Marseille.[]
Marseille, die Hauptstadt des französischen Departements der Rhonemündungen, eine große und schöne Handelsstadt an der Küste der Provence, mit einem Freihafen. Sie wird in die alte und neue Stadt getheilt. Berühmt ist die schöne Aussicht (Vista) auf einer Anhöhe von Marseille, von welcher man das mittelländische Meer vor sich, und zur linken unzählige Lusthäuser (Bastiden genannt) übersieht. Marseille zählte vor der Revolution gegen 100,000 Einwohner, hatte beträchtliche Fabriken von Alaun, Seide, Galanteriewaaren, Tapeten, die im Generalarsenal verfertigt werden, Seife (Marseiller Seife), Corallen u. s. w. und trieb einen ansehnlichen Handel nach der Levante, nach Italien und Spanien und nach der nordafrikanischen Küste. Der Hafen, dessen Eingang wegen verborgner Klippen gefährlich ist, kann mehrere tausend Schiffe fassen; für Kriegsschiffe ist er jedoch zu seicht. Die Citadelle auf der einen und das Fort St. Jean auf der andern Seite decken ihn. Außerdem beherrscht das auf einem steilen Felsen liegende Fort Notre Dame de la Garde die auf der Landseite nicht befestigte Stadt. Das Trinkwasser wird durch Wasserleitungen herbeigeschafft.
Zu den Sehenswürdigkeiten gehören einige jetzt aufgehobene Klöster, die Domkirche (vormals ein Dianentempel), das Rathhaus, das Hospital, der Palast des Gouverneurs, das Zeughaus und das neue Arsenal. Ferner ward allda 1726 eine Akademie der schönen Künste, und 1803 ein Lyceum errichtet, mit welchem eine öffentliche Bibliothek verbunden ist. Wegen des Handels halten sich immer eine große Menge Fremde daselbst auf, auch ist der Ton daselbst frei, ungezwungen und herzlicher als in Paris. Marseille gehört übrigens zu den ältesten Städten von Europa; es wurde zu den Zeiten des Tarquinius Priscus von einer Colonie der Phocäer erbaut, hatte eine freie aristokratische Verfassung, und war ein Sitz der Künste und Wissenschaften, bis die Barbaren Südgallien überschwemmten.
Handelsberichten.[]
- [1812]
Aus Frankreich, vom 17ten December. [2]
In unsern mittelländischen Häfen kommen jetzt auch öfters amerikanische Schiffe an. Zu Toulon hat auf Betrieb des amerikanischen Handelsagenden, Herrn Chatalan, ein großer Verkauf von Kolonialwaaren stattgehabt, die auf der dort eingelaufenen amerikanischen Brigg "The star of Salem" geladen waren.
Die während der Anwesenheit einer zahlreichen englischen Flotte vor Toulon unterbrochene Schifffahrt nach Marseille war eine Zeitlang, nach Entfernung der brittischen Kriegsschiffe, wieder frey und es kamen bereits viele Handelsschiffe im Hafen von Marseille an. Die bedeutendsten waren aus Genua und Livorno. Ihre Ladung bestand meistens in italienischen Produkten; doch brachten auch Einige Provisionen von Soda und Schwefel. Aus Barcellona waren gleichfalls einige Schiffe angekommen. Seit einiger Zeit sind in Marseille mehrere Prisen von feindlichen Schiffen durch Kaper aufgebracht worden. Unter andern schickte der Kaper "la Babiole" zwey spanische Schiffe, wovon das eine mit Baumwolle, das andere mit Zucker und Kaffee beladen war, nach Marseille. Sobald die Quarantäne dieser Schiffe zu Ende ist, sollen ihre Ladungen öffentlich versteigert werden. Seitdem der Verkehr mit einigen von französischen Truppen besetzten spanischen Häfen wieder offen ist, suchen sich mehrere Marseiller Häuser mit Vorräthen spanischer Weine zu versehen, welche vormals einen bedeutenden Gegenstand des dortigen Handels ausmachten, und wovon der Vertrieb besonders jetzt sehr günstig seyn würde.
Von dem Nationalkonvent.[]
- [1793]
Paris, vom 10. May [3]
Die Stadt Marseille hat durch einen ausserordentlichen Kourier an das N. Convent eine förmliche Protestation eingeschickt gegen die fälschlich ausgestreute Beschuldigung, daß sie sich in einem Zustand der Gegen Revolution befinde; und hat neuerdings geschworen, die Einheit und Untrennbahrkeit der Republick zu behaupten und für die Vollziehung der Geseze zu sorgen.
