Nizza.[]
Nizza,[1] französisch Nice, die Hauptstadt der dem Könige von Sardinien gehörigen Grafschaft gleiches Namens, während des französischen Besitzes (seit 1792) die Hauptstadt des Departement der Seealpen, seit 1814 aber ihrem rechtmässigen Souverain zurückgegeben. Sie liegt nicht weit von dem Einfluß des Paglivne in das mittelländische (hier ehemals das ligustische genannte) Meer, und enthält über 18,000 Einwohner. Ihre Eintheilung in die Alt- und Neustadt wird, wie in vielen andern so eingetheilten Städten, durch die Schönheit der Gebäude der Neustadt gerechtfertigt, während die Altstadt in schmutzigen, krummen, winklichten Gasse alte, finstre und schlecht gebaute Häuser zeigt. Diese Stadt und die umliegende Gegend sind am meisten berühmt theils durch die so außerordentlich reine und gesunde Luft, theils durch die ganz ausgezeichnete Milde des Clima's selbst mitten im Winter, welche Milde die Gegend den nördlichen Gebirgen zu verdanken hat, welche mit den Alpen zusammenhängen und das Land vor ultramontanischen Stürmen bewahren. Daher ist Nizza der Lieblingsort aller deren, die das Bedürfniß haben, eine reine Luft einzuathmen, in welche Hinsicht ihr bloß Montpellier gleich kommt, und es ist zugleich der Lieblingsaufenthalt aller derer, die sich vor dem nordischen Winter retten wollen. Die Luft ist hier so rein, daß man bei gutem Wetter von hier aus die Gebirge von Corsica sehen kann. Man findet hier Seebäder und die Ruinen eines römischen Amphitheaters. Die Stadt treibt einen nicht unbedeutenden Handel, vorzüglich mit roher und gesponnener Seide, Wein, Oel und Blumen, welche im Winter von hier nach Paris, und sogar nach London verschickt werden. Nizza ist auch als Geburtsort des berühmten Malers Carl Vanloo merkwürdig.
Die Franzosen rücken in Nizza ein.[]
Der acht und zwanzigste September 1792. [2]
Daß die Franzosen, ohngeachtet der sehr bedenklichen Lage, in der ihre Sachen im Anfang dieses Monats stunden, dennoch dem König von Sardinien den Krieg angekündigt hatten, haben wir oben unter dem 10ten September gelesen. Ohne einen Flintenschuß zu thun, eroberte Montesquiou Savoyen. Zu gleicher Zeit fiel der General Anselm nach einem zwischen beyden Feldherren verabredeten Plan mit einer Abtheilung von fünf bis sechstausend Mann in Piemont ein, und nahm Nizza weg. Die piemontesischen Truppen, welche die dortige Besatzung bildeten, flohen nach den Gebürgen, und die Franzosen rückten, einen ungeheuern Oelzweig und eine Freyheitsmütze vor sich her tragend, am heutigen Tag in Nizza ein. Im ganzen Fortlauf des Krieges blieb ihnen dieser Ort, den sie so schnell genommen hatten, und meistentheils war derselbe das Hauptquartier ihrer italienischen Armee. -- Savoyen und Nizza lagen wesentlich mit in dem Vergrößerungsplan der neuen Republik. Die Alpen dehnen sich in ungeheuern Gebirgsketten hinter diesen beyden Provinzen gegen das mittelländische Meer hinab; die Gebirgskette, die an der Grafschaft Nizza hinläuft, trägt den Namen der See-Alpen, und bald wurde diese Grafschaft der fränkischen Republik als "Departement der See-Alpen" einverleibt. Die Süd-Armee wurde nun, um die Eroberung von Savoyen und Nizza zu behaupten, in zwey besondere Armeen, die "der Alpen" und "die italienische" abgetheilt.
Fragment eines Briefes einer Englischen Dame.[]
Mrs. L. . . . aus Nizza an einen Freund in London.
