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Madrid.[]

Madrid oder Madrit, die Hauptstadt des spanischen Reichs, liegt auf mehreren Hügeln, in dem Königreiche Neu-Castilien an den Ufern des Manzanares, und enthält eine Bevölkerung von mehr als 150,000 (nach Bourgoing 180,000) Einwohnern.

Das äußere Ansehen Madrids sticht gegen die blendende Pracht anderer Residenzstädte ab, und der Anblick desselben entspricht den Erwartungen nicht, die der Reisende von einer Stadt hegt, die so lange der Sitz des Mächtigsten Hofes von Europa und der Mittelpunkt aller Schätze der neuen Welt war. Alles hat hier einen Charakter des Alterthums und der Schwerfälligkeit, der, mit dem altväterischen Costume des Volkes zusammengenommen, sonderbar auffällt. Die Unreinlichkeit, über die sonst sehr geklagt ward, hat in neuern Zeiten etwas abgenommen, die Stadt ist des Nachts erleuchtet und die Straßen sind ziemlich gut gepflastert.

Die Menge der Kirchen und Klöster darf in der Hauptstadt des religiösen Spaniens nicht auffallen. Unter verschiednen königlichen Palästen sind das Escorial (s. d. Art.), und der Buen-Retiro auch durch die Geschichte der neuern Ereignisse wieder bekannt geworden. Unter den verschiedenen öffentlichen Plätzen der Stadt ist derjenige, welcher den Namen des Sonnenthors, Puerta del Sol, führt, obgleich einer der kleinsten und unregelmäßigsten von allen, in unsern Tagen vorzüglich dadurch berühmt geworden, daß er der gewöhnliche Sammelplatz von Neuigkeitskrämern und Mißvergnügten war, von wo aus hauptsächlich die vielen wahren und falschen Gerüchte und Nachrichten verbreitet wurden, die auf die Stimmung des Volks so entscheidend einwirkten. Mehrere Akademien und öffentliche Institute finden sich gleichfalls in der Hauptstadt des spanischen Reichs.

Seit der Regierung Philipps II. war Madrid der gewöhnliche Aufenthalt der Könige von Spanien, welche sich abwechselnd in der Stadt selbst und in dem nahe gelegenen Schlosse von Aranjuez aufhielten. Mehrere Lustschlösser finden sich in den Umgebungen von Madrid, die sich aber größtentheils in den letzten Zeiten in einem ziemlich vernachlässigten Zustande befinden.

In der Geschichte unserer Tage ist Madrid hauptsächlich dadurch berühmt geworden, daß hier zuerst das Volk am 2ten Mai 1808 durch einen wüthenden Aufstand gegen die Franzosen, welche der damalige Großherzog von Berg, Prinz Murat befehligte, ein Beispiel gab, welches bald die gesammte spanische Nation mit eben so vielem Muthe als Beharrlichkeit nachahmte, und dadurch sich den unvergänglichen Ruhm erwarb, das erste Volk in Europa gewesen zu seyn, das dem französischen Despotismus einen kräftigen, mannhaften Widerstand entgegensetzte.


Von Reisende.[]

P. J. Rehfues.

Fragmente über Madrid.[]

