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Napoleon Bonaparte.

Napoleon's psychologische Biographie.[]

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Alle wichtige Männer, welche eben darum wichtig werden, weil sie an dem morschen Gebäu der Zeit rütteln, sind ein Gegenstand der Verwünschung der Mitwelt; denn entweder, sie erreichen ihre Zwecke nicht, so werden sie als Abentheurer, die den phlegmatischen Frieden der Menschen stören wollten, geschildert, und dann um so mehr von der furchtsamen Pöbelweisheit verfolgt, je ohnmächtiger sie werden, weil nur bei der Gewalt das Recht ist; oder sie erreichen ihre Zwecke, so knirscht der gestörte, beleidigte Egoismus im Stillen, und sucht seine Geifer in entwürdigendem Geschwätz zu entladen. Die Nachwelt ist erst die ernste Richterin der Zeit; sie geht parteilos über alles hinweg, was die Mitwelt jedesmal falsch richtet, weil letztere entweder die allgemeinen Ansichten des großen Weltbetriebes nicht finden kann, oder nicht finden darf, oder dafür bezahlt wird, daß Schlauköpfe sie nicht finden sollen.

Napoleon Buonaparte ist ohnstreitig ein großes Meteor, ein ganz neuer Komet in falscher Diversion, also im Augenblick seiner Erscheinung furchtbar, entsetzend, Unglück verkündend; wenn er vorüber gelaufen auf der ihm bezeichneten Bahn, so erholt sich die zitternde Menge, und betrachtet ihn näher in seinem Feuerschritt. Alle jene pöbelhaften Schimpfreden, welche so recht eigentlich die Literatur entwürdigen, weil sie nur dem Janhagel, und auch diesem nur einen kurzen Augenblick gefallen können, scheinen jetzt aufzuhören, indem sich keine Abnehmer mehr finden, und man wird bemerken, daß schon jetzt von allen, die nicht zu den hirnverrückten wüthigen Redner, welche ohne diese Wuth keinen Schein von Gehalt in ihre Rede bringen mögten, gehören, über Napoleon Buonaparte mit einer gewissen historischen Mäßigung hinweg gegangen wird. -- Diese allgemeine Mäßigung ist nicht etwa Folge des Mitleidens mit seiner Lage, denn so lange der Mensch in politischer oder religiöser Manie ist, bleibt ihm das Mitleid fremd, und er hat keinen Begriff von dem unschädlichen Kosmopolitismus, und von dem herzerhebenden "Wir gläuben all' an einen Gott!" Diese Mäßigung ist die Folge einer bessern Intelligenz, einer Leidenschaftlosigkeit, welche dadurch entstanden ist, daß der allgemeine Feind der europäischen Freiheit bekämpft, besiegt wurde. Man hält ihn auf St. Helena im Mittelmeer für bürgerlich todt und so können wir auch jetzt schon als das nächste Geschlecht beurtheilt werden, welches mit mehrerer Parteiloser Wahrheit den abgestorbenen Helden beschaut, seine Thaten nach derer Erfolg würdigt, und welches nicht mehr von dem engbrüstigen Geschrei der Betheiligten in einer großen Sache mißgeleitet wird zu einer Beleuchtung, so zu dem Fortschreiten der Volksbewegungen gehört.

Was in dem Rausche von 1814 nicht hätte gesagt werden mögen, um dem künftigen Historiographen unsers Jahrhundert den Arm zu reichen, das darf jetzt gesagt werden, wo endlich wieder eine vernünftige Nüchternheit wiederkehrte, und wo die Mäßigung bereits wieder ihren gebührenden Platz einnimmt, nämlich den dauernden Gleichgewichtspunct zwischen Abspannung und Ueberspannung. -- Dieses bevorwortet, so überlasse man die plumpen, unmotivirten Schimpfreden fernerhin den Bänkelsängern und den Drehorgeln; das gebildete Publikum vergesse nunmehr, bei der Wiederherstellung der Ruhe, jenen Taumel, welcher gar leicht zu einer Ueberladung hätte führen können, und die Mäßigung, diese herrlichste der bürgerlichen Tugenden, trete in Schrift, Wort und That wieder ein. Mäßigung ist die Schwester der Wahrheit, und Wahrheit ist die immer siegende, sicher thronende Herrscherin der Welt.

Jetzt dürfen wir daher den auch wohl die Frage aufwerfen: ob Napoleon Buonaparte wirklich eine solche Ausgeburt der Hölle war, als die bezahlten und unbezahlten Blätter ihn schildern, oder ob er nicht ein Mensch ist, wie andere Menschen sind, und ob er nicht in den nicht gehörig gekannten, und nicht genug berechneten Tücken des menschlichen Wollens das Grab seiner Entwürfe fand?

Die größten Weltweisen alter und neuer Zeit sind darüber einverstanden, daß kein Mensch von Natur böse ist, nicht böse geboren wird, und daß die Lächerlichkeiten von dem größern oder geringern Antheil an der Erbsünde zu den vergessenen Jahrhunderten gehören. Warum sollte denn nun also auch Napoleon Buonaparte als ein vollendeter böser Dämon auf die Welt gekommen sein? Wir glauben es ganz einfach entwickeln zu können, warum er gerade das werden mußte, war er wurde, wir glauben aus der Menschlichen Natur die Gründe darlegen zu können, welche zu seiner Handlungsweise in der letztern Zeit ihn bestimmten, wir glauben den folgenden Jahren die Nativität darüber stellen zu dürfen, ob und was fernerhin von ihm zu erwarten sei.

