Von Bastille bis Waterloo. Wiki
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Hannover.[]


Hannover,[1] ein zum deutschen Bunde gehöriges Königreich, das im Norden von Deutschland, zwischen der Elbe, der Ems und der Nordsee liegt. Es besteht aus den Ländern des ehemaligen Kurhauses Braunschweig-Lüneburg, nämlich den Fürstenthümern Kalenberg, Grubenhagen, Lüneburg, Verden, dem Herzogthum Bremen, den Grafschaften Hoya, Diepholz, Bentheim xc. und dem Lande Hadeln, wozu 1802 noch das Hochstift Osnabrück, 1815 aber, vermöge der Stipulationen des Wiener Congresses, neben dem Titel eines Königreichs, die Fürstenthümer Hildesheim und Ostfriesland, die Stadt und das Gebiet von Goslar, die niedere Grafschaft Lingen und ein Theil des preussischen Fürstenthums Münster kamen, wogegen aber das Herzogthum Lauenburg, mit Ausnahme der auf dem linken Ufer der Elbe liegenden Aemter, und einige andere Parcellen abgetreten wurden. Diese Ländermasse umschreibt 660 Quadratmeilen, auf welchen 1,120,000 Menschen wohnen. Die Hauptflüsse des Landes sind die Elbe, die Weser und die Ems, durch welche die unmittelbare Verbindung mit dem Ocean statt findet. Unter die wichtigsten Producte gehören Getraide, Taback, Hopfen, Flachs, Hanf, Rübsamen, Holz, Honig und Wachs, Salz, und dann eine Menge edler und nützlicher Metalle, die das Harzgebirge liefert. Die Zucht des Hornviehs und der Schafe ist meistens in einem sehr guten Zustande. Die wichtigsten Nahrungszweige sind Garnspinnerei und Leinwandweberei; dabei beschäftigt sich aber der Kunstfleiß zugleich mit Fertigung von Taback, Kattun, Wollen-, Baumwollen- und Seidenwaaren, Tüchern, Eisen-, Kupfer-, Stahl- und Messingwaaren, Hüten, Leder, Stärke, Papier, Fayence, Spiegeln xc. Auch der Handel wird lebhaft betrieben; sehr förderlich für ihn ist die Vereinigung Ostfrieslands mit dem Königreiche. Vor 1803 war das Geheime Rathscollegium zu Hannover die eigentliche Landesregierung, und behauptete, weil es den abwesenden Landesherrn repräsentirte, das höchste Ansehen. Das Kirchenwesen wurde durch vier Consistorien, zu Hannover, Stade, Ratzeburg und Otterndorf, verwaltet, und die 750 Pfarrkirchen im ganzen Lande standen unter 7 General- und 43 Special-Superintendenten. man zählte 7 reformirte Gemeinden, und die katholische Kirche ward gleichfalls geduldet. Zur Oberaufsicht und Besorgung der Justiz waren Justizkanzeleien und Hofgerichte zu Hannover, Celle, Stade, Ratzeburg und Otterndorf; aus allen Provinzen gingen die Appellationen an das 1711 zu Celle errichtete Oberappellationsgerichte, von dessen Aussprüchen keine Appellation an die Reichsgerichte Statt fand. Die Einkünfte des Landes wurden sämmtlich von der kurfürstlichen Kammer verwaltet, deren Präsident einer der Minister war. Keiner von den kleinen Deutschen Staaten hat in neueren Zeiten mehr für die Wissenschaften und den Volksunterricht gethan, als Hannover. Wir erinnern blos an Göttingens Universität, die Ritterakademie zu Lüneburg, das Georgünum zu Hannover, das Pädagogium zu Ilfeld und das vortreffliche Schullehrerseminar zu Hannover, welches dem Lande eine Menge wohlunterrichteter, ganz für ihr Amt gebildeter Landschullehrer gegeben hat. Nicht minder verdient die Anstalt zu Kloster Loccum zur Bildung künftiger Prediger Erwähnung und dankbare Erinnerung. Der Stand des Heers sollte nach der Verfassung bestehen aus 12 Reiter- und 24 Fußgänger-Regimentern, nach den Umständen von verschiedener Stärke. Die Invaliden waren in 7 Compagnien und die Landmiliz in 31 Compagnien vertheilt. Zur Handhabung der Militärjustiz war