1. Ankunft in Madrid.
Der erste Eintritt in eine Hauptstadt, welche das Ziel einer großen Reise ist, hat etwas Beengendes. Für mich wenigstens, der diese Erfahrung oft gemacht hat, wiegt selbst die Zufriedenheit, das ende mancher Beschwerlichkeiten erreicht zu haben, jenes unangenehme Gefühl nicht auf.
Die Einsamkeit der ersten Quartiere, durch welche wir kamen, wirkte natürlich nicht besser. Es bedarf des bunten Lebens einer großen Stadt, um den Reisenden gleich im ersten Augenblick zu zerstreuen, und dieses fehlte hier gänzlich. Freilich waren es die Nachmittagsstunden, in welchen die Südländer in dieser Jahrszeit ihre Verdauung mit einem leichten Schläfchen zu beginnen pflegen. Aber auch, als wir weiter in die Stadt hinein, und über den großen Platz kamen, welcher, wie die Pariser Verkaufsplätze, beinahe blos mit Weibern bevölkert war, deren Lebhaftigkeit sich sonst stärker äußert, als die der Männer, wurde es nicht anders. Erst, da wir über den Platz von Puerta del Sol fuhren, sah ich eine Menge Männer in den Straßen stehen. Das Auffallendste waren mir ihre wollenen Mäntel bei der, wirklich beträchtlichen, Hitze. Sind diese Leute alle reisefertig? möchte man fragen; aber bald ist man dieses sonderbaren Gebrauchs gewohnt, und findet nur noch lächerlich, wenn einem ein Spanier mit allem Ernst versichert, daß der Mantel nicht nur gegen die schnellen Veränderungen der Temperatur, sondern wirklich auch gegen die Hitze gut sey.
Die gegenwärtige Lage der Dinge überhaupt hatte natürlich den Anblick dieser Männer etwas finster gemacht. Lieber sahen wir nach den Weibern, welche uns neugierig mit den großen schwarzen Augen maßen. ihre Kostüms waren durchgängig schwarz, größtenteils von einem etwas altväterischen Schnitt, aber mit Sorgfalt, den schönen Wuchs zu erheben, eingerichtet. Ihre Gesichtsfarbe, welche bräunlich ist, litt nicht durch das schwarze Gewand; die Augen verdunkelten seine Farbe immer noch durch ihr brennendes Schwarz, und da die Arme meist sehr rund und weiß waren, die schönen Füßchen in blenden weißen Strümpfen und niedlichen Schuhen wandelten, so war unser erster Urtheil über das schöne Geschlecht von Madrid bald zu seinem Vortheil gefällt.
Dergleichen erste Ideen nehmen gewöhnlich eine feste Stelle, und es soll mich nicht wundern, wenn keiner meiner fröhlichen Reisegefährten diese erste Idee widerruft. Was wird aber mein Urtheil über Spanien seyn, wenn ich den Anblick einer langen Reihe von Bettlern in Rechnung bringe, welche, einer hinter dem andern, en queue, vor einer Klosterthüre standen, und ihr Almosen empfingen? Die Wohlthätigkeit ist eine sehr schöne Tugend; aber keine Tugend hat je so schädlich auf die Staaten gewirkt, als sie. Hier unterhält sie den Müßiggang, statt das Elend zu mindern; hier findet man ein Hauptverdienst in einer Freigebigkeit, die für den Wohlhabenden so leicht, und für den Reichen gar nichts ist. Der Staat leidet dadurch in seinen gefährlichsten Theilen, und die Hand, welche jeden Tag Almosen austheilt, wird um nichts besser.
Vorzüglich fielen mir die vielen Buchhändler auf, deren Buden im Erdgeschoß, und also sehr sichtbar waren. Mich erfreute das im Innersten, ob ich gleich bald, meine Freude zu mäßigen, Veranlassung fand, als ich näher mit ihnen in Bekanntschaft trat. Ich frug nach Catalogen, und fand keine. Der meiste Buchhandel ist antiquarisch; das Neue wird mir durch viele Gänge und langes Nachfragen entdeckt.
Mehrere dieser Buden hatten Kupferstiche ausgehängt. Ich bemerkte besonders Karrikaturen auf die Engländer, und Kupferstiche über die Wiederherstellung der Religion in Frankreich, die sich zur Noth auch als Karrikaturen ansehen ließen. Überall bemerkte ich das Bild Ferdinands VII. Es war in der ersten Hälfte des Mai's, da dieser Fürst noch der Götze des Tags war.
Wo aber war der Luxus einer Hauptstadt, die den reichsten Adel enthält, und seit Jahrhunderten schon alle Schätze des neuen Welttheils dem übrigen Europa ausgespendet hat? Ich bemerkte ganz und gar nichts, was sich nicht in den kleinern Städten von Frankreich sehen ließe. An den Buden hingen armselige Muster; das Meiste war für uns, die wir aus Paris kamen, altväterisch, und als ich vollends die Wagen ansah, welche, beinah allgemein, um ein Jahrhundert zurück waren, und die Schwerfälligkeit und den unbequemen Stolz der Nation verkündigten, überzeugte ich mich, daß der Luxus dieser Stadt von ganz eigener Art sein müsse. Aber erfreulich war es mir, das Festhalten an gewisse Theile der alten Nationaltracht zu sehen. Denn eine Nation, welche sich des Kleiderschnitts ihrer Väter nicht schämt, schämt sich auch gewiß ihrer Tugenden nicht. Und von dieser gefährlichen Thorheit zeigt unsre Zeit nur zu viele Beispiele.
Ich begegnete verschiedenen Ausrufern von Plakaten, die häufig gekauft und mit Hast gelesen wurden. Die Geschichte des Tags hatte das Volk aufmerksam gemacht. Es war, als ob es seit der Revolution von Aranjuez eingesehen hätte, daß es auch politisch wirken könne, und sich daher um Politik bekümmern müsse. Jedermann las die Zeitungen. Selbst die Weiber huckten damit in den Ecken, und die Kinder welche sie nach Hause trugen, blickten begierig auf den Inhalt, den sie nicht verstanden.
Erst später sah ich mich nach der Form der Stadt um. Die Straßen sind selten gerade, häufig äußerst eng, die Plätze unregelmäßig und klein, der Brunnen viele, die Häuser niedrig, und durchgängig mit Balkons versehen. Das Straßenpflaster besteht aus kleinen Steinen, welche den Fuß bald ermüden, die vielen Gitter an den Fenstern erinnerten an Eifersucht und Romanenstreiche; die vielen Hügel, über welche die Stadt verbreitet liegt, geben ihr eben nicht das beste Ansehn. Leicht mögen deren mehr, als sieben seyn. aber nur Rom darf mit Stolz von seinen Hügeln reden! > > >


