3te Armee-Corps.[]
[1]
Das 3te Armee-Corps:
Oberbefehlshaber der Marschall Ney, Herzog von Elchingen,
- Chef des Generalstabes der Brig.-Gen. Gouvrey,
- Chef der Artillerie der Brig.-Gen. Fouchés und Matuschewitz,
10. Infanterie-Division.[]
die 10te Infanterie-Division, Chef der Divisions-General, Baron Razout,
24ste leichte Infanterie-Regiment 4 Bat. 46ste Linien -- -- 4 -- 72ste -- -- -- 4 -- 129ste -- -- -- 3 -- das 1ste portug. -- -- 2 -- Zusammen 17 Bat.
11. Infanterie-Division.[]
die 11te Infanterie-Division, Chef der Divisions-General, Baron Ledon des Essarts,
4te Linien- Infanterie- Regiment 4 Bat. 18te -- -- -- 4 -- 93ste -- -- -- 4 -- das Regiment Illyrien 3 -- 2te portug. Infanterie- Regiment 2 -- Zusammen 17 Bat.
25. Infanterie-Division.[]
die 25ste Infant.-Div., die königl. würtembergschen Truppen, Oberbefehl Se. Königl. Hoheit der Kronprinz,
- Chef des Generalstabes, der Gen. Maj. Theobald,
- General-Quartiermeister, der Gen. Maj. Körner,
- Chef der Artillerie, der Oberst Porsch,
Chef der Infanterie-Division, der Gen. Lieut. Hügel,
Gen. Maj. Koch 1. das Inf.- Reg. Nr. 1. Herzog Paul, Comm. Oberst Dornbach 2 Bat. 2. das Inf.- Reg. Nr. 2. Herzog Wilhelm, Comm. Oberst Connottes 2 -- Gen. Maj. Scheeler. 3. das Inf.- Reg. Nr. 4. Franquemont, Comm. Oberst Röder 2 -- 4. Inf.-Reg. Nr. 6. Kronprinz, Comm. Gen. Maj. Koch 2 -- 5. das Inf.- Reg. Nr. 7. 2 -- die leichte Brigade. Gen. Maj. Brüxelles. 6. das 1ste Jäger-Bat., Comm. Oberst Neusser 4 -- 7. das 2te -- -- -- G. L. Hügel 1 -- 8. das 1ste leichte Bat., -- Oberst Wolf 1 -- 9. das 2te -- -- -- Maj. Strohkopf 1 -- Zusammen 14 Bat.
Weichsel-Legion.[]
die Weichsel-Legion, der Div. Gen. Graf Claparede,
das 1ste Infant.-Reg. der Weichsel-Legion 3 Bat. das 2te -- -- -- -- 3 -- das 3te -- -- -- -- 3 -- das 4te -- -- -- -- 3 -- Zusammen 12 Bat.
Leichte Kavallerie-Division.[]
die 9te leichte | Kav.-Brig. | Brig.-Gen. Mouriez. | |||
das 1ste | Husaren-Regiment | 4 | Esq. | ||
das 6te | Cheveaux legeres | Regiment | 4 | -- | |
das 4te | Jäger-Regiment | 4 | -- | ||
die Dragoner- | Brigade. | Brig.-Gen. Cavaignac. | |||
das 2te | Dragoner-Regiment | 4 | -- | ||
das 5te | -- -- | 4 | -- | ||
das 12te | -- -- | 4 | -- | ||
das 13te | -- -- | 4 | -- | ||
das 14te | -- -- | 4 | -- | ||
das 17te | -- -- | 4 | -- | ||
das 19te | -- -- | 4 | -- | ||
das 20ste | -- -- | 4 | -- | ||
Zusammen | 44 | Esq. |
Die Würtemberger Kav.-Division, Chef der Gen. Lieut. Wöllwarth,
die 14te leichte | Kav.-Brig. | Brig.-Gen. | Breuning | |||
Brig.-Gen. | Walsleben | |||||
1) das Jäger- | Regiment | Nr. 1. Prinz | Heinrich, | |||
Comm. | Oberst Brockfeld | 4 | -- | |||
2) das Jäger- | Reg. Nr. 2., | Comm. | Oberst, Graf Norrmann | 4 | -- | |
3) das Jäger- | Reg. Nr. 3., | Comm. | Herzog Ludwig, | |||
Comm. | Oberst, Graf Waldburg | 4 | -- | |||
Zusammen | 12 | Esq. |
Das Corps bestehet aus | 60 Bataillons Infanterie, |
56 Esquadrons Kavallerie. |
Merkwürdiger Rückzug des Marschalls Ney nach dem Gefechte von Krasnoi am 18. November 1812.[]
[2]
Beschrieben von Herrn Walgmann.
Der Verfasser des nachstehenden Aufsatzes, ein Deutscher, welcher Secretär des General-Stabes eines Französischen Corps während der Feldzüge in Portugal, Spanien und Rußland war, wurde, wie er in einer Zuschrift an die Redaction erwähnt, durch die im September- und November-Heft 1814 dieser Zeitschrift enthaltenen Bruchstücke aus Lebeaume's Feldzug in Rußland veranlaßt, einen Theil seiner eigenen traurigen Erfahrungen auf diesem schrecklichen Rückzuge dem Deutschen Publicum mitzutheilen. Es wird dadurch eines der merkwürdigsten Ereignisse jenes ewig denkwürdigen Feldzuges, das bis jetzt noch völlig in Dunkel gehüllt war, aufgeklärt.
Eine der kühnsten, bey der allgemeinen Auflösung und Vernichtung der Französischen Armee während des Rückzuges aus Rußland gewagten Unternehmungen, wodurch der Muth und das Talent des Anführers bewiesen ward, ist unstreitig das Manövre des Marschalls Ney, der, nach der Schlacht bey Krasnoi, geschlagen, von den übergebliebenen Resten der Armee abgeschnitten, mit einer Hand voll Leute, ohne Munition, selbst ohne Waffen, in offenem Felde drey Tage hindurch den andringenden Sieger abwehrte, dessen Verfolgungen entging und in Orscha sich mit der Armee endlich wieder vereinigte.
Die übrigen gleichzeitigen Ereignisse, das allgemeine Schicksal des Heeres, haben die auf jenen Moment gehefteten Blicke so sehr an sich gezogen und beschäftigt, daß viele zur genaueren Kenntniß und Bezeichnung des Ganzen gehörige kleinere Züge, die in jeder andern Epoche als Begebenheiten von historischer Wichtigkeit gegolten, und die Aufmerksamkeit und das allgemeine Interesse erregt haben würden, unbemerkt geblieben, und mit dem Leben der dabey thätigen Personen in das Dunkel der Vergessenheit übergegangen sind. Da indessen auch oft die Kenntniß der kleinsten Umstände für den künftigen Geschichtsschreiber, von welchem wir ein vollständiges Ganzes erst zu erwarten haben, von Nutzen seyn kann, so hoffe ich, durch diese kurze Skizze einer mit als Augenzeugen stets denkwürdigen und noch schauerlich im Gedächtnisse schwebenden Katastrophe das über dieselbe schon Gesagte nicht nutzlos zu vermehren.
