Von Bastille bis Waterloo. Wiki
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Das Gouvernement Livland.[]

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Das Gouvernement Livland (vormals nach seiner Hauptstadt Riga benannt) begreift das vormalige Herzogthum Livland (gewöhnlich Liefland), das diesen Namen von seinen alten Bewohnern, den Liwen oder Liven trägt, ein finnisches Volk, das jetzt nicht mehr zahlreich ist. Im 12ten Jahrhundert ließen sich viele Teutsche hier nieder; zu Ende desselben bemächtigte sich König Kanut VI. von Dänemark dieses Landes, das im 14ten Jahrhundert nebst Esthland, mit welchem es immer gleiches Schicksal hatte, an den Orden der Kreuzherren abgetreten wurde. Im 16ten Jahrhunderte wurde es ein teutsches Reichsfürstenthum, auch wurde die protestantische Religion eingeführt; bald nachher wurde dieses Land, nachdem die Russen es an dich zu ziehen getrachtet hatten, mit Polen vereinigt. Von dieser Zeit ward dieses Land Ursache eines beinahe hundertjährigen Kriegs zwischen Rußland, Polen und Schweden. Im Frieden von Oliva (im Jahr 1660) wurde Livland mit Esthland von Polen an Schweden abgetreten; aber als sich Kaiser Peter der Große dieses Landes zu Anfange des vorigen Jahrhunderts bemeistert hatte, so mußte Schweden dasselbe vermöge des nystädtischen Friedens (vom Jahre 1721) für 2 Millionen Rthlr. an Rußland abtreten, bei welchem es auch bisher geblieben ist. -- Dieses jetzige russische Gouvernement liegt an der Ostsee, welche hier den ziemlich großen Rigaischen oder Rigischen Meerbusen bildet, und zwischen den Gouvernements Livland, St. Petersburg, Pskow, Polozk und Kurland. Der Flächenraum beträgt 938 Q.Meilen, und die Volksmenge beläuft sich (nach der neuesten Zählung) auf 542,446 Seelen. Das Klima ist gemäßigt und gesund, doch ziemlich feucht. -- Das Land ist flach, ohne Berge, nur hügelig mit sanften Anhöhen und einigen hohen Ufern. -- Die vorzüglichsten Gewässer sind die Düna, die sich hier ins Meer ergießt, mit der Bulleraa, die Küstenflüßchen Aa und Salis, ferner Pernau; der Embach, der den See Würzjerwa mit dem Peipus-See verbindet u. a. m. Man zählt überhaupt der Flüsse und Bäche ungefähr 800 und der Landseen über 1120; von diesen sind, außer dem Peipus-See, von welchem nur der westliche Theil hieher gehört, die beträchtlichsten: der 4 1/2 Meilen lange und gegen 2 Meilen breite Würzjerwa, welcher durch den kleinen Fluß Fellin mit dem Rigischen Meerbusen, so wie durch den Embach mit dem Peipus-See in Verbindung steht. Der See Burtek ist über 2 Meilen lang und 1 1/2 Meilen breit. Die übrigen Seen sind unbedeutend. Ueberhaupt ist das Land sehr wasserreich. Die niedrigsten Flächen werden von Morästen, Brüchen, Mooren, Sümpfen und Seen eingenommen und haben Morasterde; auch Sumpfeisenstein. Das Ganze zeigt deutliche Spuren von ehemaligem Meeresgrunde. -- Der Boden besteht aus verschiedenen Mischungen von Lehm und Sand, und ist im Ganzen genommen, fruchtbar, besonders an Getraide, Flachs, Hanf, Holz, aber nicht an hinreichendem Obste; die Viehzucht ist ziemlich beträchtlich, doch könnte sie es noch weit mehr seyn; die Bienenzucht ist ziemlich stark; Wild giebt es in Menge, Fische aber kaum für den eigenen Bedarf. -- Die Mineralien sind ziemlich unbedeutend. -- Die Einwohuer sind vorzüglich Esthen und Letten, welche zusammen über 9 Zehntheile der ganzen Volksmenge ausmachen, und mit welchen sich auch die alten Liven so sehr verschmolzen haben, daß nur ein kleiner Rest unvermischt von diesem Volke übrig ist, welcher am Flüßchen Salis im Wendenschen Kreise wohnt. Diese Esthen, Letten und Liven sind alle Leineigene des Adels. Außer diesen wohnen hier, als freie Leute, doch in geringer Zahl: Russen, Teutsche, auch (besonders auf den Inseln) Schweden und Dänen. -- Die Letten, welche zwar ursprünglich zum slawischen Volksstamme gehörten, aber sich schon frühe mit den Finnen vermischten, haben mit den Esthen und Liven ungefähr einerlei Sitten. -- Ackerbau und Viehzucht sind die Hauptbeschäftigungen der Einwohner. Mit Kunstgewerben, außer Branntweinbrennerei und Leinweberei, geben sie sich wenig ab; die Fabriken sind auch nicht zahlreich und nicht besonders wichtig. Der Handel ist jedoch ansehnlich, besonders der Transitohandel. Der wichtigste Ausfuhrartikel ist Branntwein; außerdem werden auch noch andere Landesprodukte, Pferde, Mastvieh, Butter, Flachs, Hand, Leinwand, Gyps und dergl. doch nicht in großer Menge ausgeführt. Uebrigens hat das Land, außer Salz und Eisen, alle nothwendigsten Lebensbedürfnisse selbst.

