Von Bastille bis Waterloo. Wiki
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Neopolem


[ Portentis Saculi Sacrum. ]

Zeitungsnachrichten.[]

1790.[]

Oberrhein vom 10ten dieses [1]

Es wird stark vom Krieg gesprochen. Man läßt eine Reichsarmee marschieren; man läßt die Feldequipage des Königs von Preusen zu Recht machen; man stellt 70 tausend Preusen gegen Rußland; man läßt 30 tausend Preusen nach Pohlen marschieren; man vereinigt eine Armee von Holländern, Hannoveranern und Preusen am Niederrhein; man läßt die Russen von Preusen, von Pohlen, von Schweden und von einer englischen Flotte angreifen, man lagert zwey preusische Armeen, eine in Schlesien, und die andere in Sachsen; man läßt die Reichsfürsten über wichtige Angelegenheiten sich berathschlagen; von allen Seiten posaunet die Zeitungsfama die Ankunft des Mars aus. Und was sollen wir dazu sagen? -- Uns aufs Ohr legen, und schlafen; bis uns der Engel des Friedens mit dem Oehlzweig hinter die Ohren schlägt, und aufweckt. Guten Tag! lieber Engel! bis du einmal da? wir haben so lange auf dich gewartet.

Wien vom 22sten dieses. [2]

Der Krieg ist also unvermeidlich, und was für ein Krieg? -- ganz Europa wird kriegen. Was für Verhältniß ist zwischen den Kriegsführenden Mächten? -- Einen Blick darauf!

Die Türken, die Preusen, die Engländer, die Holländer, die Schweden, die Pohlen, die Sachsen stehen -- auf einer Seite; dazu kommen vermuthlich auch die Brabänter als Appendir.

Die Oesterreicher, die Russen, -- sind allein. Aber werden nicht Frankreich, Spanien, Sardinien, Dänemark, und vielleicht auch eine Reichsarmee dazu bei politischen Haaren gezogen? was werden die undankbaren Venezianer machen, wegen welchen Haus Oesterreich der Krieg, wodurch der Karlowitzer Frieden entstanden, geführt hat?

Preusen hat eine ausgeruhete, mit Friedrichs-Lorbern gekrönte Armee. -- Oesterreich und Rußland haben eine Armee, die gerade aus dem Kriegstheater auf eine andere Bühne auftritt.

Preusen hat Geld, und ersparte Schätze. -- Rußland und Oesterreich scheinen sich verblutet zu haben. Aber hat Maria Theresia nicht siegen Jahre hindurch Krieg geführt da sie doch anfangs des Kriegs kaum 5 Millionen im Schatze hatte?

Preusen hat noch alte Generäle, wobei Herzog von Braunschweig und Möllendorf am nächsten an dem Throne des Mars stehen. Aber wohin wird man einen Laudon, einen Koburg und einen Hohenlohe hinstellen? werden sie nicht um den Vorzug bei diesem Throne streiten? und wird nicht ein Potemkin mit Wuth anlaufen, und den ganzen Hof in Verwirrung stürzen?

Preusen hat 200,000; Schweden 40,000; Pohlen 60,000; Holland 36,000; Brabant und Lüttich 20,000; England mit Hanover 60,000; Sachsen 40,000; die Türken 300,000; die aber nur 30,000 werth sind, Soldaten. O welche Macht! also im ganzen, den innerlichen militairischen Werth der Türken abgerechnet -- 4,80000. Dagegen hat Oesterreich 350,000; Rußland 300,000 Mann. Also im ganzen 650,000 Mann. Nun kommt darauf an, was die Reichsarmee, was vielleicht Spanien, Frankreich, Sardinien, Dänemark dazu beitragen werden. Weil aber die Türkische Armee in ihrem innerlichen Werth statt 300,000 nur 30,000 Mann gerechnet ist worden, so muß man voraussetzen. daß die Freunde der beiden Kayserhöfe wenigstens 100,000 Mann zusammen ausmachen; folglich können sie gegen den Werth der türkischen Mannschaft, wenn sie vielleicht an Ordnung und Kriegskunst zunimmt, aufgestellt werden. -- Dies zeigt, daß der Krieg mit ziemlichem Verhältniß unternommen wird. Unterdessen aber rechnen die Preusen, wie billig nach alten Chronologen ihre Armee um ein Drittel stärker in der Kriegskunst; folglich kann man die Preusische Armee nach ihrem innerlichen Werth statt 200,000 für 300,000 Mann annehmen. -- Aber wenn man den Koburg nach seinen innerlichen, bei Martinistie abgewogenen Werth gegen die Türken abwiegt, so findt sichs, daß er fast 80,000 Mann mit seines Geistes Gegenwart ersetzen kann. -- Freilich ersetzt der Herzog von Braunschweig auch viel. Aber was wird der alte Laudon ersetzen? -- Noch mehr: war ist es, daß der Geist des grosen Friedrichs in der preusischen Armee noch 40,000 Mann gelte; er schwebt noch über seine Heere. Allein wer weis, was für ein Geist in die andere gegenseitige Armee einbaucht? -- Der Krieg wird es entscheiden.

