Indien.[]
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Indien, unter diesem Namen bezeichneten schon die Alten das große Land, welches Persien gegen Osten liegt, und die Benennung ist bis auf unsere Tage geblieben. Da man aber bey der Entdeckung von Amerika anfieng, die mittlern Striche dieses Erdtheils ebenfalls Indien zu nennen, so unterschied man das alte Indien durch den Namen Ostindien. S. also über die Beschaffenheit dieses Landes den Artikel Ostindien, über das mächtigste Reich, welches sich mehrere Jahrhunderte in demselben erhalten hat, den Artikel Mogolistan, und über die jetzigen Beherrscher die Artikel Ostindische Compagnie in England, Maratten und Seiks. Hier ist blos von den ursprünglichen Bewohnern desselben, von den Hindus, die Rede.
Die eigentlichen Indier oder Hindus heissen also von dem Worte Indu, welches in ihrer heiligen Sprache den Mond bedeutet, von dem sie zum Theile ihren Ursprung herleiten. Von ihnen hat der Fluß Indus seinen Namen; und der inländische Name ihres Landes Indostan oder Hindostan ist auf Persisch so viel als Landschaft (Stan) der Indus. Dieses Volk ist eines der ältesten und schon von dem Anfang her, da es bekannt wurde, in einer Verfassung gewesen, die, nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge, eine Reihe mehrerer Jahrhunderte voraussezt. Es ist in 4 Hauptstämme oder Casten abgetheilt, deren jeder eine Menge von untergeordneten Ständen und Classen in sich begreift. Diese Stämme sind von einander ganz abgesondert, verheirathen sich nicht zusammen, und leben ganz ausser aller, selbst gesellschaftlicher, Verbindung. Nur allein in dem Tempel zu Jaggrenat in Orissa wird es für ein Verbrechen gehalten, einen Unterschied unter den Menschen zu machen.
Der erste und edelste Stamm sind die Braminen oder Brahminen, die ihren Namen von Brimha (d. i. der göttlichen Weisheit) herleiten, welcher, wie sie allegorisch sagen, die Brahminen bey der Schöpfung der Welt aus seinem Haupte hervorgebracht hat. Diese sind die Indianischen Priester und Gelehrte von jeder Art; sie können auch an der Verwaltung der Regierung Theil nehmen, und sich mit der Handlung oder dem Ackerbau beschäftigen: aber häusliche Geschäfte sind ihnen ohne Ausnahme ausdrücklich verboten. Was ein Brahmin von einem Indier aus einer andern Caste begehrt, muß er ihm geben, oder wenigstens zu verschaffen suchen. Sie herrschen uneingeschränkt über die Meynungen des Volks, das bey ihrem Barte schwört und ihnen die Füße küßt. Sie beobachten auf eine strenge Art das Gesetz, kein lebendes Geschöpf zu tödten; (welches sich auf die von ihnen angenommene Seelenwanderung gründet,) und suchen öfters das Leben des geringsten Insects durch demüthiges Bitten von Fremden zu erhalten. Sie leben blos von Milch und Gewächsen, und zeichnen sich durch besondere Strenge aus, worinnen ihnen die Leute von den andern Casten mehr oder weniger nachfolgen.
Der zweyte Stamm in der Ordnung sind die Sittri (Kittri, Koytri.) Diese sollen eigentlich lauter Kriegsleute seyn; aber sie treiben auch andere Lebensarten. Brimha soll sie aus seinem Herzen hervorgebracht haben: welches allegorisch so viel sagt daß Herzhaftigkeit bey Kriegern nöthig ist.
Der dritte Stamm sind die Beise oder Bise, welche meistens Kaufleute, Wechsler oder Krämer sind. Diese haben, nach der Allegorie, ihren Ursprung aus dem Bauch des Brimha: denn das Wort Beish bedeutet einen Versorger oder Ernährer.
Der vierte Stamm sind die Sudder, die zu Hausarbeiten verbunden sind. Sie sollen, so sagt die Allegorie aus dem Fuße des Brimha entsprungen seyn.
