Maratten.[]
[1]
Maratten, Maharatten, einheimisches heidnisches Volk, in der indischen Halbinsel diesseits des Ganges, welches die innern gebirgichten Gegenden derselben und ein großes Stück Landes, von Surate bis Goa und an die Malabarische Küste innen hat. Sie gränzen nordwärts an Indostan, ostwärts an den Bengalischen Meerbusen, südwärts an Golconda und westwärts an das Meer. Ihr Gebiet beträgt ungefehr 28,000 deutsche Quadratmeilen. Die Hauptstadt war sonst Satara oder Settarah, heut zu Tage ist es Punah, 30 Meilen ostwärts von Bombay, wo der Paischwa seinen Sitz hat. Sie gehören zu den Rasbutten, einem alten kriegerischen Volke, und fiengen erst im 17ten Jahrhundert an sich hervorzuthun. Der Stifter ihres Staats Sewagi, war ein Mann von vielen Talenten und Glück. Er starb 1680. Seine Nachkommenschaft erhielt sich bis 1777 da der lezte davon starb.
Im 18ten Jahrhundert vergrößerte sich die Macht der Maratten beträchtlich, und ihr Staat war bis 1739 eine vollkommene Monarchie und in allen Theilen blühend. Es ergieng aber den Abkömmlingen Sewagi's, wie den Merowinger in Frankreich. Sie überließen die Regierung ihren Ministern und wurden endlich von diesen als Staatsgefangene eingesperrt.
Der lezte Fürst Ram Radscha, welcher 1740 zur Regierung kam, wurde bald hierauf von seinen zwey ersten Staatsbedienten, dem Minister (Paischwa) und dem Bukschi oder höchsten Befehlshaber der Truppen vom Throne gestoßen, und in die Festung Settara gesperret, wo ewige Vergessenheit ihn deckte. Die beyden Kronbedienten theilten, das jezt schon beträchtliche Reich unter sich so, daß der Bukschi den östlichen Theil, oder das Reich Berar, und der Paischwa, den westlichen ursprünglichen Besitz der Maratten, mit den weiter gegen Norden gemachten Eroberungen erhielt. Und diese Eintheilung besteht noch bis diese Stunde.
Diese Staatsveränderung konnte nicht ohne Einwilligung der vornehmsten Befehlshaber in den verschiedenen Theilen des Reichs vor sich gehen; man befriedigte sie durch größere Macht und mehrere Einkünfte. Daher kann man von dieser Zeit den Marattenstaat mit Deutschlands Verfassung im 11ten Jahrhundert vergleichen, wo die vielen Fürsten ihre Pflicht dem Kaiser zu gehorchen zwar zugestanden, aber im Grunde nur gehorchten, wann es ihnen beliebte, oder eine überlegne Macht sie zum Gehorsam zwang. Besitz und Einkünfte sind so wunderlich vertheilt, daß oft die Abgaben, nicht blos einer Provinz, sondern zuweilen eines einzelnen Dorfes, sich zwischen dem Paischwa und drey bis vier andern Großen theilen. Vielleicht hindert diese Zerstreuung der Einkünfte die gänzliche Trennung der vielen Oberhäupter.
Bey allen diesen Trennungen erreichte doch die Macht der Maratten mit jedem Tag eine fürchterlichere Größe. Sie nöthigten die meisten ihrer Nachbarn zur Abtretung des vierten Theils des Einkünfte, drangen 1743 bis nach Bengalen mit 160,000 Reitern, und wagten es endlich sogar den Beherrscher des östlichen Persiens Abdalla anzugreifen, der auf das Reich der Mogolen vielen Einfluß hatte, und schon einigemal mit Heeresmacht bis in das Innere von Hindustan gedrungen war. Das Treffen 1761 bey Panniput, nordwestlich von Delhi entschied sich zum Vortheil des Persers; und die Maratten haben von dieser Zeit an nie wieder eine Unternehmung mit vereinigten Kräften gewagt. Innere Unruhen unter ihnen hören selten auf. Seit 1796 wo der Paischwa Madhu Raw ermordet wurde, regiert jezt in Punah als Paischwa Row Pundet Purhan.