10. Klima von Madrid.
Die Lage der Stadt in einer großen Ebene, deren nördliche Seite durch hohe Gebirge begränzt ist und die sich nur gegen Süden in eine ungeheure Pläne eröffnet, läßt keine, sich nur etwas gleich bleibende, Temperatur erwarten. Wo man, wie es mir in Madrid ergangen ist, gegen Ende Mai's noch mit bloßen Augen Schneeberge sehen kann, braucht sich der Wind nur zu ändern, um in einem Augenblicke die Luft von der glühendsten Erhitzung zu einer höchst beschwerlichen Kühlung umzusetzen.
Das hab' ich sogar in der Mitte des Juni in Madrid erfahren. Ein einziges Gewitter brachte mit einemmale so kalte Tage, daß wir den Kamin angezündet, wenn wir einen gehabt hätten. Dabei wehte ein schneidender Wind, war der Himmel mit trüben Wolken bedeckt, und sah überhaupt Alles so recht herbstlich aus. Dafür ist aber der Januar oft so mild, wie der gelindeste Frühling, der Herbst heiß, wie der brennendste Sommer, und der Winter, wenn es nicht regnet, manchmal freundlich, gleich dem schönsten Lenze im Norden.
Das hat nun sehr viel Angenehmes für die, welche bei einer guten Gesundheit alle Mittel besitzen, sie zu erhalten. Den Andern, und Unvorsichtigen überhaupt wird das Klima sehr verderblich. Wessen Brust nicht stark genug ist, der sinkt bald dahin. Viele leiden an Verkältungen, und besonders an einer eignen Art von Kolik, welche oft höchst gefährlich wird.


11. St. Prado.
In der Vertiefung, welche auf der östlichen Seite von Madrid durch den Hügel, worauf der buen Retiro steht, und von der ganzen Höhe, auf der die Stadt selbst liegt, gebildet wird, dehnt sich dieser schöne Spaziergang der Länge nach von einem Thor zum andern. Ungefähr in seiner Mitte nimmt er in einem ansehnlichen freien Platze die Straße Alcala auf, die ihn durchschneidet, und in gerader Linie sich zu dem Thore erhebt, welche gleichen Namen führt.
Auf der Mitte dieses Platzes ist wirklich ein herrlicher Augenpunkt. Genanntes Thor hat die Form eines Thriumpfbogens und steht gleichfalls etwas auf der Höhe. Ihm gegenüber steigt die ungeheuer breite Alkala Straße in die Stadt hinauf. Zu beiden Seiten öffnen sich dem Blicke die schönen Lindenalleen, und verbergen die Hintergründe, welche der Ansicht nicht ganz würdig sein könnten.
Auf allen Seiten ziehen sich Linien herrlicher Bäume um den Hauptplatz des Prado. Bald sind es breite Straßen, auf denen sich die Wagen in doppelter Reihe auf und ab bewegen, bald engere Alleen für die Fußgänger, wo den ganzen Tag Schatten ist, eine Menge bequemer Sitze zur Ruhe einladen, und die Nähe vieler hochsprudelnder Fontänen das Ganze unendlich verschönern.
Mir war es hier zur Zeit, da die Linden blühten, immer am liebsten. Man sah dann wenige Menschen und selten einen Wagen. Mit den herrlichen Lindenblüthengerüchen vereinigten sich die balsamischen Orangendüfte, die der leichte Morgenwind von buen Retiro herabführte. Ich setzte mich dann mit einem Buch in den Hand auf den Rand einer Fontäne, und vergaß der gefahrvollen Zeit, welche diesen stillen Naturgenuß nicht immer für sicher hielt.
Wie ganz anders aber war es Abends, wenn die großen Alleen mit Wagen bedeckt, die kleinern und der freie Platz mit Menschen gefüllt waren! Es kam einem alles so fremd vor. Diese altväterischen Equipagen, mit Maulthieren bespannt, von einem fantastisch angekleideten Kutscher auf dem Sattel geleitet, und hinten mit Bedienten bedeckt. Zwischen durch die Männer in großen dunkeln Mänteln. Die reizenden Frauen in ihrer schwarzen Nationaltracht. Eine Menge von Bettlern, Kupplerinnen und Freudenmädchen; und unter diesen die Knaben mit brennenden Lunten: Fuego! Caballaros, fuego, fuego de Paris! schreiend, oder aus kleinen Körbchen Gläser frischen Wassers unter ähnlichen Einladungen anbietend. Über all' dieses schwere Staubwolken wogend, die sich oft mitten auf dem Platz, wo sich die Winde beinah in der Richtung der Himmelsgegenden faßten, in eine ungeheure trübe Colonne bildeten, zum Himmel auf drehten, und in Einem Nu zerplatzten. Oder, wie ich es ein andersmal gesehen habe, wo sich eine Feuersbrunst hinter den Bäumen nur in der fürchterlichen Glut am Horizonte malte; oder wenn alles still und ruhig war, kein fröhlicher Laut gehört ward, und der Mond klar am Himmel stehend das Ganze beleuchtete.
Unter so mannichfaltigen Veränderungen habe ich diesen Spaziergang oft gesehen. Ich wohnte ganz in seiner nähe, und mußte unter den drückenden Verhältnissen der Zeitumstände beinah all' meine Erholung dort allein suchen. Aber wehmüthig wurd' ich, als ich neben den herrlichen Bäumen Schanzen aufführen, und mit Kanonen bedecken sah. Ich muß gestehen, es that mir weher um die unschuldigen Bäume, als um die bedrohten Menschen, welche die Zeit, in der sie lebten, so gänzlich mißverstanden, und im Grunde nicht recht wußten was sie wollten.