Paris, vom 13. May. [4]
-- In der gestrigen Seßion wurde ein Schreiben der National-Commissarien im Departement der Rhone-Mündungen verlesen, worinn sie melden: Eben da alle ihre in Marseille getroffenen Verfügungen zum gemeinen Besten ruhig vollzogen wurden, haben sich die Sachen auf einmahl geändert; die Sektionen dieser Stadt üben eine unbegränzte Gewalt aus; sie haben ein Volcks-Tribunal errichtet, vor welches alle Vergehungen gebracht werden sollen und die konstituirten Autoritäten werden in ihrem Gang aufgehalten. Eine der Sektionen habe in der Nacht an sie, die Commissarien, eine Deputation abgeschikt, die sie genöthiget aufzustehen und einen Schreibtisch, wozu der Schlüssel nicht bey Handen war, mit Gewalt zu öfnen, um ihre Korrespondenz zu untersuchen. Man habe ihnen Befehl ertheilt, bey Strafe des Arrestes innerhalb 24 Stunden Marseille zu verlassen, und bey ihrer Ankunft in Avignon seyen sie in Gefahr gewesen, ermordet zu werden. Nun haben sie verordnet: das in Marseille errichtete Volks-Tribunal, nebst dem zur Annahm der Denunziazionen etablierte Central-Committe soll kassiert seyn; die Presidenten der Sektionen sollen für die allenfalls gesprochene Kriminal-Urtheile persönlich verantwortlich seyn, und die von Marseille nach Aix und Toulon abgeschikte Commissarien sollen nach den Gesezen verklagt und gerichtlich gegen sie verfahren werden. Das N. Convent hat hierauf nach weitläufiger Berathschlagung durch ein Dekret diese Commissarien zurük beruffen und sowohl ihre Verordnung, als das Volks-Tribunal in Marseille bis nach abgestattetem Gutachten des Committe von der allgemeinen Wohlfahrt suspendiert.
Paris, vom 17. Brachmonat. [5]
Von Marseille wird unterm 5. dieses berichtet: daß am 3ten Abends um 7. Uhr der dortige Club geschlossen und die Schlüssel dem General-Committe der Sektionen übergeben worden seyen. Man habe daselbst 4. Kanonen, viele Piken, und 15. Flinten gefunden; 15. den Feinden abgenohmene Fahnen, die dort in Verwahrung gebracht worden, seyen unter einer zahlreichen Bedeckung u. mit militarischer Musik in das General-Committe gebracht worden. Viele Mitglieder des aufgehobenen Clubs haben ihre Diplomen in den Sektionen niedergelegt, von denen dann verschiedene auf Picken in der Stadt herumgetragen worden; am 4ten sey eine allgemeine Illumination gewesen aus Veranlassung dieser sonderbahren Begebenheit, die man allgemein der Wirckung zuschreibe, welche die Nachricht von dem, was am 29. May in Lyon vorgegangen, hervorgebracht habe. Das schon so oft suspendierte und so oft wieder in Thätigkeit gesezte Volcks-Tribunal, werde von den Sektionen nächstens neuerdings wieder hergestellt werden.
Paris, vom 21. Brachmonat. [6]
-- In der vorgestrigen Seßion wurde, betreffend das gegen ein neuliches Dekret des N C. wieder errichtete Volkstribunal in Marseille dekretiert: 1. Dieses Tribunal sey keine constituierte Autorität; seine Mitglieder seyen Mörder, und seine Urtheilssprüche Mordthaten; die Bürger von Marseille sollen autorisiert seyn, dieses vorgebliche Tribunal aufzuheben und auf seine Mitglieder ohne dafür verantwortlich zu seyn loszugehen; 2. Das Central-Comitte von Marseille soll caßiert seyn; 3. Die Presidenten desselben, Castellanet und Feron, vor das N. C. gebracht, und 4. den Administratoren des dortigen Departements anbefohlen werden, dieses Dekret, welches ihnen durch einen ausserordentlichen Kourier überschickt werden soll, vollziehen zu lassen. Es kommt nun ohne Zweifel viel darauf an, wie dieses Dekret in Marseille wird aufgenohmen werden.
Paris, vom 28. Brachmonat. [7]
-- In eben dieser Seßion dekretierte das N. Convent, daß die vormahlige Grafschaft Avignon ein eigenes Departement unter dem Namen "Departement von Vauclüse" ausmachen soll. Der Hauptort soll Avignon, und eben dieser Stadt, nebst Vauclüse, Orange und Lo~~eze sollen die Hauptörter der Distrikte seyn. Verschiedene Convents Glieder wiedersezten sich dieser Zerstückelung zweyer benachbarten Departements; aber man erwiederte ihnen: man müsse durch die Errichtung einer patriotis. Departements-Administration den Einfluß der Administration des Departements der Rhone-Mündungen und der Stadt Marseille schwächen, die sich gänzlich für die Gegenrevolution erklährt habe, und in deren Sektionen darüber deliberiert worden sey, keine Assignate mehr anzunehmen, auf denen nicht Ludwigs XVI. Bildniß befindlich sey.