Fast jeder große Mann war in den Zeiten seiner frühern Jugend, ehe der Körper die Grundlagen zu einer festen Bildung angenommen hatte, ein ganz gewöhnlicher Mensch. Daher finden wir auch in den Biographien großer Männer, daß von ihrer Jugendgeschichte sehr wenig zu sagen ist, und diejenigen unter ihnen, welche bereits eine thatenreiche, frühere Jugend hatten, überlebten sich bald, waren schon überreif in der Zeitperiode, wo die Entwickelung aller Kräfte gleichmäßig ist; sie erschienen eben so schnell als sie verschwanden. Alle wichtige Männer in der Geschichte hatten eigentlich eine nicht gar lange Zeitperiode, in welcher sie Aufsehen erregten; ihre größte Klugheit mußte späterhin darin bestehen, den Ruf dieser Größe sich zu erhalten, und den Kulminationspunkt nicht zu überschreiten; gingen sie weiter, so verloren sie den Streit gegen die weise Einrichtung der Natur, welche jeder menschlichen Größe ihre bestimmten Gränzen gesetzt hat. An diesem Uebertreiben der Größe erlahmten Helden, Volkslehrer und Gelehrte, und sie wurden Tyrannen, Schwärmer und eigensinnige Egoisten.

Napoleon fällt über seine Jugend selbst ein richtiges Urtheil, woraus der Psychologe viel entnehmen kann. Wenn wir nämlich einem sehr gewissenhaften Geschichtschreiber *) trauen dürften, so sagte er einst, als der Fürst Primas und der Senator Fontanes in einer Unterredung über die Spontaneität der Seele befangen waren, von sich selbst:

*) Buchholz Geschichte der europäischen Staaten Bd. IV. Seite 252.

"ich war in meiner frühern Jugend so träge, so unbeholfen, so unbrauchbar, daß man mich für blödsinnig hielt. Plötzlich befällt mich ein hitziges Fieber und bringt meinen Verstand zu einer schnellen Reife. Aber seit dieser Zeit ist mir eine Unruhe des Geistes geblieben, vermöge welcher ich nichts mit Gelassenheit thun, am wenigsten aber anhaltend mich mit etwas beschäftigen kann. Ich besitze die Kraft, die Dinge zu fassen, zu durchdringen; aber ich besitze nicht das Talent, bei ihnen zu verweilen. Was ich mir am Morgen vorgesetzt habe, das muß am Abend ausgeführt sein, wenn ich nicht darüber ermüden soll. Herr über diese meine Eigenthümlichkeit zu werden, ist mir unmöglich."

Nach diesem Selbstbekenntniß gehört er also zu jenen feurigen, schnell auffassenden Köpfen, welche bewundert werden, und bewundert werden müssen, so lange das Glück sie begleitet; welche sich aber leicht übernehmen, dem Glück voraneilen, und welche dann eben so leicht erlahmen und ermüden, wenn das Glück, das doch auf einer Kugel steht, ihnen nicht mehr in die Hände spielt, welche sich nicht leicht ermannen können, selbst wenn sie es wollten, und welche es vorziehn, aus dem Taumel der Lust Verachtung des Menschengeschlechts mit in eine Einsamkeit zu nehmen, die sie bald der Gemächlichkeit wegen lieb gewinnen.

Napoleon Buonaparte hatte in seiner Jugend mehr Neigung zu Wissenschaft und Studium, als zu persönlicher Darstellung. Sein eifriges Studium der Mathematik und der Geschichte auf der Militairschule zu Brienne beweiset den emsigen Menschen, der den Kopf aufzuräumen wünscht. Jenes Studium der Geschichte beweiset besonders das Gefühl für Menschenwerth und Menschwürde, denn wer in dem ersten Jünglingsalter an dem, der feurigen Jugend eigentlich trocknen Studium der Geschichten der Vorwelt Geschmack finden kann, der ist seiner Entwicklungsperiode schon vorangeeilt, und kann bei einer zufällig ungünstigen Konstellation ein gefährlicher, kalt resignirender Mensch werden.

Nehmen wir nun die Verhältnisse, unter welchen Napoleon in seine politische Laufbahn eingeführt wurde, so waren sie ganz dazu geeignet, ihm Lust an Abentheuerlichkeit zu geben, wenn er vielleicht auch schon damals, sofern er frei hätte wünschen und wählen dürfen, eine gemäßigte Ruhe vorgezogen hätte. Er war nämlich in Corsica, auf einer Insel geboren, welche, zu einer Reibung der Streitkräfte herrlich gelegen, dennoch zu wenigen Umfang hat, als daß sie nicht in steter Dependenz von mächtigern Staaten sein müßte, und nach ihrer natürlichen Lage zum Handelsverkehr geschaffen, gehörte sie, wiewohl ungern, der halben Landmacht, Frankreich an. Als Korse konnte daher Napoleon in dem Aufblühen seiner jugendlichen Kraft keinen Nationalstolz haben, und eben so wenig konnte ihm dieser als Franzose eigen werden, da er dem französischen Mutterlande eigentlich entfremdet war. Er war daher nie Patriot, sondern in seinem ersten Wirken, welches Gewöhnung und der Rausch seiner Umgebungen ihm aufdrang, rein Militair, ein studierter Soldat, der um des Waffengemenges willen in seiner lebendigen Jugend jeder Macht, die ihm den Weg der Ehre zeigte, mit Erfolg gedient haben würde.

Die Händel der jungen Republik, die Rivalie der Wortführer, die Sache der Freiheit selbst, die so häßlich mißgestaltet wurde, das alles interessirte ihn eigentlich wenig; er suchte nur militairischen Ruhm, und plötzlich ergriff ihn die Idee, das alte Rom, welches ihn begeistert hatte, in Frankreich wieder herstellen zu helfen. Planlos war sein Fortschreiten, planlos, übereilt, war seine Vermählung mit Josephine. Während er deren Tochter, der jetzigen Gräfin von St. Leu, vielleicht aus aufrichtiger Neigung, so weit der Kriegsmann eine dauernde Neigung haben kann, den Hof machte, überraschte der Director Barras den Obrist Buonaparte durch den Antrag der Vermählung mit der Mutter, um sich selbst zu debarassiren, und Napoleon Buonaparte, der damals auch in einer öconomisch-mißlichen Lage war, würde diese Uebereilung vermieden haben, wenn die Aussicht auf den Oberbefehl in Italien nicht die Ausstattung gewesen wär, welche Barras im Hintergrunde ihm zeigte.