Mit der größten Anstrengung unserer Kräfte, gegen wüthenden Hunger und schneidende Kälte kämpfend, von dem stürmisch nachdringenden Feinde rastlos verfolgt, in einem immerwährenden Gefechte von Wiasma an, wo unser Corps die Arrier-Garde übernommen hatte, erreichten wir endlich, nach einem traurigen Nachtlager auf den Höhen von Borodino, am 14. November Vormittags Smolensk, aber unter Erduldung von Mühseligkeiten und Mangel, die kein anderes Corps in demselben Grade betroffen hatten, als das unsrige. Mehr als zwanzig Meilen bildeten wir den Nachtrab; die Straße war mit Tausenden von todten Pferden bedeckt, die aber auch nur das einige Rettungsmittel der voranziehenden gewesen waren; wir fanden nur die knöchernen Gerippe noch, über welche sich verzweiflungsvoll die Soldaten scharenweise herstürzten, und mit Messern und Säbeln das auf den Rippen übrig gebliebene Fleisch abschabten, oder sich mit den Füssen derselben begnügen mußten. Eben so wenig fanden wir ein Obdach; kein Haus, keine Scheune, kein Zufluchtsort gegen die vernichtende Macht der Elemente, war von den Flammen verschont geblieben, die man überall angeschürt hatte, um alles, was noch den kleinsten Schutz hätte verleihen können, auflodern zu lassen, ohne nur daran zu denken, daß ein Theil der Armee, und zwar der, welcher den größten Gefahren ausgesetzt war und den Rückzug der übrigen decken sollte, auf demselben Wege nachfolgen müßte. Der Soldat brach in laute Verwünschungen gegen seine voran marschierenden Cameraden, besonders gegen die kaiserlichen Garden, aus, deren Loos ihm, in Vergleichung des seinigen, noch beneidenswerth schien, und die auch wirklich während dem ganzen Laufe des Feldzuges vorzüglich geschont, und auf dem Rückzuge, einige Gefechte abgerechnet, und später die Schrecknisse der allgemeinen Noth weniger empfanden, als die ihnen folgenden Corps, indem ihr Gepäck auf Kosten der übrigen Truppen längere Zeit erhalten, und an der Spitze des Zuges alle noch vorhandenen Lebensmittel ihnen zu Theil wurden. Zwar hatte der Kaiser sogleich bey seiner Ankunft in Smolensk aus den daselbst befindlichen Magazinen unserm Corps einen Transport Brot und Branntwein zuführen lassen, welcher in Pnewa ausgetheilt wurde; allein die Portionen waren, obgleich äußerst klein gereicht, für die Zahl der Mannschaft bey weiten nicht hinreichend, und für den Einzelnen so gering, daß der so lange entbehrte Genuß eines durch die Kälte in Stein verwandelten Bissen Brotes nur die Eßlust mächtiger reitzte, und den Hunger schrecklicher aufregte. Kaum sahen wir Smolensk vor uns liegen, so eilte ich in Begleitung einiger bekannten Officiere nach der Brücke des Dniepers, wo es nur mit der größten Mühe, durch Bitten, Drohungen, ausgetheilte und wieder empfangene Schläge, mir nebst meinen Begleitern, denen ich, als der Stärkste, oft zur Stütze dienen mußte, gelang, durch die gedrängte Masse Wägen und Geschützes hindurch, die untern Straßen des jenseitigen Ufers zu erreichen. Von Heißhunger und Sehnsucht nach irgend einigen, unsere erschöpften Kräfte wieder belebenden, Nahrungsmitteln getrieben, erkletterten wir mit unsern Pferden die glatten und steilen Straßen, die nach dem Obertheile der Stadt führen, aber leider war all unser Bemühen fruchtlos. Alles war in der größten Verwirrung, viele Französische Victualien-Händler, welche hier seit mehreren Monathen mit nicht geringem Gewinne ihr Lager aufgeschlagen hatten, waren geplündert, und der Erwerb ihrer Industrie in wenig Minuten die Beute der durch die Verzögerung oder nicht erfolgten Austheilung der versprochenen Lebensmittel bis zur Verzweiflung gebrachten Menge geworden. Mehrere Marketender hatten ihr Leben dabey verlohren. Alles flüchtete in wilder Unordnung nach den Thoren; nur wenig Einwohner waren noch in den Wohnungen geblieben, und diese empfanden fast gleiches Schicksal, als wir. Indessen ich traurig und muthlos durch die Straßen wankte, um meine Gefährten, die sich von mir getrennt hatten, wo möglich wieder aufzufinden, sahe ich vor einem Hause einen großen Haufen Menschen stehen, an welchem ich mich sogleich anschloß, da ich erfuhr, daß man da Branntwein verkaufe. Officiere und Soldaten von allen Waffen und Graden drängten sich mit Ungestüm herzu, um einen einzigen Tropfen dieses Getränkes zu erhalten; jeder hielt einen gefüllten Beutel in die Höhe, und suchte, wie bey einer öffentlichen Versteigerung, durch das Mehrgeboth die Gewinnsucht des Verkäufers lockend, am ersten befriediget zu werden. Zwanzig, dreyßig bis vierzig Franken gab man mit Freuden für ein kleines Maß elenden Fufels; aber ob ich gleich in diesem Augenblicke gern das Doppelte dieser Summe gegeben hätte, so war doch, nachdem ich in der heftigsten Kälte über eine Stunde gedrängt worden war, der Vorrath erschöpft, und ich schlich mißmuthig weiter. Glücklicher Weise stieß ich bald nachher auf den Ordonnateur unsers Corps, Herrn Duprat, welcher einige Tage früher angekommen war, der mir die tröstliche Nachricht gab, daß, obgleich alle Magazine geplündert wären, er doch hinlängliche Vorräthe für uns aufbewahrt und in Sicherheit gebracht hätte, und zugleich erfuhr ich, daß der Generalstab angelangt und in die den großen Markt umgebenden Gebäude einquartiert sey.