Nizza, den 4ten October 1792. [3]
„Ohne Zweifel halten Sie uns, lieber Freund! für sehr unglücklich, weil wir eben Nizza zu einer Zeit erreichten, da es von seinen Feinden erobert wurde. Sie sind daher vermuthlich begierig, einige besondere Umstände zu erfahren. Ich will Ihre Neugierde befriedigen."
"Wir kamen Sonnabends, den 22sten September hieher; bey unsrer Ankunft fanden wir die Stadt mit Piemontesischen Soldaten besetzt, ein Lager an den Ufern des Varo aufgeschlagen, viele Batterien auf den Wällen der Stadt errichtet; kurz, alles hatte ein so kriegerisches Ansehen, daß wir auf der Stelle wieder abzureisen wünschten. Indessen sagte man uns, daß wir keiner Gefahr ausgesetzt wären, wenn wir auch blieben, da nemlich nur wenig Truppen in der ehemaligen Provence wären, und wir auch, wenn schon ein Angrif auf Nizza geschehen sollte, leicht vor einer Landung der Feinde fortkommen könnten. Dieses wiegte uns denn in eine eingebildete Sicherheit ein. Wir beschlossen, in einem Gasthofe der Stadt so lange zu bleiben, bis wir uns von den Strapazen unserer Reise von Turin hieher erholt haben würden. Wir bereueten aber bald diesen Entschluß; denn Mittwochs, den 26sten, ward schon die reitende Post zu Antibes aufgehalten. Am Donnerstage erschienen in der Ferne einige französische Fregatten; denselben Tag ward eine Proclamation bekannt gemacht, nach welcher ein jeder, der Pferde oder Maulesel besaß, verpflichtet war, dieselben zum Dienst des Königes herzugeben. So war nun alle Hofnung, zu Lande zu entkommen, vorbey, und Freytag Morgens war der erste Gegenstand, der uns in die Augen fiel, eine französische Flotte, die hin und her vor dem Hafen zerstreuet lag. Wir gaben uns sogleich alle Mühe, ein englisches Schif zu miethen, und zu Wasser zu entkommen, ehe noch die Stadt beschossen würde; wir fanden aber Trotz aller Erkundigung, kein englisches Kauffartheyschif, das zum Absegeln bereit war. Gegen Mittag erfuhren wir, der König von Sardinien habe einen Expressen aus Turin abgeschickt, und seinen Officieren befohlen, sich mit ihren Truppen so schnell als möglich zueückzuziehen, und Nizza zu verlassen. Nun war die Angst der Einwohner erschrecklich; viele flohen zu Fusse über die Alpen, andere waren damit beschäftiget, ihre kostbarsten Sachen einzupacken, und sie in Sicherheit zu bringen. In der That hatte man auch Ursache besorgt zu seyn; denn der König von Sardinien hatte nicht nur viele tausend Aristocraten zu Nizza aufgenommen und geschützt, sondern auch die ganze democratische Partey unterdrückt, verbannt, und eingekerkert; man mußte daher mit Recht die Rache der französischen Nation fürchten." –
"Zwey oder drey Stunden war für uns ein erschrecklicher Zeitraum. -- Nizza war in banger Erwartung seines Schicksals; unterdessen zogen die piemontesischen Truppen ganz kalt ab, und überliessen uns der Gnade der Franzosen. Die französische Flotte kam allmählig immer näher heran, und formirte zuletzt eine Linie vor dem Hafen. Zugleich schickte sie ein Boot ab mit einer Friedensflagge. Die Personen in diesem Boote trugen einigemal auf eine Unterredung an, ehe es die erschrockenen Einwohner von Nizza bemerkten, zuletzt ward jedoch ein Boot vom Hafen, mit den Farben der Stadt abgefertiget. Das französische Boot kam nun ans Ufer, und setzte einen Officier ans Land, welcher anzeigte, er wäre gekommen, um den französischen Consul aus dem Gefängnisse zurückzufordern, in das ihm neulich die sardinische Regierung setzen ließ. Die wenigen bürgerlichen Magistratspersonen, die