Heidelberg.[]
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Heidelberg, eine schön gelegene Stadt am Neckar, einst die Residenz der Kurfürsten von der Pfalz, gehört seit 1802 dem Großherzog von Baden. Sie hat gegenwärtig 11,000 Einwohner, war aber vormals viel bedeutender. Die dasige Universität, welche 1386 gestiftet wurde, ist nach Prag die erste und älteste in Deutschland; sie war überaus besucht, verlor jedoch sehr durch den dreißigjährigen Krieg, der hier heftig wüthete. Zu folge der neuen Einrichtungen, welche sie 1803 erhalten hat, betragen ihre jährliche Einkünfte 50,000 Gulden; die theologische Facultät erhielt 9 Lehrer für Katholiken, Lutheraner und Reformirte, die juristische 5; die medicinische 6 und die philosophische 4 Lehrer für die allgemeine Sektion. Rector magnificus ist der Großherzog selbst. Außer andern zweckmäßigen Anstalten, welche eingerichtet worden, ist der Schloßgarten in einen ökonomischen Garten und Forstplantage verwandelt worden. Die ehemalige Heidelberger Bibliothek, welche Scaliger der Vaticanischen vorzog, wurde, nach der Eroberung Heidelbergs durch Tilly 1622, vom Herzog Maximilian von Bayern dem Papst Gregor XV, geschenkt, welcher sie im folgenden Jahre nach Rom abholen ließ, wo Urban VIII. ein eigenes großes Zimmer für dieselbe in der Vaticanischen Bibliothek anwies. Aus dieser Bibliothek hatten die Franzosen 38 griechische und lateinische Schriftsteller, in handschriftlichen Exemplaren, nach Paris geschleppt, welche der Professor Wilken, aus Auftrag der Badischen Regierung, im J. 1815. reclamirte, und auch glücklicher Weise mit zurückbrachte. Diese Reclamation veranlaßte eine zweyte an den Pabst, daß er auch die in der Vaticanischen Sammlung noch befindlichen 847 Manuscripte und Werke aus der Bibliotheca palatina zurückgeben möchte, und man war, durch die Verwendung des Oesterreichischen Hofes so glücklich, auch hier eine willfährige Antwort zu erhalten; Professor Wilken reiste hierauf nach Rom, und im Jul. 1816 kam er mit diesen literarischen Schätzen wieder in Heidelberg an. Es befinden sich unter denselben sehr viele schätzbare deutsche Manuscripte, unter denen man aber gerade die bedeutendsten, Oderich und die Niebelungen vermißt. Nach dem im dreißigjährigen Kriege ausgeführten Raube, wurde in Heidelberg eine neue Bibliothek angelegt, von welcher des berühmten Johann Georg Grävius Büchersammlung die Grundlage ausmacht. Sie besteht aus mehr als 30,000 Bänden. Im Jahr 1784 wurde die sogenannte Cameral hohe Schule von Lautern nebst der kurfürstlichen ökonomischen Gesellschaft hieher verlegt, und erstere gewissermaßen mit der Universität vereinigt. Die Stadt hat bedeutende Fabriken in Kattun, seidenen Strümpfen, Papier- und Wollentapeten u. s. w. Das alte Schloß ist theils in den Jahren 1689 und 1693 von den Franzosen, theils 1764 durch den Blitzstrahl zerstört worden. Das bekannte Heidelberger Faß hält gegen 250 Fuder. Es wurde 1751 neu erbaut, ist aber wieder schadhaft.
Von Reisende.[]
August Josef Ludwig von Wackerbarth.[]
- [1791]
Die Lage von Heidelberg ist in der That vortreflich. Ich sah noch keine Stadt, die ländlicher gelegen hätte, als diese. Auf allen Seiten ist sie mit Bergen umgeben, die mit Bäumen aller Art und Weinreben in Menge bepflanzt sind, und so ihr angenehmes Grün auf die fast ländlichen Einwohner zurükwerfen. Geht man hier auf den Gassen, oder auch auf dem Markte umher, so geräth man sehr leicht auf den Gedanken, dass man sich auf freiem Felde, oder in einer bezauberten Gegend befinde: denn man mag sehen wohin man will, so erblikt man überall grüne Bäume und Weinberge.