Niemand kann bey den Indiern aus einer niedrigern Caste oder Stamm in eine höhere kommen, sondern wer z. E. unter die Sudder gehört, der bleibt es ewig mit aller seiner Nachkommenschaft. Wenn jemand aus einer Caste ausgestoßen wird, so ist er und seine Nachkommenschaft zugleich auf immer aus der ganzen Nation ausgeschlossen, und kommt unter den Abschaum derselben, die Harri, die von allen übrigen Stämmen auf das äusserste verabscheuet, nur zu den schlechtesten Diensten gebraucht werden, und in keinen Städten wohnen dürfen. Die Europäer bedienen sich ihrer, als Scharfrichter. Dieser elenden Leute bekümmern sich nichts um die Seelenwanderung, welche die Indier glauben, und machen sich kein Bedenken, lebendige Geschöpfe zu tödten und zu essen. Die Ausstoßung aus einem der 4 Stämme ist für die Indier so schrecklich, daß sie lieber aller Marter, je selbst den Tod leiden, als von einem Artikel ihrer Religion abgehen, und sich dadurch diese Excommunication zuziehen. Es sind daher diejenigen, so von den christlichen Missionarien bekehrt werden, meistens Leute aus der Zahl des unglücklichen und verachteten Theils der Nation, nämlich Harri. Die indische Religion verlangt keine Proselyten zu machen, sondern hält vielmehr ihre Lehren geheim. Sie vergleichen den Himmel mit einem Palaste, der viele Thore hat, und wo man also von mehrern Seiten hineinkommen kann.
Die Bücher, welche die Religion und Philosophie der Indier enthalten, sind die Bedas, ingemein Vedams, welches Wort so viel als Erkenntniß oder Wissenschaft bedeutet. Es sind ihrer 4, und ihr Ursprung ist ungewiß. Die Braminen sagen, daß Brimha bey der Schöpfung der Welt den Menschen diese Offenbarung gegeben habe. Sie werden für so heilig gehalten, daß sie niemand, als Brahminen, lesen dürfen; und ein Brahmin, der sie einem aus einer andern Caste vorlesen würde, hätte die ewige Verstoßung aus der seinigen dafür zu erwarten. Diese strenge hat aber in neuern Zeiten sehr nachgelassen. Dennoch giebt es auch eine Secte der Brahminen, welche die Offenbarung verwirft, aber auch von den andern als irrgläubig und mit Verachtung angesehen wird. Diese Bedas sind in ihrer heiligen Sprache, Samscrudam oder Samscrit genannt, geschrieben, welche selbst die untersten Ordnung der Brahminen nicht verstehen.
Die 4 Bedas enthalten 100,000 Stanzen, jede von vier Zeilen. Der 4 Bedas enthalten 100,000 Stanzen, jeder von vier Zeilen. Der erste Beda, oder der erste Theil der indischen Offenbarung, Rug-Beda (d. i. Wissenschaft der Weissagung) oder Jircu-Bedam genannt, enthält die Astronomie, Astrologie, Physik und Kosmogenie, oder Nachricht von der Schöpfung der Materie und Bildung der Welt. Der zweyte, Sheham- (Shama-) Beda, (d. i. Wissenschaft der Andacht,) handelt von den Pflichten des Menschen, und enthält zugleich Lobgesänge auf den höchsten Gott und die demselben untergeordneten Wesen. Der dritte, Jadshur-Beda, Etzur-Vedam, d. i. Wissenschaft der Religionsgebräuche,) enthält die Vorschrift der Ceremonien bey den Festen, Opfern, Fasten, Reinigungen, Bussen, Wallfahrten xc. Der lezte, Adhar-wana-Beda oder Obatar Bah Beda, (Kenntniß des guten Wesens,) begreift das System der Theologie und Metaphysik; wird aber weniger studirt, als die übrigen. Auch von den ersten dreyen lernt ein gelehrter Brahmine nicht alle, sondern nur denjenigen, den seine Voreltern ihren Kindern bekannt gemacht haben. Ein gewisser Beäß, mit dem Beynamen Muni, (der Begeisterte,) soll vor 4,900 Jahren alle diese Stücke gesammlet und in ihre Ordnung und jetzige Gestalt gebracht haben.
Ausser den Bedas ehren die Indier auch die Sastrams oder Shaster, (d. i. Kenntnisse,) welche Auslegungen der Bedas und ihrer Theologie und Philosophie enthalten. Es sind vorzüglich 2 in Ansehen, und werden als heilige Bücher betrachtet; und diese haben die Trennung der Indier in zwey große Religionsparteyen veranlaßt. Die, welche für die rechtgläubige und älteste gehalten wird, folgt dem Bedang, welches Buch von Beda, Wissenschaft, und Ang, Körper, den Namen hat und also so viel als einen Inbegrif der Wissenschaft (Corpus Doctrinae) bedeutet. Die darinnen enthaltene Erklärung der Lehre der Bedas hat den indischen Propheten Beäß Muni zum Urheber, und ist sehr vernünftig und zu einer andächtigen Unterhaltung für scharfe Denker gemacht. Dieser Bedang Shaster gilt in Decan, und an den Küsten von Malabar und Coromandel für ein kanonisches Buch. Der andere, Neadirsin (von Nea, recht, und Dirsin, Unterricht,) genannt, soll einen indischen Philosophen, Goutam, zum Verfasser haben, enthält eine tiefsinnige, metaphysische Philosophie, und wird in Bengalen, und allen nördlichen Ländern von Indostan für ein heiliges Buch gehalten, aber von den Anhängern des Bedang verworfen.