in Nizza zurückblieben, gaben denselben sogleich heraus, und übergaben zu gleicher Zeit die Stadt in die Hände der Franzosen, obgleich noch keine Uebergabe förmlich gefordert wurde. Der französische Consul begab sich nun hin zur Flotte, worauf eine Intervalle von einigen Stunden folgte. Wir wußten, was wir von unsern Eroberern zu erwarten hatten. Während dieser Zeit zogen auch noch die wenigen zurückgebliebenen piemontesischen Truppen ab, und beynahe alle Einwohner der Stadt flohen in die Alpen. Die Engländer blieben, weil sie sich auf den Edelmuth der Franzosen verliessen. Gegen Abend kamen einige wenige Officiere aus Antibes, und meldeten, daß die französische Armee erst den folgenden Abend in Nizza einrücken werde. Da nun alle piemontesische Truppen weg waren, so blieben wir der Gnade des Pöbels überlassen, welcher die Nacht durch viele Ausschweifungen begieng. Bis um 5 Uhr Nachmittags am Sonnabend, erschienen keine französische Truppen; um diese Zeit aber bemerkten wir, daß sie heranrückten, und daß ein ungeheurer Oelzweig vor ihnen hergetragen wurde, auf welchem eine Freyheitsmütze und die Nationalfarben folgten."
"Der französische General, Hr. Anselme, zog nun in das Thor der Stadt ein, machte da Halt, und redete das Volk an, welchem er durch allerley Versicherungen der Gnade und des Schutzes Trost einsprach. Als seine Rede zu Ende war, und die häufigen Beyfallsbezeigungen aufgehört hatten, marschirte die französische Armee, wie man sagt, 35,000 Mann stark, um die Wälle der Stadt herum. -- Wir sahen sie alle vorbeyziehen, und hörten nicht ein einziges Wort, selbst nicht einmal von einem gemeinen Soldaten, welches die Eroberten hätte demüthigen oder erschrecken können; im Gegentheil, jeder Franzose betrug sich mit dem Grade von Edelmuth, der es genugsam bewies, daß er des ersten aller Segen, der Freyheit, würdig sey. Sonnabends wurden einige Excessen begangen. Dieses verleitete uns, den nächsten Morgen um eine Wache, zur Beschützung unseres Lebens und Eigenthum anzuhalten, worauf der Commandant der Stadt selbst zu uns kam, uns so viel Wache bewilligte, als wir nur immer haben mochten, und uns die Erlaubniß gab, uns mit unsern Haabseligkeiten, wenn es uns beliebte, auf ein englisches Schiff einzuschiffen. Er gab darauf unserm Hause eine Wache von zwanzig Mann, und sagte diesen, wir wären Engländer und Freunde der Franzosen, sie möchten daher alle mögliche Sorge für unsere Sicherheit tragen. Zu gleicher Zeit gab der Commandant jeder englische Familie zu Nizza eine Wache; versicherte uns eines völligen Schutzes, und befahl seinen Truppen, den Engländern die größte Achtung zu bezeigen. Diese Befehle wurden von dem General bestätiget."
"Wir haben nun hier einige Tage unter französischer Regierung gelebt; denn unser Schiff ist noch nicht segelfertig, und wir können mit Wahrheit sagen, daß noch kaum eine Stunde vergieng, in welcher nicht neue Beweise der Achtung der Franzosen gegen die englische Nation gegeben wurden."
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Quellen.[]
- ↑ Conversations-Lexicon oder encyclopädisches Handwörterbuch für gebildete Stände. Stuttgart bei A. F. Macklot. 1816.
- ↑ Neues historisches Handbuch auf alle Tage im Jahr mit besonderer Rücksicht auf die Ereignisse der neuesten Zeiten von Wagenseil Königl. baier. Kreißrath. Augsburg und Leipzig in der Jenisch und Stageschen Buchhandlung.
- ↑ Minerva. Ein Journal historischen und politischen Inhalts. Herausgegeben von J. W. v. Archenholz. Hamburg 1792.