Eine Menge prächtiger Paläste von der schönsten und neuesten Bauart bildeten ein regelmäßiges Viereck von der Größe des Lustgartens in Berlin, in dessen Mitte mehrere Alleen hoher Linden einen der schönsten Plätze und die vorzüglichste Zierde der Stadt ausmachten, bis dieser ganze Theil mit einigen hundert Häusern bey der Besitznahme von Smolensk im Monathe August von den Flammen verwüstet wurde. Doch fanden wir noch einige bewohnbare, von ihrer ehemahligen Pracht zeigende Zimmer, wo wir seit langer Zeit zum ersten Mahle wieder die frohe Empfindung genossen, uns in einem warmen, geheitzten Zimmer zu befinden, wie wohlthätig dieß auf unsern Körpern wirkte, könnte wohl nur unter ähnlichen Umständen gefühlt werden. Ein Fund, welcher unsere Freude noch vermehrte, und mit allen Schätzen nicht hätte aufgewogen werden können, war ein an zwanzig Pfund schweres Stück Fleisch, das vom Gefolge des kaiserlichen Generalstabes, der in diesen Zimmern gewohnt hatte, wahrscheinlich zurück gelassen worden war. Ohne uns weiter über die Gattung desselben zu bekümmern, übergaben wir es den Bedienten, um es in Erwartung der zu hoffenden Rationen so schnell als möglich am Feuer zu rösten. Während dessen arbeiteten wir den ganzen Tag und einen Theil der Nacht hindurch an der seit mehreren Wochen unterbliebenen Geschäftsordnung und der Ausfertigung einer durch die Umstände erforderlichen Menge Befehle.
Den folgenden Tag räumten unsere noch jenseits des Dniepers aufgestellt gewesenen Truppen das rechte Ufer, und konnten nur mit der größten Sorgfalt und Mühe die wiederholten Versuche des Feindes, in die Stadt zu dringen, abhalten. Auf mehreren Puncten waren die Kosaken schon über den Fluß gezogen, und hatten die auf der Straße Fortziehenden überfallen. Von allen Seiten zeigten sich feindliche Haufen und verbreiteten Angst und Schrecken innerhalb der Mauern, wo noch 20,000 Kranke, Blessirte, Schwache und Hülflose ängstlich schreyend, umher irrten, die, unvermögend den Marsch fortzusetzen, in den Hospitälern, oder von ihren Corps, um sich ihrer zu entledigen, zurück gelassen, und so dem jammervollsten Tode preis gegeben waren. Haufenweise bedeckten diese Unglücklichen mit ihren Leichnamen die Straßen, oder verkrochen sich in die Winkel der Häuser und Ställe, wo der in ihrem Innern schon wüthende Tod sie eben so sicher, aber nur langsamer, erreichte.
Besonders traurig war der Anblick, welchen die Stadt am 15. gewährte. Der Tumult und die Menge der widrigen Gestalten hatten sich verloren; ein in dicken Wolken herabfallender Schnee vermehrte noch die öde und Traurigkeit, bedeckte die rauchenden Aschenhaufen und die Hunderte von Todten, die größten Theils vor Hunger umgekommen waren, indeß der Branntwein in den Magazinen ausfloß und Tonnen mit Reiß oder Zwieback in den Straßen zerstreuet lagen. Um desto schrecklicher aber mußte dieser Anblick für uns seyn, da alle Umstände sich vereinigten, uns gerechte Besorgnisse und bange Ahndungen über unser Schicksal einzuflößen.
Der Kaiser mit seinen Garden und dem größten Theile seiner Armee hatte Smolensk am 14. verlassen. Das vierte Corps unter dem Vice-König war am 15., und der Marschall Davoust mit einer ungeheueren Menge noch übrige Bagage am 16. gefolgt. Zahlreiche Patrouillen mußten am letzten Tage sogar alles, was nicht zum dritten Corps gehörte, mit Gewalt aus der Stadt treiben, um unsern Abmarsch, der noch nicht bestimmt war, keiner Verzögerung auszusetzen.
Nur wir waren also noch übrig, um den Rückzug zu decken und die Zerstörung der Stadt und der Festungswerke, woran zwey Compagnien Sappeurs und einige Bataillons Infanterie thätig arbeiteten, zu vollenden, während von allen Seiten her der Kanonendonner, und selbst aus der Gegend, durch welche wir uns noch zu retten hofften, furchtbat zu unseren Ohren drang, und das Mißliche unserer Lage auch in der Brust der Muthvollsten jeden Gedanken von Hoffnung verscheuchte. Endlich dämmerte der Abend des 16. und wir machten uns zum Abmarsche bereit, der für die Mitternacht angekündigt war.
Schon den ganzen Tag waren wir von den Bewegungen und Absichten des Feindes, während der Nacht in die Stadt zu dringen, beunruhigt worden, und zogen daher, um seiner Aufmerksamkeit zu entgegen, zur festgesetzten Stunde in der größten Stille aus diesem Orte, wo die Erwartung so vieler Tausende schrecklich getäuscht worden war, die mit dem Ende ihrer Kräfte hier das Ziel ihres Lebens fanden.
Der General Ledrä, welcher den Nachtrab bildete, war mit den Überresten seiner Division etwas zurück geblieben, um alle noch übrige Gebäude in Brand zu stecken, wurde aber durch das schnelle Eindringen der Kosaken daran gehindert, und stieß in einiger Entfernung von der Stadt, wieder zu uns; in dem nähmlichen Augenblicke erfolgte unter schrecklichem Getöse die Explosion, welche die Festungswerke zerstörte.
Es war eine furchtbar, schrecklich schöne Scene, gleich dem nächtlichen Ausbruche eines Vulkans, in der schwärzesten Finsterniß, welche uns umgab, mit einem Blitze den Horizont erleuchtet, eine sprühende Feuersäule, Wälle und Steinmassen zum Himmel schleudern, und in einem Nu wieder das Dunkel der Nacht zurücksinken zu sehen, während ein donnerndes Krachen von den nahen hohen Dnieper-Ufern abprallend in der Ferne hinrollte. Die Schläge folgten langsam auf einander, und wir waren schon eine Stunde weit entfernt, als wir noch immer das Zerspringen der Bomben und Haubitzen in dem brennenden Arsenale vernahmen.
Der Zustand und die Angst der wenigen Einwohner, die jeden Augenblick befürchteten, mit in die Luft zu fliegen, und keinen sichern Zufluchtsort sahen, da von allen Seiten Tod und Flammen wütheten, muß gewiß schrecklich gewesen seyn.
Unser Marsch wurde nicht beunruhigt, und wir erreichten den 17. Nachmittags die noch rauchenden Trümmer eines unbeträchtlichen Dorfes, ungefähr fünf Stunden von Krasnoi, wo wir unsere Stellung nahmen.
An diesem so wie an dem folgenden Tage stießen wir auf die Spuren des grauenvollen Elendes und der allgemeinen Vernichtung alles Gepäckes der übrigen Corps, wobey sich auch das unsrige befunden hatte, und erfuhren nun die Ereignisse der beyden vorhergehenden Tage, die Gefechte der Garde, des Vice-Königs, des Marschalls Davoust, und ahndeten so das für den folgenden Tag uns bevorstehende Schicksal.
Morgen werden wir einen heißen Tag haben, sagte der General Goute, Chef des Generalstabes, zu mir, indem ich, an einem dürftigen Feuer gelagert, mich mit Gewalt in die Gluth drängte, um der schneidenden Kälte dieser rauhen Nacht abzuwehren, welche mir keinen Schlummer, als nur um nie wieder zu erwachen, gestattete.
