Von Bastille bis Waterloo. Wiki

[ 1809 - 1815 ]

Das Herzogthum Sachsen-Weimar.[]

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I. Land.[]


1. Bestandtheile desselben sind die Fürstenthümer Weimar und Eisenach, und 3 Aemter von der Grafschaft Henneberg. Dazu kömmt noch die Landeshoheit über Untergleichen, Unterkranichfeld und Blankenhayn.
2. Größe und Gränzen. Nach der neuesten Ausmessung beträgt der Flächenraum aller zu diesem Herzogthume gehörigen, unmittelbaren Besitzungen 36 Quadratmeilen. Das Land gränzt gegen Osten an das Fürstenthum Altenburg, gegen Süden und Westen an Altenburg und Erfurt, gegen Norden an die königlich sächsischen Lande.
3. Boden, Gewässer, Klima, Producte. Das Land ist ziemlich bergig. Zwei mit dem Thüringer Walde zusammenhängende Bergrücken durchschneiden es: der eine zwischen der Ilm und Saale, der andere zwischen der Ilm und Gera. Von beiden laufen einige Aeste seitwärts aus. Durch den größten Theil von Eisenach zieht sich der eigentliche Thüringer Wald. Viel dieser Bergrücken sind in ihren Kuppen felsig, im mittlern Theile mit Wäldern, in ihrem untern Theile aber, wie die zwischen ihnen fortlaufenden Thäler, mit fruchtbarer Erde bedeckt. Bei Allstädt findet man auch sumpfige Boden. Der Hauptfluß ist die schiffbare Saale. Kleinere Flüsse sind die flößbare Ilm, die Unstrut, Helme, Nesse, Hörschel und Gera. Das Klima ist im Ganzen etwas rauh; aber doch im Sommer in den Thälern, und in den untern und mittlern Theilen der Berge sehr warm. Daher ist das Land an Producten verschiedener Art sehr gesegnet. Es liefert viel Getreide, Hülsenfrüchte, Kartoffeln, Gartengewächse, besonders Meerrettig in Menge, Rübesaat, Mohn, Flachs, Hanf, etwas Hopfen, viel Obst, etwas Wein, woraus meist Essig bereitet wird, und Holz in Menge. Aus dem Thierreiche hat man viel Hornvieh und Pferde, eine besonders große und starke Gattung in Eisenach, Schweine und Schaafe in großer Zahl, letztere zum Theile veredelt, Seidenhasen, Wildprät und wildes Geflügel, viel und gute Fische, besonders Lachs und andere, Forellen, zuweilen zu 6 - 8 Pfund, in der Nesse, aber nicht viele Bienen. Die Landesproducte aus dem Mineralreiche sind Töpfer- und Porzellanthon, Sandsteine, Kalk- und Gipsstein, Fraueneis, Alabaster, Kobalt, Braunkohlen und Kochsalz.


II. Bewohner.[]


1. Nach ihrer Anzahl, Bildung, Religion xc. Die Volkszahl in allen unmittelbaren Besitzungen beläuft sich auf ungefähr 110,000 Seelen, welche in 22 Städten, 6½ Flecken, und 318 Dörfern leben. Die Einwohner sind biedere, arbeitsame, und verständige Teutsche, wie sie in allen sächsischen Ländern sind, theils aus eigener Anlage, theils durch gute häusliche und öffentliche Bildung in den Volksschulen. Für den gelehrten Unterricht sorgen eine lateinische Schule zu Jena, Gymnasien zu Weimar und Eisenach, und die herzoglich-sächsische Gesammtuniversität zu Jena, wo sich auch eine lateinische Gesellschaft befindet. Die Hofbibliothek in Weimar, und die Bibliothek in Jena sind ansehnlich. Noch immer kann sich dieses Fürstenthum des Besitzes großer Schriftsteller und Gelehrten rühmen, eines Wieland, Göthe, Bertuch xc. Zum Besten der Künste besteht in Weimar eine öffentliche Zeichnungs- und Malerschule. Der größte heil der Einwohner bekennt sich zur evangelische lutherischen Religion; doch leben in diesem Fürstenthume auch Reformirte, Katholiken, und 4 jüdische Familien.
2. Nach ihrer Industrie xc. Garten-Flachs- Hanfbau und Obstbaumzucht überwiegen hier, der natürlichen Lage des Landes gemäß, beinahe den Getreidebau. Die Viehzucht macht gleichfalls einen sehr starken Artikel der ländlichen Industrie aus. Man hat beträchtliche Leinewebereien, Wollenmanufacturen, besonders wichtige Strumpfmanufacturen zu Apolda, Baumwollenspinnereien zu Jena, Bleiweißfabriken zu Jena und Eisenach. Zu Kreuzburg ist ein Salzwerk. Ein starker Handel wird mit Obst, Meerrettig, Holz, Wachholderbeeren, welche einst bis nach Batavia in Ostindien versandt wurden, ferner mit Essig, Branntwein und Töpferwaaren getrieben. Die Staatseinkünfte sind auf 1 Million Gulden rheinisch geschätzt.


