Harlem.[]
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Harlem, Haarlem, volkreiche u. nach alter Art befestigte Stadt in Südholland, mit breiten und geraden Strassen, und vielen Canälen. Sie hat 5 reformirte, eine lutherische und unterschiedliche katholische Kirchen. Sie war die andere in der Ordnung der Städte dieser Grafschaft, welche Deputirte zu der Versammlung der Staaten dieser Provinz abordnete. Das Rathhaus, der Prinzenhof, die Stadtbibliothek, die Anatomie, der medicinische Garten, das Haus Laurentii Costers, (welchen die Holländer für den Erfinder der Buchdruckerkunst ausgeben) u. d. m. sind sehenswürdig. Man findet auch eine Gesellschaft der Wissenschaften hier, und eine ausnehmende Blumenkultur. Vor andern aber stehen die hiesigen Sammet- Damast- Atlas- Silberstickwebereyen, auch Zwirn- und Zwirnbandfabriken, nebst den vortrefflichen Garn- und Leinwandbleichen in großem Rufe; seit der lezten Revolution haben sie sich aber um die Hälfte vermindert. Von den ehemaligen 2000 Seidenwirkerstühlen sind nur noch 200 übrig, u. auch diese Zahl ist jezt vermindert. Im J. 1748 litte Harlem durch die Tumulte wegen Abschaffung der Pachter. Die Bevölkerung dieser Stadt hat in den neuesten Jahren sehr abgenommen. Im Jahr 1785 zählte man 30,000 Einwohner, bis 1740 war sie um mehr als ein Drittheil stärker. Im Jahr 1796 betrug die ganze Bevölkerung 21,227 Seelen, und diese Anzahl hat sich seidem noch vermindert. Unter den Einwohnern befinden sich viele Mennoniten.
Harlem..[]
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Harlem, eine volkreiche und nach alter Art befestigte Stadt in der Niederländischen Provinz Südholland, mit breiten und geraden Straßen und vielen Kanälen. Bemerkenswerth sind das Rathhaus, der Prinzenhof, die Stadtbibliothek, die Anatomie, der medicinische Garten, das Haus Lorenz Küsters, den die Holländer fälschlich für den Erfinder der Buchdruckerkunst ausgeben, u. s. w. Die Blumencultur war sonst hier in einem außerordentlichen Flor, hat sich jedoch in eben dem Grade vermindert, als die Blumenliebhaberei abgenommen hat (vergl. Blumenhandel im 1. Bd.). Vormals waren auch die hiesigen Sammet-, Damast-, Atlas-, und Silberstickereien, so wie die Zwirn- und Zwirnbandfabriken nebst den Garn- und Leinwandbleichen in großem Ruf; allein alle diese Anstalten sind immer mehr und mehr herabgesunken, und von den ehemaligen 2000 Seidenwirkerstühlen sind vielleicht nicht über 100 noch vorhanden. Eben so hat die Bevölkerung abgenommen. Sie betrug um das Jahr 1740 über 40,000 Menschen, war im Jahr 1785 auf 30,000, im Jahr 1796 auf 21,000 gesunken, und hat sich seitdem noch vermindert. Es befinden sich unter den Einwohnern viel Mennoniten.
Von Reisende.[]
Ralph Fell.[]
- [1800]
Haarlem.
Von Leiden nach Haarlem bedienten wir uns der in Holland gewöhnlichen Reiseart, nämlich des Treckschuyts. Auf bequemen Plätzen im Kabinet, in unterhaltender Gesellschaft und von herrlichem Wetter begünstigt, machte uns diese Fahrt ausnehmend viel Vergnügen.
Die Entfernung von Leiden nach Haarlem beträgt gegen funfzehn englische Meilen. Auf der einen Seite des Kanals liegt der Haarlemer See, ein vierzehn englische Meilen langes und zwölf Meilen breites schiffbares Gewässer *); auf der andern eine mannigfaltige, angenehme Landschaft.
