Francois von Neufchateau.[]
Jeder, der den Staatshändeln dieses an der Neige stehenden Jahrhunderts -- unstreitig des merkwürdigsten in der Weltgeschichte -- auch nur einige Aufmerksamkeit widmet, wird die Männer kennen wollen, welche in unsern Tagen das Staatsruder Frankreichs in Händen hatten. Um so eher mag folgende kurze Biographie eine Stelle in unsrer Sammlung charakteristischer Lebensgemälde finden.
Nicolaus Francois ward in einem Oertchen, unweit Neufchateau in Lothringen, den 17. Oktober 1752 gebohren. Er ist der Sohn eines armen Dorfschullehrers, welchem daher auf die wissenschaftliche Entwickelung seiner Fähigkeiten das Nöthige zu verwenden, nicht möglich war. Glücklicher Weise trat die Schwester seines Vaters in das Mittel. Ob gleich selbst dürftig -- denn sie war nur die Gattinn eines unbemittelten Maurers -- nahm sie ihren geliebten Neffen zu sich nach Neufchateau, und da hatte der kleine doch den Vortheil, die öffentlichen Lehranstalten dieses Städtchens besuchen zu können.
Durch einen Zufall geschah es im September 1764, daß der Maltheser Ritter d'Henin einer Schulübung beywohnte. Bey dieser Gelegenheit hielt gerade Francois eine lateinische Rede und mit so viel Feuer und Anstand, daß er die volle Aufmerksamkeit des fremden Beobachters auf sich zog. Kaum bemerkte der junge Redner diese Theilnahme, als er sich hinsetzte, und in Zeit von wenig Stunden eine Danksagung in französischen Versen ausarbeitete und sie seinem Gönner überreichte. D'Henin verwunderungsvoll überrascht und nun ganz für ihn eingenommen, nahm ihn einige Zeit zu sich, bezahlte dann nicht nur Kost und Lehrgeld für ihn, sondern pries und empfahl ihn allenthalben als einen unterstützungswürdigen, viel versprechenden Jüngling. Francois ward nun allmählig als ein gelehrte Merkwürdigkeit bekannt, und es kamen Reisende in der alleinigen Absicht diese Erscheinung näher kennen zu lernen. Einer derselben ließ folgende Schilderung von ihm in die öffentlichen Blätter einrücken: Der zwölfjährige Knabe antwortete auf alle Fragen mit Bestimmtheit. Er spricht vertraut von alten und neuen Schriftstellern, urtheilt über Staatskunst, Sittenlehre und Geschichte, sogar über Kriegswesen, mit Einsicht. Den Damen sagt er aus dem Stegreif die gewinnendsten Artigkeiten: und so bald er bemerkt, daß man mit den Fragen an ihn zu Ende ist, so hüpft er zu einem Federball oder einem andern Spielzeug mit eben der Theilnahme hin, wie ein Kind von 10 Jahren, das noch mit nichts anderm beschäftigt ist. --
Seine neuen Fürsorger und Beschützer, worunter ein Parlamentsrath von Nancy sich vorzüglich verdient macht, gaben ihm allerley bestimmte Gegenstände zu kleinen Liedern und Gedichten auf. Von diesen Gedichten veranstalteten sie zwey gedruckte Sammlungen: und nun erst strömten dem Jüngling Ermunterungen, Auszeichnungen und Lobeserhebungen von allen Seiten zu. Nicht genug, daß vier gelehrte Gesellschaften -- die von Nancy, Dijon, Lyon und Marseille -- den vierzehnjährigen Francois zu ihrem Mitarbeiter erwählten: der Patriarch von Ferney, Voltaire, dem der Musensohn jene Versuche, mit einer poetischen Zuschrift begleitet, überschickt hatte, erklärte ihn förmlich und öffentlich für seinen Stellersetzer, für den Erben seines Geistes. Francois wurde jetzt als ein gelehrtes Wunderkind im ganzen Königreich genannt. Obgleich Dichtertalente und ein berühmter Name nirgends so leicht vor Nahrungssorgen schützen, als ehemals in Frankreich, so ließen sich doch die Pflegeväter des jungen Nicolaus dadurch nicht blenden. Sie drangen auf Erlernung brodgebender Kenntnisse und Ergreifung eines Standes mit einem goldenen Boden. Francois erlernte nun die Rechtsgelehrsamkeit, trieb einige Zeit das Advocatengewerb in Nancy, und stieg hierauf im Jahr 1772 zur Stelle eines Präsidenten bey dem neu errichteten Landgericht zu Mirecourt, einer Stadt in Lothringen.
