Von Bastille bis Waterloo. Wiki
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HUA Utrecht


Von Reisende.[]

August Hermann Niemeyer.[]

[1]

[1806]

Der Vater des jungen Holländers den ich zurückführte, Hr. Straalmann, bewohnte während der Sommermonate seinen Landsitz zu

Maersen.

So heißt ein sehr schöner Flecken, welcher an der Nordseite der Vecht, einem schmalen mehr einem Kanal gleichenden Flusse gelegen und von zierlichen Gärten umgeben ist. Der Sohn war vorgeeilt. Dringende Einladungen bestimmten auch uns noch vor Abends Utrecht zu verlassen. Des hohen zweyrädrigen Fuhrwerks, das für unsere Ueberkunft bestellt war, noch ungewohnt, kamen wir anfangs kaum zum rechten Genuß der herrlichen Natur, und der reizenden Buiten-Plaatsen oder Landhäuser den Kanal entlang, der bis Amsterdam führt.

Jene Buiten-Plaatsen sind, sobald die schönere Jahreszeit eintritt, fast allgemein der Aufenthalt der Wohlhabenden. Auch ihre Freunde, die dergleichen nicht besitzen, werden oft Monate lang darin aufgenommen. Wenn man wenige ausnimmt -- unter denen das berühmte, ganz in italiänischen Geschmack erbaute, des bekannten reichen Kapitalisten Hope unweit Harlem den ersten Rang verdient -- sind sie mehr gefällig als prächtig; meist am Kanal gelegen, und mit einem wegen Mangel am Raum oft nur kleinen, fast überzierlichen Garten, irgend einem isolirten Pavillon oder chinesischen Häuschen umgeben. Mehrere zeichnen sich auch durch ihren botanischen Reichthum aus.

Eine höchst angenehme Ueberraschung war es uns, schon hier in Maersen einen sehr würdigen Mann, Herrn von Meurs zu finden, eben den, der uns ein Jahr früher mit seiner höchst achtungswerthen Gattin in Halle besucht, und großen Antheil an unserm Entschluß Holland zu sehen gehabt hatte. Wir hatten erst in Amsterdam auf ihn gerechnet. Seine Landwohnung gränzte dicht an die des Herrn Straalmann, und er theilte von dem Augenblick unsrer Ankunft jede Stunde und jedes Vergnügen, das uns für die kurze Zeit unsers Aufenthalts in so reichem Maaße und dem mannichfaltigsten Wechsel bereitet ward.

Beynahe zu reich für ruhigen Genuß war der einzige Tag den wir hier verweilen konnten. Das häusliche Leben einer holländischen Familie, hatte schon durch die Neuheit einen Reiz. Der Umtausch der Ideen mit Hrn. und Frau von Meurs, in denen sich, mit der Strenge der sittlichen Grundsätze so viel Milde, daneben so viel Liebe zur Literatur, auch namentlich der deutschen verband, gab der Unterhaltung einen nie ausgehenden Stoff *). Auch legte die feine Sitte und Aufmerksamkeit unsres Wirths, ohne drückend zu werden, uns immer neue Verbindlichkeiten auf.

An die Morgenstunde des geselligen Frühstücks schloß sich eine Landpartie. In mehreren Wagen fuhren wir den Kanal entlang, anfangs auf dem lebendigen dann auf dem stillen Wege, der nur von Cöllnischen Schiffern befahren wird, nach Graveland, und kamen nach einigen Stunden auf

Trompenburg,

zwey Meilen von Maersen, an.

RIJKS Amsterdam

Der Name schon erinnert an dem Erbauer dieses Schlosses, das fast in Form eines Kriegsschiffes prächtig aus dem Wasser emporsteigt, den berühmten Admiral Cornelius Tromp, dessen Bildniß und Thaten die Wände des wahrhaft fürstlichen in einer hohen Cupole endenden Saals schmücken. Itzt war dieß Schloß das Eigenthum des alten Herrn Straalmann, des Vaters unsres Maersenschen Wirths. Kinder und Enkel und Enkelkinder bildeten den Kreis. Alle schienen in der Nähe des greisen Ahnherrn heiter und froh zu seyn.

Selten sah ich einen Mann von vier und achtzig Jahren, von solcher Lebenskraft, solcher Regsamkeit des Geistes, so in vollem Besitz seiner Sinne -- ein wahrer Jüngling an Lebendigkeit, im stärksten Contrast mit dem stillen Enkel. Aus jedem Wort sprach das Gefühl eines freyen Republikaners, wenn er es gleich nicht gerade laut werden ließ, wie tief er es itzt empfinden mochte, bald jenes Stadthaus, von wo aus er einst Amsterdam als Burgemeister regiert hatte, in ein Königliches Schloß, für einen fremden aufgedrungenen Herrscher verwandelt zu sehen. Konnte er es doch noch nicht verwinden, daß einst ein petit Roi de Prusse, wie er sich ausdrückte, sich erlaubt habe in die Angelegenheiten der Republik Holland eingreifen zu wollen. Erst neuerlich hatte er die holländische Bearbeitung eines französischen Trauerspiels Philipp der Zweyte vollendet, die nächstens auf der Bühne erscheinen sollte. Auch in dieser Arbeit war jugendliche Geisteskraft nicht zu verkennen.

Man hatte, da wir einen weiten Weg zurück machen mußten, um die Mittagsstunde ein déjeuné dinatoire veranstaltet, das aber so reich war, daß wir nicht recht begreifen konnten, wie sich die Gäste, die sich allmählig mehrten, um fünf Uhr wieder zum wahren Diné niedersetzen könnten. Also auch in diesem Lande ist in den Häusern der Reichen die bürgerliche Tagesordnung verschwunden.

Um neun Uhr trafen wir wieder in Maersen ein. Nach dem Abendessen fuhren wir noch in ein benachbartes Haus, wo der Jahrmarkt (Kermes) der vorigen Tage mit einem Ball beschlossen wurde. Viele umwohnende Familien hatten sich zahlreich eingefunden. Die Kenner rühmten die kunstvollen Tänze. Das Auge des Unkundigen hatte indeß Zeit, die niederländischen, zum Theil sehr schönen und dabey charakteristischen Physiognomieen zu beobachten. Anstand und Natürlichkeit schien der Charakter der Gesellschaft. Man befand sich, auch unter lauter fremden Menschen, um so mehr wohl, je weniger man störte oder bemerkt wurde.

Der Tag schloß sich so heiter wie er am Morgen aufgegangen war. Der nächste rief zum Aufbruch.


Quellen.[]

  1. Beobachtungen auf Reisen in und außer Deutschland. Nebst Erinnerungen an denkwürdige Lebenserfahrungen und Zeitgenossen in den letzten funfzig Jahren. Von D. August Hermann Niemeyer. Dritter Band. Reise durch einen Theil von Westphalen und Holland im Jahr 1806. Halle, in der Buchhandlung des Waisenhauses. 1823.
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