-- In Marseille hat, sobald die Nachricht von dem strengen Dekret des N. Convents gegen diese Stadt dahin kam, die Munizipalität eine Proklamazion publizieren lassen, wodurch sie erklärt. daß sie sich in dem Zustand der Gegenwehr gegen die Unterdrückung befinde.
Paris, vom 19. Heumonat. [8]
Sobald man in Avignon Nachricht erhielt, daß die Marseillaner gegen diese Stadt anrücken, wurde General-Marsch geschlagen, und 500. Mañ nebst 2. Kanonen zogen gegen sie aus. Zwo von den Marseillanern vorausgeschickte Compagnien bemächtigten sich an diesem Tag des Carthäuser-Klosters, eines wichtigen Postens. Am folgenden Tag überschickten die Marseillaner eine Auffoderung und Proklamation durch einen Gendarme welcher arrettiert wurde; die beyden Kanonen wurden auf sie abgefeuret. Sie giengen nun über die Dürance und schlugen ihr Lager auf; aber bald nachher sah man sie auf dem Weg von Notes in 3. Kolonnen anrücken. Nun wurde in Avignon unter grosser Verwirrung deliberiert und verbotten auf die Marseillaner zu schiessen. Der Pfarrer von Aubignon bekam den Auftrag, sich mit ihnen in Unterhandlung einzulassen, und der Erfolg davon war, daß dieses bewafnete Korps in Avignon aufgenohmen wurde, der Marseillaner-Commandant gab dem Maire Verweise darüber, daß er am vorigen Tag die beyden Kanonen auf sie hatte loßfeuren lassen; er bemächtigte sich aller Posten, und ließ diejenigen entwafnen, welche im Verdacht waren, daß sie von ihrem Gewehr Gebrauch gemacht haben.
Paris, vom 29. Heumonat [9]
-- Zugleich berichtete der Prokureur General-Syndick des Departements der Ardesche in Languedoc, daß es den in dieses und ein paar benachbarte Departements zu Wiederherstellung der Ruhe abgeschickten Commissarien gelungen sey, die Marseillaner Colonne zur Rückkehr nach ihrer Heimath zu bereden.
Zeitungsnachrichten.[]
1812.[]
Paris, den 18ten July. [10]
Am 28sten Juny bemerkte man zu Marseille, daß das Wasser im Hafen plötzlich abnahm und einen Strom bildete, der Alles nach der Mündung mit fortriß. Man war genötigt, die Kette vorzulegen, um die Schiffe zurückzuhalten; endlich war der Hafen ganz trocken, und die Fahrzeuge sanken in den Schlamm. Nach einiger Zeit (sie ist nicht näher bestimmt) kehrte das Meer im Sprunge und mit ausserordentlicher Heftigkeit zurück, füllte von neuem den Hafen, machte die Schiffe flott und wuchs so stark an, daß selbst die Kaien überschwemmt wurden; endlich fand sich die alte Ordnung wieder ein. Einige wollen dies Phänomen durch eine Wasserhose, die durch ihren Wirbel die Strömung veranlaßt habe, erklären; wahrscheinlich aber war ein Erdbeben die Ursach, wie man schon öfters bemerkt; 1755 bey dem Erdbeben zu Lissabon fand eine ähnliche Erscheinung an mehreren entfernten Orten, selbst in Marseille, statt.
Quellen.[]
- ↑ Conversations-Lexicon oder encyclopädisches Handwörterbuch für gebildete Stände. Stuttgart bei A. F. Macklot. 1816.
- ↑ Allgemeine deutsche Zeitung für Rußland. No. 13. Montag, den 15. Januar 1812.
- ↑ Post- und Ordinari Schaffhauser Samstags-Zeitung. Vom 18. May, 1793. Num. 40.
- ↑ Post- und Ordinari Schaffhauser Mittwochs-Zeitung. Vom 22. May, 1793. Num. 41.
- ↑ Post- und Ordinari Schaffhauser Mittwochs-Zeitung. Vom 26. Brachmonat, 1793. Num. 51.
- ↑ Post- und Ordinari Schaffhauser Samstags-Zeitung. Vom 29. Brachmonat, 1793. Num. 52.
- ↑ Post- und Ordinari Schaffhauser Samstags-Zeitung. Vom 6. Heumonat, 1793. Num. 54.
- ↑ Post- und Ordinari Schaffhauser Samstags-Zeitung. Vom 27. Heumonat, 1793. Num. 60.
- ↑ Post- und Ordinari Schaffhauser Mittwochs-Zeitung. Vom 7. Augstmonat, 1793. Num. 63.
- ↑ Allgemeine deutsche Zeitung für Rußland. No. 179. Freytag, den 26. July /7. August 1812.