Er war nun mit Josephinen verbunden, und er wurde gezwungen sie zu achten, weil sie geistreich, anziehend war, und an Weltklugheit durch ihre Erfahrung ihm das mittheilte, was in dieser Hinsicht gar sehr ihm abging. Aber lieben konnte er sie nicht, und in diesen Jahren, wo Liebe allein dem wilden, ungestümen Gemüth des Mannes Sanftheit und Mäßigung geben kann, an ein fremdartiges Geschöpf geknüpft, warf er sich ganz der Welt, dem Ehrgeitz und dessen gehässigem Gefolge hin, er, der vielleicht nicht eine ganze Welt erschüttert haben würde, wenn er in diesem Blüthenalter Bande der Liebe geknüpft gehabt hätte.

Napoleons erster Feldzug in Italien begann. Das Glück, dessen Quellen der Gunst noch niemand erforscht hat, und von dem man vielleicht nur um deswillen behauptet, daß es die Jugend begünstige, weil diese schneller auffaßt, mit geringerer Schwerfälligkeit die Formen überspringt, welche pedantische Ordnung alter Gemächlichkeit und unvordenklichen Besitzes aufgeworfen hatte, dieses Glück war ihm hold, und der junge Feldherr hatte einen Namen, der um so mehr von den Verwesern der Republik verbreitet wurde, da der militairische Ruf dieser Republik bereits im Absterben gewesen war. Der zweite italienische Feldzug folgte, und Napoleon Buonaparte verfiel jetzt in den Fehler, in welchen wohl jeder jugendliche Held, der die Schule des Unglücks noch nicht durchgegangen ist, in ihr noch nicht Mäßigung gelernt hat, verfallen muß; -- er übernahm sich, und der Ehrgeitz, welchen der Krieg bei dem Krieger methodisch nähren soll und nähren muß, ergriff mit seiner ganzen Gewalt den thatenlustigen Mann, den die Republik beinahe vergötterte, den das staunende Europa bewunderte. Es gehört die Seele eines Gottes, oder wenigstens eines erprobten Greises dazu, in solchen Nymbus sich nicht zu berauschen.

Er hatte als Oberbefehlshaber nun sehr wohl die Erbärmlichkeit, die Befeindungen, die Kleinigkeitskrämerei des französischen Directoriums kennen gelernt, und er, als Soldat, als eifriger Soldat, erkannte auf der andern Seite auch wieder, welche Gewalt in einer Armee lag, die eigentlich dem Vaterlande entnommen, bereits fremd in dem Vaterlande war; dazu stand er gerade auf dem Boden, wo einst Cäsar mit seinen Legionen, deren Ergebenheit für den Feldherrn er kannte, dem doppelseitigen römischen Senat Gesetze vorgeschrieben hatte; -- und mußte nicht hier der Uebermuth in einem Mann Wurzel fassen, dessen Ehrgeitz überall rege gemacht war, der sich als den ersten Feldherrn, als den Liebling der Armee betrachten durfte, und der bei seinen stillen, ihm selbst noch nicht ganz deutlichen Wünschen in Paris den kleinlichen Befeindungen entgegen sah, die sich um alles Wichtige lagern?

Wären die stillen Wünsche ihm schon damals ganz deutlich, schon ganz verarbeitet gewesen zu einem Plan, der die Republik aus ihren Angeln reißen solle, so würde er damals nicht so leicht sich bequemt haben, mit seinen 40,000 Kriegern, welche Italien erobert und die Ehre der Republik gerettet hatten, nach Egypten zu gehen. Denn daß die Domquixottiade dieses Zuges nach Egypten und Syrien weiter nichts bezweckte, als die ungestümen Pocher der italienischen Feldzüge aus Frankreich los zu sein, und sie in ein mißliches Exil zu schicken, das lag zu Tage. Napoleon aber war damals noch zu sehr Soldat, dessen erstes Gesetz Subordination ist, und kannte die Schwächen der Regierungsverwaltung noch zu wenig, als daß er schon jetzt gewagt hätte, selbst eine Autorität bilden zu wollen, und er schiffte sich zu dem abentheuerlichen Zuge ein.

Dieser Marsch nach Egypten hat auf seinen Charakter und aus seine nachherige Handlungsweise einen vielfach schädlichen Einfluß gehabt. Bei der Expedition selbst sah er nämlich erst, was der Zweck derselben gewesen sey, und dadurch setzte sich ein Gefühl seiner Kraft, und eine Erbitterung gegen die Häuptlinge der Republik bei ihm fest. Was er galt, war ihm durch seine Verweisung nach Egypten kund gethan, und aus dieser Betrachtung folgte dann allmählig auch die Reife des Entschlusses, heimzukehren, und sein Glück auf einem bessern Wege weiter zu versuchen. -- In Egypten und in Syrien aber hatte er übrigens so viel zugelernt, daß durch die Abentheuerlichkeit verwegener Züge eine kleine Armee bei Laune erhalten, und ein weit überlegenes Volk in Schrecken gesetzt werden könne; die Art aber, in diesen Südländern Krieg zu führen, mußte ihn gefühllos gegen Menschenleben und Menschenwerth machen, weil an eine Schonung des Blutes nicht zu denken war, wenn die Expedition von Fortgang sein sollte. Die Schreckenszeiten der Revolution, in welcher er sich zum Soldaten gebildet hatte, waren eine Kleinigkeit gegen die hiesigen Nothwendigkeiten des Krieges. Der Mensch fällt so von Stufe zu Stufe, wie er von Stufe zu Stufe zu steigen vermag. Verhärtet und erbittert kehrte er nach Frankreich zurück.