Preusen zwischen Oesterreich und Rußland, wie geographisch eingeschaltet, dringt sich hin und her, um die Vergröserung der beiden Kayserhöfe zu hindern. -- Dies ist eine Nothwehr. Aber die nemliche Nothwehr muß Frankreich gegen die Seite Brabants fühlen, damit England verenigt mit Holland, und Preusen sich nicht eine Brücke über Brabant nach Frankreich erbaue.

--nein, es ist eine Nachricht, die ich aus

Italien am 4ten Januar [3]

erhalten. Ein groser Monarch, der Philosoph und Menschenfreund ist, heißt es darinne, wird bald auf einem hohen Throne glänzen. Er ist mit vielen Höfen in genauer Verbindung, und war bei seiner ruhigen Regierung darauf bedacht, die Menschen unter einer gleichförmigen Religionsgesinnung zusammen zu binden. Sein Hauptzweck zielt dahin, die Protestanten mit den Katolicken zu vereinigen; ihnen einige theologische Worte zu entziehen, und sie hernach unter dem Namen Christen zu vereinigen. Es sollen mehre Europäische Höfe mit ihm einverstanden seyn. Er glaubt zu diesem glücklichen Vorhaben leicht zu gelangen, wenn er nur die theologische Wuth einschränkt, und die Geistlichkeit gar nicht darzu braucht. Es wird vielleicht ein Jahr daueren, ehe dieses grose Werk bekannt gemacht wird; aber gewiß ist es, daß viele gekrönte Häupter darauf einstimmig abzielen. Da bekommt Europa eine ganz andere Gestalt; es wird eine Familie -- von Christen, -- die nur nach der Geographie, aber nicht nach den religiösen Meynungen getheilt sind.

Aber es wird Krieg! -- Sowohl im Oesterreichischen, wie auch im Preusischen werden schröckliche Zurüstungen gemacht. Man hört überall von Truppenmärschen, und die meisten Regimenter ziehen auf die Grenze von Pohlen. Die Preusen sollen gegen Warschau marschieren; der Russische Gesandte soll diese Stadt plötzlich verlassen haben. Aber andere Briefe aus

Wien vom 26sten Januar

lauten ganz anders. Der Marsch unserer Truppen, heißt es darinne, gegen Pohlen, und Mähren bedeutet nichts anderes als einen Vergleich zwischen Preusen und unserem Hofe. Die politischen Wiesel raunen sich folgenden Plan ins Ohr. Man wird die Pohlen zwingen, ihre Krone dem zweyten preusischen Prinzen aufzusetzen, der hernach eine Erzherzogin von Florenz zur Gemahlin nehmen wird. Joseph giebt seine Niederlande an Preusen, und Friedrich Wilhelm giebt an Oesterreich -- Schlesien. Ueber dies wird sich Preusen mit einem Theil von Pohlen noch verrunden. Ei, ei! aus welchem politischen Kamin fliegt solcher Rauch auf? -- Ich weis es nicht. Eingeweyhte in der Politik erzählen sichs im Vertrauen.

Vom 27sten. -- Man zweifelt hier gar nicht an der Theilung von Pohlen. Die Zurüstungen in Böhmen sind ein Mantel, der alle politische Zukunft bedecken soll.

[Februar]

Frankreich vom 15ten dieses. [4]

Es wird hier in guten Häusern öffentlich erzählt daß ein geheimer Sekretair eines Nordischen Monarchen seinem Herrn untreu ist worden, und daß er sich nach Petersburg geflüchtet. Dieser Mensch soll das ganze Geheimniß, welches England, Schweden, Holland xc. auf die zwey Kayserlichen Höfe und auf Frankreich vorhatten, dem Russischen Kabinet entdeckt haben. Der Hof zu Petersburg hat die ganze Entwickelung mit allen Umständen nach Frankreich und nach Wien geschickt. -- Daher sollen die Zurüstungen in Böhmen, Mähren und Gallizien erfolgt seyn; -- daher die Bewegung des französischen Kabinets in Rücksicht auf die Kayserlichen Niederlande; daher die von Frankreich gethane Erklärung zu Brüssel: daß nemlich die französische Nation es niemals zulassen werde, daß eine fremde Macht Truppen nach den Niederlanden schicke.