- *) Diesen grossen See hat man aller angewandten Mühe ungeachtet bisher noch nicht austrocken können, sondern er greift sogar mit jedem Jahre immer weiter um sich. Mit andern ähnlichen, jedoch kleinern Seen ist es gelungen. Ihr Grund besteht nämlich nicht wie in Deutschland aus einer Lage Sand, sondern sie haben fast alle eine sehr fruchtbare Dammerde unter sich. Findet sich nun hier kein Torf mehr, so ist es der holländischen Industrie ein leichtes, den See auszutrocknen. Das auf diese Art gewonnene Land heisst dann ein Polder; ein Landhaus, oft mit Wirthschaftsgebäuden versehen, wird darauf gebaut und das auf diese Anlage verwandte Kapital bringt reichliche Zinsen. Die Ursache, warum dieses beim Haarlemer See nicht gelingen will, liegt daran, weil in der Nähe desselben grosse Moore ausgegraben sind. Da man nun in frühern Zeiten, wie der See noch weit kleiner war, versäumt hat, ihn auszutrocknen, so dringt sein Gewässer in die tiefen Moore ein und seine Verwandlung in fruchtbare Polder wird fast unmöglich.
Haarlem ist eine nette schöngebaute Stadt, kommt aber in der Breite der Strassen und Eleganz der Gebäude Leiden bei weitem nicht gleich. Wie die andern Städte Hollands ist sie reich an Kanälen, Brücken und Bäumen und ihre Bewohner sind berühmt wegen ihrer strengen unablässigen Sorgfalt für Reinlichkeit. Man schreibt diese Nazionaltugend der Holländer gewöhnlich, und wie ich glaube mit Recht, der ausserordentlichen Feuchtigkeit ihres Klimas zu, wodurch das Holz verfaulen und die Metalle verrosten würden, suchte man nicht durch die sorgfältigste Reinlichkeit diesem Übel vorzubeugen. Würden die Gebäude nicht fast täglich gewaschen und dadurch der nachtheiligen Würkung der Atmosphäre entgegengearbeitet, so würde die feuchte Luft in Holland in wenig Jahren die vergänglichen Materialien derselben verderben und verzehren. Darum wird der Anstrich der Häuser beständig in vortrefflichem Zustand erhalten und manche Theile derselben werden bemalt und gefirnisst, die einer solchen Bedekkung nicht zu bedürfen scheinen.
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In der Haarlemer Hauptkirche befindet sich die berühmte Orgel, die für das grösste und schönste Instrument dieser Art in der ganzen Welt gehalten wird. Für einen Dukaten, den wir dem Organisten, und eine halbe Krone, die wir den Balgentretern zahlten, hörten wir sie eine ganze Stunde lang *). Es ist ein Instrument von ausserordentlichem Umfange. Einige seiner Töne sind so sanft wie der Triller eines kleinen Singvogels; andere wieder so laut, dass sie das Massive Gebäude, worin sie steht, erschüttern. Wir erwarteten viel Vergnügen von der sogenannten vox humana, einem Register, das den Laut der menschlichen Stimme nachanhmt, denn wir hatten davon viel rühmen gehört; aber hohe Erwartungen werden oft getäuscht, und wir fanden die vox humana nichts weniger als angenehm. Im ganzen ist dieses Instrument jedoch sehr vortrefflich, ich möchte sagen himmlisch, denn wenn die Orgel ihre ganze Stärke zeigte, vernahm ich göttliche Töne, wie ich sie nimmer hörte und selbst zu denken nicht vermochte.
- *) Man hat nicht einmal nöthig, etwas dafür zu bezahlen, denn zweimal wöchentlich, nämlich Dienstags und Freitags von zwölf bis ein Uhr, wird diese Orgel zum Vergnügen der Einwohner öffentlich gespielt. Musikkenner tadeln mit Recht, wo eigentlich nur erhabene Chöre aufgeführt werden sollten, Tänze und Liederchen gespielt werden, die seinem Zwecke gar nicht entsprechen und an diesem feierlichen Ort unmöglich gefallen können.
Feierlichkeit, Grösse, Zartheit und Harmonie sind die charakteristischen Eigenschaften dieses herrlichen Instruments. Die längste Pfeife ist zwei und dreissig Fuss lang und ihr Durchmesser hält sechzehn Zoll. Im Ganzen hat diese Orgel sechzig Stimmen, vier Absonderungen, zwei Triller und zwölf Blasbälge. Ich entlehne diese Nachricht aus einer gedruckten Beschreibung dieses Instruments, die ich vom Organisten erhielt. Während der Organist spielte, versammelte sich eine Menge wohlgekleideter Leute in der Kirche und horchte mit der gespanntesten Aufmerksamkeit auf die göttlichen Töne des Instruments. Männer sowohl als Frauenzimmer behalten in Holland während der Kirche die Hüte auf und wegen des Vergnügens, das ihnen die Orgel auf unsre Kosten machte, erhielten wir von vielen eine höfliche Verbeugung.