Das Land, welches der Paischwa für sich besitzt, begreift die westliche Hälfte des Marattenstaats, die Küste Concan, von Goa bis Cambaya und was südost- und nordwärts von Mysore, Golconda und Berar umgeben ist. Unter den übrigen Radschas, Zaghiredars oder Fürsten des westlichsten Reichs besizt heutzutag der Radscha Dowlud Rao Sindia die ausgebreitetesten Länder. Sie erstrecken sich über einen Theil von Delhi, ganz Agra, ein Stück von Azmer und Malwa, und Candei~h. Er residirt in der Stadt Uzen, und in seinen Händen befand sich eine Zeitlang der sogenannte Großmogul. Im Jahr 1803 mußte er aber nach einem kurzen Krieg mit den Engländern, denselben beym Frieden alle Länder abtreten, welche am höhern Laufe der Jumma (Dschumna) liegen, folglich die Bezirke von Agra, Delhi xc. Auch auf der Südseite trat er alle Striche landeinwärts von Guzurate und Bombay ab, so daß nun seine Staaten von den Staaten des Paischwa durch Englische Besitzungen getrennt sind. -- Im großen östlichern, wenig bekannten Marattenreich regiert der Subah Ragodschi Bounsla, als Radscha von Berar. Auch dieser mußte 1803 an die Engländer die Landschaft Cattak oder Cuttak, an der Ostküste abtreten. Der Krieg zwischen ihm und den Engländern, welche bis jezt der überlegene Theil sind, fieng aber bald darauf wieder an, und währt noch jezt fort. Die Macht der Maratten scheint gebrochen zu seyn.
Die Einkünfte der Marattenfürsten zusammen sollen 120 Millionen Rupien ausgemacht haben. Davon hat der Paischwa 50 Millionen, die er, bis auf 10 Millionen, zu seinen gewöhnlichen Ausgaben braucht. Das Marattenland kann 400,000 Mann aufbringen, wovon aber die Hälfte zur Besetzung der Festungen gebraucht wird. Dieses Volk trug vieles zum Sturz des Mogolischen Reichs bey, und erlangte sogar im J. 1785 die Regentschaft über die Reste desselben, und die Verwahrung der Person des Großmogols. Die Marattische Kriegsmacht bestehet meistens aus Reitern. Diese sind überaus schnell in allen ihren Bewegungen und im Gefechte ziemlich herzhaft. Ihre Waffen bestehen in Musketen und Säbeln; diejenigen, so die Musketen führen, springen hervor, feuern ab, und gehen wieder in ihre Reihen zurücke. Sie haben runde, leichte Schilder, mit einem so glatten Firniß überzogen, daß eine Pistolenkugel gemeiniglich abspringt. An Artillerie fehlt es bey ihnen. Ihr Sold ist gering, und wird nicht ganz in Geld, sondern auch mit Reis, Salz, Tabak xc. bezahlt. Wenn Benachbarte Krieg haben, so treten oft ganze Corps Maratten, für Geld, in ihre Dienste.
Uebrigens ist diese Nation, die mächtigste in Indien, fast durchgehends von starken, wohlgebildeten Körpern, aber von verschiedner Färbe, indem sie vom Schwarzen bis zum Hellbraunen schattirt sind. Ihre Erziehung ist kriegerisch, und ihr Charakter wild und grausam. Ihre Lebensart ist einfach und sie brauchen keine fremden Waaren, daher auch die Europäer nur mit den in den Marattischen Städten wohnenden Mohammedanern handeln können. Ihre Kleidung besteht in einer rothen oder bunten Mütze und aus Cattun oder grobem Tuch, so sie um den Lein wickeln. Ihre Speisen sind Reis und Hülsenfrüchte. Als Anhänger der Braminen-Religion verabscheuen sie das Fleisch, und essen es nur im äussersten Nothfall. Zum Fechten berauschen sie sich, indem sie wilden Hanf rauchen, oder ein aus diesem Hanf, Opium und Assa foetida gemachtes Getränke trinken.
Oefters wird in Indien jede Reiterey eines jeden Fürsten Maratten genennt, ohne Rücksicht auf die Völkerschaft, die eigentlich so heißt; gleichwie auch überhaupt alles Fußvolk Cipayen oder Sipayen genennet wird.
Quellen.[]
- ↑ Geographisch- Historisch- Statistisches Zeitungs-Lexikon von Wolfgang Jäger, Professor der Geschichte und Geographie zu Würzburg. Nürnberg, bey Ernst Christoph Grattenauer 1806.