Ludwig Georg Leopold von Borstell.[]
königl. preuß. General-Lieutenant und commandirender General des Ersten Armee-Corps. [1]
Am 30. December 1773 geboren, betrat er 1788 die militairische Laufbahn im Kürassier-Regiment von Ilow; als General-Adjutant seines Vaters (des General-Lieutenants Hans Friedrich von Borstell) fand er in den Feldzügen gegen Frankreich 1792 - 1794 Gelegenheit, sich für seinen Stand auszubilden. Entschlossenheit und Umsicht erwarben ihm 1793 in den Schlachten von Pirmasens und Kaiserslautern den Verdienst-Orden und das Wohlwollen der regierenden Herzoge von Braunschweig und Weimar; ihre Empfehlungen legten den Grund zu seiner ungewöhnlich schnellen Beförderung.
Er ward 1799 als Staabs-Rittmeister zum Regiment Garde du Corps versetzt. Der König, sein Streben nach höherer Ausbildung beachtend, übertrug ihm 1801 das Commando der Leib-Compagnie, beförderte ihn 1803 zum wirklichen Rittmeister und 1805 außergewöhnlich zum Major. In dieser Eigenschaft wohnte er dem Feldzuge von 1806 bei; und wenn gleich die Leistungen des Regiments den unglücklichen Ausgang des Tages von Auerstädt nicht abzuwenden vermochten, so war es doch in dem Drange allgemeiner Verwirrung dem einsichtsvollen Rath des Majors von Borstell vorbehalten, diese erlesene Schaar dem traurigen Schicksal der Mehrzahl des Heeres zu entziehen und, statt der bereits eingeschlagenen Richtungen auf Weimar und Erfurt, den Weg über Frankenthal nach Magdeburg als denjenigen zu bezeichnen, welchen der König unbezweifelt gewählt habe. Das Regiment erhielt in Frankenthal die Bestimmung, die Kriegskasse nach Magdeburg zu geleiten. Von dort, angewiesen, seinen Marsch nach Stettin und später nach Graudenz fortzusetzen, konnte es nun auch der kleinen Heerschaar beigestellt werden, welche vereint mit der russischen Armee, den Krieg in den Provinzen Alt-Preußens fortführte.
Im Anfange des Jahres 1807, als Königsberg, die damalige Residenz des Monarchen und seiner Familie, unbeschützt dem Andringen zweier Armeecorps blosgestellt war, wurde der Major v. Borstell mit nicht mehr als 800 Pferden demselben entgegen gesandt, und seiner Entschlossenheit und kühnen Gewandtheit gelang es, den Marschall Ney das Dasein eines bedeutenden Truppencorps glauben zu machen *), sein Vordringen zu hemmen und ihn später sogar lebhaft zu verfolgen.
- *) Ney, durch den Major von Borstell verleitet, letzteren für den Befehlshaber der Avant-Garde jenes (gar nicht vorhandenen) größeren Corps zu halten, schloß einen Waffenstillstand mit ihm, den dieser aufkündigte, als Bennigsens Flanken-Bewegung Ney's Rückzug nothwendig machte.
Ein gelungener Ueberfall des französischen Blokade-Corps vor Graudenz, im Rücken der feindlichen Armee, der die schnelle Aufhebung der Berennung dieser Festung zur Folge hatte und dem Feinde viele Gefangene kostete, so wie ein am Tage der Eylauer Schlacht bei pr. Holland gegen eine zehnfach überlegene feindliche Division bestandenes glückliches Gefecht, durch welches die Wegführung des dortigen Kriegs-Magazins nach Königsberg möglich ward, bezeichnen insbesondere die Waffenthaten des von dem Major von Borstell in kühner Unabhängigkeit angeführten kleinen Corps. -- Die Ernennung zum Obristlieutenant von Borstell als Befehlshaber der Cavallerie bei demselben angestellt. Verbunden mit engloschen und schwedischen Truppen hätte dies Corps im nördlichen Deutschland Entscheidendes zu leisten vermocht, aber der Friede zu Tilsit endete auch hier die kaum begonnenen Operationen.