Ueber den Motiven dieser Rückkehr liegt ein Dunkel, und es ist zweifelhaft, ob er von einer Parthei zurückberufen worden, oder ob er aus eignem Willen die Armee in Egypten in der mißlichsten Lage verlassen habe, um sich der Gefahr auszusetzen, von englischen Schiffen aufgegriffen zu werden. Wir nehmen psychologisch an, daß er, nach seinen italienischen Feldzügen dazu hingerissen, eine große Rolle spielen zu wollen, den Einladungen jener Parthei gehör gab, ohne jedoch ihre Maschine sein zu mögen, und unerwartet, gefürchtet und angestaunt erschien er wieder in der Hauptstadt.

Mehr sein Ruf als Soldat und die Beförderung der Gegenparthei, denn seine Intrigue, erhob ihn zum Konsul, und seit er zum ersten Konsul ernannt war, beherrschte ihn der Ehrgeitz, ein Rausch, der den Gebieter eben so leicht ergreift, als den geringern Mann, und der in beider Wirkungskreisen verhältnißmäßig von gleichen Folgen ist.

Er war überrascht von seinen Fortschritten, welche mehr Werk des Zufalls und der Emporhülfe einer Parthei, als eigner Methodie und Berechnung gewesen waren, und da denn im Besitz des Erworbenen, in dem Genuß der Hoheit sich kein Erdensohn gern stören läßt, so erwuchs mit der stillen Beachtung der Wahrheit, sobald der Kaiserrausch vorüber war, auch die Furcht riesenhaft neben dem furchtbaren Beherrscher Frankreichs auf.

Diese Furcht, eine nothwendige Folge des stillen Anerkenntnisses ungebührlicher Größe, war von jetzt an sein Tyrann, und sie muß in der Menschlichen Natur liegen, weil sie bis jetzt noch bei jedem Emporkömmling sich schwarz gestaltet hat. Diese Furcht riß ihn zu dem Mord des Herzogs von Enghien, zu dem Verfahren gegen Moreau und Pichegrü hin, diese Furcht schuf jene tyrannische, geheime Polizei, diese Furcht machte ihm alle Pressen gehässig, diese Furcht macht ihn zum Sclaven seiner Generale, mit denen er in den Lägern aufgewachsen war, denen er aber die Bereicherung nicht abschlagen konnte und durfte, weil sie die Säulen seines Thrones waren. Er sah es ein, daß die Armee ihn auf den Thron geführt habe, und daß er diese Armee beschäftigen, bei Laune erhalten müsse, wenn seine Würde gesichert bleiben solle; daher führte er anfänglich seine Kriege mehr als Theaterspiele, denn aus Eroberungssucht.

Die glücklichen Kriege von 1805 und 1806 gaben ihm als Kaiser zuerst Vertraun zu seiner Selbstständigkeit, und er suchte Dauer in das zu bringen, was ihm in dem Rausch bis dahin nur als ein Traum vorgekommen war; er suchte sich nicht blos die Armee, sondern die Grundlage der Armee, nämlich das Volk zu gewinnen. Er hatte nunmehr angefangen, ein festes Haus für sich gründen zu wollen, daher schmückte er Paris mit Trophäen aller Art, am eitlen Franzosen eine Lust zu machen, daher erhob er seine Familie überall, wo er nur konnte, daher suchte er Zusammenkünfte, Freundschaftsverbindungen und Verwandschaftsverhältnisse mit altfürstlichen Häusern anzuknüpfen, ein sicherer Beweis davon, daß er in dem Vertrauen der Armee nicht ganz, und in der Anhänglichkeit des Volkes bei weitem noch nicht eine feste Zuflucht zu haben glaubte.

Hier hätte er stehn bleiben sollen, aber hier war auch der Scheidemark menschlichen Ungestüms, menschlicher wilder Leidenschaft. Die Eroberungssucht hatte ihn ergriffen, sie, welche schon so viele Staaten zerrüttet, so viele blühende Geschlechter mit Krieg überzogen hat. Die Landcharte war sein Studium geworden, und der Anblick Europa's machte die Lust in ihm rege, immer mehr sich zu erweitern. Eroberungssucht ist, wie die Habsucht, ein herabrollendes Rad, welches alles um und neben sich niederschmettert, bis es zuletzt selbst zerschmettert wird.

Wir sind fest überzeugt, die Trennung von Josephinen that ihm weh, denn wenn er auch, wie jeder Mensch mit hitzigem Blut, häufig unsanft gegen sie gewesen war, so hatte doch die Achtung vor ihren Gaben, die Gewöhnung und der Umstand, daß sie in allen Lagen seines Emporringens seine Vertraute, oft sogar seine Rathgeberin gewesen, eine Art von Liebe erzeugt. Hätte er aus Ueberdruß, oder im Zorn, oder aus einer andern gehässigen Leidenschaft sich von ihr getrennt, er würde sie anders behandelt und unschädlich gemacht haben, zumal denn er, der leidenschaftliche Mensch, der allgewaltige Herrscher, oft in Verfolgung derer, welche er seiner Person für gefährlich hielt, keine Gränzen kannte. So aber mußte er von der Rechtlichkeit Josephinens überzeugt sein, und der Brief, den sie ihm schrieb, als er ihr Cambaceres zugesandt hatte, beweiset es. Er ließ ihr nachher volle Freiheit und den Genuß ihrer Vorrechte nicht etwa aus Furcht, daß sie auch eine Parthei habe, denn jede Staatspolitik läßt sich dem Publikum auf eine andere Art auftischen; sondern aus voller Ueberzeugung, daß sie auch in der Entfernung noch seine Freundin blieben werde. -- Er stand jetzt, nach den neuesten östreichischen Niederlagen auf der Höhe des Glücks, und Furcht, vielleicht eine Furcht, welche um deswillen nicht ungegründet war, weil er die republikanischen Köpfe unter seinen nächsten Umgebungen, unter seinen Hof- und Staatsbeamten und Marschällen sehr wohl kannte, und sie doch nicht entfernen durfte, diese Furcht bestimmte ihn selbst, nachdem er bereits seine Familie mit fremden fürstlichen Häusern in Verwandschaft gebracht hatte, seine Hand einer Prinzessin alten, hohen, durch Jahrhunderte bewährten Ranges anzubieten.