Dieses Gouvernement, das viele Vorrechte besitzt, ist statt der vormaligen 9, jetzt in folgende 5 Kreise zertheilt: Riga, Wenden, Dorpat, Pernau und Arensburg oder Oesel. Die Kreise von Wolmar, Walk, Werrö und Fellin sind eingegangen und den übrigen Kreisen zugetheilt worden.

Bemerkenswerthe Ortschaften sind:

1) Riga (lettisch: Righo, esthnisch: Riolin), die alte, um das Jahr 1200 erbaute Hauptstadt des Herzogthums und des jetzigen Gouvernements Livland, liegt unter 41* 40' 30" d. L. 56* 56' 20" N. Br., am rechten Ufer der Düna, über welche eine Schiffsbrücke führt, 2 Meilen oberhalb dem Eintritte dieses Flusses in den rigischen Meerbusen, gegen 80 Meilen von St. Petersburg, ist befestigt, hat einen Haven, eine Citadelle, 8 griechische, 6 teutsch-lutherische, 1 reformirte, 1 katholische Kirche, 131 Speicher, 4 Gefängnisse, 389 Kaufmannsgewölbe und Krambuden, 407 Schenken, 20 Brauereien, und außer den übrigen öffentlichen Gebäuden 1236 Wohnhäuser, worunter ungefähr 800 steinerne, und ohne die Garnison ungefähr 30,000 Einwohner. Die Stadt ist ansehnlich und hat viele schöne und prächtige Gebäude. Innerhalb der Stadtmauern sind alle Häuser von Backstein, nur in den Vorstädten müssen sie von Holz erbaut werden, damit man sie, im Falle einer Belagerung, desto schneller wegschaffen kann. Unter den Gebäuden der Stadt zeichnen sich besonders aus: Das prächtige Rathhaus mit seinem zierlichen Thurme; der kaiserliche Pallast, worin die Statthalterschaftsgerichte ihren Sitz haben; das alte Schloß, die Residenz des General-Gouverneurs; das große, prächtige Ritterhaus der livländischen Ritterschaft, der hohe und schöne Thurm der St. Petri-Kirche u. s. w. Es sind hier 14 Schulen, darunter 2 Gymnasien, nämlich das Lyceum und die Domschule; ferner ist hier ein von den Freimaurern gestiftetes Erziehungs-Institut, ein See-Hospital, ein Waisenhaus, nebst mehreren anderen wohlthätigen Anstalten, eine Stadtbibliothek, ein Schauspiel- und Redoutenhaus, ein Museum, eine literarisch-patriotische Bürger-Gesellschaft (seit 1803) u. s. w. Die Einwohner sind großen Theils Teusche oder teutsche Abkömmlinge; es herrscht viel Reichthum, guter Ton und seine Lebensart unter denselben. -- Außer den gewöhnlichen Kunstgewerben und Handwerken findet man hier eine Zuckersiederei, eine Puder- und Stärkefabrik, ein Gießhaus, eine Spielkarten-, eine Spiegelfabrik, eine kleine Strumpfmanufaktur, zwei Buchdruckereien, mit Schriftgießereien, und zwei Buchhandlungen. (In dem Kreise sind noch 2 Papiermühlen, eine Puder- und Stärkefabrik, eine Nägelfabrik, 2 Kupferhämmer, 2 Glashütten und 7 Sägemühlen.) -- Besonders lebhaft und wichtig ist aber der hiesige See- und Landhandel, der zum Theil auch im Transito- und Kommissions-Handel besteht. Der Aus- und Einfuhrhandel belief sich in den neuesten Zeiten jährlich auf ungefähr 16 Millionen Rubel. Die Haupt-Ausfuhr-Artikel sind die bekannten russischen Produkte. In den hiesigen Haven, den man vergebens zu vergrößern und zu verbessern gesucht hat, laufen jährlich 600 bis 1000 größere und kleinere Schiffe ein. -- Jährlich werden hier zwei ziemlich stark besuchte Jahrmärkte gehalten. -- Die Gegend um die Stadt ist angenehm, und hat schöne Gärten, Lusthäuser und Spaziergänge.