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Nicht weit von Haarlem liegt das Landhaus des Herrn Hope, des Haupts einer durch ungeheure Reichthümer berühmt gewordnen Familie. Beim Anfang der Revoluzion flüchtete sich Hope nach London und seine Güter werden jetzt sequestrirt. Wir konnten das Innre dieses prächtigen Sommerpallasts nicht in Augenschein nehmen. Die Architektur dieses Gebäudes ist schön und, wäre es von Stein, erhaben; aber leider ist es nur von Backsteinen gebaut und mit Gyps beworfen, auch ist durch die feuchte Luft beim Mangel gehöriger Sorgfalt ein grosser Theil der Bekleidung abgefallen, so dass an manchen Stellen die rothen Ziegeln durch die weisse Oberfläche durchschimmern und dem Eindruck des Ganzen schaden. Es liegt am Eingang eines angenehmen Wäldchens und wird für das geschmackvollste Gebäude in den vereinigten Staaten gehalten.
Haarlem streitet mit Mainz und Strassburg um die Ehre, die Buchdrukkerkunst erfunden zu haben und schreibt das Verdienst dieser wichtigen Erfindung einem ihrer Bürger Namens Lorenz Coster zu, der in der Mitte des funfzehnten Jahrhunderts lebte. Strassburg hat, wie ich glaube, seine Ansprüche auf diese Ehre aufgegeben und ich maasse mir nicht an, zwischen Mainz und Haarlem zu entscheiden *). Coster soll auf diese Erfindung zuerst durch Eingrabung in eine Baumrinde, deren er sich dann als eines Siegels bediente, gefallen seyn. Eine holländische Inschrift bezeichnet die Stelle, wo das Haus dieses für die Menschheit so ausserordentlich nützlichen Mannes stand, und sein Bild hängt an den Fenstern der meisten Buchhändler von Haarlem *).
- *) Diejenigen, welche diese Erfindung der Stadt Haarlem zuschreiben, behaupten, Faust sei in Diensten Costers gewesen, habe die Typen am Weihnachtsfeste, während sein Herr in der Kirche die Andacht verrichtete, demselben gestohlen und sey damit nach Mainz geflüchtet.
- *) Zum Andenken Costers ist jetzt vor seiner ehemaligen Wohnung eine Bildsäule errichtet, die seit dem Jahre 1722 im botanischen Garten stand, im Jahre 1801 aber, neu angestrichen, hieher gesetzt wurde.
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Zu Haarlem befindet sich ein vortreffliches vom Doktor von Marum errichtetes naturhistorisches Museum, zu welchem Fremde leicht Zutritt bekommen können *). Es ist das beste Kabinet der Art in Holland, mit Kenntniss und Geschmack geordnet und vorzüglich gut unterhalten. An jedem Kästchen liest man die Beschreibung seines Inhalts nach dem Linnéischen System, und die verschiedenen Arten eines Geschlechts befinden sich, statt unter einander gemengt zu seyn, wie ich bei andern Sammlungen bemerkte, in einer schönen progressiven Ordnung. Die Sammlung von Schmetterlingen ist sehr zahlreich, und unter ihnen sind manche vorzügliche Seltenheiten. Im Ganzen steht indessen dieses Museum weit unter dem Leverianischen zu London.
- *) Dies Kabinet gehört der Haarlemer Akademie der Wissenschaften.
Ausserdem verdient hier noch das von Peter Teyler Van der Hulst in dieser Stadt gestiftete Institut erwähnt zu werden, so wenig auch der Gegenstand selbst, den es vorzüglich begünstigt *), mich interessirt. Peter Teyler war ein reicher Haarlemer Kaufmann, der ohne jemals bei Lebzeiten einige Liebe zu den Wissenschaften gezeigt zu haben, sein ganzes Vermögen zu Beförderung derselben und zur Unterstützung der Armen nach seinem Tode bestimmte. Ein reicheres Geschenk wurde selten dem Altar der Gelehrsamkeit und Mildthätigkeit gebracht. Die jährliche Einkünfte des Teylerschen Instituts beliefen sich vor der Revoluzion auf die Summe von hunderttausend Gulden; -- aber welche Vortheile haben die Wissenschaften aus diesem ansehnlichen Einkommen gezogen? Die elektrischen Versuche von Marum's, welche er unter den Auspizien dieser Stiftung machte, verdienen die ehrenvollste Erwähnung; aber sie sind auch die einzigen wohlthätigen Früchte, welche die Wissenschaften in diesem reichlich versehenen Treibhause zogen.