die Kriegscanzlei bestellt, welche aus 2 Mitgliedern des geheimen Rathscollegiums und 4 geheimen Kriegsräthen bestand. Die Herrscherfamilie, welche Hannover ihr wahres, rechtmäßig ererbtes, oder durch Kauf, Tausch und Versatz erworbenes Eigenthum nennen kann, stammt von dem mächtigen Markgrafen Azo ab, der Mailand, Genua und viele andere herrliche Landstriche in der alten Lombardei beherrschte. Ihr näherer Ahnherr war Heinrich der Löwe, aus dem Stamme der Welfen, dessen Nachkommen, nach der unglücklichen Sitte des Mittelalters, die ererbten Länder theilten und wieder theilten, bis endlich das wohlthätige Primogeniturgesetz im Braunschweigischen Fürstenhause dem Unheil ein Ende machte. Die Söhne Herzog Ernsts, Heinrich und Wilhelm, waren die eigentlichen Stifter der beiden, in unserer Zeit noch vorhandenen Hauptlinien des Hauses Braunschweig-Lüneburg, indem Heinrich die Dannenbergische (welche nachmals die Wolfenbüttelsche genannt wurde), und Wilhelm die Cellische Linie stiftete. Georg Ludwig wurde 1708 vom Kaiser Leopold zum Kurfürsten des Deutschen Reichs erhoben, erwarb darauf die Fürstenthümer Bremen und Verden, und bestieg 1714 als Georg I. den Thron von Großbritannien. (S. Georg.) Georg III. war nicht in Hannover geboren, und kam nie dahin; sein Gesichtspunkt blieb immer ein Englischer, und wer sollte ihn berichtigen, wer dem entfernten Herrn des Deutschen Erblandes wahre Bedürfnisse enthüllen, wer das Hannöversche Interesse ins gleiche Verhältniß mit dem Englischen Interesse stellen? Nie konnte unter Georg II., der seine Deutsche Staaten kannte und sie oft besuchte, die Aristokraten-Regierung in dem Maße, wie unter Georg III. aufkommen; nie wäre unter Georg II. eine Verordnung, wie die vom 30. Sept. 1763, daß kein Unterthan bei schwerer Strafe sich unmittelbar mit seinen Klagen oder Bitten an den König wenden solle, durchgegangen. Unter Georg III. ging sie durch, und so war die Aristokraten-Regierung in ihren Grundfesten gesichert. Die Folgen veroffenbarten sich bald in der ganzen Landesadministration; in den despotischen Verfuren bei der landschaftlichen Finanz- und Steuer-Verwaltung, in der gewissenlosen Anhäufung der schon aus dem Anfange des Jahrhunderts und noch mehr aus dem siebenjährigen Kriege herstammenden Schulden, zu deren Abzahlung Kopfsteuern, Contributionen u. s. f. aufgebracht werden mußten, und von deren Hauptsumme dennoch eigentlich nur sehr wenig abgezahlt wurde! Hannover mußte alle Englische Kriege mit durchfechten helfen; Hannöversche Truppen dienten in Ostindien, in Gibraltar und Minorca; das Land aber hatte dadurch keine Erleichterung, denn es mußte immerfort auch an Licent und alten Kriegssteuern zahlen. Als nun endlich das Geheimniß der Steuerverwaltung durch den öffentlichen Schriftwechsel zwischen Leuthe und Spittler zur Kenntniß des Publikums kam, wurde eine große Unzufriedenheit sichtbar, und die gefährliche Stimmung nahm noch zu, da unter Cüstine, im J. 1792 ein Französisches Heer auf deutschen Boden erschien. Als Georg III., König von Großbritannien, am 4. März 1793 mit dem Kurfürsten von Hannover, also mit sich selbst, einen Tractat schloß, wodurch Hannover genöthigt war, 16,000 Mann ohne Subsidien gegen Frankreich zu stellen, wurden die Hannöverschen Lande vollends in den Strudel des Kriegs hingerissen, und ein Jahr später durch einen Regierungsbefehl sämmtliche Landregimenter den Linientruppen einverleibt; eine Maßregel, die mit des Landes Grundverfassung in offenbaren Widerspruch stand. Die Landschaften stemmten sich dagegen, und an ihrer Spitze stand