III. Staatsverfassung.[]


Der Herzog ist zwar souverain; doch müssen alle Abgaben erst von den Landständen bewilligt, und alle wichtigern Landesgesetze ihnen zum unvorgreiflichen Gutachten vorgelegt werden. Die Stände sind: die Universität zu Jena, als Prälatenstand, die Grafen, die Ritterschaft, und die Städte. -- Als Mitglied der rheinischen Conföderation hat der Herzog seinen Sitz im fürstlichen Collegium, und als Bundescontingent stellt er 800 Mann Infanterie.


IV. Staatsverwaltung.[]


Der Mittelpunkt, wovon alle Staatsverwaltung ausgeht, ist das geheime Consilium zu Weimar unter der Direction des Herzoges, wozu die geheime Kanzlei, und das geheime Archiv gehören. Die übrigen Centralstellen sind die Landesregierung, das Kammercollegium mit den Bau- Berg- und Salinendepartements, die General-Polizeidirectorium, und das Oberconsistorium. Der Provinzialverwaltung wegen ist das Fürstenthum Weimar in 14, und das Fürstenthum Eisenach in 7 Aemter getheilt.


Von Reisende.[]

Anne Louise Germaine de Staël.[]

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Weimar.

Von allen Fürstenthümern Deutschlands zeigt keins in solchem Maaße wie Weimar, die Vorzüge eines kleinen Landes, wenn sein Fürst ein Mann von vielem Geiste ist, und ohne etwas vom Gehorsam einzubüßen, seinen Unterthanen zu gefallen suchen kann. Ein solcher Staat bildet eine besondere Gesellschaft, in welcher man durch die innersten Beziehungen zu einander gehört. Die Herzogin Luise von Sachsen-Weimar ist das wahre Muster einer von der Natur zum höchsten Range bestimmten Frau. Ohne Anmaßung, ohne Schwachheit, erweckt sie zugleich und in gleichem Grade Vertrauen und Ehrfurcht; der Heldensinn der Ritterzeit ist in ihre Seele gedrungen, ohne ihr von der Sanftmuth ihres Geschlechts das Geringste zu benehmen. Die militärischen Talente des Herzogs werden allgemein geschätzt. Seine geistreiche, sinnige Unterhaltung erinnert mit jedem Augenblick daran, daß er des großen Friedrichs Zögling gewesen; sein Geist und der Geist seiner durchlauchtigen Mutter hat Weimar zum Sammelplatz der vorzüglichsten Geister gemacht. Zum erstenmale erhielt Deutschland eine gelehrte Hauptstadt; doch konnte diese Hauptstadt, da sie übrigens sehr klein ist, nur durch ihr literärisches Licht Aufsehen erregen, ohne zugleich die Mode der Schöngeisterei, welche, wie alle übrigen, Einförmigkeit hervorbringt, aus ihrem zu engen Kreise allgemein verbreiten zu können.

Herder war gestorben, als ich in Weimar ankam; aber Wieland, Schiller und Göthe lebten noch. Ich werde im nächsten Abschnitte dieses Werks, jeden dieser Männer besonders schildern; ich werde sie vor allem aus ihren Schriften schildern, denn ihre Schriften stimmen mit ihrem Gemüthe, mit ihrer Unterhaltung vollkommen überein. Dergleichen Uebereinstimmung ist selten, und ein untrügliches Zeichen der Offenheit; denn, sobald ein Schriftsteller es sich zum Hauptzwecke macht, Eindruck und Aufsehen zu erregen, wird er sich nie zeigen, wie er ist; schreibt er aber, um der inneren Begeisterung, die sein Gemüth ergriff, Luft zu machen, so legt er, selbst ohne es zu wollen, auch die kleinsten Nüanzen seiner Art zu seyn und zu denken, in seine Schriften.

Der Aufenthalt in kleinen Städten ist mir von jeher über alle Maßen langweilig vorgekommen. Er engt den Geist der Männer ein und macht das Herz der Frauen zu Eis; man lebt einander so nahe, daß man von einander gedrängt und gedrückt wird. In großen Städten waltet eine öffentliche Meinung, die uns anreizt und von ferne in unsern Ohren erschallt, wie die Posaune des Ruhms; in kleinen Städten ist man einer kleinlichen Prüfung aller seiner Handlungen unterworfen; jeder einzelne Zug unsers Lebens wird beobachtet, und macht das Auffassen des Characters im Ganzen unmöglich; und je mehr man der Unabhängigkeit, der Größe zustrebt, desto schwerer wird einem das Luftathmen hinter den Stäbchen eines -- Vogelbauers.

