Von Bastille bis Waterloo. Wiki
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NHA Haarlem


Harlem.

[1]
Harlem, eine volkreiche und nach alter Art befestigte Stadt in der Niederländischen Provinz Südholland, mit breiten und geraden Straßen und vielen Kanälen. Bemerkenswerth sind das Rathhaus, der Prinzenhof, die Stadtbibliothek, die Anatomie, der medicinische Garten, das Haus Lorenz Küsters, den die Holländer fälschlich für den Erfinder der Buchdruckerkunst ausgeben, u. s. w. Die Blumencultur war sonst hier in einem außerordentlichen Flor, hat sich jedoch in eben dem Grade vermindert, als die Blumenliebhaberei abgenommen hat (vergl. Blumenhandel im 1. Bd.). Vormals waren auch die hiesigen Sammet-, Damast-, Atlas-, und Silberstickereien, so wie die Zwirn- und Zwirnbandfabriken nebst den Garn- und Leinwandbleichen in großem Ruf; allein alle diese Anstalten sind immer mehr und mehr herabgesunken, und von den ehemaligen 2000 Seidenwirkerstühlen sind vielleicht nicht über 100 noch vorhanden. Eben so hat die Bevölkerung abgenommen. Sie betrug um das Jahr 1740 über 40,000 Menschen, war im Jahr 1785 auf 30,000, im Jahr 1796 auf 21,000 gesunken, und hat sich seitdem noch vermindert. Es befinden sich unter den Einwohnern viel Mennoniten.


Neopolem


Von Reisende.

Dr. Johann Friedrich Droysen.

[2]

[1801]

Amsterdam, den 25sten Jun. 1801..

Haarlem selbst ist eben so sauber und artig gebauet, wie die übrigen Städte von Holland, aber nicht groß, hat etwa 20,000 Einwohner. Auf dem Markte, wo die Parade aufzog, steht ein Monument, Coester, als dem Erfinder der Buchdruckerkunst, ehemahls 1722 im botanischen Garten aufgerichtet, jetzt neu angestrichen, und hierher verpflanzt im Jahr 1801; und ein bunter Freyheitsbaum ihm gegenüber. -- Wohl dem Lande, wo diese Erfindung unter dem Schutze von jenem gedeihet.

Die weltberühmte Orgel rief uns in die Kirche, sie wird Dinstags und Donnerstags öffentlich von 12 bis 1 zum Vergnügen der Einwohner gespielt, und ist wahrlich schön; solche Kraft, solche Reinheit, solche Harmonie, man glaubt das vollstimmigste Concert zu hören, macht einen großen Eindruck. Doch scheint dieß Instrument ganz seine Bestimmung zu verlieren, so bald es andere als große und feyerliche Chöre u. d. gl. spielt; für Tänze und Liederchen, die auch gespielt wurden, hat es nicht Leichtigkeit genug.

Meine Ungeduld trieb mich schon Nachmittags in das Taylorsche Museum, welches unter des berühmten van Marums Aufsicht stehet. Taylor van der Hulst war ein großer, sehr reicher Seidenfabrikant, dessen Vermögen auf 2,500000 Gulden angegeben ward; da er starb, vermachte er es zu einer wissenschaftliche Stiftung und zu einem Hofjen, d. h. eine milde Stiftung für Arme und alte Leute. Nach dem Testamente sind drey Executoren ernannt, welche fünf Directoren zur Anwendung des Geldes zum Behufe der Wissenschaften ernennen; jeder dieser Directoren hat 1000 Fl. Gehalt. Van Marum ist die Aufsicht des physikalischen Kabinetts, das mit einer Bibliothek verbunden ist, anvertraut, die Anschaffung der Instrumente hängt von den Directoren ab.

Das für dieß Institut vom Architekt Wiswardt aus Amsterdam erbauete Gebäude ist seines reichen Stifters würdig, schön und geschmackvoll. Vor dem Eintritt zum Saal, der das physikalische Kabinett enthält, hat Asselbryh Taylorn ein Monument von Cararischem Marmor 1780 gesetzt.

