Von Bastille bis Waterloo. Wiki
Advertisement

Institute für Taubstumme.[]

[1]
Der Anstalten, unheilbare körperliche Gebrechen zu verbessern, sind mehrere in Paris. Die berühmtesten darunter sind die Institute für Taubstumme und Blindgeborne.

Das Institut für Taubstumme vom Abbee l'Epee ist in Deutschland bekannt genug und auch nachgeahmt. Ich fand bey ihm, nur mehr im Großen, wieder, was ich bey seinem Nacheiferer, dem Abbee Storr in Wien, gesehen hatte.

Das Institut für Blindgeborne ist in Deutschland wenig oder gar nicht bekannt und ich will mich etwas mehr darüber ausbreiten.

Ein Herr Hauy, Interprête du Roi & de l'Amirauté, ist der Stifter desselben und es besteht erst seit vier oder fünf Jahren. Man weiß, daß Blinde den Sinn des Gesichts durch den Sinn des Gefühls zu ersetzen pflegen. Auf diese Angabe bauete er seinen Unterricht, und seine Kinder lernten mit den Fingern buchstabiren und Noten lesen. Er ließ nämlich erhabene Alphabete und Noten machen. Des Kindes Finger ward darauf geführt, beschrieb die Figur der Schriftzeichen und ihre Punkte und Striche und dabey sagte man ihm den Laut derselben; so lernte es zusammensetzen und bald lesen. Was sie in der Musik können, ist natürlicher Weise auswendig gelernt, wenn sie auch die erhabenen Noten mittelst der Finger zu nennen und ihren Ton mit den Instrumenten anzugeben wissen, auch die Musikzeichen, Pausen xc. alle kennen.

Es war aber nicht genug, daß die Kinder lesen lernten, sie mußten auch Bücher haben, die sie lesen konnten. Dazu war aber erhabener Druck nöthig. Der thätige und erfinderische Lehrer brachte also eine Buchdruckerey für sie zu Stande, die allerdings einzig in ihrer Art ist.

Die Typen sind von Holz, ungefähr in der Größe, wie die, womit Predigt- und Gesangbücher für alte Leute gedruckt werden, die ein schwaches Gesicht haben. Sie sind erhaben und werden durch eine Presse, die wie andre Drukkerpressen eingerichtet, aber von mehr Gewicht ist, auf ein starkes Papier das fast wie eine dünne Pappe ist, abgepreßt und zwar auf der linken Seite, damit sie auf der rechten erhaben hervortreten. Die jungen Leute setzen und drukken ihre Bücher selbst und beydes mit bewundernswürdiger Geschwindigkeit. Der größern Schnelligkeit wegen sagt man ihnen die anzusetzenden Worte vor, die sie nach ihren Buschstaben aus dem Schriftkasten herausfingern und in Ordnung stellen. Ich habe eine ganze Seite ohne Druckfehler, ohne das selbst ein Buchstab schief stand, setzen und abdrucken sehen.

Da ihr Druck sehr viel Platz einnimmt, weil die Buchstaben für das Spiel der Finger weitläuftig stehen müssen und das Blatt nur auf einer Seite bedruckt werden kann, so werden bey ihnen die kleinsten Bücher zu dicken Quartanten.

Sie setzen und drucken aber auch nach der gewöhnlichen Weise und mit Schwärze, Ankündigungen, Visitenkarten und Broschüren, aus kleiner Schrift, so schnell, wie andre Drucker. nur daß ein Sehender die falschgesetzten Typen ausmerzen und schiefgestellte ordnen muß. Ein paar darunter schreiben auch mit Tinte und Feder. Ich habe einen der ältern ein ganzes Blatt beschreiben sehen und die Zeilen standen, wie die Wörter und Buchstaben selbst, in abgemessener Ordnung, ohne daß ihm jemand die Hand führte oder die gemessenen Zwischenräume angab. Es war der Triumph der Uebung und Gewohnheit. Nur waren, wie es natürlich ist, seine Buchstaben noch einmal so groß, als bey sehenden Menschen und genau in der Form der Typen, womit ihre Bücher gedruckt sind.

Diese jungen Leute lernen auch Geographie, aber nicht genug, sie geben auch einander uns selbst sehenden Kindern Unterricht darin. Ihre Landkarten sind, wie ihre Bücher, erhaben. Die Gränzen der Länder, die Flüsse, die Berge, die Städte sind erhaben angegeben und sie finden die verlangten Orte so schnell, als man es kaum mit sehenden Augen auf gewöhnlichen Landkarten kann. Natürlich sind auch ihre Karten sehr groß und doch können nur die hauptörter darauf angegeben werden. Daß sie es gleich wissen, wenn man ihnen die Karten verkehrt oder von einem andern Lande gibt, als das, worin man sie prüfen will, versteht sich nach dem Obigen von selbst.