Zum Mitgliede der Commission berufen, welche unter der besonderen Leitung des Königs die Organisation des später so trefflich bewährten preußischen Kernheeres bearbeitete, widmete sich nun der Obristlieutenant von Borstell den ihm insbesondere übertragenen Angelegenheiten der Cavallerie, ward 1808 zum Commandeur eines Uhlanen-Regiments, 1809 zum Obersten ernannt und 1810 zum General-Adjutanten des Königs und zum Commandeur der märkischen Cavallerie-Brigade als Chef vorgesetzt und übernahm bald darauf den interimistischen Oberbefehl über das an der pommerschen Küste zusammengezogene Armee-Corps, zu einer Zeit, wo die tractatenwidrige Besetzung von Schwedisch-Pommern und die Ueberschreitung der preußischen Demarcations-Linie durch den Marschall Davoust auch Preußen und insbesondere die wichtige Festung Kolberg bedrohte. Diese und das damit in Verbindung stehende verschanzte Lager aufs äußerste zu vertheidigen, hatte der Oberst v. Borstell mit unermüdeter Thätigkeit die zweckmäßigsten Anordnungen getroffen, als das Schicksal dem preußischen Staate die Nothwendigkeit auferlegte, dem französischen Heere den Durchzug nach Rußland zu verstatten. Er ward hierauf durch Beförderung zum General-Major ausgezeichnet und zum Gouverneur von Kolberg, so wie zu Befehlshaber des pommerschen Truppen-Corps ernannt, in welcher Eigenschaft er nicht allein unter den schwierigsten Umständen die seiner Obhut anvertraute Provinz beschirmte, sondern auch in derselben zur herannahenden Befreiung des Vaterlandes alles vorbereitete.
Beim Ausbruch des Krieges 1813 war Anfangs dem General-Major v. Borstell ein selbstständiger Wirkungskreis im nördlichen Deutschland angewiesen; eingetretene Umstände aber führten ihm die Bestimmung zu, mit einem Corps von 6000 Mann Magdeburg auf dem rechten Elbufer zu beobachten und einzuschließen. Hier hatte der Vice-König von Italien den Ueberrest der aus Rußland entkommenen Armee gesammelt und drang nun, die noch nicht erfolgte Vereinigung der preußischen und russischen Streitkräfte benutzend, mit einem Corps von 26000 Mann gegen Borstell vor, der jedoch, trotz der auf ihn andrängenden unverhältnißmäßige Uebermacht stets fechtend, drei Tage hindurch sich dergestalt langsam zurückzog, daß die herbeieilenden Generale Wittgenstein, York und Bülow den Feind umgehen und ihn in Gemeinschaft mit Borstell mit bedeutendem Verlust zurückwerfen konnten.
Er ward hierauf mit seinem Corps dem Befehl des General-Lieutenants von Bülow überwiesen, mit welchem vereint er Preußens Königstadt bis zum Waffenstillstande beschirmte. Unter mehreren glücklichen Gefechten des Corps in dieser Periode ist insbesondere der von Borstell befehligte Ueberfall von Hoyerswerda am 28. Mai bemerkenswerth: Sichere Nachrichten ließen die Stärke des Feindes auf 7000 Mann annehmen, als der Angriff mit 6000 Mann beschlossen ward; aber unerwartet war der Marschall Oudinot mit seinem 28000 Mann starken Corps am Abend zuvor dort eingetroffen, und schon hatte das Gefecht sich lebhaft verbreitet, als des Feindes Uebermacht sich entwickelte und den Rückzug eben so unvermeidlich als gefahrvoll machte. Gleichwohl mußte der preußische General diesen mit kühn entschlossener Besonnenheit dergestalt zu leiten, daß dem Feinde ein doppelt stärkerer Verlust zugefügt ward, und Oudinot, laut seinem kund gewordenen Bericht, vermeinte, das ganze Bülowsche Armee-Corps vor sich gehabt zu haben.
Während des Waffenstillstandes bedeutend verstärkt, ward das Corps Bülow's der Nordarmee unter dem Kronprinzen von Schweden einverleibt und erhielt den Namen des dritten Armee-Corps; der General von Borstell aber befehligte während des ganzen Feldzugs 1813 - 1814 entweder die Avantgarde desselben oder ein Seitencorps; das Glück begünstigte auch jetzt jede seiner Unternehmungen. Die Kriegsberichte gestehen ihm einen entscheidenden Antheil an den bei Gross-Beeren und Dennewitz erfochtenen Siegen zu, und an dem denkwürdigen 19. October befehligte er die preußischen Truppen, welche Leipzig von der Grimmaer Seite erstürmten; er nahm dem Feinde im blutigsten Kampfe 12 Generale, 5800 Mann unter den Waffen und 84 Kanonen, mit dem allerdings bedeutenden Verlust eines Drittheils seiner im Gefecht begriffenen Mannschaft, ab.
Noch im Jahre 1813 zum General-Lieutenant befördert, nahm er mit seiner größtentheils aus pommerschen Regimentern bestehenden Heeresabtheilung an dem denkwürdigen Winter-Feldzuge der dritten Armee-Corps Theil, welcher die Eroberung von Holland und Belgien zur Folge hatte. In diesen Kriegsabschnitt fallen die Blokade von Wesel und die blutigen Gefechte bei Reuss, Hochstraaten und Lier, in welchen von der ihm untergeordneten Heeresabtheilung bedeutende Vortheile, namentlich bei Reuss ein Adler und, als Folge des Gefechts von Lier, 18 Kanonen erkämpft wurden.