Alle meine Gefährten, die meine Geschäfte oder eine näherer Umgang mir vertraut gemacht hatten, lagen in Schmerz oder stumpfes Nachdenken versunken, mit starrem auf die Erde gehefteten Blicke, stillschweigend um mich her; in dem wehmüthigen Gefühle der Trennung von dem, was sie an Freunde, Ältern und Vaterland knüpfte, ahndete der größte Theil, und zwar wie es sich leider bald bestätigte, nicht mit Unrecht, daß dieser Abend der letzte ihrer Freyheit oder ihres Lebens sey.
Auch ich war nicht ohne traurige Gefühle bey der Vorstellung eines so wahrscheinlichen und fast unausbleiblichen Todes, da in Vergleichung des zurückgelegten Weges die noch größere Hälfte mit furchtbar steigendem Verhältnisse des Elends uns bevorstand, ohne tröstende Aussicht einer Erhohlung, die mit Smolensk entschwunden war. Aber nicht der Gedanke an das Hinscheiden selbst, noch die Furcht vor den feindlichen Kugeln oder Bayonnetten war es, was mein Auge mit Thränen füllte, nahmenlose Leiden hatten schon den Schmerz erschöpft und den Körper fühllos gemacht, und ich empfand, daß der Tod unter diesen Umständen eher wünschenswerth als fürchterlich seyn könnte; sondern die Erinnerung an die Freunde meiner Jugend, an die wenigen mit übrig gebliebenen Theueren, die in glücklicher Ruhe ihre Tage in der schönen Heimath verlebten, und sich gewiß oft, ja stündlich mit zärtlicher Besorgniß meiner erinnerten, mit forschendem Kummer sich stets fruchtlos bemüheten, irgend eine Spur meines Schicksals zu entdecken, da seit Jahresfrist mein Aufenthalt und meine Begebenheiten ihnen unbekannt geblieben waren, während ich hier, mitten in einer eisigen Wüste, einsam und umgeben von den tausendfachen Gestalten des Todes, dem ich in der nächsten Minute vielleicht unterliegen, und gleich anderen Tausenden, den Scharen von Raben, Wölfen, oder selbst den verwilderten, entmenschten -- Menschen zur Nahrung dienen würde, ohne hoffen zu können, daß die Gewißheit meines Todes, und der Ort, wo meine Gebeine modern, ihnen je bekannt werde.
Diese Betrachtungen, geeignet, allen Muth des Geistes niederzuschlagen, waren es, die mein Innerstes quälten, und unter denen ich mit ängstlicher Bangigkeit des von allen, welchen die näheren Umständen bekannt waren, gleich gefürchteten Tages harrte.
Man gibt die Zahl der am 18. unter dem Marschall Ney bey Krasnoi kämpfenden Truppen gemeiniglich weit höher an, als sie wirklich war, oder rechnet doch hierzu einen Haufen von 8 bis 9,000 Menschen, die von allen Waffengattungen und allen Corps in dem erbarmungswürdigsten Zustande gleichsam vor uns hergetrieben wurden, unser Ungemach erhöheten und den Marsch noch verzögerten.
Diese Masse Unglücklicher bothen Scenen dar, vor welchen die Menschheit zurück schauderte.
Wenn wir von dem uns stets auf der Ferse folgenden Feinde, oft bey Defileen oder Brücken hart gedrängt, nur durch die Flucht uns retten konnten, wurden die voranschleichenden Hülflosen, unter denen viele mit Krücken nachhinkten, wenn die Spitze der Regimenter sie erreichte, mit wilder Wuth zu Boden gedrängt, und so über ihre noch zuckenden Körper der Weg für die Nachfolgenden gebahnt.
Nur gegen 8,000 streitfähige Mannschaft, worunter 30 berittene Gensd'armen und 50 Pohlische Uhlanen die ganze Cavallerie ausmachten, nebst 10 Kanonen, waren schlagfertig, als wir uns Krasnoi näherten. Der Himmel war den Vormittag sehr heiter gewesen, aber eben neigte sich die Sonne gegen Westen hin, als ein leichter Neben sich verbreitete, der, indem er die entfernten Gegenstände verhüllte, unserer Blicken die Bewegungen eines feindlichen Trupps verborgen hatte, der plötzlich auf der linken Seite der Straße sich zeigte, und uns aus vier Stücken lebhaft zu beschießen anfing. Ohne das Feuer zu erwiedern, sammelte sich die Colonne einen Augenblick, und eilte dann im Sturmschritte durch den bestrichenen Raum mit Verlust einiger Todten und Verwundeten. Froh, dieser drohenden Gefahr entgangen zu seyn, erblickten wir aber kurz darauf mit nicht geringem Entsetzen die vor uns befindlichen Anhöhen rund umher mit feindlichen Truppen besetzt, und zugleich einen Russischen Obersten als Parlamentär anlangen, der mündlich dem Marschall die Aufforderung des Fürsten Kutusow, sich zu ergeben, überbrachte, und die Vernichtung aller übrigen Armee-Corps anzeigte, mit dem Bedeuten, daß alle Gegenwehr vergeblich und jeder Versuch des Entkommens nur unnützes Blutvergießen wäre. Statt aller Antwort erklärte der Marschall, um die Schwäche und den Zustand seiner Truppen verborgen zu halten, diesen Officier für seinen Gefangenen, ließ ihm die Augen verbinden, während er den Befehl zum Vorrücken auf der Straße ertheilte, um hier, es koste was es wolle, den Durchzug zu erzwingen. Nun begann eine mörderische Kanonade, die einen so fürchterlichen Hagel von Kartätschen und Haubitzen auf uns schleuderte, als keiner sich erinnerte, je gesehen zu haben. Reihenweise mähete der Tod die bleichen Scharen, und selbst die Zweige der Bäume, die zu beyden Seiten der Straße standen, stürzten, von Kugeln getroffen, aus unsere Köpfe. Alles, was nicht in den Gliedern stand, die Tausende von Nachzüglern, waren schon bey den ersten Schüssen angstvoll in der nächsten Richtung davon geflohen, dem Geschütze auszuweichen; einer zog den andern mit sich fort, ohne zu denken, daß sie dem Feinde in die Arme eilten.