- *) Die Erörterung theologisch-metaphysischer Sätze.
Die Direktoren dieses Instituts sollen von der in Holland überall herrschenden Sucht des Anhäufens angesteckt worden seyn und statt die ungeheuren Fonds, nach ihrer Pflicht, auf Beförderung der Wissenschaften zu verwenden, sind sie bemüht gewesen, das Kapital dieses Instituts nur noch zu vergrössern. Wie hoch sich jetzt die Einkünfte desselben belaufen, konnte ich nicht mit Gewissheit erfahren, und man glaubt allgemein, sie seyen durch eine stillschweigende Handlung der Regierung zur Abhelfung der dringendsten Staatsbedürfnisse verwandt worden *).
- *) Der Verfasser hat hier eine Hauptmerkwürdigkeit von Haarlem, die von jedem Reisenden besehen zu werden verdient, unerwähnt gelassen, nämlich das Taylorsche Museum. Diese Lücke anzufüllen, theile ich hier eine kurze Beschreibung davon mit. Es befindet sich in einem geschmackvollen Gebäude und besteht aus einem physikalischen Kabinet, einer naturhistorischen Bibliothek, einem Laboratorium und einer Sternwarte. Aus dem mit Marmorplatten ausgelegten Flur tritt man in den zwei Etagen hohen und mit schönen Glasschränken umgebenen physikalischen Saal, worüber Hr. van Marum die Aufsicht führt. Vor dem Eingange bewundert man ein dem Stifter im Jahre 1780 von Asselbryh errichtetes kostbares Denkmal von kararischem Marmor. Gleich beim Eintritt in dieses Kabinet erblickt man am linken Ende die berühmte, von Marum beschriebene grösste Elektrisirmaschine auf der Welt; daneben steht ein vortrefflicher Apparat hydraulischer, optischer und astronomischer Werkzeuge. Die naturhistorische Bibliothek nimmt die obern Wände der Gallerie ein, und in den darunter befindlichen Schubläden und im Tische des Saals wird eine ausgesuchte Mineraliensammlung aufbewahrt. Neben diesem Saale ist ein besonderes Zimmer der Geologie gewidmet.
In Haarlem giebt es ansehnliche Manufakturen zur Bereitung feiner Leinwande, Dimity, Satinet u. s. w., die, wenn sie sich gleich nicht mehr in ihrem vorigen blühenden Zustande befinden, doch eine grosse Anzahl Arbeiter beschäftigen und noch immer mit Brabant und Deutschland einen vortheilhaften Handel treiben. Die Haarlemer Bleichen sind wegen der ausserordentlichen Weisse, die sie der Leinwand verschaffen, berühmt. Aus allen Theilen der vereinigten Staaten und Deutschland, -- und vor dem Kriege mit Grossbrittanien auch aus Irland und Schottland -- werden jährlich grosse Stücke Leinwand hierher geschickt. Man schreibt die vorzügliche Güte der hiesigen Bleichen einer besondern Eigenschaft des Wassers im Haarlemer Meer zu, die noch durch keinen bisher entdeckten chemischen Prozess hat nachgeahmt werden können.
Von Reisende.
Dr. Johann Friedrich Droysen.[]
- [1801]
Amsterdam, den 25sten Jun. 1801..
Haarlem selbst ist eben so sauber und artig gebauet, wie die übrigen Städte von Holland, aber nicht groß, hat etwa 20,000 Einwohner. Auf dem Markte, wo die Parade aufzog, steht ein Monument, Coester, als dem Erfinder der Buchdruckerkunst, ehemahls 1722 im botanischen Garten aufgerichtet, jetzt neu angestrichen, und hierher verpflanzt im Jahr 1801; und ein bunter Freyheitsbaum ihm gegenüber. -- Wohl dem Lande, wo diese Erfindung unter dem Schutze von jenem gedeihet.
Die weltberühmte Orgel rief uns in die Kirche, sie wird Dinstags und Donnerstags öffentlich von 12 bis 1 zum Vergnügen der Einwohner gespielt, und ist wahrlich schön; solche Kraft, solche Reinheit, solche Harmonie, man glaubt das vollstimmigste Concert zu hören, macht einen großen Eindruck. Doch scheint dieß Instrument ganz seine Bestimmung zu verlieren, so bald es andere als große und feyerliche Chöre u. d. gl. spielt; für Tänze und Liederchen, die auch gespielt wurden, hat es nicht Leichtigkeit genug.