Der größere Theil des dritten Armee-Corps unter seinem eben so kühnen als genialen Feldherrn, dem Grafen Bülow v. Dennewitz, vereinigte sich mit dem Fürsten Blücher in Soissons und auf dem Schlachtfelde bei Laon. Der General-Lieutenant von Borstell war zur Beobachtung der feindlichen Festungen in Flandern dem Oberbefehl des Großherzogs v. Weimar überwiesen worden. Die ihm untergebene Heeresabtheilung fand auch hier in Gemeinschaft mit der sächsischen Division des General-Lieutenants von Lecocq Gelegenheit, in den Gefechten bei Oudenarde, Courtray und Tournay sich rühmlichst zu bewähren; der General Maison wurde nach Lille zurückgeworfen, und seine Vereinigung mit einem Theil der Besatzung von Antwerpen vereitelt.
Während der Besitznahme von Paris und noch nach derselben stand Borstell vor Soissons und Compiegne. Es war ihm vorbehalten, durch die bewirkte Uebergabe dieser beiden festen Städte den Krieg eben so glücklich in Frankreich zu beschließen, als er von preußischer Seite selbigen durch das Gefecht bei Magdeburg begonnen hatte. Er eroberte das erste und das letzte Geschütz in diesem Kriege, während welchem er niemals ein unglückliches Gefecht bestand. Vorgesetzte und Untergebene blickten mit Vertrauen auf seine Unternehmungen, und es verehrten ihn seine Truppen, für die er väterlich sorgte, so wie die Landbewohner, denen er durch Aufrechthaltung der strengsten Mannszucht den wirksamsten Schutz angedeihen ließ.
Nach dem Abgange des Generals der Infanterie, Grafen Bülow v. Dennewitz, zu einer anderweitigen Bestimmung ward dem General-Lieutenant v. Borstell der Befehl über das am Rhein zurückbleibende Armee-Corps übertragen, aus welchem später bei der neuen Eintheilung der Armee für den Feldzug des Jahres 1815 das zweite Armee-Corps formirt und ihm gleichfalls anvertraut wurde.
Hier, auf einem Standpunct, der ihm nach so vielen rühmlichen Beweisen seines Feldherrn-Talents in diesem hochwichtigen Zeitpunct die Aussicht gestattete, an der Spitze eines Corps, welches ihn liebte und verehrte, dem Vaterland die wichtigsten Dienste zu leisten, legte ihm das Schicksal die schwere Frage vor: entweder sich der Möglichkeit auszusetzen, diesen glänzenden Aussichten zu entsagen, oder die tief in seinem Innern begründete Idee der Ehre und des Rechts verläugnen zu müssen, welcher er sein ganzes makellosen Leben immerdar gewidmet hatte; und wahrlich, Wenige würden mit so entschiedener Hingebung die letztere gegen die Lockungen der ersteren behauptet haben.
Es ist den Zeitgenossen bekannt und bedarf daher keiner näheren Auseinandersetzung, daß der General v. Borstell es nicht über sich zu gewinnen vermochte, die Fahne des sächsischen Garde-Grenadier-Bataillons, welches, obgleich minder schuldig, in die Empörung des sächsischen Grenadier-Regiments gegen den Feldmarschall Fürsten Blücher v. Wahlstatt verflochten war, nach dem Gebot dieses Heerführers verbrennen zu lassen, indem er, durchdrungen von der hohen Bedeutung dieses geheiligten Symbols der Ehre und Treue des Kriegers, dem sächsischen Panier nicht zufügen lassen wollte, was er unter keinen Umständen an einem preußischen würde haben geschehen lassen.
Als seine dieserhalb gemachten dringenden Vorstellung nur durch einen wiederholten, noch strengeren Befehl beantwortet wurden, folgte er dennoch jener Stimme seines Gewissens, welche ihn nunmehr die Ausführung bestimmt verweigern ließ; worauf der Feldmarschall seine Entsetzung vom Oberbefehl über das zweite Armee-Corps und seine Entfernung vom Kriegsschauplatze verfügte.
Ein auf Befehl des Königs niedergesetztes Kriegsgericht sprach bald darauf ein Urtheil über den General-Lieutenant von Borstell, aber die Dauer des ihm zuerkannten Festungs-Arrestes ward auf den dringenden eignen Antrag des Fürsten Blücher bedeutend verkürzt.
Nach dem zu frühen Hinscheiden des Generals der Infanterie, Grafen Bülow v. Dennewitz, wählte der König den General-Lieutenant v. Borstell, um den Verewigten in der Eigenschaft als commandirender General in Preußen und Lithauen zu ersetzen, und wies ihm dadurch einen bedeutenden Wirkungskreis für sein rastloses und dankbar anerkanntes Streben zur Erhaltung und Beförderung des Guten an.
- v. A.
Quellen.[]
- ↑ Zeitgenossen. Biographien und Charakteristiken. Neue Reihe. X. Leipzig: F. A. Brockhaus. 1823.