Nach dieser Vermählung und schon früherhin, nach den Zusammenkünfte in Weimar, wo er freilich den Zweck, den er eigentlich schon damals beabsichtigt hatte, nicht erreichte, führte er in Frankreich selbst eine andere Sprache als bisher, indem er nunmehr einen sichern Rückhalt an seinen fremden Verbindungen zu haben glaubte. -- Sein Krieg gegen Rußland hat die Politiker beschäftigt. Einige glaubten, er habe diesen Krieg entzündet, um sich den Landweg nach Ostindien zu bahnen; andere meinten, es sei die Besiegung Rußlands ein Schritt weiter zu der bezweckten Universalmonarchie, und so hatten andere immer andere Meinungen. Aufrichtig gesagt aber, so war dieser Krieg von Napoleons Seite weiter nichts, als die Folge eines Privathasses, der er glühend fühlte, weil er seine Person beleidigt glaubte, und der Stolz, welcher bei dem Menschen allmählig zu einer Höhe heran wächst, die ihn bethört und zum Uebermuth hinreißt, riß auch ihn zu dem Kriege hin, der um deswillen sein Grab werden mußte, weil der Privatmann die politische Lage, die politischen Verhältnisse nicht genugsam erwog. Es mag allerdings dem Regenten, der die Macht hat, schwer fallen, seine Rachsucht, seinen persönlichen Unwillen unter der Lage und dem Verhältniß der Politik gefangen zu geben; aber wir bemerken auch auf der andern Seite, daß alle Kriege, welche aus Persönlichkeit angefangen wurden, über den die Strafe verhängten, der die Politik mit ihren Warnungen und Berechnungen nicht genugsam gehört hatte.

Ueberhaupt aber ist Napoleon nie Politiker im eigentlichen Sinne des Worts gewesen. Sein Heftiges, stürmisches Gemüth, von dem er selbst sagt, daß es am Abend das ausgeführt verlange, was es am Morgen beschlossen, seine Unstätigkeit und Geistesunruhe, ließen es nicht zu, mit dem Schneckengang des Diplomatikers sich zu befassen, um so weniger, da bis jetzt sein Schwerdt ihm nützlicher gewesen war, als die Feder, da er gewohnt war, gleich jenem Alexander den gordischen Knoten zu zerhauen, da er die Erfahrung gemacht hatte, daß Ueberraschung und Bajonette bei dem schwerfälligen Geschlecht, wie sein wilder Geist es vorfand, besser durchhalfen, als Federgekritzel und Staffettenreiterei.

Uebrigens war, seit er den Kulminationspunct überschritten hatte, seine Politik, so weit er sich damit befaßte, treulos. Er suchte, die Süßigkeit des Herrschers wohl empfindend, in dem Taumel der Größe den Menschen von dem Kaiser Frankreichs zu trennen, und letzterer, als Politiker genommen, galt ihm nichts; denn "die That, die Kraft und der Nachdruck" behauptete er, "gelte mehr als alle politische Verträge, welche schon seit Menschengedenken immer gebrochen wären, und von dem Klügern stets gebrochen werden würden!" -- "Mit dem Herzen regiert man nicht; das Schwerdt muß drein schlagen!" sagte er einem fremden Abgesandten, und er studierte förmlich die Kunst und die große Entsagung, das Herz auf den Thron mit zu bringen. Hätte er seinen Leidenschaften Fesseln anlegen können, hätte Ehrgeitz und Eroberungssucht ihn nicht beherrscht, hätte er Mäßigung in der Rede gewinnen können, wäre er nicht in den Kriegsschulen aufgewachsen, und wären die Schreckenszeiten der Revolution nicht seine erste Bildung gewesen, wäre er durch die Wege des Unglücks zum Glück gegangen; er würde die erste Tugend des Herrschers, Entsagung, gelernt haben, und noch jetzt auf einer furchtbaren Höhe dastehn. So aber riß ihn der Taumel der ungezügelten Leidenschaft, welche bis dahin keinen Damm, keine Schranken gefunden hatte, von That zu That, von Verwegenheit zu Verwegenheit.

Daß er in Zeiten der Nüchternheit, der Natürlichkeit, wo er von dem Regentenrausch frei war, Liebenswürdigkeit entwickelte, das beweisen viele einzelne Züge, und wir führen davon vor die treue Anhänglichkeit seiner Diener an seine Person an, da sie ihm, fast mit Gefahr ihrer Persönlichkeit, in das Unglück folgten, mit Aufopferung von Vortheilen, die bei ihm ihnen entgingen. Solche Anhänglichkeit des Menschen an den Menschen, zu einer Zeit, wo von schmeichelnden Hoffnungen dem vernünftigen Mann die Rede nicht mehr sein kann, beweiset den ursprünglichen Menschenwerth. Napoleon würde hiernach ein allgeachteter Privatmann geworden sein, wenn er nicht auf Militairschulen erzogen worden, und wenn er nicht die französische Revolution dem ersten Ausbruch der Thatkraft des Jünglings Raum gegeben hätte.

Man wirft ihm, besonders auf den letzten Zügen gegen den Norden, Feigheit vor, und man behauptet, daß er nur ein einzigesmal, an der Brücke von Lodi, persönliche Tapferkeit gezeigt habe. Allein wo finden wir bewährte Feldherrn, welche sich selbst mit vollem Grunde unnöthiger Gefahr aussetzten? Wallenstein sagte: "fällt das Haupt, so sind die Glieder verloren!" und das sollte jeder Feldherr beherzigen! die Erfahrung hat es auch in neuern Zeiten gelehrt, das, wenn die Anführer diese nothwendige Maxime überspringen, und persönliche Bravour da zeigen wollen, wo ein handfester Bauernsohn sie immer handgreiflicher beurkunden mag, sie selbst ein Opfer ihrer Gymnastik u. w. w. werden.