2) Dünamünde, kleine Festung auf einem Inselchen in der Mündung der Düna, mit Kasematten, die ehemals zu Staatsgefängnissen dienten.

3) Schlook, geringes Städtchen, das vormals zu Kurland gehörte.

4) Wolmar, kleine bemauerte Stadt (vormalige Kreisstadt) an der Aa, mit 125 Häusern, 1 Kirche und 800 Einwohnern, welche meist Stadtgewerbe und Produktenhandel treiben.

5) Lemsal, Flecken mit 75 Häusern, 1 Kirche und 564 Einwohnern, welche zum Theil Kram- und Produktenhandel treiben; auch ist hier eine Lederfabrik.

6) Wenden (lettisch: Zesis), kleine, im Jahre 1224 erbaute Kreisstadt an der Aa, mit 129 Wohnhäusern, einer Kirche und 1275 Einwohnern, welche ländliche und städtische Gewerbe, Kram- und Produktenhandel treiben. -- Bei derselben liegt das adeliche Schloß und Gut Wenden. -- In der Nähe sind 2 Glashütten.

7) Walk, kleine vormalige Kreisstadt am Embach, mit 66 Häusern, 1 Kirche und 736 Einwohnern, welche zum Theil Stadtgewerbe und Handel treiben.

8) Dorpat oder Dörpt, (lettisch: Tart-Lin) Kreisstadt am großen Embach, nächst Riga die größte Stadt dieses Landes, im Jahre 1030, und seit dem letzten Brande zum Theil neu und schön erbaut, hat (seit 1804) wieder eine Universität, (seit 1798) eine Fräuleinstift, 534 Häuser, worunter 76 steinerne, 1 griechische, 1 lutherische Kirche und über 3600 Einwohner, welche zum Theil sehr beträchtlichen Landhandel treiben; es wird ein großer Jahrmarkt gehalten; auch ist hier eine Buchdruckerei.

9) Werro, kleine, im Jahr 1784 erbaute, vormalige Kreisstadt, am gleichnamigen See, mit 44 Häusern, 1 griechischen, 1 lutherischen Kirche und 408 Einwohnern, welche theils Stadt-, theils Landgewerbe treiben.

10) Pernau (esthnisch: Perna-Lin, d. h. Lindenstadt, lettisch: Pernawa) an dem Einflusse des Pernau in den Rigischen Busen, im Jahre 1255 erbaute Kreisstadt, mit einem kleinen Haven und festem Schlosse, hat 507 Häuser, worunter 52 steinerne, 11 Speicher, 2 griechische und 2 lutherische Kirchen und 2200 Einwohner, welche See- und Transitohandel treiben, der sich oft auf mehr als eine Million Rubel jährlich beläuft. Es laufen hier jährlich 50 bis 75 Schiffe ein. Außer einigen Gärbereien in der Stadt ist bei derselben auch eine Ziegelbrennerei und in der Nähe sind mehrere Sägmühlen.

11) Fellin (esthnisch: Wilianda-Lin), kleine vormalige Kreisstadt am gleichnamigen Flüßchen, mit 88 Häusern, 1 Kirche und 660 Einwohnern, welche theils Land-, theils Stadtgewerbe treiben. -- In dem Kirchspiele Oberpahlen, mit einem Schlosse, ist eine Glas- und Spiegelfabrik, eine kleine Porzellanfabrik und eine Druckerei. -- In der Gegend ist auch ein Kupferhammer.

12) Arensburg, auf der Insel Oesel an einer Bucht am Rigischen Busen, Kreisstadt mit 9 öffentlichen, 185 Privathäusern, 1 griechische, 1 lutherischen Kirche und 1400 Einwohnern, welche Handwerke und ziemlichen Handel treiben; es legen hier jährlich oft bis 30 Schiffe an.

Außer der Insel Oesel, welche vor dem Rigischen Meerbusen liegt, 15 Meilen lang ist, einen Flächenraum von etwa 110 Q.Meilen und über 31,000 Einwohner hat, auch fruchtbar und reich an Fischen ist -- gehören noch die kleineren bewohnten Inseln Möon und Runö zu dem Arensburgischen Kreise.


Zeitungsnachrichten.[]

1812.[]

St. Petersburg, den 22sten Juny. [2]

Dem stellvertretenden Kriegsgouverneur zu Riga, Generallieutenant Essen 1., ist Allerhöchst befohlen, auch die Leitung des Civilfaches in den Gouvernements Livland und Kurland zu übernehmen.


Quellen.[]

  1. Neueste Länder- und Völkerkunde. Ein geographisches Lesebuch für alle Stände. Dritter Band. Europäisches und Asiatisches Rußland. 1808.
  2. Allgemeine deutsche Zeitung für Rußland. No. 163. Montag, den 8. July 1812.
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