Von Bastille bis Waterloo. Wiki
Advertisement

Das Gouvernement Kurland.[]

[1]
Dieses neue Gouvernement begreift das vormalige Herzogthum Kurland und Semgallen, nebst dem Stifte Pilten, das seit dem Jahre 1561 seinen eigenen Herzog hatte, der aber dasselbe von Polen zu Lehen trug. Der letzte Herzog von Kurland trat im Jahre 1795 nach der gänzlichen Auflösung der vormaligen Republik Polen, sein Land und alle seine Gerechtsame an Rußland ab, und somit ward dann dieses ehemalige Herzogthum in ein russisches Gouvernement verwandelt. -- Es liegt westwärts von dem Rigischen Meerbusen, an der Ostsee, welche hier den Meerbusen, den Kurischen Haff bildet, und zwischen den russischen Statthalterschaften Livland, Polozk, Minsk und Wilna, und hat einen Flächenraum von 482 Q.Meilen, auf welchen (nach der neuesten Zählung) 418,162 Menschen leben. Es wird zum mittleren oder gemäßigten Landstriche von Rußland gerechnet. Das Klima ist hier schon ziemlich rauh, doch ist die Witterung ziemlich gleich, wiewohl im Sommer oft regnerisch. Das ganze Land ist flach und hat nur Landrücken, strichweise hohe Flußufer und einzelne Hügel, von welchen die ansehnlichsten hier Berge genannt werden; der höchste derselben ist der Hüningberg. -- An Bewässerung fehlt es nicht. Die vorzüglichsten Flüsse sind, außer Düna, auf der Ostgränze die Küstenflüsse: Aa (lettisch: Lella-Uppe), welche aus der Vereinigung der Flüßchen Memel und Muß entsteht, und bei ihrem Einflusse in den Busen der Düna, den Namen Bolder-Aa erhält; die Windau (lettisch: Wente), die aus Litthauen kömmt; die Libau; die heilige Aa; die Anger und Erba, beide letztere sind die Abflüsse zweier gleichnamiger großer Landseen, außer welchen noch der Libausche See, der Papensee und mehrere kleinere zu bemerken. -- Der Boden ist im Durchschnitte genommen, fruchtbar, doch an den Küsten sandig und in einigen Gegenden sumpfig. Er bringt Getraide in reicher Menge, auch viel Hanf, Flachs, Wieswachs und Holz hervor. Die Viehzucht ist nicht so beträchtlich, als der Ackerbau; es werden auch Bienen, doch nicht in großer Menge gezogen. Es fehlt auch nicht an Wild und Fischen. Von Mineralien giebt es hier vorzüglich Kalkstein, Gyps, Torf und Eisen. Bernstein findet man an der Küste des Meers, auch giebt es Sauerquellen. -- Die Einwohner sind theils Letten oder Kuren, ein Nebenzweig der Letten, theils Liven, theils Teutsche und Polen und auch eine Anzahl Juden. -- Der Adel, der hier große Vorrechte hat, ist meistens von teutscher Abkunft, so wie auch beinahe alle Bürger der Städte; daher ist hier die teutsche Sprache die herrschende; nur ein kleiner Theil des Adels und nur wenig einzelne Bürgerfamilien bestehen aus Polen. Die Bauern sind im strengsten Sinne leibeigen und bestehen größten Theil aus Letten oder lettischen Kuren, welche lettisch sprechen, nicht ohne Anlagen, aber bei dem Drucke, unter welchem sie leben, arm, unwissend, gleichgültig, gefühllos, träge unreinlich und menschenfeindlich sind. Nur wenig Liven wohnen in der Gegend um Windau. Die herrschende Religion war bisher die lutherische; jetzt ist aber beinahe die Hälfte der Einwohner katholisch. -- Ackerbau und Viehzucht sind hier die Hauptgewerbe. Die Landes-Industrie ist, die gewöhnlichen Handwerke ausgenommen, gering, und außer den Branntweinbrennereien giebt es kaum ein Paar eigentliche Fabriken. Schiffahrt und Handel sind nicht von großer Bedeutung. Die vorzüglichsten Ausfuhr Artikel sind: Getraide, nämlich Roggen, Gerste und Waizen, Flachs, Hanf, und Hanfsaamen, Tabak, Butter, Rinderhäute, Kalb-, Bock- und Ziegenfalle, gesalzene Fleisch, Wachs und Balken.

Das Gouvernement Kurland war bei seiner ersten Einrichtung unter der Kaiserin Katharina in 9 Kreise abgetheilt worden; jetzt ist es aber wieder wie vormals (mit Wiederherstellung eines Theils seiner alten Verfassung) in folgende 4 Oberhauptmannschaften (deren jede zwei Hauptmannschaften enthält) eingetheilt, nämlich Mietau und Seelburg in Semgallen und Goldingen und Tukun in dem eigentlichen Kurland.