Meine Ungeduld trieb mich schon Nachmittags in das Taylorsche Museum, welches unter des berühmten van Marums Aufsicht stehet. Taylor van der Hulst war ein großer, sehr reicher Seidenfabrikant, dessen Vermögen auf 2,500000 Gulden angegeben ward; da er starb, vermachte er es zu einer wissenschaftliche Stiftung und zu einem Hofjen, d. h. eine milde Stiftung für Arme und alte Leute. Nach dem Testamente sind drey Executoren ernannt, welche fünf Directoren zur Anwendung des Geldes zum Behufe der Wissenschaften ernennen; jeder dieser Directoren hat 1000 Fl. Gehalt. Van Marum ist die Aufsicht des physikalischen Kabinetts, das mit einer Bibliothek verbunden ist, anvertraut, die Anschaffung der Instrumente hängt von den Directoren ab.
Das für dieß Institut vom Architekt Wiswardt aus Amsterdam erbauete Gebäude ist seines reichen Stifters würdig, schön und geschmackvoll. Vor dem Eintritt zum Saal, der das physikalische Kabinett enthält, hat Asselbryh Taylorn ein Monument von Cararischem Marmor 1780 gesetzt.
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Ich komme, mein Bester, so eben ermüdet von einer der angenehmsten und überraschendsten Promenaden zurück, und muß sie Ihnen jetzt, da sie meinem Gedächtnisse noch frisch eingeprägt ist, erzählen. Meine Reisegefährten die noch nie des, uns nicht so neuen, Anblickes der offenbaren See genossen hatten, wünschten schon hier, wo wir noch zwey Stunden vom Strande entfernt waren, die Nordsee in ihrer vollen Pracht, im Sinken der Sonne zu sehen; wir gingen also ohne Führer durch die Dünen immer von Haarlem gegen Westen der sinkenden Sonne zu. Kaum hatten wir die Stadt verlassen, so zeigte uns schon der ungeheure lockere Sand, in welchem wir waden mußten die Höhe der Dünen, die eigentlich durch hinter der Stadt schon beginnen, und ihr Schutz gegen die Gewalt des wüthenden Meeres sind, das hier sich selbst seine eigene Gränze, einen Damm gebildet hat. Unglaublich und überraschend ist die, hier verhältnißmäßige üppige, Vegetation der Birken und Baumanpflanzungen in diesem kahlen sandigen Boden, auf dem ohne Hülfe der Menschen, kaum eine einzige Pflanze gedeihen, höchstens eine dürftige Onosis spinosa oder Salsola Kali; -- und hier wirklich grünes Laubholz! Aber je weiter wir uns von der Stadt entfernten, desto ärmlicher und dürftiger ward die Vegetation; in dem bloßen dürren Sande hatte man Kartoffeln gepflanzt, und suchte, wenn sonst nichts, gar nichts gedeihen wollte, wenigstens eine Art von Gras, die durch ihre Wurzeln dem Sande mehr Festigkeit gibt, anzuziehen; ja man hatte mit unglaublicher Mühe diese Pflanze hier und da hin sorgsam in Reihen gepflanzt, um durch die nach und nach mehr Festigkeit in diesem Sande, der sonst ein Spiel der Winde ist, zu erhalten *). Wir standen nun bald in einer unabsehbaren Sandwüste, rund umgeben von einer Menge Hügel und Berge von bloßem Sande zusammengeweht, die fast bey jedem Sturm ihre Gestalt verändern, auf die nur kärglich jene Grasart hin und wieder eine kleine grüne Fläche bildete. Hier war keine Spur von Menschen, selbst kaum von Thieren zu finden, nur selten war ein einzelner scheuer Strandläufer zu sehen. Von jedem westlich gelegenen Hügel glaubten wir die Nordsee sehen zu können, und sahen nur, wenn wir ihn erreicht hatten, in sein kleines Thal, wo noch hin und wieder ein kleines grünliches Fleckchen sich bildete, hinab. -- Manchen Berg hatten wir so mühsam im Sande bis an die Waden erwühlt, durch manche Sandwüste unsern ungewissen