Seinem Lieblingsfache entsagte er wegen seiner andern, so ungleichartigen Studien, und Amtsbeschäftigungen keineswegs: vielmehr fuhr er fleißig zu dichten fort und die damaligen Almanache und vermischten poetischen Sammlungen sind von seinen Beyträgen voll. Bisweilen freylich wählte seine Muse seltsam befremdende Gegenstände; aber in der That auch solche, welche die Verherrlichungskunst würdiger Dichter unausgesetzt beschäftigen sollten, und er besang sie mit einer Stärke und einer Wärme, die ein erfreuliches Zeugniß von seinem Sinne für wahre Menschengröße und Menschenliebenswürdigkeit ablegen.
Francois macht übrigens auf seiner dichterischen und gelehrten Laufbahn, trotz aller Anstrengung, in der That diejenigen Fortschritte nicht, die sein frühreifer Jünglingsgeist versprochen hatte. Daher ist es vielleicht zu erklären, daß es ihm, mit der schon im Jahr 1776 unternommenen Herausgabe, und selbst der deßwegen ersuchte vielgeltende Voltaire keinen Verleger verschaffen wollte. Sey es nun aus diesem oder aus andern Gründen: Francois ward seiner Lage und seiner Verhältniße so überdrüßig, daß er sich entschließen konnte, das angenehme Lothringen gegen Westindien zu vertauschen. er reißte nach Paris und kaufte sich im Jahr 1783 die Stelle eines königlichen Obersachwalters bey dem Obergericht auf dem Cap Francois. Von seinen hier geleisteten Diensten hat keiner mehr aufsehen gemacht, als die Abschaffung des Hänselns oder der sogenannten Linientaufe, eines bey den Seeleuten damals allgemein eingeführten Gebrauchs, der freylich nicht selten in Unfug, groben Muthwillen und derbe Geldprellerey ausartete.
Aber der westindische Himmelsstrich schlug unserm Francois in die Länge nicht zu. Er verkaufte daher seine Ober-Richterstelle, um nach Frankreich zurückzugehen. Auf jener Reise dahin litt er Schiffbruch, wobey er einem Theil seiner Manuscripte, unter andern die metrische Übersetzung von Ariosts wüthendem Roland, verlor. Nach seiner Zurückkunft wählte er Paris zum Orte seines Aufenhalts. Unter seinen neuen Bekanntschaften bemerkte man vorzüglich die Frau von Genlis, die ihm die Gunst des Hauses Orleans verschafte.
Nach Endigung der ersten; alles rasch niederreissenden National-Versammlung ward er zum Mitgliede der gesetzgebenden Versammlung erwählt. Hier zeichnete er sich nicht nur durch seine einsichtsvolle, sanftberedte Vorträge aus, sondern auch durch pflichtgetreue Entschlossenheit und Gefahrenverachtung. Er war es, der in dem kritischen Zeitpunkte, den 27. August 1792, da die Preußen herandrangen, den Antrag hat, jedem Mitgliede einen Eid abzunehmen, seinen gegenwärtigen Posten nicht eher zu verlassen, bis der einberufene National-Konvent die gesetzgebene Versammlung abgelöst haben würde. Und es geschah. Ob, und in wie weit er übrigens zum Umsturze des Königthums mitgewirkt habe, ist nicht bekannt: nur versichert er selbst in seiner Anrede bey dem erfolgten Eintritte in das Direktorium, daß auch er und Barras die Gefahren des 10. August getheilet hätten.