Indem ich mit dem Obersten Marchaud sprach, zerschmetterte ihm eine Kugel die linke Hand, eine Haubitze fiel dicht neben uns nieder und verursachte mir bey dem Zerspringen eine Contusion am rechten Knie, der mich nöthigte, mich unter einen nahen Baum hinzustrecken. Kaum lag ich da mit dem Rücken an seinen Stamm gelehnt, so zerspaltete ihn eine zweyte Haubitze nahe über meinem Kopfe, und ich kroch nun mit Mühe und Schmerz zu den in einiger Entfernung stehenden Wagen des Generalstabes, als in dem Augenblicke, wo ich einsteigen wollte, eine Kanonenkugel dem Kutscher beyde Beine streifte. Nichts als Tod und Verderben von allen Seiten erblickend, an aller Rettung verzweifelnd, legte ich mich, in einen eilenden Pelz gehüllt, der schon oft mein Retter geworden war, in einen Graben, um hier mein Loos zu erwarten. Alles war in der gräßlichsten Verwirrung; das Geschrey der Verwundeten, die, mit ihrem Blute an die Eisrinde des Schnees festgehalten, unvermögend, sich zu erheben, langsam erstarrten, das Wimmern Anderer, die vergeblich nach Chirurgen suchten, um verbunden zu werden, das Rufen der Fliehenden nach ihren Cameraden, und der unaufhörlich fortrollende, alles betäubende Donner des Geschützes bildeten ein Schauspiel, das mich noch jetzt bey der Erinnerung mit Schaudern ergreift.
Schon neigte sich der Tag; der Nebel war durch die Erschütterung der Luft zertheilt worden, und die letzten Strahlen der eben untergehenden Sonne färbten den Saum des Horizonts eben so blutroth, als es die weiße Oberfläche des Schlachtfeldes geworden war. Da floh endlich alles in wilder Bestürzung aus einander, weder auf Bitten, Drohungen, noch Commando der Anführer achtend, und nur mit aller Anstrengung seiner Autorität gelang es dem Marschall, einen Trupp von 1,500 Mann zu sammeln, den er auf der Straße nach Smolensk drey Viertelstunden weit zurückführte, und dann Halt machen ließ, da sich eine starke Kanonade auf der entgegen gesetzten Seite von Krasnoi her erhob, die von der Garde, in der Absicht, uns zu befreyen, begonnen wurde, und unseren Muth auf einige Augenblicke wieder von neuem belebte, der jedoch auch schnell wieder sank. Eine Stunde früher würde dieser Versuch uns gerettet, und, indem er die Kräfte des Feindes getheilt, und wahrscheinlich einen Ausweg verschafft haben; aber jetzt, da wir todt, gefangen und zerstreuet, mit den wenigen Truppen und nur noch zwey Kanonen schon zu weit entfernt, und außer aller Möglichkeit uns sahen, das Gefecht wieder zu erneuern, verschwand jeder tröstende Schimmer, und wir fühlten, wie nach einer schmerzlichen Täuschung, nur um desto mehr das Traurige und Hülflose unserer Lage.
Es ist eine besondere wehmüthige Empfindung, in großen, Leben und Wohl betreffenden Gefahren vor unseren Augen die letzten gewagten Rettungsmittel scheitern und sich ganz dem gefürchteten Geschicke preis gegeben zu sehen. Mit dem Letzten Kanonenschusse, der in unseren Ohren verhallte, schienen wir von alle dem geschieden, was uns bisher noch Trost und Hoffnung gewähret hatte.
In der Dunkelheit, nachdem wir uns von der Hauptstraße ab und plötzlich gegen Norden gewendet hatten, und ohne die geringste Spur eines Pfades, über Fluren, Hügel und Gebüsch bis gegen Mitternacht marschiert waren, trafen wir einen schmalen Fußweg, der uns bald darauf zu einigen Hütten führte, die zwar von allen Bewohnern verlassen, noch nichts von Verwüstung anzeigten, und uns Obdach und Erhohlung gewährten. Nur mit Hülfe eines Andern, den ich, als der übrige Haufen bey mir vorüber marschierte, um Hülfe anrief, hatte ich mich vom Schlachtfelde erheben und zu Pferde setzen können, auf dem der Schmerz mich dann gefesselt hielt, so sehr auch die grimmige Kälte und das häufige Straucheln und Stützen meines Pferdes in den verschneyeten Graben und Tiefen mich zum Absteigen veranlaßte. Herzlich froh, nach einem so beschwerlichen Marsche einen Ruhepunct zu erreichen, und an einem Feuer die erstarrten Glieder wieder zu erwärmen, überließ ich mich mit allen Übrigen dem durch die Beschwerden des verflossenen Tages und die gänzliche Erschlaffung aller Kräfte so nothwendig gewordenen Schlafe; aber kaum hatte eine lange entbehrter, wohlthätiger Schlummer unsere Augen geschlossen, als mehrere Schüsse ihn wieder verscheuchten, und auf das Geschrey: des Cosaques; des Cosaques; alles bestürzt und verwirrt zu den Waffen lief. Die Gefahr war indessen, als wir uns von der ersten Betäubung erhohlt hatten, schon vorüber. Einzelne, durch unsere Ankunft vertriebene oder unseren Marsch beobachtende Kosaken hatten, durch die Dunkelheit der Nacht und den die Gebäude umgebenden Wald geschützt, sich in die Nähe der Scheune geschlichen, worin der Marschall ausruhete, und plötzlich durch die geöffnete Thür auf mehrere Personen Feuer gegeben, wodurch jedoch keiner verletzt wurde. Da indessen jeder aufgeregt, ängstlich im Finstern tappend, hin und her irrte, und die auf allen Seiten gegen unsere Tirailleurs fallenden Pistolenschüsse uns von der Gegenwart der Feinde überzeugten, so wurde der Befehl zum Aufbruche gegeben, und man traf alle Maßregeln zu unserer Sicherheit gegen etwaigen Úberfall oder Hinterhalt, welches mit nicht geringen Beschwerden in dieser mit Wald, Graben und Sümpfen bedeckten Gegend verbunden war. In der Ungewißheit sahen wir, durch die Finsterniß getäuscht, oft die nächsten Gegenstände für Feinde, Sümpfe und Hohlwege für die richtige Straße an; jedes Geräusch der mit dickem Eis behangenen Äste der Tannen machte uns stutzen, und nach mancher vergeblichen Angst und öfterem Halten langten wir gegen drey Uhr des Morgens in einem großen aber gänzlich menschenleeren Dorfe oder Flecken an.
Seit einigen Stunden hatte sich ein starker Süd-West-Wind erhoben und heftige Regengüsse herbey geführt, die uns noch beschwerlicher, als die vorige Kälte wurden. Der Wind war dessen ungeachtet schneidend kalt, und in meinem langhaarigen, ganz durchnässten Pelze unterlag ich, vor Frost zitternd, fast der Schwere desselben, und mußte von Zeit zu Zeit die von dem ablaufenden Regen an dem Untertheile entstehenden Eiszapfen abbrechen.
Die Gegend umher war freyer, so viel es die Nacht zu bemerken erlaubte, und folglich, durch die größere Entfernung von dem hinter uns zurück gelassenen Feinde, weniger für unsere Ruhe zu befürchten, der ich, sie der Befriedigung aller andern Bedürfnisse vorziehend, zwey Stunden hindurch genoß.