Fußtritt immer der Sonne zugerichtet, die tiefer und tiefer sank, als das nahe mit bekannte Getöse, meine Gefährten in Erstaunen setzte, und unsern Muth belebte. Und wie wir nun endlich den letzten Hügel erreichten, da sank sie gerade in die weißen Wogen des großen unabsehbaren Meeres, die goldene Sonne. Ein großer, himmlischer, erhabener Anblick, der sich so schön in dem Erstaunen meiner Gefährten mahlte. Dieser hohe, erhabene Schauspiel, von der todten, kahlen Sandwüste hinab auf das lebendig fluthende Meer, in ewiger Bewegung; das Große, Unbegränzte der gleichen Ebene, wo das Auge nur in den fernen bewegten Schiffen einen unsichern Ruhepunkt hat, hebt, wie jeder erhabene Gegenstand, die Brust unglaublich zu stillen und großen Gedanken; es dehnt sich die Sehnsucht durch das Weite, das nicht gefaßt werden kann, hindurch, und zieht sich schmerzhaft in das Bewußtseyn der Kleinheit und eigenen Beschränktheit zusammen. -- Drüben liegen die Küsten Englands hin, dort hinaus zieht sich die Küste nach Frankreich zu, rechts hinauf öffnet sich das Meer der unendlichen Nordsee zu -- und drüben sinkt jetzt die Sonne denen, nur durch dieß Meer von uns getrennten, Bewohnern Amerika's zu. -- Der Wind spielte mit unserm Haar, die Luft wurde plötzlich rauh und kalt, wie dieß so oft in Holland der Fall ist, wo man in einem Tage alle Jahrszeiten haben kann; die Berge hinter uns wurden grau; dieß alles mahnte uns an den noch langen und sauren Rückweg durch die nähmlichen Sandwüsten, und wir eilten dem Haarlemmer Thurm, unserm einzigen Wegweiser zu.
- *) Man sehe über diese merkwürdigen, dem Holländer zur eigenen Erhaltung so wichtigen Dünenanpflanzungen: Tegenwordige Staat der Duinen van her vormalige gewest Holland, van het allgemeen Rapport der Commissie van Superintendentie over het Onderzoek der Duinen. Leyden. 1798.
Sie verlangen und erwarten gewiß von mir, liebster Freund, daß ich Haarlem nicht eher verlasse, als bis ich Ihnen etwas von der so berühmten Blumenzucht gesagt habe; und wahrlich dieß ist so einzig, so ins Große getrieben, daß es gewiß die Aufmerksamkeit eines Reisenden verdient. Folgen Sie mir vors Thor zu den berühmten Blumisten Schneevoigt, einem sehr gefälligen Mann, der uns in seine großen Gärten umherführte. Ein großes Terrain, viele Morgen Ackers dienen hier bloß zum Anbau von Blumen. Stellen Sie sich vor, der Mann hat allein 700 Ruthen Ackers bloß für Hyazinthen, schickt jährlich über 18000 Türkische Ranunkelnklauen nach Lissabon, um an den großen Festen die Altäre zu schmücken, und Sie haben eine kleine Idee von der großen Ausbreitung dieses Handels, und solcher Blumisten gibt es hier viele. -- Der Botaniker wird hier vielleicht nicht eine so große Ausbeutung finden, desto mehr aber wird der Blumenliebhaber entzückt; der Flor der Hyacinthen, die sonst eine Viertelmeile weit duften, so wie der Tulpen ist vorbey, aber die Rosen stehen in ihrer Pracht. Sehen Sie hier einen Garten, wo nichts als Rosen blühen, die aber so verschieden sind, wie die Natur in Farben und in Gestalten zu spielen vermag. Moosrosen, gelbe, weiße, roth und weiß gestreifte, kleine immerblühende, Damen- und Purpurrosen beziehen auf niedrigen Stämmen, immer wieder abgelegt, ganze Beete, und geben ein so liebliches Ansehen, als einen schönen Duft. Hier finden Sie in einem andern Garten den schönsten Irisflor, eben so mannigfaltig; hier eine kleine Baumschule von Tulpenbäumen, Kindern der beyden großen, wie Ulmen emporgewachsenen, die