Dieser peinliche Zwang fand nicht in Weimar statt. Weimar war keine kleine Stadt; es war ein großes Schloß, wo eine ausgesuchte Gesellschaft sich mit Theilnahme über jedes neue Kunstproduct unterhielt. Liebenswürdige Schülerinnen einiger höhern Köpfe beschäftigten sich mit literärischen Arbeiten, als wären es die wichtigsten Neuigkeiten der Zeit gewesen, zogen durch Lesen und Studieren die Welt zu sich heran und entrissen sich mit Hülfe des unermeßlichen Gedankenraums den Zwangsformen der Umstände. Im gemeinschaftlichen Nachdenken über die großen Fragen, welche das allgemeine Schicksal aufwirft, vergaß jeder die Privatanecdoten im Leben seines Nachbars. Hier fand man keinen erbärmlichen Kleinstädter, der so gar leicht das Aufgeblasene für Grazie, und die Ziererei für Artigkeit hält.

In demselben Herzogthum, in der Nähe dieses ersten und vorzüglichsten literärischen Vereins, liegt Jena, einer der wichtigsten Gelehrtenvereine Deutschlands. So fanden sich, im engsten Raume, bewundernswürdige Geistesstrahlen aller Art, wie in einem Brennpuncte, zusammen.

In Weimar, wo die Einbildungskraft durch den Verkehr mit Dichtern beständig unterhalten wurde, fühlte sie das Bedürfniß der äußeren Zerstreuungen weniger; diese Zerstreuungen helfen zwar die Bürde des Lebens tragen, helfen aber auch zugleich oft die Lebenskräfte abnutzen. Man führte auf dem Landsitze, den man die Stadt Weimar nannte, ein regelmäßiges, geschäftvolles, ernsthaftes Leben; wohl konnte es bisweilen ermüden, aber nie setzte es den Geist durch kleinliches gemeines Interesse herab: und wenn es hier und da am Reize eines Vergnügens mangelte, so fühlte man doch nicht, auf der andern Seite, seine Geisteskräfte abnehmen.

Der einzige Prachtgeschmack des Fürsten bestand in einem entzückenden Garten. Man segnet ihn für diesen Volksgenuß, den er mit dem letzten Einwohner der Stadt theilte. Das Schauspiel, von welchem ich im zweiten Theile dieses Werks reden werde, wird von dem ersten Dichter Deutschlands, von Göthe geleitet. Es findet eine so allgemeine Theilnahme, daß es die gesellschaftlichen Vereinigungen, in denen so manche geheime Langeweile zur Sprache kommt, entbehrlich macht. Man nannte Weimar längst Deutschlands Athen, und in der That war es die einzige Stadt, in welcher das Interesse für die schönen Künste einheimisch, national und ein brüderliches Band für alle Stände ist. Ein liberaler Hof suchte, aus Bedürfniß der Gewohnheit, die Gesellschaft der Männer von Geist auf, und die Literatur gewann sichtbarlich unter dem Einfluß des guten Geschmacks, der an diesem Hofe vorherrschend war. Man konnte hier im Kleinen sich einen Begriff von der guten Wirkung machen, die eine solche wechselseitige Berührung, wenn sie allgemein würde, in Deutschland hervorbringen müßte.


Zeitungsnachrichten.[]

1809.[]

Allerhand. [3]

Man schreibt von Weimar: Seit 8 Tagen sind die Stände des hiesigen Landes, so wie die von Eisenach und Jena, hier versammelt, um sich mit dem Herzoge über verschiedene Landesangelegenheiten zu berathschlagen, wovon man sich viele wichtige und heilsame Resultate verspricht.


Quellen.[]

  1. Handbuch der Statistik der europäischen Staaten, zum Gebrauche bei Vorlesungen und zur Selbstbelehrung von D. Joseph Milbiller. Landshut, 1811. Bei Philipp Krüll, Universitäts-Buchhändler.
  2. Deutschland. Von Anne Germaine, Baronin von Staël Holstein. Aus dem Französischen übersetzt. Reutlingen, in der J. J. Mäcken'schen Buchhandlung. 1815.
  3. Großherzoglich Hessische Zeitung. Darmstadt den 26. Januar. 1809. (Donnerstag.) Nro.11.