der Schatzrath und Hofrichter von Berlepsch. Dieser kühne Mann empfand nun den ganzen Unwillen der Gewalthaber. Er wurde durch einen Machtspruch seines Postens als Hofrichter entsetzt, und sogar aus der Landschaft verwiesen. Darüber entstand ein Rechtsstreit beim höchsten Reichsgericht, in dessen Verfolg sich die verfassungswidrigen Anmaßungen der Hannöverschen Regierung recht documentirten. Die Schicksale der Capitäne [[von Mecklenburg]] und [[von Bülow]], welche man wegen politischer Meinungen gleichfalls aus dem Dienste entfernte, hatten schon früher bewiesen, auf welches Ziel die Hannöversche Regierung hinsteuerte. Dunkler zeigten sich jedoch die Aspekten für die Hannöverschen Aristokraten, als Preußens Monarch nach Uebereinkunft mit Frankreich, im April 1801, 24,700 Mann ins Land sandte. Die Hannöverschen Truppen wurden nun aufgelöst und auf Urlaub entlassen, auch mußten alle Staatseinkünfte fortan für Preußische Rechnung verwaltet werden. Der Friede von Amiens macht diesem ein Ende. Beim Wiederausbruch des Kriegs zwischen Großbritannien und Frankreich aber erscholl das politische Todesurtheil für Hannover am 25. Mai 1803. Mortier rückte gegen Hannover vor, bis auf die Suhlinger Heide, wo es zu einem unbedeutenden Scharmützel kam. Bald nachher am 3. Juni d. J. schloß er mit den Hannöverschen Deputirten die berüchtigte Capitulation, deren Resultate ein fluchtähnlicher Rückzug des Hannöverschen Militärs hinter die Elbe ins Lauenburgische und des ganzen Landes Besitznahme bis zur Elbe von den Französischen Truppen war. Der dritte Coalitionskrieg gegen Frankreich führte neue Scenen herbei. Russen und Schweden besetzten das von den Franzosen unter Bernadotte geräumte Land, und berennten Hameln, die lange erwartete Hannöversche Legion landete in der Weser, und hatte starken Zulauf; zugleich ließ Georg III. den Hannoveranern verkündigen: das er mit königl. Huld ihre Wunden heilen, des Landes Wohlstand erneuern, und seinen Sohn, den Herzog von Cambridge, als obersten Befehlshaber des Heers senden wolle. Tausend Hoffnungen erwachten, denen plötzlich die [[Schlacht von Austerlitz]] ein trauriges Ende machte. Hannover ward nach Uebereinkunft zwischen dem Kaiser von Frankreich und dem Könige von Preußen im Anfange des Jahres 1806 von 23 Bataillons Infanterie, 25 Eskadrons und 7 Batterien Artillerie besetzt, und am 27. Januar d. J. erschien ein Königlich Preußisches Patent, wodurch den Hannoveranern angezeigt ward: der König nehme das Land in Verwahrung und Administration. Dagegen erschien am 3. Februar s. J. eine Bekanntmachung des Hannöverschen Ministers, Grafen von Münster, welche die Besitznahme Hannovers durch Preußen als widerstreitend den rechten des Königs von England verkündete, jedoch die Unterthanen auffoderte, sich keiner Widersetzlichkeit gegen die Gewalt schuldig zu machen. Der äußerst heftigen Erklärung Georg III. gegen Preußen folgten bald offenbar feindliche Angriffe; Preußen gerieth über Hannover mit England in Krieg, und sonderbar genug war des Gerücht: die Rückgabe Hannovers an Georg III. solle des einzuleitenden Friedens zwischen Frankreich und Großbritannien Basis seyn, der letzte Hebel, welche Preußens friedliebenden Monarchen bestimmte, das Schwert gegen Napoleon zu ziehen. Die unglückliche Schlacht bei Jena veränderte nun die ganze Lage der Dinge in Norddeutschland, und der Friede von Tilsit warf einen Theil des Hannöverschen in die Masse der Länder, woraus das Königreich Westphalen gebildet ward. Das Schicksal der übrigen Provinzen blieb dunkel und ungewiß bis zum Jahr 1810. Das