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Ich komme, mein Bester, so eben ermüdet von einer der angenehmsten und überraschendsten Promenaden zurück, und muß sie Ihnen jetzt, da sie meinem Gedächtnisse noch frisch eingeprägt ist, erzählen. Meine Reisegefährten die noch nie des, uns nicht so neuen, Anblickes der offenbaren See genossen hatten, wünschten schon hier, wo wir noch zwey Stunden vom Strande entfernt waren, die Nordsee in ihrer vollen Pracht, im Sinken der Sonne zu sehen; wir gingen also ohne Führer durch die Dünen immer von Haarlem gegen Westen der sinkenden Sonne zu. Kaum hatten wir die Stadt verlassen, so zeigte uns schon der ungeheure lockere Sand, in welchem wir waden mußten die Höhe der Dünen, die eigentlich durch hinter der Stadt schon beginnen, und ihr Schutz gegen die Gewalt des wüthenden Meeres sind, das hier sich selbst seine eigene Gränze, einen Damm gebildet hat. Unglaublich und überraschend ist die, hier verhältnißmäßige üppige, Vegetation der Birken und Baumanpflanzungen in diesem kahlen sandigen Boden, auf dem ohne Hülfe der Menschen, kaum eine einzige Pflanze gedeihen, höchstens eine dürftige Onosis spinosa oder Salsola Kali; -- und hier wirklich grünes Laubholz! Aber je weiter wir uns von der Stadt entfernten, desto ärmlicher und dürftiger ward die Vegetation; in dem bloßen dürren Sande hatte man Kartoffeln gepflanzt, und suchte, wenn sonst nichts, gar nichts gedeihen wollte, wenigstens eine Art von Gras, die durch ihre Wurzeln dem Sande mehr Festigkeit gibt, anzuziehen; ja man hatte mit unglaublicher Mühe diese Pflanze hier und da hin sorgsam in Reihen gepflanzt, um durch die nach und nach mehr Festigkeit in diesem Sande, der sonst ein Spiel der Winde ist, zu erhalten *). Wir standen nun bald in einer unabsehbaren Sandwüste, rund umgeben von einer Menge Hügel und Berge von bloßem Sande zusammengeweht, die fast bey jedem Sturm ihre Gestalt verändern, auf die nur kärglich jene Grasart hin und wieder eine kleine grüne Fläche bildete. Hier war keine Spur von Menschen, selbst kaum von Thieren zu finden, nur selten war ein einzelner scheuer Strandläufer zu sehen. Von jedem westlich gelegenen Hügel glaubten wir die Nordsee sehen zu können, und sahen nur, wenn wir ihn erreicht hatten, in sein kleines Thal, wo noch hin und wieder ein kleines grünliches Fleckchen sich bildete, hinab. -- Manchen Berg hatten wir so mühsam im Sande bis an die Waden erwühlt, durch manche Sandwüste unsern ungewissen Fußtritt immer der Sonne zugerichtet, die tiefer und tiefer sank, als das nahe mit bekannte Getöse, meine Gefährten in Erstaunen setzte, und unsern Muth belebte. Und wie wir nun endlich den letzten Hügel erreichten, da sank sie gerade in die weißen Wogen des großen unabsehbaren Meeres, die goldene Sonne. Ein großer, himmlischer, erhabener Anblick, der sich so schön in dem Erstaunen meiner Gefährten mahlte. Dieser hohe, erhabene Schauspiel, von der todten, kahlen Sandwüste hinab auf das lebendig fluthende Meer, in ewiger Bewegung; das Große, Unbegränzte der gleichen Ebene, wo das Auge nur in den fernen bewegten Schiffen einen unsichern Ruhepunkt hat, hebt, wie jeder erhabene Gegenstand, die Brust unglaublich zu stillen und großen Gedanken; es dehnt sich die Sehnsucht durch das Weite, das nicht gefaßt werden kann, hindurch, und zieht sich schmerzhaft in das Bewußtseyn der Kleinheit und eigenen Beschränktheit zusammen. -- Drüben liegen die Küsten Englands hin, dort hinaus zieht sich die Küste nach Frankreich zu, rechts hinauf öffnet sich das Meer der unendlichen Nordsee zu -- und drüben sinkt jetzt die Sonne denen, nur durch dieß Meer von uns getrennten, Bewohnern Amerika's zu. -- Der Wind spielte mit unserm Haar, die Luft wurde plötzlich rauh und kalt, wie dieß so oft in Holland der Fall ist, wo man in einem Tage alle Jahrszeiten haben kann; die Berge hinter uns wurden grau; dieß alles mahnte uns an den noch langen und sauren Rückweg durch die nähmlichen Sandwüsten, und wir eilten dem Haarlemmer Thurm, unserm einzigen Wegweiser zu.

*) Man sehe über diese merkwürdigen, dem Holländer zur eigenen Erhaltung so wichtigen Dünenanpflanzungen: Tegenwordige Staat der Duinen van her vormalige gewest Holland, van het allgemeen Rapport der Commissie van Superintendentie over het Onderzoek der Duinen. Leyden. 1798.