Die Leipziger Schlacht war die erste Strafe seines Stolzes, seines Uebermuths. Seine weniger berauschten Marschälle riethen ihm, sich an dem Rhein aufzustellen, und die Garnisonen bis dorthin zurückzuziehen, allein er hielt es für schimpflich, einen Rückzug von der Weichsel bis an den Rhein zu machen, er fühlte jetzt die Folgen davon, wenn man das Publikum der Residenz durch Bülletins, Proclamationen u. s. w. zu sehr in die genauern Verhältnisse der Kriegsbewegung einweihet, und, gewiß ungern, wir wollen nicht sagen unbesonnen, stellte er sich an den Linien von Leipzig auf. Man kann geradezu sagen, daß er in diesen Schlachten den Kopf verloren hatte. Das Zusammendrängen in Leipzig, das Aufopfern des polnischen Korps, der nicht vorher berechnete Rückzug, das alles sind vollständige Beweise von seinem tumultuarischen Verfahren, welches ihn jedesmal aus der Fassung brachte, sobald er in einem, sich eigensinnig vorgesetzten Plan gestört wurde.

Napoleon, ein excentrischer Kopf, hat in mehrern Feldzügen es bewiesen, daß er zu einem Fabius nicht geboren ist, und daß er in den mißlichsten Augenblicken die Armee verläßt. Dieses, was Folge der allgemeinen Furcht ist, welche ihn beherrscht, verbreitete falsche Urtheile über ihn, die aber um deswillen nicht ganz falsch sind, weil er der angestammten Furcht, der heimlichen Aengstlichkeit nichts entgegen zu setzen hat, was Kraft, unerschütterliche Kraft verriethe. Dieses Verlassen der Armee in den mißlichen Umständen, wo an einen Sieg nicht mehr, sondern nur an die Geschicklichkeit, einen ehrenvollen Rückzug zu führen, zu denken war, beweiset sehr deutlich, daß Napoleon nicht jene Beharrlichkeit hatte, welche einen Feldherrn schmückt, der auf festen Füssen steht; daß er als ein verwöhntes Kind des Glücks sich nicht zu sammeln vermogte, wenn das Glück einmal sich von ihm wandte; daß er trotzte, pochte und fluchte, wo er hätte handeln und ausdauern sollen. So geht es allen verwöhnten Kindern des Glücks, im bürgerlichen Leben sowohl als im öffentlichen; dem Zufall anheim gegeben im Glückslauf, können sie eben so das eindringende Unglück durch Kraftanstrengung nicht aufhalten, und sie wissen es nicht, daß man Herr der Unglücks werden kann, wenn man die Gewalt der einfallenden Macht anerkennt, und sogleich im Augenblick nicht Trotz, sondern Handlung dem Ereigniß entgegen stellt. Es ist uns, wenn wir hier blos die Feldherrn beachten, in dieser Hinsicht keiner musterhafter, als Friedrich der Große. Gerade seine Niederlagen machten ihn groß und seinen Feinden furchtbar. Ein Napoleon würde nach dem Ueberfall bei Hochkirch, nach der Schlacht bei Kollin durch übereilte Flucht gänzlich verloren gewesen sein; Friedrich behielt seine Fassung in jedem Augenblick, und handelte in jedem Augenblick. Woher dieser Unterschied? Friedrich führte einen nothwendigen Vertheidigungskrieg, Napoleon hingegen einen nicht zu rechtfertigenden Eroberungskrieg! -- Das Gefühl der Unrechtmäßigkeit der Sache muß denn auch wohl bald eine Ungewißheit, eine Furcht, eine feige Zurückgezogenheit aufdringen!

Napoleons Wille war ursprünglich gut, aber der Mann war nicht reif genug dazu, diesen guten Willen mit den menschlichen Schwächen zu vereinbaren, und "das verwöhnte Wiegenkind: Majestät!" wie Schiller die Benennung giebt, konnte aus alter Gewöhnung den Widerstand nicht ertragen; es kämpfte daher nur, nach der Leipziger Schlacht, den Kampf der Centauern und Lagythen gegen den Himmel. Denn wenn ein Kind des Glücks, das auf sein Glück trotzig pochte, einmal gestört und gehemmt wird in seinem Lauf, so ist der Eisbruch auch sogleich entschieden, und die Schollen thürmen sich auf, welche dem Strom eine andere, fremde Richtung geben!

Napoleons Kampf mit den Verbündeten jenseits des Rheins beweiset es sehr deutlich, daß er nach der Leipziger Schlacht den Kopf verloren hatte, und als Poltron festgestellt werden durfte; denn er mag durch seine Erklärungen noch so sehr sich rechtfertigen wollen, daß es nicht seine Schuld gewesen sei, wenn Paris preis gegeben wurde, so war doch nach dem Gefecht bei Aix sür Aube seine Bewegung gegen Lothringen und den Elsaß hin ein Zug, welcher nur eine Abentheuerlichkeit darthun konnte, so dem besonnenen Krieger nicht geziemt.

Nachdem die Alliirten mit überraschender Eil und unter Begünstigung des Glücks Paris erst berennt und dann eingenommen hatten, that Napoleon damals etwas, der neuen Kathastrophe einen Damm entgegen zu werfen? Er blieb vielmehr ruhig in Fontainebleau, und erwartete die Dinge, so da kommen sollten. Was ist in psychologischer Hinsicht hieraus zu entnehmen? -- -- Er sah das Gebäude zertrümmert, welches er nicht selbst sich aufgeführt hatte; der Zufall hatte die Steine dazu geliefert, und den Platz gegeben, die Streitlust der Menschen hatte die Arbeiter geliefert, und das Fatum fand das Gebäude zu hoch, als daß der Blitz nicht hätte hineinschlagen sollen und müssen.

Auf jede Anspannung muß zuletzt Abspannung folgen. Hier war der Zeitpunkt erschienen, wo für ihn eine gänzliche Abspannung eintreten mußte, und seine Abschiedsrede an die Garden ist weiter nichts, als ein zu damaliger Zeit ihn beherrschendes -- wenn wir wollen -- edles Gefühl der Schwäche, womit objective und subjective Rührung sich sehr leicht verbinden.