Land hatte durch alle diese Umstände schon unsäglich gelitten, und sank immer tiefer ins Elend; ehemals wohlhabende Familien wurden fast dem Hunger Preis gegeben, der Verzweiflung nahe kamen viele Staatsdiener, deren einzige Einkünfte die Besoldungen gewesen, und der Landmann versank, erschöpft durch den ungeheuern Druck, in fast gefühllose Dumpfheit. Die Volksmenge verringerte sich merklich! Da erscholl endlich das Gerücht: Hannovers Schicksal sey definitiv entschieden und wirklich verkündigte des Königs von Westphalen Proclamation vom 1. März 1810 die durch den Tractat vom 14. Januar d. J. geschehene Vereinigung des ganzen Hannöverschen Landes mit Westphalen! Nun ward das Land getheilt in drei Departements: nämlich das Norddepartement, mit den drei Distrikten Stade, Bremervörde und Verden, enthaltend 214,180 Bewohner; das Departement der Niederelbe, mit den drei Distrikten Lauenburg, Harburg und Salzwedel, enthaltend 218,615 Bewohner, und das Allerdepartement, mit den 3 Distrikten von Hannover, Celle und Nienburg, enthaltend 249,158 Bewohner. Die drei Departements zusammen bildeten die vierte Militärdivision, deren Hauptplatz Hannover blieb. Das Jahr 1811 vereitelte alle Hoffnungen, die man darauf vielleicht hätte bauen können. Nur das Departement der Aller blieb bei Westphalen, die Communication mit dem Meere ward rein abgeschnitten, Hannover zerstückelt, von seinen vornehmsten Städten waren nur Hannover und Celle Westphälisch geblieben, Lüneburg, Stade und Ratzenburg wurden Französisch, und die Geschichte dieses Theils der Hannöverschen Staaten gehörte in die Geschichte des großen Kaiserreichs, bis endlich in Folge des siegreichen Feldzuges der Alliirten gegen Napoleon, zu Ende des Jahres 1813, in Deutschland die alten Verhältnisse wiederkehrten, und Hannover in seiner vorigen Gestalt an die Regentenfamilie Großbritanniens zurückfiel. Es war am 25. Octbr. 1813, als die Alliirten in der Hauptstadt einrückten, denen am 4. Nov. der Herzog von Cumberland nachfolgte; da denn sogleich die Westphälischen Behörden aufgelöst, und die Regierung des rechtmässigen Regenten wieder eingesetzt wurde. Am 15. Dec. 1814 wurde die erste Versammlung der Stände des Königreichs durch den Herzog von Cambridge eröffnet, deren Zweck nicht Bildung einer neuen Verfassung, sondern nur die Umwandlungen waren, welche Zeit und Landesbedürfnisse foderten; wie denn die Regierung von dem Grundsatze ausging, das Alte so viel möglich zu schonen, und das Neue nur aus demselben hervorgehen zu lassen. In diesem Sinne wird das Land allmählich organisirt, und manche nützliche Einrichtung getroffen, um es die überstandenen Leiden vergessen zu machen.


Quellen.[]

  1. Conversations-Lexicon oder encyclopädisches Handwörterbuch für gebildete Stände. Stuttgart bei A. F. Macklot. 1816.


Literatur.[]

  • Geschichte des Königreichs Hannover und Herzogthums Braunschweig. Von Dr. Albert Hüne, Privat-Docenten zu Göttingen. Mit einer Vorrede von A. H. L. Heeren, R. d. G. O. Königlich Großbrittanisch-Hannov. Hofrath und Professor der Geschichte zu Göttingen. Hannover, 1824. Im Verlage der Hahnschen Hofbuchhandlung.
  • Neues vaterländisches Archiv oder Beiträge zur allseitigen Kenntniß des Königreichs Hannover wie es war und ist. Begründet von G. H. G. Spiel weil. Stadtsecretair und Justiz-Canzlei-Procurator zu Zelle. Fortgesetzt von Ernst Spangenberg Dr. d. R. und Königl. Großbrit. Hannoverschem Ober-Appellations-Rathe zu Zelle. Jahrgang 1825. Lüneburg bei Herold und Wahlstab 1825.
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