Ausser der schönen Lage und den angenehmen Spazziergängen findet man in Heidelberg noch einen vertraulichen Ton in gesellschaftlichen Zirkeln, der sich durch alle Klassen, selbst durch die Mitglieder der hiesigen Universität verbreitet. Ich lernte unter den akademischen Lehrern viere kennen, nehmlich den Herrn Bergrath Gatterer, Herrn Professor Koch, Schmid und Hofrath Suckow, und ich muss offenherzig sagen, dass alles vortreffliche, mit den seltensten Talenten begabte Männer sind. Sie hatten nichts von dem finstern, pedantischen Betragen an sich, welches die Mitglieder der gelehrten Republik nur gar zu oft auf eine verächtliche Art schändet. Es schien wirklich, als wenn die hiesige schöne gesunde Luft auf sie vielen Einfluss gehabt hätte: denn sie athmeten alle so frei und so lebendig, dass man nie hätte glauben sollen, in ihnen akademische Lehrer zu finden, die meistentheils durch das ewige Einerlei ziemlich abgestumpft zu seyn pflegen, und daher nicht in die gesellschaftlichen Zirkel taugen. Ich wenigstens genoss hier einen sehr frohen Nachmittag, den ich mit froher Rükerinnerung unter die glüklichsten meiner ganzen Reise zähle.
Das hiesige Wasser, das so hell wie Kristall ist und besser als Nektar schmekt, mag unstreitig nebst der unvergleichlichen Luft das meiste zu dem aufgeräumten heitern Wesen der hiesigen Einwohner beitragen; so wie im Gegentheil an andern Orten, wo man blos dumpfe Luft einsaugt, und garstiges ungesundes Wasser hat, die Bewohner kränklich, mürrisch und misanthropisch einherschleichen.
Fabriken und Manufakturen blühen hier sehr lebhaft. Man hat hier eine Ziz- Seiden- und Kattunmanufaktur, Gold- und Silberarbeiter und so weiter. -- Die Universität zwar wegen der hiesigen Lehrer gut: allein der geringen Anzahl von höchstens 120 Studenten wegen, sehr klein. Sie ist übrigens deswegen merkwürdig, weil sie nach der Prager Universität als die erste und älteste, von ganz Teutschland 1386 von Kurfürst Ruprecht dem ersten gestiftet ward. Sie ist also grade 23 Jahr älter, als die Leipziger, welche 1409 ihren Anfang nahm. -- Das alte verfallene Schloss des Kurfürsten, nebst dem ungeheuern vernunftlosen Weinfasse unterhielt mich nicht sonderlich, denn es zeigte mehr kindisches Spielwerk, als etwas wirklich Nüzliches oder Gutes an.
Ich traf inzwischen hier noch eine grosse Menge französischer Emigranten an, die sich schon recht viel darauf zu Gute thaten, dass sie bald wieder unumschränkte Herren von ihrem Vaterlande werden würden. Wer hätte sich wohl ärger betrügen können als diese lustigen und dennoch mit Blindheit geschlagenen Männer. (>>>)
August von Kotzebue.[]
- [1804]
Heidelberg.