In den Convent kam er nicht, wohl aber unter dessen schreckliche Geissel. Francois hatte, wie so viele tausend andere Unglücklichgewordene, sein Vermögen weggegeben, um mittelst einer Leibgülte eines anständigen Auskommens auf Lebenszeit gewiß zu seyn. Doch den ursprünglichen Grundzweck ihrer Zusammenberufung -- Schuldentilgung und Finanzenverbesserung -- hatte schon die erste Nationalversammlung ganz außer Augen gestetzt, und auch die folgenden trieben nur ihr Gespötte mit dem Wehklagen der nach Bezahlung schreyenden Staatsgläubiger. Theils um sich etwas zu erwerben, theils um sich in diesen traurigen Zeiten zu zerstreuen, wollte Francois ein Schauspiel aufführen lassen, das er noch in Saint Domingo im Jahr 1788 ausgearbeitet hatte: Pamela, oder die belohnte Tugend, nach Goldoni. Der damalige Wohlfahrtsausschuß verboth die Aufführung des Stücks, wenn anders der Verfasser es nicht von verdächtigen Stellen reinigen, das heißt, gänzlich verstümmeln würde. Francois fügte sich dem Ansinnen der schnöden Gewalthaber, und änderte sein Schauspiel nach dem Sinne derselben. Mit dieser Gewaltthätigkeit war es indessen noch lange nicht genug, sondern wenige Tage darauf ließ der Wohlfahrtsausschuß den Dichter der Pamela, sammt allen dazu gehörigen Schauspielern, in das Gefängniß werfen. Im Namen der schrecklichen Zehn-Männerschaft trat Barrere auf, und berichtete: Francois Drama athme nichts als Gemäßigtheit -- Moderatism -- er habe sich erfrecht, sogar Adeliche und Engländer als achtungswürdige Personen auftreten, und hämische Verse hersagen zu lassen. Der Konvent ließ sich die ergriffene Maßregel des Ausschusses gefallen, und der schuldlose Dichter ward neun Monathe in den Kerkern herum geschleppt, aller Freuden beraubt und nicht ohne Lebensgefahr. Nach dem Falle Robespierres erhielt er seine Loslassung, und nicht lange hernach, gleich vielen andern barbarisch mißhandelten hülfsbedürftigen Gelehrten, eine Unterstützung von 3,000 Livres, freylich in Papiergeld.
Nachdem er im Jahre 1793 einige Zeit Friedensrichter im Canton Vierey gewesen war, so ernannte ihn, gleich nach Einführung der neuen Staatsverfassung, das Direktorium zu einem Commissair bey der Centralverwaltung im Wasgau-Departement. Das Direktorium war mit dieser seiner Geschäftsführung so zufrieden, daß es ihm, nach Benezech's Verabschiedung, das Ministerium der innern Angelegenheiten anvertraute, welches neue Amt Francois am 31. Juli 1797 antrat. Seine erste Verrichtung war diese, daß er von den Commissairen bey den Central-Verwaltungen über verschiedene Gegenstände der Staats-Religions und Sicherheits-Polizey Berichte verlangte. Vor allem andern ließ er sich die Verbesserung des Erziehungswesens angelegen seyn: Der öffentliche Unterricht, sagt er in seinem Aufruf an die Lehrer und Bibliothekare -- ist unser erstes Bedürfniß; durch ihn müssen wir alles neu gründen.
Doch, ehe Francois seine vielen und schönen Entwürfe in Ausführung bringen, oder nur seine neuen Anstalten in Gang setzen konnte, ward er wieder in eine andere Laufbahn versetzt. Der Revolutionssturm vom 18. Fructidor, (4. September 1797) -- führte ihn in das Direktorium: von den 146 Stimmen in dem damahligen Rathe der Alten erhielt er 111. Wie er sich hier, im Innern des Luxemburgs, betragen, und welche Grundsätze er geäußert hat, ist noch nicht bekannt. Inzwischen verließ er seinen Platz bald wieder, den 9. May 1798; auch war es, wie man fast allgemein behauptet, nicht Zufall, sondern absichtliche Veranstaltung, daß das Austritts-Loos ihn traf.
Bald darauf schickte ihn das Direktorium nach Selz, um mit dem von Sr. Majestät, dem Kaiser Franz, abgeschickten Grafen Ludwig von Cobenzl über einige Friedenspunkte, und besonders der Bernadottischen Angelegenheiten wegen, in Unterhandlung zu treten. Am 30. May wurden die Conferenzen daselbst eröffnet, und den 5. Juni geendiget. Kaum langte er hierauf wieder in Paris an, so wurde er den 17. Juli an Letourneux Stelle, der jetzt austrat, wieder zum Minister des Innern ernannt.