Ihr Lesen geht nach Verhältniß ziemlich schnell, ob sie gleich nach jedem Worte einhalten und die Buchstaben des folgenden befingern müssen, um es auszusprechen. Ihre Rechenkunst lernen sie auf demselben Wege und ein paar ältere addirten und dividirten mit unglaublicher Schnelligkeit. Mißlich bleibt indessen bey ihnen die Kunst immer, weil sie das kleinste Versehen nicht wieder gut machen können, sondern immer wieder von vorn anfangen müssen. Ihr Lehrer versicherte mir, daß sie noch weit gewisser und schneller im Kopfe rechneten, als mit ihren erhabenen Zahlen, und das ist nicht befremdend.

Das nützlichste unter allen, was man diesen Kindern lehrte, ist unstreitig ihr Stricken, Spinnen, Weben und alles andre, was man ihnen von Beschäftigungen mechanisch beybringen kann. Sie machen Band, Stockschleifen, überflechten Röhre, u. dergl. mit großer Sauberkeit und Festigkeit und mit vielem Geschmacke. Diese Waaren werden zum Besten des Instituts verkauft. Diejenigen, die Geisteskraft, Fähigkeit und Kenntnisse haben, bietet man dem Publikum in einer eigenen Ankündigung zu Lehrern sehender Kinder an, nicht sowohl, um eine geschwindere, leichtete, und faßlichere Unterrichtsmethode erwarten zu lassen, als dem Publikum Gelegenheit zu geben, Wohlthätigkeit zu üben und aus diesem Grunde diese blinden Lehrer vorzüglich für ihre Kinder zu wählen. Ich habe ein paar, von ihnen unterrichtete, Kinder gesehen, die einige Fragen aus der Religion, Moral, Geschichte und Geographie sehr fertig beantworteten.

Dieß Institut ist in der Straße Notre-Dame-des-Victoires Nro. 18. Mittwochs und Sonnabends sind öffentliche Uebungen von 12 bis nach 1 Uhr.

Ich fand das Lokale etwas enge aber gut genutzt. Man führte mich in ein artig möblirtes Zimmer im ersten Stocke, wo ich schon einige Zuschauer fand, worunter eine ganze Englische Familie war. Als die Kinder versammelt waren, rief man die Gesellschaft in einen Saal hinunter, der auf ebener Erde und ebenfalls ziemlich klein war. Die Blinden beyderley Geschlechts saßen der Thür gegen über auf Bänken, die amphitheatralisch empor stiegen, die größern unter, die kleinern oben. Die ältesten waren über neunzehn Jahr, die jüngsten nicht unter zehn. Sie waren reinlich gekleidet und einige von sehr einnehmender Bildung. Die Mädchen strickten, die Knaben hatten Instrumente und begannen ein Konzert, sobald sich die Zuschauer auf einen ähnlichen Amphitheater gegenüber gesetzt hatten. Einer der ältern gab den Takt an. Voran stand einer, etwa funfzehn Jahr alt, der die Violine meisterhaft spielte und einige Solos mit viel Geschmack und Gefühl exekutirte. Einer saß am Flügel. Die ganze Musik wurde zum Bewundern pünktlich und richtig gegeben.

Sodann gingen ihre Uebungen an. Sie mußten lesen, setzen, drucken, rechnen, Städte und Länder auf der Landkarte suchen, ihre kleinen sehenden Zöglinge unterrichten und fragen. Die Zuschauer gaben auf und fragten, was ihnen einfiel, und es ergab sich klar genug, daß hier weder Blendwerk noch Betrügerey vorging. Beym Schlusse sammelte eine der anwesenden Damen Allmosen für sie, die sehr reichlich waren, weil Zufriedenheit, Erstaunen und Rührung hier spendeten. Ein alter Engländer (und diese Nation verleugnet den Zug von gutherziger Prahlerey in ihrem Charakter nie) warf zwey Louisd'or in das Kästchen, daß es rauschte. Zum Schlusse spielten und sangen die Kinder ein Paar Strophen von Aubert verfertigt und von Gosset in Musik gesetzt, mit soviel Gefühl, daß man unmöglich ungerührt dabey bleiben konnte. Der alte Engländer ließ seinen Thränen freyen Lauf und nickte gerührt mit dem Kopfe dazu. Aber Poesie und Komposition waren auch wirklich sehr schön. Ich kann diese Strophen unmöglich unangeführt lassen:

O Ciel, pour combler les bienfaits,
Ouvre un instant notre paupiére,
Et nous n'aurons plus de regrets
D'être privés de lumière;
Quo notre oeil contemple les traits
De ceux d'ont la main nous soulage,
Et renferme le pour jamais:
Nos coeurs en garderont l'image. *)
*) O Gott! um deinen Wohlthaten das Siegel aufzudrücken, gib uns nur auf Einen Augenblick unser Gesicht und es soll uns nicht länger schmerzen, des Lichts beraubt zu seyn: nur um die Züge unsrer Wohlthäter zu sehen, gib es uns, und dann nimm es uns wieder: unser Herz soll ihr Bild bewahren!

Die Hauptsubsistenz zieht dieß Institut von der Société philantropique, vielleicht der vollkommensten in ihrer Art, die ihren wohlthätigen Arm von Paris aus durch ganz Frankreich für Arme und Nothleidende ausstreckt. Beym Ausgange aus dem Saale wurde jedem der Zuschauer ein Kouvert mit einigen Ankündigungen, das Institut betreffend gegeben, worauf die Worte standen: Il nous en couteroit fort peu, pour contribuer à adoucir le fort d'un grand nombre d'Infortunés. **)

**) Es kostet uns so wenig, das Schicksal von tausend Unglücklichen zu mildern.


Von Reisende.[]

Karl Gottlieb Horstig.[]

[2]

[1803]