Auf Elba schlief er das Ermattungsfieber aus, und die Rückerinnerung drängte sich an ihn, die Gegenwart zeigte ihm den Abstand, der Schlaf der fürstlichen Anstrengung hatte eine Art von Erholung gegeben, die Thatenlust regte sich wieder, die alte Gewöhnung ließ sich nicht unterdrücken. So gab er, zunächst nicht selbstthätig, fremden Aufforderungen Gehör, und wurde, eigentlich ein Werkzeug jacobinischer Parthei, nach Frankreich wieder zurückgeführt.

Er war jetzt nüchtern geworden von dem Regentenrausch, der ihn zu Grausamkeiten aller Art verleitet gehabt, und seine ersten Verfügungen auf dem Zuge nach Paris hin, und dort selbst, zeugen von einem gewissen Willen, mehr Wahrheit und Treue in sein künftiges Leben zu bringen. Warum wollten wir denn auch die menschliche Natur dadurch schänden, daß wir behaupteten, seine Anerkennung der Rechte des Volks, sein Verzeihen sei eine Spiegelfechterei gewesen, und seine Mäßigung wäre nur als verhaltene Rache zu betrachten? -- Er sehnte sich nach dem Besitz zurück, den er durch den Taumel des Uebermuthes verloren gehabt, er hatte in der Einsamkeit den Werth dieses Besitzes erkennen gelernt, und er fühlte es schmerzlich und drückend genug, daß er, um diesen Besitz wieder zu erlangen -- und was thut der Mensch um des Besitzes willen nicht! -- ein Popanz verschiedenartiger Partheien sein müsse. Dabei aber drückte ihn die Furcht, weil die verbündeten Mächte ihn als einen Räuber in die Acht erklärt hatten, und er beeilte die Versammlung des Maifeldes, um als Repräsentant der Nation in den Schutz der ganzen Nation gegeben zu werden.

Dieses sehr klug berechnete Manövre wurde durch das Einrücken fremder Truppen nicht gestört, und nun glaubte er seine Persönlichkeit, für welche er, seit der Abentheurer einen werthen Besitz errungen gehabt, immer sehr besorgt gewesen war, gesichert; nun stellte er sich an die Spitze der Armee.

Seine ganze Expedition nach den Niederlanden hin beweiset, daß ein geheimes Grauen ihn beherrschte, ein Grauen, welches den Mangel dreisten Vertrauens auf das Glück, auf die Gerechtigkeit der Sache beurkundet, und ohne dieses Vertrauen wird der Waghals, besonders im Kriege, jedesmal die Beute seines Beginnens. Die Unsicherheit in seinen Unternehmungen war sichtbar in allen seinen Bewegungen; seine Schätze und das Wesentlichste von dem, was ihm werth war, nahm er mit sich; -- er befürchtete eine Niederlage, und war also schon halb geschlagen!

Am 18ten Juni 1815 entschied der Gott der Wahrheit; die Armee Napoleons wurde gesprengt. Hätte er nun noch Vertrauen zu seiner Sache gehabt, wäre er jetzt noch mehr Soldat gewesen, als man ihn betrachten und fürchten will, so würde er bei Paris sich gesetzt, und, nachdem dieses in einen Aschenhaufen verwandelt worden, mit dem Rest der Armee sich an die Loire gezogen haben. So aber fühlte er nur zu sehr, daß sein Reich erloschen sei, und aus Mißmuth, Kleinmuth, Niedergeschlagenheit und Erschlaffung dachte er, was schon seit 1805 seine herrschende Neigung gewesen war, nur an sich selbst, an seine Selbsterhaltung. -- Frankreich, was ihn eigentlich nie interessirt hatte, gab er auf; der Ermüdete, welcher bereits wieder aus dem Schlaf gestört worden war, sehnte sich nach Ruhe. Unerreichte Wünsche, gestörte Hoffnungen, die Undankbarkeit der Menschen, das Anerkennen der Strafe seiner eignen Ueberhebung, und die Ueberzeugung, daß er zu ohnmächtig sei, dem Zeitgeist, der ihn bereits gerichtet habe, sich entgegen werfen zu können -- das alles lud ihn ein, nach einem Asyl sich umzusehn, und wo konnte er dieses anders suchen, als in England? –

Wir glauben daher, daß seine Landung an einem englischen Schiff durchaus keinen politischen Zweck hatte, und daß er vielmehr dadurch blos seine Persönlichkeit retten wollte. Der authentische Brief an den Prinz Regent von England, den er am Bord des Bellerophon schrieb, ist davon der sprechendste Beweis. Freilich glaubte er vielleicht, in Schottland etwa sich aufhalten zu dürfen, aber, um auch den geringsten Schein zu vermeiden, war seine Entfernung nach dem Mittelmeer nothwendig, zumal man, vielleicht nicht ganz mit Unrecht, England Vorwürfe darüber machte, daß es diesen Störer der Ruhe des festen Landes von der Insel Elba wieder habe entschlüpfen lassen.

Jetzt ist ein großer Theil der Menschen besorgt, daß Napoleon Gelegenheit suchen werde, von St. Helena wieder zu entschlüpfen, und Zeitungsschreiber stellen ihn sogar bereits wieder an die Spitze der türkischen Armee. Allein man kann wohl bei richtiger Erwägung der Umstände und Verhältnisse fest davon überzeugt sein, daß er nie wieder am politischen Horizont als bedrohender Komet erscheinen wird. Denn was zunächst ihn selbst betrifft, so ist er, nach seinem letzten Benehmen zu urtheilen, so ermüdet, abgespannt, erschlafft, überreif und unzufrieden mit dem Menschengeschlecht, daß er keine Veranlassung zu kriegerischen Thaten mehr in sich findet. -- Sonst schlief er kaum vier Stunden in der Nacht, jetzt hält er seinen Schlaf von beinahe zwölf Stunden, er wird dabei immer stärker, ist ein Freund der Tafel geworden, der Geist ist also in decadente domo, während der Körper seine Rechte fordert. Die Verkohlung des Geistes ist danach klar. -- Durch sich selbst wird er daher nie wieder, sofern ihm eine Gemächlichkeit des Lebens gewährt wird, gefährliche Intriguen anspinnen. -- Doch, um nicht die psychologische Ansicht zu sehr zu beschränken, er wird sich in der Einsamkeit wieder erholen, er ist ein Freund der Geschichte der Vorzeit; das Lesen der Großthaten exilirter Griechen und Römer kann seinen jetzt schlummernden Geist plötzlich wieder aufrütteln; man wird daher, so lange noch ein Athemzug in diesem Körper ist, diesen riesenhaften Geist, wenn er auch sich selbst überlebt hat, nie aus den Augen zu verlieren haben!