13. Spaziergang an dem Manzanares.
Der Fluß Manzanares ist im Sommer ein höchst unbedeutender Bach, über welchen man beinah zu Fuße gehen kann. Hat man ihn nie anders, als um diese Zeit gesehen, so erscheint die große Brücke von Toledo das überflüssige Werk schlecht angewandter Prachtliebe, und am Ende wohl gar nur erbaut, um die Aussicht aus den Fenstern das zunächst am Ufer auf einem ansehnlichen Berge stehenden königlichen Pallastes zu verschönern.
Auf der Stadtseite des Flusses befindet sich ein kleiner Spaziergang, welcher sich von genannter Brücke an dem Flusse hinaufzieht. Ein starker Damm schützt vor dessen Überschwemmungen. Dichte Pappeln-Alleen werfen kühle Schatten, und in der Mitte fließt in einem regulären Bette, mitten durch einen langen Portikus, ein klarer Bach hin, den man hier wenigstens nicht erwarten sollte.
Weiter unter nimmt der Fluß den sogenannten Kanal des Manzanares auf, und an diesem dünkt mich, sind die schönsten Spaziergänge von Madrid. Fließt er auch in einem ganz regelmäßigen Bette, ganz langsam und nicht immer klar genug, so geht doch nichts über die herrlichen Schatten an seinem Ufer. Kein Sonnenstral mag beinah das Wasser treffen. Es wird zu einem dunklen Spiegel, in welchem sich nur die frischen Gebüsche malen. In den Zweigen wohnen eine Menge Singvögel; in dem Wasser spielen fröhliche Taucher; Liebende suchen hier Stille und Einsamkeit, und diese ist in den dicken Gebüschen so leicht zu finden, daß sehr viele nahe bei einander allein seyn können.
Mehrere schöne Alleen führen von verschiedenen Stadtthoren hier heran. An der Brücke, welche über den Canal führt, halten die Wagen gewöhnlich stille, die sich des Abends hier einfinden. Es ist gar nicht gegen den guten Ton auszusteigen; vielmehr verlieren sich die feinsten Damen, ohne Furcht vor der freien Natur, hier noch weiter, als nur in die Gebüsche. In der Gegend stehen mehrere Häuser, in welchen sich das gemeine Volk des Sonntags lustig macht. Natürlich bleiben die feineren Leute alsdann weg, welche sich überhaupt nicht leicht anders, als aus besondern Gründen hier einfinden, unerachtet dieser Spaziergang den Vorzug der Freiheit und anspruchlosen Natur vor allen ähnlichen Anstalten in der Stadt hat.


Quellen und Literatur.[]

  • Conversations-Lexicon oder encyclopädisches Handwörterbuch für gebildete Stände. Stuttgart bei A. F. Macklot. 1816.
  • Spanien. Nach eigener Ansicht im Jahr 1808 und nach unbekannten Quellen bis auf die neueste Zeit von P. J. Rehfues, Bibliothekar des Kron-Prinzen von Würtemberg Frankfurt am Main, bei Varrentrapp und Sohn 1813.
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