Obgleich beyde in Absicht auf ihr philosophisches System von einander abweichen, so stimmen sie doch in Ansehung eines einzigen, höchsten und vollkommenen Wesens überein. Dieses stellen die Indier unter keinem Bilde vor; aber sie machen aus den Eigenschaften desselben auf eine bildliche Art eigene Wesen oder Untergottheiten. Die vornehmsten derselben sind Isuren, Ispuren, Mojuser, Ruttiren oder Tschiwen, den die Mongolen auch unter den Namen Abida, verehren: Wischtnu, Ramen, Perumal, Schawri, der bey den Mongolen auch Aijukä heißt: und Brimha, Brahma, oder Biruma, bey den Mongolen Aijuscha, der nur blos in der Person der Brahminen verehrt wird, die Abkömmlinge von ihm genennet werden. Die Indier haben übrigens vielerley Arten von Mönchen, worunter die Seniassi oder Sanaschi und die Pandaronen am meisten geehrt werden. Beyde betteln Almosen.
Wenn ein Kind gebohren wird, so ruft man einige Brahminen herbey, die ihm, vermittelst astrologischer Tafeln, die Nativität stellen. Darauf zünden sie Rauchwerk an und bringen ein Opfer, und zulezt binden sie dem Kinde das Zinar (eine Binde, welche die Indier als ein Amulet tragen,) um den Nacken und geben ihm einen Namen nach ihrem Gutbefinden, ohne die Eltern darum zu fragen. Zwischen den 7ten und 10ten Jahr des Alters werden die Kinder von ihren Eltern verheirathet, und das junge Paar lebt beysammen, um Freudschaft zu errichten. Wenn die Jahre der Mannbarkeit herannahen, so werden sie sorgfältig von einander abgesondert, bis die Weibsperson die Zeichen der Weibheit an sich spüren läßt. Alsdann wird sie ihren Eltern genommen, um bey ihrem Manne zu wohnen, und es ist ihr von selbiger zeit nicht mehr erlaubt, ihre Eltern zu besuchen. Die Indier dürfen, nach ihren Gesetzen, nicht näher, als im 8ten Grade der Verwandtschaft zusammen heirathen. Die Vielweiberey ist zwar erlaubt: aber selten macht ein Mann Gebrauch von dieser Erlaubniß. Leute von Stande und diejenigen von den höhern Casten verbrennen ihre Todten. Die Gewohnheit der Weiber, sich mit ihren Männern zu verbrennen, ist meistens abgekommen, und gehörte nie unter die Religionspflichten. Andere werfen die todten Leichnamen in den Ganges, oder legen sie auf die Landstrassen, um den Thieren zur Speise zu dienen. In Bengalen giebt es Leute, die ihre Kranken, wenn sie keine Hoffnung zur Genesung sehen, im Kothe ersticken, oder an das Ufer des Flusses setzen, und verschmachten lassen.
So unmenschlich dieses scheint, so darf man doch deßwegen nicht glauben, daß die Indier eine barbarische Nation sind. Sie sind vielmehr sanft, stille, ohne heftige Leidenschaften, und große Liebhaber der Unthätigkeit, indem sie den Grundsatz haben, sitzen ist besser, als stehen oder gehen, schlafen ist besser, als wachen, und der Tod ist besser, als alles. Sie besitzen einige physische Kenntnisse, wodurch sie viele nützliche einfache Arzneymittel ausfindig machen; sie haben etwas geometrische Wissenschaft und einige Kenntniß der Astronomie, welche sie in den Stand setzt, die Sonnen- und Mondsfinsternisse so ziemlich zu berechnen.
