Von Bastille bis Waterloo. Wiki
Advertisement

Von Reisende.[]

Carl Theodor von Uklanski.[]

[1]

Die große Opera,
oder
l'Académie impériale de Musique.

Amas de pompeuses merveilles -- nennt ein französischer Schriftsteller diese Oper; also eine Menge prächtiger Wunder, die sich übrigens recht leicht erklären lassen, wenn man weiß, daß ihre Kasse bei jeder Vorstellung der Vestalie 7 - 8000 Franks einnimmt, bei der ersten des Triumphs von Trajan sogar 15000 Franks gewann, und die Regierung dennoch jährlich über eine halbe Million zuschießt.

Mit zwo Millionen läßt sich etwas wirken, besonders wenn man so selten Neues giebt, wie hier geschieht, und es mit einem Volk zu thun hat, das lieber sein Mittagessen als das Schauspiel versäumt. In der That wird auch hier vieles geleistet. Ob Alles? -- da frage man einen Pariser. Was möglich ist, wird er sagen. -- Ich aber behaupte: sehr wenig!

Was hier vorzüglich ist, sind das Orchester, zuweilen die Dekorazionen, immer die Kostüms und das Ballet. Vom Gesang laßt mich schweigen; denn ich bin kein Franzose, und kann ihn also auch nicht loben. Seid zufrieden, wenn ich mich nicht sehr stark gegen ihn auslasse.

Oft sind die Dekorazionen bewundernswerth, manchmal aber auch sehr fehlerhaft. In der Regel schadet ihnen die zu starke Beleuchtung des Hauses, und öfters sündigen sie gegen die Perspektive.

Aber gegen die großen Ballets von Gardel und Milon ist nichts zu sagen. Was das Auge überraschen, das Herz entzücken, die Fantasie hinreissen kann, wird hier in den reitzendsten und wollüstigsten, gemüthlichsten und anmuthigsten Bildern vorgestellt. Zahlreiche Chöre der geübtesten Tänzer schweben wie Genien über den Brettern; der Olymp leert alle seine Götter aus, und die Zauberwelt erfüllt das heilige Haus der schönsten unter allen Künsten der menschlichen Bewegungen. Man muß das große Ballet, Psyche, gesehen haben, um zu begreifen, was die schönen Künste zu wirken vermögen! Und dennoch hab' ich Duport nicht gesehen. Ich muß aber bekennen, daß mit die Anmuth der Gardel und der Wollusttanz der Chevigny lieber ist als jeder andere Tänzer, wenn er sich auch zehntausendmal hintereinander auf Einem Bein umdrehen kann.

Man hat Recht, über diese Ausartung der ehemaligen hohen Tanzkunst in Künstlichkeit zu klagen. Auch sind dergleichen Solos und Duetts nicht das Angenehmste in den Ballets, weil sie gewöhnlich nichts ausdrücken, wohl aber die Mühe bemerklich machen, mit der man den Beifall eines Volks erringen muß, das sich am wahren Schönen und stillen Großen satt gesehen hat.

Man fängt immer mehr an, die Ballete in die Opern zu verweben, und es gefällt mir sehr wohl, wenn man diese Gattung der Kunst, welche einmal nichts von der Natur borgt als ihre Mittel, so hoch in die Wolken des Wunderbaren hineinhebt, als es geschehen kann, ohne zum Unsinn zu werden. Unter allen schönen Künsten sind Musik und Tanz am innigsten verschwistert, und darum zeigen sie sich auch am herrlichsten in ihrer Vereinigung, am kühnsten, je inniger sie zusammensinken, am erhabensten, wo sie nur zu Einer Göttin sich vereinigen. Aber man hat vielleicht nicht Unrecht zu fürchten, daß die Ballete nach und nach die Oper selbst verdrängen dürften. Und wenn gleich der Rath, welchen ein Liebhaber Herrn Gardel gegeben hat: rendez les ballets très-longs, et les jupons des danseuses très-courts, nur ein Scherz ist, so liegt doch viel Wahres darin. Unter allen Sinnen ist das Ohr derjenige, der am meisten Ausbildung verlangt, und wenn Nase, Gaumen und Auge gleich recht gut wissen was ihnen behagt, so versteht das Ohr das nicht so schnell, und will oft das Schönste nicht begreifen.

Dieser Winter war sehr glüklich. Er brachte zwo große Opern, welche jene Aufgabe erfüllen, allgemein gefallen haben, und nie genug gegeben werden können. Trajans Triumph wurde noch durch die Vestale übertroffen, und in lezterer wetteiferten sogar Gardel mit Milon durch zwei verschiedene Ballete, von denen Ersterem seins wohl die meisten Gönner haben dürfte. Früher hatte in diesem Jahr das große pantomimische Ballet, Ulysses Rükkehr, sehr wohl gefallen. Psyche wird noch oft des Sonntags gegeben, weil die ersten Stände sich daran gesättigt haben, der Mittelstand und die fleissige Klasse aber gewöhnlich nur Sonntags ins Schauspiel geht, und gesunden Sinn genug hat, des Schönsten nicht sobald satt zu werden.

Ich habe mit vorgenommen, die merkwürdigsten Theatererscheinungen dieses Winters näher aufzuführen. Eh' ich aber zu der Vestale übergehe, kann ich mich nicht enthalten, ein sehr komisches Gedicht von Panard, dem ersten der französischen Chansonniers, herzusetzen, das mir wenigstens neu war, und von dem ich also, nach guter Schriftstellersitte, glaube, daß es auch meinen Lesern neu sein wird.

J'ai vu le Soleil et la Lune,
Qui faisaient des discours en l'air;
J'ai vu le terrible Neptune
Sortir tout frisé de la mer.
...


Quellen.[]

  1. Ansichten von Paris. Nihil admirari. Zürich, bei Heinrich Geßner, 1809.
Advertisement