Wenn ein Unglücklicher mich fragte, wo er leben müsse, um dem lauernden Kummer dann und wann eine Stunde zu entrücken, so nenne ich ihm Heidelberg; und wenn ein Glücklicher mich fragt, welchen Ort er wählen solle, um jede Freude des Lebens frisch zu kränzen, so nenne ich ihm abermals Heidelberg. Romantische Lage, milde Luft, biedre Menschen, Zwanglosigkeit, bequeme Wohnungen, Wohlfeilheit: welche Vortheile! und doch bei weitem noch nicht alle: denn einen der größten gewährt Heidelberg noch als Nachbarin so mancher schönen angenehmen Stadt, so manches freundlichen Städtchens. Will der Leidende mit seinem Gram allein seyn, -- und das möchte er ja anfangs immer! -- so wandelt er am reizenden Ufer des Neckar, oder auf den üppigen Bergen, oder in den majestätischen Ruinen des Schlosses, oder er macht kleine Excursionen nach Weinheim, Heppenheim xc. Hat aber erst sein Kummer aus dem Gebiethe der Verzweiflung sich entfernt, darf er Menschen und Menschengewühl nicht mehr scheuen, so kann er meistens in einem halben, höchstens in einem ganzen Tage, in Manheim, Stuttgard, Frankfurt am Main, im Theater sich erlustigen, er kann in Darmstadt, Heilbronn, Bruchsal, Hanau, Speier, Worms, Oppenheim, Offenbach, kurz links und rechts, und überall, Zerstreuung finden. Heidelberg selbst besitzt der kleinen Merkwürdigkeiten so manche.
Die Ruinen des Schlosses sind einzig; die Aussichten wecken dort Gedanken an das bessere Leben. Die alten unterirdischen Gänge beschäftigen eine rege Einbildungskraft. Sie sollen nach der Stadt führen, werden aber, um der Gefahr willen, weislich jetzt verschüttet. Vor einigen Jahren versank ein Emigrant, der seinem Führer vorausgeeilt war. Glücklicher Weise war er kurz vorher von einigen Knaben bettelnd verfolgt worden; sie hatten sich die Gegend gemerkt, in welcher er verschwunden war, man zog ihn wieder heraus. Er erzählte, er sey in dem Gange eine große Strecke fortgewandelt, weil er in der Ferne mancherlei Geräusch gehört, das aus der Stadt über ihm herunter tönte. Endlich vernahm er das Geschrei der Suchenden, und kehrte um. Auch ein Seiltänzer, der vor Kurzem auf dem Markte Pfähle einschlug, um sein Seil daran zu befestigen, fand denselben Gang, in dem noch alte Waffen rosteten. -- Das famöse Heidelberger Faß ist eine elende merkwürdigkeit, die nicht einmal durch ihr Alterthum interessiert; denn das alte Faß ist auseinander gefallen, und Kurfürst Karl Theodor hat sich durch Erbauung eines neuen -- nicht verewigt. Indessen rathe ich doch jedem Reisenden, in den Keller zu gehen; denn er findet etwas, das er nicht sucht, und das ihn wie mich ergötzen wird. Es ist nehmlich die hölzerne Bildsäule eines ehemaligen Hofnarren-Physiognomie: in diesem Individuum erkannt man auf den ersten Blick die Gattung. Nicht sowohl Witz (dem man keine Wahrheit verzeiht), als Jovialität (der man nichts übel nimmt) lebt und spricht in und aus diesem Gesichte. In dem Munde dieses Wohlgenährten wird Alles zum Scherz, wohl zum treffenden, aber nie zum bittern Scherz. Ja wahrhaftig, ich möchte einen solchen Narren um mich haben, und ich verdenke er allen gekrönten Häuptern, daß sie die nützliche Mode haben abkommen lassen. Die Bildsäule des ehrlichen Clemens scheint ihrem Untergange ziemlich nahe. Es wäre in der That Schade darum. Mir hat seine bloße Physiognomie einen heitern Augenblick gewährt, und ich möchte ihn weit lieber ins Leben zurückrufen, als die berühmte Dame Morata aus Ferrara, deren Denkmahl Sie in der Peterskirche finden. Sie starb im neun und zwanzigsten Jahre, und hat, Trotz ihrer Jugend, mehrere gelehrte Sprachen verstanden, und zu Heidelberg Collegia gelesen. Auch von ihrem Manne, einem gewissen Gründler, ist in der Inschrift nebenher