Miszellen.[]
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Gegenwärtig wo die Besprechung der Möglichkeit eines Angriffes auf Ostindien so sehr an der Tagesordnung ist, las man nicht ohne Interesse folgende historische Züge über die älteren, zu Lande dahin unternommenen Expedizionen: "Die Gegenden zwischen Persien und Hindostan sind jetzt noch wenig bekannt. Persien hat Mangel an Flüssen das Land ist durch die langen Bürgerkriege verödet und entvölkert, und es fehlt ihm auch an fahrbaren Strassen. Zwischen Persien und Hindostan ist eine Bergkette, welche durch die Mitte von ganz Asien streicht, und durch die mehrere enge Pässe gehen, Alle drey Eroberer welche von Persien aus in Indien einfielen, nehmlich Alexander, Tamerlan, Nadir Shach, sind beynahe auf demselben Wege vorgedrungen. Es scheint hieraus zu erhellen, daß die erwähnte Bergkette wenig gangbare Durchgänge hat. In diesen Bergen wohnen Völker, die eben so wild als kühn, eben so mißtrauisch als kriegerisch sind, und dann kommen die kriegerischsten Nazionen des Ostens, die Afghanen, die Seyks und die Maharatten, welche äusserst zahlreiche Armeen ins Feld stellen können. die Seyks behaupten, sie können 3 bis 400 tausend Mann Reiterey auf die Beine bringen. In den Jahren 1793 und 1794. hatten sie eine Armee von 248,000 Mann. Die Mahratten sind keine Freunde der Engländer, und noch vor wenigen Jahren befanden sich viele Französische Offiziere unter denselben. Die Regenzeit tritt in verschiedenen Gegenden Ostindiens zu verschiedenen Zeitpunkten ein; dieß hängt von der Lage der Oerter ab. In den nördlichen Gebirgen regnet es unaufhörlich, während es in den daran stossenden Ebenen trocken ist. Alexander der Große unternahm vom Samarkand aus einen Zug nach Ostindien, zu dem ihn vorzüglich die Reichthümer Indiens antrieben, der aber scheiterte, weil er gerade im Sommer, der dortigen Regenzeit, daselbst eintraff, wo alle Flüsse ausgetreten waren, und das Land überschwemmt hatten. Er eröffnete seinen Zug aus der Gegend des kaspischen Meeres her, gelangte nach Baktria, und gieng über die Gebirgskette. Der Regen hatte in den Bergen, auf denen alle Flüsse des Pendschab entspringen, schon seinen Anfang genommen, und die Flüsse mußten natürlich sehr angeschwollen seyn, ehe er an ihre Ufer gelangte. Bey Taxila, dem jetzigen Attock, gieng er über den Indus, der wie Rennel behauptet, bloß an dieser einzigen Stelle so ruhig fließt, daß eine Brücke über ihn geschlagen werden kann. Mitten im Sommer setzte er über den Hydaspes (heut zu Tage Behat), ungefähr als die Regenzeit am stärksten war. Die Müheseligkeiten, die seine Soldaten bey ihrem Marsche auszustehen hatten, waren unbeschreiblich groß. Er mußte daher wieder umkehren, indem er nicht weiter gekommen war, als bis an das südliche Ufer des Hyphasis, wo er zwölf erstaunlich grosse Altäre errichtete, die ein Denkmahl seiner Thaten sind. Tamerlan, der den Sitz seiner Regierung näher an Indien hatte, und sich von der Beschaffenheit des Landes besser unterrichten konnte, vermied Alexanders Fehler, und machte seinen Feldzug während der trockenen Jahrszeit. Dieß geschah im Jahre 1398. Er drang bis über den Ganges vor, kam aber im Jahre 1399 schon wieder zu Samarkand an. Nadir Shach fiel im Jahre 1738 in Ostindien ein, eroberte Dehli, und kehrte im darauffolgenden Jahre nach Ermordung vieler tausend Einwohner und nach Erpressung ungeheurer Geldsummen wieder nach Persien zurück. Dieser Rückzug geschah durch eben die Länder, durch welche Alexander gezogen war, und beynahe auch in der nehmlichen Richtungslinie. Die Schwierigkeiten, die Nadir Shach dabey zu überwinden hatte, waren ungeheuer groß. Obgleich Nadir Shach unbeschränkte Gewalt, nebst unermeßlichen Reichthümern besaß, und sich durch eben so grosse Talente, als durch lange Erfahrung im Kriege auszeichnete, so hatte er doch den Verdruß, einen grossen Theil seiner Truppen zu verlieren, als er über die Flüsse des Pendschab gieng, durch die Berge im Norden von Indien drang, und mit den wilden Bewohnern der Gegenden focht, welche sich von dem Ufer des Oxus bis nach den Gränzen von Persien erstrecken.