Kunst, welche einmal nichts von der Natur borgt als ihre Mittel, so hoch in die Wolken des Wunderbaren hineinhebt, als es geschehen kann, ohne zum Unsinn zu werden. Unter allen schönen Künsten sind Musik und Tanz am innigsten verschwistert, und darum zeigen sie sich auch am herrlichsten in ihrer Vereinigung, am kühnsten, je inniger sie zusammensinken, am erhabensten, wo sie nur zu Einer Göttin sich vereinigen. Aber man hat vielleicht nicht Unrecht zu fürchten, daß die Ballete nach und nach die Oper selbst verdrängen dürften. Und wenn gleich der Rath, welchen ein Liebhaber Herrn Gardel gegeben hat: rendez les ballets très-longs, et les jupons des danseuses très-courts, nur ein Scherz ist, so liegt doch viel Wahres darin. Unter allen Sinnen ist das Ohr derjenige, der am meisten Ausbildung verlangt, und wenn Nase, Gaumen und Auge gleich recht gut wissen was ihnen behagt, so versteht das Ohr das nicht so schnell, und will oft das Schönste nicht begreifen.

Dieser Winter war sehr glüklich. Er brachte zwo große Opern, welche jene Aufgabe erfüllen, allgemein gefallen haben, und nie genug gegeben werden können. Trajans Triumph wurde noch durch die Vestale übertroffen, und in lezterer wetteiferten sogar Gardel mit Milon durch zwei verschiedene Ballete, von denen Ersterem seins wohl die meisten Gönner haben dürfte. Früher hatte in diesem Jahr das große pantomimische Ballet, Ulysses Rükkehr, sehr wohl gefallen. Psyche wird noch oft des Sonntags gegeben, weil die ersten Stände sich daran gesättigt haben, der Mittelstand und die fleissige Klasse aber gewöhnlich nur Sonntags ins Schauspiel geht, und gesunden Sinn genug hat, des Schönsten nicht sobald satt zu werden.

Ich habe mit vorgenommen, die merkwürdigsten Theatererscheinungen dieses Winters näher aufzuführen. Eh' ich aber zu der Vestale übergehe, kann ich mich nicht enthalten, ein sehr komisches Gedicht von Panard, dem ersten der französischen Chansonniers, herzusetzen, das mir wenigstens neu war, und von dem ich also, nach guter Schriftstellersitte, glaube, daß es auch meinen Lesern neu sein wird.

J'ai vu le Soleil et la Lune,
Qui faisaient des discours en l'air;
J'ai vu le terrible Neptune
Sortir tout frisé de la mer.
...


Quellen.[]

  1. Paris, wie es jetzt ist, oder Neuestes Gemälde dieser Hauptstadt und ihrer Umgebungen. In Briefen von einem reisenden Deutschen. Chemnitz bei Carl Maucke. 1810.
  2. Ansichten von Paris. Nihil admirari. Zürich, bei Heinrich Geßner, 1809.