Die bemerkenswerthen Ortschaften sind:

1) Mietau (lettisch: Jelgawa), vormalige Haupt- und Residenzstadt von Kurland, jetzt Hauptstadt dieses Gouvernements, unter 40* 54' L. und 56* 39' N. Br. an der Aa, 4 Meilen oberhalb der Mündung derselben, 86 Meilen von St. Petersburg; sie hat außer der Schloßkirche, 1 teutschlutherische, 1 lettische, 1 reformirte, 1 katholische, 1 griechische und außerhalb der Stadt 1 lutherische und 1 Armen-Elendkirche, ein akademisches Gymnasium mit einer Sternwarte und Bibliothek und (im J. 1795) 12350 Einwohner, worunter 5120 Teutsche, 3546 Letten, 243 Russen und 1200 Juden. -- Die Stadt ist nicht schön; die meisten Häuser sind von Fachwerk, einige von Blockwerk und nur wenige von Stein erbaut; auch sind viele Gärten in der Stadt. Neben der Stadt ist das prächtige Residenzschloß der vormaligen Herzoge von Kurland. -- Die Einwohner nähren sich von allerlei Stadtgewerben, deren Lebhaftigkeit durch den Sitz der oberen Gewalten und Gerichtshöfe des Gouvernements, durch die Landtage, die der Adel hier hält, und durch die hier durchgehende Heerstraße von Königsberg nach St. Petersburg vermehrt wird. Der Handel könnte jedoch weit bedeutender seyn, da die Lage der Stadt auch den Seehandel begünstigt, indem kleine Schiffe aus dem Meere auf der Aa bis hierher kommen können. -- In der Nähe der Stadt sind die Lustörter: Ruchenthal und Friedrichslust. -- Bei dem Dorfe Baldanen sind Mineralquellen.

Bauske, vormalige Kreisstadt, geringer Ort von 150 Häusern, 1 lutherischen Kirche und 1 katholischen Bethause, an der Muß und Memel, die sich hier in die Aa vereinigen.

2) Seelburg (lettisch: Schaspils), Städtchen oder Flecken mit einem Schlosse am linken Ufer der Düna, Hauptort einer Oberhauptmannschaft, zu welcher auch folgende Orte gehören:

Friedrichsstadt (lettisch: Janna-Riga), vormalige Kreisstadt, geringer Ort am linken Ufer der Düna.

Jakobsstadt, auch am linken Ufer der Düna, vormalige Kreisstadt, geringer Ort mit 1 griechischen und 1 katholischen Kirche. -- In dieser Gegend sind viele von den bekannten Bärenführern zu Hause, die mit ihren Tanzbären in der halben Welt herumziehen.

3) Tukun, geringe Stadt, 7½ Meilen von Mietau, Hauptort einer Oberhauptmannschaft. -- In der Gegend sind Sauerquellen.

4) Goldingen (lettisch: Kuldiga), kleine, alte Stadt an der Rummel und Windau, mit ungefähr 1000 Einwohnern, welche besonders einträglische Fischerei treiben. -- In der Nähe ist ein Kupferhammer.

Zu dieser Oberhauptmannschaft gehören ferner:

Windau (lettisch: Wente), Städtchen (vormals Kreisstadt) an dem Einflusse der Windau in die Ostsee, hat meist hölzerne, von Blockwerk erbaute Häuser und 900 Einwohner, welche ziemlichen Handel treiben. Auf der hiesigen Rhede legen jährlich 50 bis 100 Schiffe an.

Hasenpoth, Städtchen mit einem alten Schlosse, an dem Flüßchen Febber, vormalige Kreisstadt, ist meist von Juden bewohnt.

Libau (lettisch: Lepeja), vormalige Kreisstadt an dem Einflusse der Libau in die Ostsee, mit einem in den neuesten Zeiten sehr verbesserten Haven, 456 Wohnhäusern und 5000 Einwohnern, welche ziemlich beträchtlichen Handel treiben, der seit einigen Jahren in dieser ersten Seestadt Kurlands immer blühender wird; denn vormals liefen hier jährlich nur 100 bis 150 Schiffe in den hiesigen Haven ein; jetzt beläuft sich ihre Zahl auf 400 und drüber.

Pilten, Städtchen, Hauptort des gleichnamigen Stiftes, das noch sein eigenes Landrechts-Kollegium hat; und vormals auch eines Kreises.


Zeitungsnachrichten.[]

[1812]

[2]
St. Petersburg, den 22sten Juny.

Dem stellvertretenden Kriegsgouverneur zu Riga, Generallieutenant Essen 1., ist Allerhöchst befohlen, auch die Leitung des Civilfaches in den Gouvernements Livland und Kurland zu übernehmen.


Quellen.[]

  1. Neueste Länder- und Völkerkunde. Ein geographisches Lesebuch für alle Stände. Dritter Band. Europäisches und Asiatisches Rußland. 1808.
  2. Allgemeine deutsche Zeitung für Rußland. No. 163. Montag, den 8. July 1812.
Advertisement