François de Neufchateau.[]
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François de Neufchateau, (N.) geboren zu Brecourt in Lothringen 1750, jähriger Präsident des Erhaltungssenats, Großoffizier der Ehrenlegion, Mitglied des National Instituts xc. xc. Sein Vater, Schullehrer und Zolleinnehmer dieses Dorfs, sah, daß er Hang zum Studieren hatte, und suchte ihm deshalb die Unterstützung einiger Gönner. Der Graf von Morvillier, Gutsherr von Brécourt, empfahl ihn dem Herrn von Elsaß, Großkreuz des Maltheserordens, welcher ihn im Kollegium zu Neufchateau studieren und sodann bey der Gerichtsstelle in Nancy anstellen ließ. Der junge Mann beschäftigte sich aber weit mehr mit der Literatur, als mit den Gesetzen, und wurde in die Akademien von Lyon und Marseille, so wie in die von Dijon und Nancy aufgenommen. Er gieng nach Paris und wurde Parlamentsadvokat, doch nur für kurze Zeit, da seine Vermählung mit der Nichte des berühmten Acteur Préville veranlaßte, daß er von der Liste gestrichen wurde. Nunmehr kaufte er sich eine Oberrichterstelle bey der Landvogtey von Miencourt. Ein sinnreiches Gedicht, das er für das Regiment der Königinn bey Gelegenheit der Geburt des Dauphin verfertigte, erwarb ihm Gönner, durch die er 1783 zum Generalprokurator des Oberraths vom Kap zu St. Domingo ernannt wurde. Als er einige Zeit diesen Posten bekleidet hatte, verkaufte er ihn, und verwandelte die Summe in eine lebenslängliche Pension und ließ sich in der Hauptstadt nieder, wo er die Gunst des Hauses Orleans suchte. Er stand in Verbindung mit Frau von Genlis, damaliger Gouvernante des Herzogs, trat 1789 der Revolution bey, und ward 1790 zum Friedensrichter des Kanton Vichery, sodann zum Mitglied der Deputation von den Vosgen und endlich im September 1791 zum Deputirten dieses Departements bey der Gesetzgebung ernannt. Dreymahl wählte man ihn darinnen zum Präsident. Wegen des von ihm verfaßten Theaterstückes Pamela, das auf dem Nationaltheater gegeben ward, wurde er den 4. September verhaftet; erst nach dem 9. Thermidor kam er wieder auf freyen Fuß, und wurde Richter des Cassationsgerichts. Zu Ende 1795 sandte ihn das Direktorium in der Eigenschaft eines Kommissärs in das Vosgien Departement, wo er sich mit vieler Standhaftigkeit benahm. Den 16. Julius 1797 wurde er an Bénézechs Stelle zum Minister des Innern ernannt; er trat das Ministerium den 1. August an und löste Carnot im Direktorium nach dem 18. Fructidor ab. Zu dieser Epoche traf ihn auch die Wahl zum Mitglied des Nationalinstituts. Nachdem er den 9. May 1798 durchs Loos aus dem Direktorium gewiesen worden war, trat er den 17. May wieder das Ministerium des Innern an, behielt es aber nicht länger als bis zum 22. Juny. Bevor er aber das Portefeuille übernahm, war er in Seltz gewesen und hatte mit dem Grafen Cobentzl Conferenzen wegen des Ereignisses, das den französischen Bothschafter Bernadotte aus Wien getrieben hatte. Ihm verdankt man die öffentliche Ausstellung der Industrieprodukte. In Folge des 18. Brümaire wurde François in den Erhaltungssenat berufen, den 25. März 1801 zum Sekretair, hierauf in den Jahren 1804 und 1805 zum einjährigen Präsidenten desselben ernannt. Außerdem erhielt er die Senatorie von Dijon und den Titel eines Großoffiziers der Ehrenlegion.
Quellen.[]
- ↑ Charakteristische Lebensgemälde unserer denkwürdigsten und berüchtigtesten Zeitgenossen. Herausgegeben von Julius Gustav Meißner. Wien, 1799. Im Verlage bey Anton Doll.
- ↑ Moderne Biographien, oder kurze Nachrichten von dem Leben und den Thaten der berühmtesten Menschen, von Karl Reichard. Leipzig, 1811. In Commission bey Peter Hammer.