Das Institut der Blinden zu sehen, erhielten wir jetzt Einlasskarten vom Hrn. Bertrand, Oberausseher des Instituts. Wir nehmen den bequemsten und anmuthigsten Weg zu der entfernten Vorstadt St. Antoine über die Boulevards, die wir schon längst gern einmal in ihrer ganzen Ausdehnung hatten sehen wollen. Die Boulevards machen die Grenze zwischen der eigentlichen Stadt Paris und ihren weitläufigen Vorstädten aus. Sie bestehen aus einer grossen breiten Strasse, die zu beyden Seite geräumige Fusswege hat, welche mit einer doppelten Allee von Bäumen und unzähligen Boutiken eingefasst sind. Die Aussichten auf den Montmartre und weiter hinaus auf die Windmühlenhügel, in deren Nähe die Gypsgruben liegen, verschönern die angenehme Promenade, die vorzüglich in den Sommerabenden einen häufigen Besuch erhält. Heute begnügten wir uns am blossen Durchwandeln, zufrieden, dass wir auf diesem Umwege leichter und ungehinderter, als durch die schmutzigen Strassen der Stadt in die Vorstadt gelangen konnten. Um halb zwölf Uhr verfügten wir uns in den Versammlungssaal der Blinden. Ungefähr vierzig Knaben und zwanzig Mädchen, die alle ihres Gesichts geraubt waren, fanden sich nach und nach in dem grossen Zimmer ein, wo gegen hundert Zuschauer und Zuhörer sich versammelt hatten, unter denen auch der Spanische Ritter Azarra befindlich war. Auf einer langen Tafel in der Mitte des Saales lagen in grossen hölzernen Kasten Buchstaben und Ziffern aus Metall gegossen, und dazu eingerichtete Tafeln, worauf die Lettern zusammengelegt werden konnten; ferner Bücher mit erhabner Schrift, zum Betasten für die Blinden, und geographische Karten, die auf ähnliche Weise mit erhabenen Umrissen der Länder und Seen versehen waren. Eine Sinfonie von dreissig Instrumenten, die von den Blinden mit vieler Präcision und einen ziemlich guten Vortrage gespielt wurde, eröffnete die Uebungen des Tages. Wir wurden erst nachher belehrt, dass die Blinden nach Noten spielen lernen, die sie Stellenweise mit der Hand betasten, und so nach und nach dem Gedächtniss anvertrauen lernen. Bertrand erklärte den fremden Anwesenden, auf welche einfache Weise die Schüler durchs Gefühl Buchstaben erkennen und in der Zusammensetzung lesen lernten. Die Probe wurde an einem kleinen fünfjährigen Mädchen und einem etwas erwachsenern Knaben gemacht. Es wurden Buchstaben aus dem Schriftkasten gezogen und auf die Tafel gesteckt. Mit der emsigen Beweglichkeit, die den Gefühlorganen der Blinden eigen ist, untersuchten die Fingerspitzen der zugelassenen Kinder die Form und Lage der untergelegten Buchstaben, und nach einem kurzen Besinnen lasen sie die ganze Redensart vor, auf dieselbe Weise lesen die Blinden in ihren Büchern, die eine Art von Katechismus der Moral und der religiösen Grundsätze enthalten. Alle Typen sind darin im Papiere erhaben ausgeschlagen; und weil dadurch die umgekehrte Seite, welche die Buchstaben umgekehrt in der Vertiefung darstellt, für die Blinden nutzlos wird, so hat man zwey Blätter immer so zusammengeleimt, dass auf jeder Seite die Buchstaben erhaben anzufühlen sind. Der Deutlichkeit wegen sind die Schriftzeilen ungefähr einen Zoll weit aus einander gerückt, und die Wörter zur Beförderung des schnellern Lesens mit Abbreviaturen versehen, um sie, in einem engern Raume näher an einander gestellt, leichter zu umfassen und schneller befühlen zu können. Auf die Uebungen im Lesen folgten die im Rechnen. Man verlangte eine mathematische Aufgabe erst in der Arithmetik, dann in der Algeber; und beide wurden mit Hülfe der Ziffern und Lettern, welche die Blinden mit vieler Behendigkeit aus ihren Fächern hervorzusuchen und auf die Tafeln zu stecken wussten, leicht und sicher gelöset. Hierin zeichnete sich besonders einer von den Blinden aus, der über alle Fragen aus der höhern Mathematik eine befriedigende Antwort zu geben wusste. Während eines Zwischenspiels auf dem Pianoforte mit Begleitung einer Violine, legte eine junge Elevinn ihre Proben im Schreiben ab. Ausgespannte Faden über einem Blatte Papier gaben ihrer Hand die sichere Richtung. Sie schrieb deutlich und leserlich, was man ihr aufgegeben hatte. Mehrere Arten des Unterrichts, bey welchen nur das Ohr in Anspruch genommen werden konnte, wurden hier übergangen. Aber von dem Erfolge des geographischen Unterrichts, der sich auf Kenntniss der Karten gründete, mussten die Schüler Proben ablegen, indem sie unter vielen vorgelegten Karten nicht allein jede einzelne finden, sondern auch auf jeder Karte die Länder, worauf man ihre Finger legte, und wovon sie Abdrücke auf Papier machten, erkennen und unterscheiden mussten. Zwey weibliche Eleven sangen hierauf, die eine mit vollständige Begleitung, die andre zum Pianoforte. Jene sang stärker, fester und kunstvoller; diese weicher und rührender. Eine Ode, welche der blinde Avissis, der einen ganzen Band von Gedichten herausgegeben hat, zum Lobe des Instituts verfertigt hatte, wurde von einem andern Blinden deklamirt. Ihre Wirkung war ausserordentlich. Nebenbey wurden die Arbeiten der Blinden, besonders in Wolle, vorgezeigt. Bey einigen dieser Arbeiten werden sehende Augen zu Hülfe genommen; andre wurden in unsrer Gegenwart einzig und allein von Blinden verrichtet. Am Ende sangen die Blinden ein kleines Chor, wobey sie Tintenfässer und Kästchen von Pappe, Reitgerten, Bücher, Schnüre, Peitschen und andere von ihnen verfertigte Kunsterzeugnisse auf den Tisch legten, die von den Anwesenden zum Andenken gekauft werden sollten.


Vermischte Neuigkeiten, Anekdoten, Neuigkeiten.[]

[3]

Das Institut der Blinden zu Paris hat die Herausgabe eines Journals angekündigt, das die Blinden selbst drucken und redigiren werden. Dieses Journal wird monatweise erscheinen, und hat, nebst dem Zwecke eines Correspondenzblatts für alles, was auf die Blinden Bezug hat, die Absicht, von den monatlichen Arbeiten der Blinden des Pariser Instituts dem Publikum Bericht zu erstatten.


Quellen.[]

  1. Ueber Paris und die Pariser von Friedrich Schulz. Berlin, 1791. bei Friedrich Vieweg dem älteren.
  2. Reise nach Frankreich, England und Holland zu Anfange des Jahres 1803 gemacht und beschrieben von C. G. Horstig. Berlin, bei Friedrich Maurer 1806.
  3. Französische Miscellen Tübingen in der J. G. Cotta'schen Buchhandlung. 1804.
Advertisement