Sie verlangen und erwarten gewiß von mir, liebster Freund, daß ich Haarlem nicht eher verlasse, als bis ich Ihnen etwas von der so berühmten Blumenzucht gesagt habe; und wahrlich dieß ist so einzig, so ins Große getrieben, daß es gewiß die Aufmerksamkeit eines Reisenden verdient. Folgen Sie mir vors Thor zu den berühmten Blumisten Schneevoigt, einem sehr gefälligen Mann, der uns in seine großen Gärten umherführte. Ein großes Terrain, viele Morgen Ackers dienen hier bloß zum Anbau von Blumen. Stellen Sie sich vor, der Mann hat allein 700 Ruthen Ackers bloß für Hyazinthen, schickt jährlich über 18000 Türkische Ranunkelnklauen nach Lissabon, um an den großen Festen die Altäre zu schmücken, und Sie haben eine kleine Idee von der großen Ausbreitung dieses Handels, und solcher Blumisten gibt es hier viele. -- Der Botaniker wird hier vielleicht nicht eine so große Ausbeutung finden, desto mehr aber wird der Blumenliebhaber entzückt; der Flor der Hyacinthen, die sonst eine Viertelmeile weit duften, so wie der Tulpen ist vorbey, aber die Rosen stehen in ihrer Pracht. Sehen Sie hier einen Garten, wo nichts als Rosen blühen, die aber so verschieden sind, wie die Natur in Farben und in Gestalten zu spielen vermag. Moosrosen, gelbe, weiße, roth und weiß gestreifte, kleine immerblühende, Damen- und Purpurrosen beziehen auf niedrigen Stämmen, immer wieder abgelegt, ganze Beete, und geben ein so liebliches Ansehen, als einen schönen Duft. Hier finden Sie in einem andern Garten den schönsten Irisflor, eben so mannigfaltig; hier eine kleine Baumschule von Tulpenbäumen, Kindern der beyden großen, wie Ulmen emporgewachsenen, die nicht weit von Haarlem stehen, da wo Linné seine Amoenitates schrieb. Dort finden Sie seltenere ausländische Gewächse in Töpfen gezogen, dort ein Treibhaus, das alle Bequemlichkeiten und Sorgfalt für Pflanzen gewährt; die Fenster sind nicht wie gewöhnlich, die Scheiben liegen wie Dachziegel auf einander, um den Durchzug der Luft von innen zu gestatten, ohne den Regen eindringen zu lassen; die sind mit Asche und Wasser begossen, um die Heftigkeit der Sonnenstrahlen zu mildern. Hier im Hause selbst finden Sie die ungeheuren Magazine von Zwibeln, Klauen, Wurzeln und Samen, die mehrere Hände beschäftigen, in großen Schränken mit Schubladen geordnet, zu tausenden von jeder Art, mit den Nahmen, den ihnen die Liebhaberey gab. -- Ehemahls war dieß alles auch mehr im Flor, der Handel ausgebreiteter, da England so viel verlangte; wie der Geschmack, noch mehr aber Liebhaberey oder Eitelkeit und Sucht nach Seltenheiten that, wo man 850 Fl. für eine Zwiebel gab. Das ist bey weiten nun nicht der Fall mehr, die Menge muß den Blumisten jetzt statt jener hohen Preise entschädigen. –

Wir besuchten außer diesem Garten noch einige andere, in denen wir ebenfalls solche große Anlagen fanden und wandelten dann durch eine schöne Ulmen-Allee, die eine herrliche Promenade gewährte, auf das sehr geschmackvolle Landhaus des Hrn. Hope zu, das wie ein prächtiges, schönes Schloß in schönem Styl gebauet auf einem lieblichen Anger liegt. –

Sie sehen mein Aufenthalt in Haarlem war nicht ohne Interesse, um so mehr da ich noch heute das Vergnügen hatte, mit van Marum über mehrere Gegenstände der Naturlehre zu plaudern, er war so gütig, mir noch ein Paar Stunden zu schenken, obgleich seine Reise aufs Land ihn drängte. Ich eile nun von hier nach Leyden, die Schuyte ist schon bestellt, in meinem nächsten Briefe schildere ich Ihnen Leyden und meine weitere Reise. -- Leben Sie wohl.


Neopolem



Quellen.

  1. Conversations-Lexicon oder encyclopädisches Handwörterbuch für gebildete Stände. Stuttgart bei A. F. Macklot. 1816.
  2. Dr. Johann Friedrich Droysen's Bemerkungen gesammelt auf einer Reise durch Holland und einen Theil Frankreichs im Sommer 1801. Göttingen bey Heinrich Dieterich. 1802.
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