nicht weit von Haarlem stehen, da wo Linné seine Amoenitates schrieb. Dort finden Sie seltenere ausländische Gewächse in Töpfen gezogen, dort ein Treibhaus, das alle Bequemlichkeiten und Sorgfalt für Pflanzen gewährt; die Fenster sind nicht wie gewöhnlich, die Scheiben liegen wie Dachziegel auf einander, um den Durchzug der Luft von innen zu gestatten, ohne den Regen eindringen zu lassen; die sind mit Asche und Wasser begossen, um die Heftigkeit der Sonnenstrahlen zu mildern. Hier im Hause selbst finden Sie die ungeheuren Magazine von Zwibeln, Klauen, Wurzeln und Samen, die mehrere Hände beschäftigen, in großen Schränken mit Schubladen geordnet, zu tausenden von jeder Art, mit den Nahmen, den ihnen die Liebhaberey gab. -- Ehemahls war dieß alles auch mehr im Flor, der Handel ausgebreiteter, da England so viel verlangte; wie der Geschmack, noch mehr aber Liebhaberey oder Eitelkeit und Sucht nach Seltenheiten that, wo man 850 Fl. für eine Zwiebel gab. Das ist bey weiten nun nicht der Fall mehr, die Menge muß den Blumisten jetzt statt jener hohen Preise entschädigen. –
Wir besuchten außer diesem Garten noch einige andere, in denen wir ebenfalls solche große Anlagen fanden und wandelten dann durch eine schöne Ulmen-Allee, die eine herrliche Promenade gewährte, auf das sehr geschmackvolle Landhaus des Hrn. Hope zu, das wie ein prächtiges, schönes Schloß in schönem Styl gebauet auf einem lieblichen Anger liegt. –
Sie sehen mein Aufenthalt in Haarlem war nicht ohne Interesse, um so mehr da ich noch heute das Vergnügen hatte, mit van Marum über mehrere Gegenstände der Naturlehre zu plaudern, er war so gütig, mir noch ein Paar Stunden zu schenken, obgleich seine Reise aufs Land ihn drängte. Ich eile nun von hier nach Leyden, die Schuyte ist schon bestellt, in meinem nächsten Briefe schildere ich Ihnen Leyden und meine weitere Reise. -- Leben Sie wohl.
Von Reisende.
Karl Gottlieb Horstig.[]
- [1803]
Sehr angenehm geniessen wir in der gastfreundlichen Wohnung des Herrn van Varelen der Vortheile einer näheren Bekanntschaft mit einem Lande, welches sich durch die Betriebsamkeit seiner Einwohner die Bedeutung verschafft, die es nach so vielen Erschütterungen noch bis diesen Augenblick behauptet. Harlem ist ein ausgezeichnet schöner Ort, der unter allen Städten in Holland die angenehmste Lage und die gefälligste Natur besitzt. Wir sahen heute von der Spitze des Taylorschen Museums die ganze Stadt und Gegend rings umher -- Amsterdam in der Ferne, und zur Seite das ausgebreitete Harlemer Meer, weiter hin den anmuthsvollen Wald, worin Hope sich einen eignen Pallast erbaut hat, dann die Dünen, welche sich von der Nordseite zu ziemlich hohen Bergen aufthürmen, so wie den Sparen, der durch die Stadt aus dem Harlemer Meer ins Y sich ergiesst, und die ganze grosse Stadt mit ihren fein durchbrochenen, schön und künstlich bekrönten Thürmen. In dem Museum selbst, welches jetzt unter van Marum's Direktion steht, fanden wir die ungeheure Batterie der grossen Elektrisirmaschine, wovon die Beschreibung mit den gemachten Versuchen allein schon einige Bände füllt. Eine Menge vortrefflicher physikalischer, optischer und mechanischer Instrumente, eine auserlesene und wohlgeordnete Stufensammlung, das Modell vom Montblanc und die Versteinerungen aus dem Petersberge bey Mastricht, die dem Geologen so viele Räthsel zu lösen geben, vermehren die Schönheit und Merkwürdigkeit dieses in der äussern Anlage aufs geschmackvollste verzierten Museums.