Die Nationalversammlung sagt nun gerade, wie es französische öffentliche Blätter melden, daß die Niederländer nicht in dem nemlichen Falle sind, wie Frankreich. Daß die französische Nation verschuldet war; daß habsichtige Ministers das Land ruinirt hätten; daß aber die Niederländer solche Vorwürfe weder dem Kayser weder seinen Ministers machen könnten; daß also in Frankreich die Revolution keine Rebellion genannt kann werden, wohl aber in den Kayserlichen Niederlanden.

Die Nationalversammlung hat auch dem König sein ganzes Recht Allianzen zu schliessen, Krieg zu deklariren und andere damit verbundene Rechte zugestanden.

Diese Vorkehrungen werden gewiß viele Höfe von der Ausführung ihrer Absichten hemmen, und dies läßt muthmassen, daß es zu keinem Krieg kommen werde, besonders wenn man bedenkt, daß Spanien, Portugal, Sardinien, und Neapel die niederländischen Einliespelungen mit staunenden Augen ansehen, und mit dem Grosherzog von Toskana, wie man für zuverlässig meldet, einen Bund deswegen eingegangen, der noch viele andere Höfe miteinbinden wird.

Deutschland vom 26sten dieses. [5]

Also noch keine Unterhandlung wegen der Wahl eines Kaysers? -- nein, keine, bei keinem Hofe. Sollen deswegen keine Unruhen entstehen? nein, ein gewisser Hof hat für alles gesorgt. Der Plan ist weit ausgedehnt, er zielt ins Grose. Deutschland wird vielleicht eine neue Gestalt bekommen. -- Wenn der Wiener Hof eine für sich selbst bestehende Monarchie aufbauet; wenn er aus dem Zusammenhang Deutschlands losgebunden wird, so bekommt er zwey wichtige Schildwachten, die auf seine Vergröserungen: Wer da! schreyen werden. Die kayserlichen Niederlande können zu einer deutschen Provinz, so wie schon viele Provinzen in Deutschland neue Ausdehnung, neue Kräfte, und warum sollte auch nicht Holland mit durch deutschen Ketten gebunden werden können? -- Dadurch bekommt die Göttin Germaniens ein neues Gewand; Oesterreichs Schleppe wird ihr von hinten abgerissen, und sie kann ihren Busen mit Niederland decken, sich einen grosen Hut aus Holland aufsetzen, und dann wird Oesterreich zwischen Deutschland und Türkey herabsinken, so wie jetzt Preusen zwischen Oesterreich und Rußland herabgesunken ist. Unterdessen wird Pohlen auch seine Trümmer sammlen, und eine Grenzlinie gegen Nord vor Oesterreich ziehen. -- Diese drey Mächte zusammen genommen, nemlich Türkey, Deutschland und Pohlen werden sich auf Oesterreich auflehnen, damit es sich nicht strecken könne. -- Sie werden sich auch auf Frankreich drucken, damit es nicht über seine Grenze revolutionire. -- Noch bleibt Rußland übrig, daß fast von keiner Seite gedrängt werden kann. Wäre noch ein Brabant im Lappland, so wär es leicht einen Van der Noot aufzustellen. -- Aber da sind nur Wallfische, und unter den Wallfischen sind keine Kardinäle, die Revolutionen vorpredigen könnten. -- Schweden ist nur ein politischer Appendix, der das Register der Politik enthält, aber keine politische Materie mit Bajonetten und Kanonen abhandeln kann. In diesem Plane ist die geographische Lage Rußlands etwas anstössig. Aber kommt Zeit -- kommt Rath. Vielleicht kann heut oder morgen ein van der Noot nach Moskau als Missionarius geschickt werden.

Unterdessen wird die politische Lage Oesterreichs umgekreuzt; wird es der Wiener Hof hernach wagen können; seine Politik nach dem Nordwind zu drehen? -- richtet er seine Bajonetten gegen Preusen, als den Sitz des ganzen Heiligthums, so kommt ihm das neu erbaute Deutschland in die Flanke, und die Türkey auf den Rücken. Dies ist vermuthlich der politische Koloß, wozu England und andere Höfe Materialien liefern, damit er mit Bedeutenheit da stehe, wenn sich jemand rühren will.