Nur dem kleineren Theile der Truppen war die Absicht des Marschalls, über den Dnieper zu gehen, bekannt oder wahrscheinlich; aber ihm selbst war es unerwartet, sich schon an dessen Ufern zu befinden, als bey unserer Ankunft einige voraus geschickte Officiere ihm diese Nachricht hinterbrachten. Vergebens hatte man im ganzen Orte, der, wie ich später bemerkte, einer kleinen Stadt ähnlich sah, nach einem Einwohner gesucht, um einen sichern Übergangspunct ausfindig zu machen, da der Fluß, von zwey hohen, steilen Ufern eingeschlossen, überall mit einer dicken Eisrinde belegt war. Um sechs Uhr erfolgte der Aufbruch, und in einer Viertelstunde befanden wir uns am Rande eines jähen Abhanges, an dessen Fuß der gefürchtete Dnieper starrte. Die Infanterie rutschte sitzend hinunter, die Sappeurs aber mußten mit unsäglicher Mühe in die Erde, deren Oberfläche durch den Regen und geschmolzenen Schnee schlüpfrig geworden war, einen Weg für die beyden Kanonen und einigen Munitions- und Equipage-Wagen bahnen, an welche Stricke befestigt wurden, um so, von oben das Gegengewicht haltend, das Hinabstürzen zu verhüthen.
Während dessen war der Tag angebrochen, und der Marschall nebst dem Generalstabe hatten schon glücklich das andere Ufer über die tragbare Eisdecke erreicht, als ich etwas verspätet ihnen nacheilte, und mit einem Haufen von 300 Mann, doch jeder zehn bis zwölf Schritt von dem nächsten entfernt, die spiegelglatte Fläche betrat. Gleich zu Anfang stürzte mein Pferd, das mit stumpfen Eisen sich nicht erhalten konnte, mehrmahls nieder, hob sich aber immer wieder empor, und wir wären gewiß sämmtlich ohne großen Verlust, das Geschütz vielleicht ausgenommen, übergegangen, wenn der Befehl, einzeln und in gewisser Entfernung hinter einander zu gehen, befolgt worden wäre, und die Hintersten nicht von banger Furcht getrieben, sich immer häufiger und dichter herzu gedrängt und sich so ihr eigenes Grab bereitet hätten.
Nein, nie wird es meiner Feder gelingen, diese Scene des Schreckens und des Entsetzens zu schildern, als auf der Mitte des Flusses, mehr als vierzig Fuß vom Lande entfernt, das Eis krachend brach, und vor meinem Augen zwey Drittel der mit mir zugleich auf demselben befindlichen Menschen auf einmahl in die Fluthen versanken. Unmöglich ist es, meinen Empfindungen Worte zu geben. Dieser Auftritt kann mit nichts verglichen werden, als etwa mit dem späterhin erfolgten Übergange über die Berezina; noch jetzt erregt er Schaudern in mir, noch immer höre ich das Angstgeschrey jener Unglücklichen, die, so wie ich, aus Todesfurcht auf dem Eise fest gebannt, bey der geringsten Bewegung, welche die getrennten Schollen aus ihrer Lage brachten, unter ächzendem Gewimmer hinabstürzten, das schnell verstummte, so bald diese beweglichen Eisfelder wieder in Ruhe standen, und eine anderthalb Fuß dicke Wand sie von der Oberwelt trennte, ohne eine Spur ihres Daseyns zurück gelassen zu haben.
Der Donner des Geschützes hat nichts so Fürchterliches, als diese traurigen Klagetöne verzweiflungsvoller menschlicher Wesen; und das jammervolle Rufen nach Hülfe, die doch nicht möglich war, brach die von tausend Zuschauern auf beyden Ufern in eigener Bestürzung beobachtete Todesstille, und erfüllte diese rauhe Wildniß mit Wehklagen. Endlich gewann die Besonnenheit bey mir wieder etwas Raum, und ich sahe zum größten Glücke, daß der Theil des Eises, worauf ich stand, noch nicht gebrochen war und fest schien. Um nicht durch das Straucheln und Stampfen des Pferdes gefährdet zu seyn, überließ ich es seinem Schicksale und näherte mich den andern Ufern; allein das treue Thier rannte mir noch, und nur noch wenige Schritte war ich von dem Ufer entfernt, als es auf einer schwachen Stelle einbrach und von dem tief rauschenden Strome fort getrieben worden wären, wenn ich nicht schnell die Zügel ergriffen, den Kopf desselben in die Höhe gehalten, und durch Hülfe einiger Andern mittelst abgehauener Äste es gerettet hätte. Einige Schritte weiter brach es zum zweyten Mahle ein, und da ich selbst in der größten Lebensgefahr war, so gab ich seine Rettung auf, und wurde nur noch, bis an den Gürtel schon im Wasser, durch eine zugeworfene Stange an das Land gezogen. Noch war der größte Theil der Mannschaft auf der andern Seite, doch gelang es ihnen, indem sie sich rechts und links ausbreiteten, obgleich mit vielem Verluste, zu uns zu kommen, Kanonen und alles andere Fuhrwerk, worunter sich ein sehr schöner Staatswagen des Ordonnateurs Duprat, und mehrere des Marschalls befanden, wurden mit allem Gepäcke durch eine in das Eis gehauene Oeffnung in den Fluß gestürzt, und so befanden sich um zehn Uhr des Morgens alle dem Tode Entgangene wieder bey uns versammelt.
Aber jetzt, als das Licht des Tages uns seit dem Gefechte zum ersten Mahl wieder beleuchtete, bemerkten wir erst die Größe unseres Verlustes.
Von 16,000 Menschen waren wir nur noch 1200, ohne Geschütz, ohne Munition, mit zwey Tampours und vierzig Lanciers. Aus dem Kreise meiner Bekannten und Vertrauten fehlten fast alle; wenn ich fragte, wo ist dieser geblieben? so hieß es, er ist gestern getödtet worden; jener? verwundet auf dem Schlachtfelde liegen geblieben; ein anderer? so eben ertrunken; und so ging es allen, die nach ihren Freunden forschten.