Unser Freund van Varelen, in dessen Hause am Sparen ich hier die grossen Schiffe vor dem Fenster durch die geöffneten Zugbrücken ins Meer auslaufen sahe, erschöpft sich in Versuchen, uns den Aufenthalt in Harlem so angenehm, als möglich zu machen. Gestern früh besuchten wir mit ihm die lieblichen Gärtchen oder Tuins, womit die Vorstädte besetzt sind. Rosen und Hyazinthen der schönsten Art, wie sie in Holland gezogen und zu tausenden nach England, Russland, Teutschland und Italien versendet werden, blühen hier im Zimmer und fesseln das Auge durch ihre unbeschreibliche Schönheit. Wir machen Bekanntschaft des jungen, artigen, feinen Gärtners Schneevogt, der uns in seine Treibhäuser führt und uns das Prachtwerk von Andrew über die Haiden zum Beschauen vorlegt. Aus den Gärten gehen wir ins Harlemer Hout, ein schönes Rosenthal, welches mit dem berühmten Bos im Haag um den Prei der Anmuth wetteifert. Hopens prachtvolles Landhaus]] prunkt am Eingange des schattenreichen Waldes. Mögen immerhin die Mängel der Architektur das Auge des Kenners beunruhigen, das Gebäude macht dessen ungeachtet einen glänzenden Effekt, und dient dem weitläufigen, mit vielen geraden und gekrümmten Alleen durchschnittenen Gehölze, welches von allen Seiten mit gefälligen Landhäusern besetzt ist, zur schönsten Einfassung. Auf unserm Rückwege in die Stadt besuchten wir das Altemännerhaus -- eine von den vielen wohlthätigen Anstalten in Holland, die zur Pflege des Alters und Versorgung der Dürftigkeit gestiftet worden sind, und unter der Aufsicht unsers Freundes stehen, der deshalb hier den gebräuchlichen Namen eines Regenten führt. Wir sahen die zufriednen Alten an ihrer langen Tafel speisen, wir besuchten ihre Tabacks- und ihre Spielzimmer, ihre wöhnlichen Stuben, ihre Werksäle, ihre Gärten, und die grossen Säle der männlichen und weiblichen Direktoren, worin einige gute Gemälde aufgestellt waren.
Den schönen Nachmittag fuhren wir im Wagen durchs Harlemer Holz an die Dünen, oder zu den Sandhügeln, die vom Anschwemmen der See zur Schutzwehr gegen das eindringende Element gebildet worden sind. Welche sonderbare Welt! Ein Sandhügel über den andern, einer immer höher, als der andere, und keiner so hervorragend, dass er eine freye Aussicht über das ganze Gebirgele verstattete. Nicht einmal die Nordsee konnten wir vom scheinbar höchsten Gipfel erschauen. Aber einzig war der Anblick, ein ganzes Meer von wellenförmigen Sandhügeln, die sich über einander aufthürmten, mit dürftigem Riedgras bewachsen, unabsehlich vor uns und rings um uns her liegen zu sehen, und mitten in dieser Sierra Leone eine kleine Anpflanzung von Menschen, Bäumen, Feldern und Gärten zu erblicken, die auf Subscription einer Gesellschaft zu Harlem seit kurzem entstanden ist, zur Bestätigung der Vermuthung, dass ein Land, welches bisher bloss aus Wasser und Wiesen und Kaninchenhügeln bestand, des Anbaues mannigfaltiger Früchte und Bäume wohl fähig seyn werde, wenn es nur an Lust und Einsicht nicht gebricht, eine solche bisher noch unerhörte Unternehmung zu wagen. Wenn auch die gegenwärtigen Anbauer der Dünen den Nutzen ihres Eifers nicht gewahren, und die Früchte ihres Fleisses und ihrer Aufopferungen nicht einernten sollten: so ward doch dereinst das mit Korn und Früchten mancherley Art bereicherte Vaterland, welches jetzt seine ganze Nahrung an Feldfrüchten sich vom Auslande borgen muss, dankbar ihre Namen nennen, und den segensvollen Ertrag ihrer Bemühungen freudig geniessen.
Quellen.[]
- ↑ Geographisch- Historisch- Statistisches Zeitungs-Lexikon von Wolfgang Jäger, Professor zu Altdorf. Nürnberg, bey Ernst Christoph Grattenauer 1805.
- ↑ Conversations-Lexicon oder encyclopädisches Handwörterbuch für gebildete Stände. Stuttgart bei A. F. Macklot. 1816.
- ↑ Fell's Reise durch die Batavische Republik Aus dem Englischen übersetzt, und mit Anmerkungen begleitet von D. Karl Murhard. Leipzig, bei C. H. Reclam. 1805.
- ↑ Dr. Johann Friedrich Droysen's Bemerkungen gesammelt auf einer Reise durch Holland und einen Theil Frankreichs im Sommer 1801. Göttingen bey Heinrich Dieterich. 1802.
- ↑ Reise nach Frankreich, England und Holland zu Anfange des Jahres 1803 gemacht und beschrieben von C. G. Horstig. Berlin, bei Friedrich Maurer 1806.