Allein so weit als auch schon dieser Koloß aufgebauet ist worden, so ist es doch gewiß, daß andere Höfe seinen Grund zu unterminiren suchen. -- Niemals war Frankreich gegen Oesterreich so gefällig als jetzt. Wenn man also von dem Ban dieses Kolosses nicht absteht, so erfordert die politische Existenz Frankreichs, Oesterreichs und ihrer Alliirten, daß man die Arbeiter und die Baumeister bei Zeiten zerstreue, ehe sie den Grundstein zu _iesem Koloß legen. Der Tod des Kaysers wird einen hellen Tag über die Politik ausstrahlen. Die französische Nationalversammlung hat sich zwar bishero mit den Rechten des Menschen beschäftigt. Aber sie wird sich bald auch mit den Rechten der Politik beschäftigen müssen. Der Einfluß des französischen Hofs auf die Wahl des Kaysers war allezeit entscheidend, soll er nun ohne Wirkung seyn? -- das wird sich bald zeigen, besonders wenn Spanien auch dabei etwas laut sprechen will. -- Bei den ietzigen Umständen ist die Vereinigung der Bourbonischen Höfe mit Oesterreich und Rußland wegen der anderen Oppositionspartie nothwendig. Also entweder wird das vorige Gebäude wieder ausgebessert hergestellt, oder man wird das Schwerdt ziehen. Sollte der letzte Fall kommen, so ist es wenigstens in der Rücksicht, das die überall empörten Gemüther auf ihre Haut aufmerksam werden, gut. Brabant wird in diesem oder in jenem Falle unglücklich, man braucht kein Prophet Habakuk zu seyn, um es vorauszusagen.

Brüssel vom 9ten Merz. [6]

Die Brabänter haben auf die mehr als väterliche Einladung des Königs Leopolds mit -- Nein! -- geantwortet. Woher solche Verhärtung? -- Ach sollen wir es offenbaren? der Ländertausch, dessen Unausüblichkeit man wohl vorausgesehen, ist Schuld daran. Frankreich hat dem Kayser gerathen diesen unseligen Ländertausch auf das politische Tapet zu bringen. Man wuste daß nichts daraus wird. Aber Frankreich hat sich mit Oesterreich verabredet, den König von Preusen dadurch zu einem Krieg zu zwingen. Aber Friedrich war gescheider als Oesterreich und Frankreich; er schwieg still, und wuste wohl die Falle, die man ihm legte. Dadurch hat der oranische Anhang die preusische Bedeutenheit wider die Patrioten nach Holland ziehen können. Dadurch haben die Franzosen die holländische Allianz verlohren. Dadurch hat der gute Kayser Joseph die Liebe der Brabänter aufs Spiel gesetzt, und sich ihren Haß zugezogen. Hinc hæ plagæ! -- Hätte Friedrich einen Krieg angefangen, so wäre Holland noch Subaltern von Frankreich; England hätte keinen Seealliirten; der Türkenkrieg wäre nicht entstanden, vielleicht auch die französische Revolution nicht; Oesterreich und Rußland hätten vielleicht erstens Preusen verengert, und dann nach einigen Jahren erst -- die Pforte ungehindert überwältiget; und Brabant wäre nicht inspirirt worden. -- Oesterreich hat bei dieser Erklärung das Meiste, nemlich Brabant, verlohren. Ach der unselige Ländertausch!


Quellen.[]

  1. Fünfte Beilage zu politischen Gesprächen der Todten. Freytag den 15ten Januar 1790.
  2. Politische Gespräche der Todten über die Begebenheiten des 1790sten Jahrs. Nro. 5. Samstag den 29ten Januar.
  3. Geheimer Brief-Wechsel zwischen den Lebendigen und den Todten. No. 54. 3. Februar. 1790.
  4. Politische Gespräche der Todten über die Begebenheiten des 1790sten Jahrs. Nro. 8. Freytag den 19ten Februar.
  5. Politische Gespräche der Todten über die Begebenheiten des 1790sten Jahrs. Nro. 9. Freytag den 26ten Februar.
  6. Ein und zwanzigste Beilage zu politischen Gesprächen der Todten. Samstag den 13ten Merz 1790.
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