Wenn auch Napoleons Glorie in Frankreich für immer erloschen sein möchte, da der Haufe der Armee nur Kindern des Glücks folgt, wenn also hiernach auch eine Wiederkehr in Frankreich nur von kurzer Dauer sein könnte, da die Gegenparthei schon zu sehr festen Fuß gefaßt hat, und die Ausländer, welche die Bourbons beschützen, von den Franzosen nicht als solche Hottentotten anerkannt sind, wie Napoleon in seinen Bülletins sie ausgeschrien hatte; so ist doch noch eine andere psychologische Rücksicht zu würdigen.

Auf Frankreich selbst hat er verzichtet, davon sind wir überzeugt, allein das Gefühl der Rache kocht in seinem Herzen. Wird ein so stolzer Mann wie er, diese Demüthigung lange ertragen können, ohne seiner Rachelust, einer nothwendigen Folge der Demüthigung, Raum geben zu wollen? Und wozu verleitet eine solche Rachlust nicht? Sie kennt keine Vaterlandsliebe, keine Verträge, sie bringt dem beleidigten Stolz Opfer, wo es nur sei, blos um sich zu sättigen. Wie nun, wenn Napoleon, aus seiner Erschlaffung erwachend, wiederum nach Thaten sich sehnt? Daß jede Macht, welche einen Krieg gegen das jetzt herrschende System anzeddeln wollte, seiner sich zu bemeistern suchen würde, das ist wohl natürlich, und daß dann er allein, wenn er will, eben so viel gilt, als eine Armee, das ist auch wohl natürlich. Wie nun, wenn er will? Wenn er bald, aus Gewöhnung an das Kriegsleben, und aus Rachsucht dem sich dingt, der ihn befreit? -- Nordamerika würde ihn mit Freuden aufnehmen, in Konstantinopel würde er das ausführen, was Sebastiani vorgearbeitet hat, und selbst Mächte, von denen man es nicht glauben sollte, würden schon jetzt ihm ein Generalkommando übergeben. Daß er es nicht unter seiner Würde halten dürfte, in dieser Art wieder aufzutreten, das geht schon daraus hervor, daß er nach seiner Abdankung in Frankreich dem Senat die Anerbietung machte, er wolle blos als General in der französischen Armee diesen, und vielleicht war diese Erklärung auf die Folgen berechnet.

Wenn solcher Fall eintreten sollte, was Gott verhüten möge, dann würde so recht eigentlich das Sprichwort Platz greifen: Holland ist in Noth! Als Usurpator von Frankreich wird Napoleon nie wieder gefährlich werden, als Partisan aber kann er, wenn St. Helena nicht fester ist, als das Vertrauen zu menschlichen Zusicherungen, vielleicht noch Waffengattungen aller Art in Bewegung setzen. Ja! wenn der weiße Sperling, der allgemeine Friede, schon erschienen wäre, dann wäre es etwas anders! So aber erwäge man, für jetzt nur den kleinen Vorläufer der Unruhen in Spanien durch General Porlier, den sogar kirchlichen Zwiespalt im südlichen Frankreich, die Pulvertonne Paris, die Unruhen in Irrland, die ungeheuren Rüstungen der ottomannischen Pforte, das Aufhorchen der nordamerikanischen Freistaaten, die Kriegserklärungen der Raubstaaten die afrikanische Küste entlang, und so vieles andere, so unter der Asche noch glimmt, was aber dem Seher nicht entgeht -- und man wird sich davon überzeugen, daß nicht Wachtschiffe genug um St. Helena stationirt werden können! --


Augenzeugenbericht.[]

Lieutenant John Bowerbank, im Dienst auf dem Bellerophon.[]

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[1815]

Kurz nachher, nachdem er seinen Anzug geordnet hatte, kam er aufs Verdeck. Hier hatte ich Gelegenheit ihn aufmerksam zu betrachten.

Napoleon Bonaparte hat eine Größe von etwa 5 Fuß 7 Zoll. Er ist ziemlich corpulent, aber vorzüglich gut gebaut. Sein Haar ist sehr schwarz, kurz abgeschnitten, und der Backenbart abgeschoren. Die Augenbraunen gewölbt, die Augen grau, aber so durchdringend, als ich sie je sah. Er hat ein etwas volles Gesicht, eine dunkle, aber ganz besondere Gesichtsfarbe, Nase und Mund proportionirlich, die Schultern breit, und anscheinend kraftvoll gebaut. Im Ganzen ist er ein wohlaussehender Mann, und muß in seiner Jugend hübsch gewesen seyn. Er hat das Ansehen eines Mannes von 45 bis 46 Jahren, seinem wirklichen Alter, und gleicht sehr den verschiedenen Kupferstichen, welche ich von ihm in London gesehen habe. Sein Gang gleicht einem Marsch, so weit ein Seemann darüber urtheilen darf. Um die Darstellung zu vervollständigen, muß ich hinzufügen, daß er im Gehen gewöhnlich seine Hände in den Beinkleidertaschen oder auf dem Rücken gefaltet hält.


Quellen.[]

  1. Leuchtkugeln. Ein Journal in zwanglosen Heften. Germanien, 1815. / Quedlinburg, 1815 in Commission bei Gottfried Basse.
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