Von Nässe am ganzen Körper triefend, konnte ich mich nicht einmahl trocknen oder wärmen; denn der Aufbruch erfolgte, ehe es uns gelang, ein Feuer anzuzünden, welches ein neuer Regen immer wieder auslöschte. Durch dicke Wälder, und so schmale Wege, das nur einer hinter dem andern folgen konnte, marschierten wir unangefochten bis Nachmittags, wo wir am Ende des Waldes ein kleines Dorf fanden, das zwar ebenfalls ohne Bewohner, aber nicht ohne alle Lebensmittel war. Wir glaubten uns hier um so sicherer, da der Dnieper uns von dem Feinde trennte, und wir so hoffen konnten, die Verfolgung würde für einige Tage aufhören. Wir verweilten hier eine Stunde, und trafen dann vor Sonnenuntergang ein zweytes Dorf, das wir jedoch aus Vorsicht wieder verließen, und uns in dem einen Büchsenschuß davon entfernten Walde lagerten. Bald sahen wir den Nutzen dieser Maßregel ein; denn ein feindlicher Vortrab kündigte uns durch eine unvermuthete Kanonade seine Gegenwart an, und beschloß das Dorf, in welchem sich eben der größte Theil unserer Truppen befand, um Lebensmittel aufzusuchen. Diese Ankündigung, die wir mit nicht erwiedern konnten, war um so überraschender, da wir wohl von den Kosaken, welche mit geringer Mühe über den Fluß kommen konnten, verfolgt zu werden fürchten mußten, aber nicht an die Möglichkeit dachten, vom Geschütze erreicht zu werden. Mehrere wurden getödtet oder blessirt, unter letztern auch der Oberste Laboissiere, Adjutant des Marschalls, und wir würden alle unfehlbar verloren gewesen seyn, wenn das Dickicht und die einbrechende Nacht unsere Flucht nicht beschützt hätten. Noch hatten wir die früher erwähnten Pohlischen Uhlanen bey uns, deren einer mein Pferd gerettet und mir wieder zugeführt hatte. Sie waren uns jetzt vom größten Nutzen, indem sie den Feind durch ihre Kleidung und Sprache oft täuschten.
Diese ganze Nacht marschierten wir mit der größten Anstrengung, um den folgenden Tag Orscha zu erreichen, wurden aber am Morgen gezwungen, am Ausgange des Gehölzes in der Nähe einiger Bauernhäuser vor Ermattung auszuruhen, und die Hintersten, die in der finstern Nacht sich verirrt hatten, zu erwarten.
Noch war unsere Lage nichts weniger als beruhigend; stündlich verloren wir Menschen, und irrten oft auf Wegen, ohne Führer, ohne genaue Kenntniß, umher, und wurden daher oft nach den entgegen gesetzten Richtungen geführt. Die Entfernung von Orscha, so wie die Stärke des hinter oder vielleicht selbst vor uns befindlichen Feindes war uns nicht bekannt; und obgleich den von den Umständen näher unterrichteten kleineren Theil die Wahrscheinlichkeit eines baldigen Zusammentreffens mit der Armee zu neuen Hoffnungen ermunterte, so raubten doch die immerwährenden, anstrengenden Märsche, die Ungewißheit unserer Lage, und das über deren Entscheidung schwebende Dunkel, dem größten Theile allen Muth und Trost, und erfüllte die bangen Gemüther mit den quälendsten Bildern der Furcht. Der von Krasnoi an den Marschall abgesendete Parlamentair befand sich noch als Gefangener bey uns, aber nur des Nachts war es ihm erlaubt, die Binde von den Augen zu lösen, die ihm am Tage, wo ein Soldat sein Pferd führte, unsere Zahl verbarg. Der mit ihm angekommene Trompeter hatte Mittel gefunden zu entfliehen. Am 20. langte wieder ein Russischer Officier an, der nach einer kurzen und fruchtlosen Unterredung, da sie dieselben Aufforderungen wie früher enthielt, unverrichteter Sache zurück kehrte. Von diesem Morgen, bis zum 21. Mittags, ging unser Zug durch weite Ebenen, mit zahlreichen, gut gebaueten, aber menschenleeren Dörfern bedeckt, wo wir aber im steten Gefechte, nur durch eilige Flucht, oder täuschende Bewegungen, der Gefahr entgingen, gefangen zu werden. Am letzt genannten Tage hatten wir durch Hülfe der Nacht einen starken Marsch vor unsern Verfolgern gewonnen, und befanden uns in den ersten Stunden des Nachmittags in einem Dorfe im Begriffe, ein in Eile bereitetes Mahl zu verzehren, als die Nachricht einlief, daß der Feind sich von allen Seiten nähere. Wir stießen nur unsere Fleischtöpfe um und marschierten in einer geschlossenen Colonne auf der Straße ab. Die Witterung war dieselbe wie am 18., und als dicke Nebenwolken sich herab senkten und den heitern Himmel verbargen, sagte der Soldat, dieß ist die Sonne von Krasnoi. Wirklich schien auch der heutige Tag, nach der Menge der sich zeigende Feinde und ihrer Stellung, so weit sie der dichte Dunstkreis und wahrnehmen ließ, zu urtheilen, unser Drama enden zu wollen, und die lange gefürchtete Stunde unseres endlichen Looses angebrochen zu seyn. Kaum befanden wir uns in Freyen, so sahen wir ganz nahe zu unserer Rechten mehrere Linien Cavallerie, und wurden zu gleicher Zeit von einem Feuer aus großem und kleinem Geschütze empfangen, dem wir weder etwas entgegen setzen, noch durch die Flucht entgehen konnten. Zwar hatte in der ersten Bestürzung, beym Anblicke der feindlichen Linien, alles die Straße verlassen, um nach einem nicht fernen Gebüsche zu fliehen; aber man denke sich unseren Schrecken, als wir im vollen Laufe, einer über den anderen hinstürzend, plötzlich wieder vor dem gefrorenen Dnieper standen, dessen Anblick einen jeden zu lebhaft an den gefahr- und grauenvollen Übergang erinnerte, als daß auch nur einer in der blinden Verzweiflung es gewagt hätte, ihn zu betreten.
Noch ist mir unsere Rettung ein Räthsel, da der Angriff einer einzigen Schwadron uns in den Fluß gejagt, oder ohne Schwertstreich gefangen genommen hätte, und alles schon die Waffen wegwarf, die eine unnütze Bürde wurden. Wahrscheinlich verhüllte der Neben unsere Flucht den Augen des Feindes, dessen Kugeln unter uns wütheten, oder über unseren Köpfen weg, zischend in das Eis fuhren. Starr und stumm blickten alle nach dem jenseitigen Ufer, und der General Simmer benutzte diesen Augenblick der allgemeinen Betäubung und des Stillstandes, um den Muth noch ein Mahl anzufeuern, und da der Tod, oder ein Gefangenschaft, trauriger noch als dieser, unvermeidlich schien, die Unerschrockensten an die Spitze zu stellen, und so mit dem Bayonnette auf den Feind los zu gehen. Ohne einen Schuß thun zu können, rückte unser beträchtlich geschmolzener Haufen auf der Straße vor, von wo aus ein Kartätschenhagel und überschüttete. Der entscheidende Moment war da, wo wir entweder vernichtet und gefangen, oder, dieß letzte Hinderniß besiegend, und bald mit der Armee vereinigen, und gemeinschaftlich die unserer harrenden Trübsale duldend und neuen Gefahren entgegen gegen sollten. Da stürzten sich die Vordersten mit Muth und Verzweiflung unter tobendem Gebrülle, das bis an das Ende des Zugs wiederhohlt wurde, gegen die Flammen sprühenden Stücke, und die Russen, vielleicht über unsere Zahl getäuscht, oder in der sicheren Überzeugung, daß wir ihnen nicht entgehen könnten, räumten uns die Straße, und begnügten sich, uns aus der Ferne zu beschießen. Dieß wurde jedoch durch die eingetretene Dunkelheit ganz unschädlich, weil sie ihre Richtung verfehlten, und wir zu unserer Linken, hinter dem hohen Ufer des Flusses, längs dem der Weg sich hinzog, so wohl gegen die, in der Finsterniß durch ihren feurigen Schweif sichtbaren Kugeln als gegen die Anfälle der Cavallerie gesichert waren.