die Rede. Sie wissen, ich liebe die Frauenzimmer nicht, die so gelehrt sind, daß sie ihre Männer dadurch zu einem Nebenher machen. -- Wenn Sie, liebe Freundin, jemals nach Heidelberg kommen, so werden Sie vielleicht nach dem Wolfsbrunnen fragen, der so berühmt und so lieblich war, und an dem auch unser guter einst König gefrühstückt haben soll. Ja, damals wölbten sich noch dreihundertjährige Linden zu einem Tempel über den Brunnen zusammen, und ihre Zweige waren so dicht in einander verwachsen, daß man sich ihrer wie des Fußbodens zum Gehen bedienen, daß man Tische und Stühle darauf setzen, und in der grünen Dämmerung ein fröhliches Wesen treiben konnte. Die fremden Damen (so erzählen die Nachbarn) saßen oben in den Bäumen mit Büchern oder Strickstrümpfen, oder ließen wohl gar einen Klavier darauf stellen, die Herren lauschten mit flöten in den dickbelaubten Aesten; unter in der kühlen Nacht wurde Kaffee und Thee gekocht; die Quelle murmelte heimlich und unsichtbar hinter der grünen duftenden Wand. Nach alle dem dürfen Sie jetzt nicht mehr fragen, Sie finden nichts als ein viereckiges Bassin von Baumstrünken umgeben. Alle die prächtigen Linden sind vor wenigen Wochen abgehauen worden. Wer hat das befohlen! rief ich empört. Die Kurfürstliche Hofkammer, war die Antwort. Die dicken Bäumen geben schönes Holz und -- die Forellen im Brunnen konnten den allzukühlen Schatten nicht vertragen. -- Nun, so wollt' ich, daß jeder Hof-Kammerrath, der zu diesem Raube an der schönen Natur gerathen hat, jährlich ein paarmal am heißesten Sommertage, in der Gluth der Mittagssonne lechzend, vergebens nach einem schattigen Plätzchen umherirren müßte. -- O, es ist nicht die einzige Sünde, welche der kameralistische Geist, der nie über einem solchen Paradiese schweben sollte, hier auch sich geladen, oder wenigstens auf sich laden wollen. Die herrlichen Ruinen des Rittersaales hat man wollen abbrechen lassen, um die Steine zu verkaufen. Den Garten zu Schwetzingen hat man zu Kartoffelländereien verpachten wollen, weil er zu viel zu unterhalten kostet. Das heißt einen Dichter zum Rechenmeister machen. Zum Glück ist gegen beides wirksam protestirt worden. Mit dem Rittersaal würde man das alte Schloß seiner schönsten Zierde berauben; und wenn Schwetzingen viele Kosten verursacht, so lockt es hingegen auch eine Menge verzehrender Fremden. O, wenn doch jede Hand verdorrte, die etwas zerstören will, woran gute Menschen Jahrhunderte lang Freude hatten! -- Ehe wir Heidelberg ganz verlassen, muß ich Sie noch auf die schöne Brücke führen, die im Jahr 1783 oder 84 durch eine Wasserfluth weggerissen wurde. Damals blieb, zum großen Jubel aller gläubigen Seelen, der Heil. Johannes ganz allein auf einem isolirten Pfeiler stehen. Trotz diesem unleugbaren Wunder, hat der gute Heil. Johannes auf der neuerbauten Brücke dennoch der blinden Heidin Minerva weichen müssen! Ihr gegenüber steht die Bildsäule des Kurfürsten Karl Theodor. Bei einem im letzten Kriege vorgefallenen Gefecht auf dieser Brücke, ist die ziemlich von Kartätschenkugeln gemißhandelt worden, und qualificiert sich daher jetzt vollkommen zu einem Sinnbilde des Deutschen Reichs.
Quellen.[]
- ↑ Conversations-Lexicon oder encyclopädisches Handwörterbuch für gebildete Stände. Stuttgart bei A. F. Macklot. 1816.
- ↑ Rheinreise herausgegeben vom Freiherrn v. Wakkerbart. Halberstadt in der Buchhandlung der Grossschen Erben, 1794.
- ↑ Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. von August von Kotzebue. Berlin 1804 bei Heinrich Fröhlich.
Literatur.[]
- Die Gegend von Heidelberg von A. von Löwis. Herausgegeben von Woldemar von Ditmar Doctor der Philosophie. Berlin 1816. In der Maurerschen Buchhandlung Poststraße No. 29.