Mit rastloser Eile, wie dem Richtplatze entronnen, zogen wir fort, und bald sahen wir nur noch in der Ferne die feindlichen Wachtfeuer auflodern.
Da indeß der Marschall die Unmöglichkeit einsahe, sich länger gegen die fernern Angriffe zu behaupten, so entschloß er sich, an einer weniger gefährlichen Stelle auf das linke Ufer des Dniepers zurück zu gehen, an welchen wir nach einem zweystündigen Marsche gelangten. Der Fluß bildet hier mehrere, mit Gebüsch bewachsenen Inseln, die seine Tiefe in den verschiedenen Armen vermindern, und so den Übergang erleichterten, obgleich die Infanterie bis über die Hälfte des Leibes im Wasser waten mußte. Das größte Hinderniß erzeugte indeß die Dunkelheit; viele wurden zu Bode getreten, oder stürzten von den hohen Ufern in den Strom und ertranken. Hatte man wirklich schon mehrere Arme passirt, so war das Aufklettern zwischen dem Gesträuche auf der schlüpfrigen, schroffen Uferwand, wo man nicht festen Fuß fassen konnte, oft das Verderben vieler, die rückwärts herunter fielen, und im Fallen die unter ihnen Stehenden mit hinab drängten. In der Finsterniß mußte ich mit den Händen jeden Tritt untersuchen, um nicht in die Tiefe hinab zu stürzen, aus der kein Entkommen mehr denkbar war. Glücklicher Weise kam ich noch zu Anfang herüber, ehe noch viele solcher Unglücklichen im Wasser lagen, die, wenn sie nicht gleich zu Boden sanken, sich an die Nächsten fest hielten und sie mit in die Fluth hinabrissen. Vor Furcht zitternd, entfernte ich mich von diesem grauenvollen Orte, gänzlich durchnäßt, aber doch froh, nicht das Geschrey und Jammern der traurigen Opfer länger zu hören. Die Zahl der hierbey umgekommenen Menschen konnte nicht besonders angegeben werden, da die Schatten der Nacht seit dem Gefechte des vorigen Abends, in welchem schon viele von uns geblieben waren, alles verhüllten. Mit dem Generalstabe eilten wir fort, ohne die Nachfolgenden zu erwarten, bis nach Mitternacht ein großes Dorf uns die so höchst bedürftige Ruhe verlieh und ich meine Kleider am Feuer trocknen konnte. Um den Folgenden den Weg zu bezeichnen, wurden in gewissen Entfernungen einzelne Posten zurück gelassen, die sich in der größten Stille, ohne Feuer machen zu dürfen, verhalten, und an die Letztern anschließen sollten, bis gegen drey Uhr des Morgens alle versammelt waren.
Einige Stunden Schlaf mußten den Truppen gegönnt werden, wenn sie zur Fortsetzung des Marsches fähig seyn sollten, und so genossen sie denselben bis um vier Uhr, wo wir ohne Geräusch uns in Marsch setzten, mit dem geschärften Befehle, kein Getöse, kein lautes Wort hörbar werden zu lassen. In Todtenstille folgten wir dem Pfade, der uns in einigen Stunden nach Orscha führen sollte, aber vergebens suchten wir dem Schicksale zu entfliehen, daß gleich der vielköpfigen Hydra, wenn sie gänzlich bekämpft, sich immer wieder mit neuen Häuptern emporhebt, uns nur immer neue Hindernisse und Gefahren entgegen setzte. Bey einer Krümmung des Weges sahen wir nicht fern von uns eine Menge Wachtfeuer, welche die Gegenwart eines neuen Feindes ankündigten, und deren Anblick den schwachen Strahl von Hoffnung schnell wieder raubte.
Wer von unserer kleinen Schar hätte hierbey noch Trost und Muth hegen können? Nach allen überstandenen Drangsalen, dem Feinde und den Elementen entronnen, beynahe vor den Thoren der Stadt, wo wir sicheren Entsatz hofften, schien der lange geahndete Schlag unser zu harren, und um hier den Tod oder die Gefangenschaft zu finden, hatten wir alle die Mühseligkeiten besiegt, waren zwey Mahl mit Gefahr unseres Lebens, unter schauervollen Auftritten, über den Dnieper gegangen! -- Doch es war nur Täuschung und die letzte Probe unseres Muthes. Zwar stand alles unwillkührlich still, aber der Marschall trieb durch leises Zureden zum weiteren Vorrücken an, und beorderte auf beyden Seiten funfzig Tirailleurs, um unsere Flanke zu decken, die von den feindlichen Schützen mit Flintenschüssen empfangen wurden. Bangigkeit und Furcht stieg mit jedem Augenblicke, und ich glaubte immer die Feuerschlünde sich eröffnen zu sehen, als wir plötzlich eine Menge Tambours General-Marsch schlagen hörten, Dessen ungeachtet waren keine Bewegungen und kein Feind bemerkbar, alles war ruhig, nur einzelne Schüsse fielen. Man denke sich unser frohes Erstaunen, als wir in den Wald rückten und deutlich sahen, daß Wachtfeuer und Lärm nur eine angewandte List waren, um uns irre zu führen, und kein Feind, außer einigen leichten voraus geschickten Truppen, sich hier befand.
Eine Stunde später stießen wir auf die zu unserer Rettung uns entgegen kommenden Italiäner, und vergessen waren nun alle Leiden, aller Verlust, und jeder Schmerz war bey diesem Wiederfinden verbannt. Vor uns flimmerten schon die Feuer unserer Armee in Orscha, und um sechs Uhr des Morgens hatten wir diese Stadt erreicht, wo unser Corps noch 800 Mann zählte. Wie längst todt geglaubte Freunde wurden wir von den Resten der Armee empfangen, um nun wieder vereint, neuen und nicht minder schrecklichen Gefahren entgegen zu gehen.
Der Kaiser befand sich eine Stunde von der Stadt, in einem Schlosse, wohin sich der Marschall sogleich begab, indeß ich zurück blieb, um von den Schicksalen meiner übrigen Bekannten während unserer Trennung Erkundigung einzuziehen.