Emmanuel Joseph Siéyès.[]
Siéyès, (Emmanuel Joseph), Mitglied des Erhaltungssenats und des französischen Instituts, Offizier der Ehrenlegion und Graf, geboren zu Frejus 1748, war Obervikarius des Bischoffs von Chartres, Kanonikus und Kanzler der Kirche dieser Stadt, als er zum Deputirten des dritten Standes von Paris bey der General-Stände-Versammlung ernannt wurde. Er hatte diese Ernennung der berüchtigten Schmähschrift: "Was ist der dritte Stand?" zu danken, indem ihn dieselbe bey dem Volke in unermeßliche Gunst setzte. Den 10. Juny 1789 drang er in der Deputation des dritten Standes, ihre Vollmachten zu bewähren, um sich zu konstituiren und die anderen Stände zu irgend einem Schritt zu nöthigen. Den 15. schlug er vor, sich als eine die Nation repräsentirende Versammlung zu konstituiren und sodann zur Abfassung der Konstitutionsakte vorzuschreiten. Den 8. July bestand er auf den Zurückmarsch der Truppen, welche der König in der Nähe der Hauptstadt zusammen gezogen hatte und versicherte, daß der Fürst schiene, den Berathschlagungen der Versammlung dadurch Gewalt anthun zu wollen. Den 7. September widersetzte er sich in einer langen Rede den veto, welches man dem Könige zugestehen wollte, und erklärte sich für eine einzige Kammer. Doch muß man bemerken, daß er, in einer Art von Excuis, den Plan zu einer gesetzgebenden Gewalt angab, welcher viel Aehnlichkeit mit dem hatte, den nachher der Konvent dekretirte, nemlich bestehend aus 2 Räthen, einen berathschlagenden und einen bestätigenden. Er war es, der die Idee angab, Frankreich in Departemente, Distrikte und Munizipalitäten einzutheilen, eine Verhandlung, die nicht wenig dazu beytrug, die Revolution auf einen festen Fuß zu setzen. Seit den Unruhen schien er sich zu der Orleanschen Faction zu halten. 1790 beschäftigte er sich viel in den Ausschüssen, arbeitete an der Konstitution und erschien selten auf der Tribune. Damals war es, wo Mirabeau in voller Versammlung sagte, "daß Sieyes Stillschweigen ein Staatsverlust wäre." Im Februar 1791 ward er zum Mitglied des Departements von Paris ernannt, und da er im Monat März Nachricht erhielt, daß man gesonnen sey, ihm zum Bischof dieser Stadt zu ernennen, deutete er dem Wahlkollegium an, daß er den Antrag ausschlagen werde. Im July 1791 ließ er einen Brief drucken, in welchem er seine Grundsätze über die monarchische Regierungsform entwickelt; "ich ziehe, sagt er, die Monarchie vor, weil es erwiesen ist, daß der Bürger in einer Monarchie freyer ist, als in einer Republik." Als Konventsmitglied hütete er sich von dem Einfluß Gebrauch zu machen, den er auf die Meinung mehrerer seiner Kollegen hatte, mischte sich sorgfältig in nichts ein, und suchte sich, so viel nur möglich war, den Schein einer gänzlichen Unbedeutenheit zu geben, um den Stürmen, die er herannahen sah, zu entgehen. Diesem Systeme blieb er auch in dem Prozesse Ludwigs XVI. getreu, und bey den 4 Stimmensammlungen, welche das Loos des Fürsten entschieden, waren die Worte ja, nein und der Tod die einzigen, die über seine Lippen gingen. Zu Anfange des Jahrs 1793 war er mit einem Plane über die Organisation des Kriegsministeriums aufgetreten; da er aber Wiederspruch fand, zog er sich von neuem in ein stillschweigendes Denken, wie in ein Heiligthum, zurück. Trotz dem wurde er in die ersten Wohlfahrtsausschüsse aufgenommen. Während des Kampfs vom 9. Thermidor benahm er sich mit seiner gewöhnlichen Behutsamkeit, und beobachtete selbst sein Stillschweigen bis 1795; nunmehr erschien er öfters auf der Tribune, drückte zu verschiedenen Mahlen seinen Abscheu gegen die Schandthaten Robespierres aus, und drang in die Versammlung, die, von jenem proscribirten, Mitglieder in ihre Mitte zurück zu rufen. Bald darauf trat er in den Wohlfahrtsausschuß, ließ sein großes Polizey-Gesetz gegen die Volksaufstände dekretiren und proklamirte feyerlich die Gesetzlichkeit der Konstitution von 1795, an deren Organisation zu arbeiten ihm übertragen wurde. Im April schlug er, wie er es schon mehrere Mahl gethan hatte, den Vorsitz des Konvents aus, und wurde sodann, nebst Rewbell, nach Holland gesandt, um einen Vertrag zwischen Frankreich und der neuen Republik abzuschließen. Bey seiner Rückkunft schien er die diplomatischen Angelegenheiten dieses Zeitpunktes zu leiten und auf die Verträge mit Preußen und Spanien Einfluß zu haben. An dem Einzeln der konstitutionellen Gesetze, zu denen er als Mitarbeiter berufen worden war, hatte er wenig Antheil; nur die Idee von der Bildung des gesetzgebenden Körpers aus 2 Räthen schien ihm zuzugehören, und der Konvent weigerte sich, seinen Plan zu einer konstitutionellen Jury anzunehmen. Zu Ende des Oktobers wurde er zwar Mitglied des Direktoriums ernannt; er schlug aber diese Stelle aus und zog vor, Mitglied des Raths der 500 zu bleiben. Während der Jahre 1796 und 97 ward er fortwährend bey allen Kommissionen angestellt, denen Gegenstände von Wichtigkeit übertragen wurden. Den 12. Aprill 1797 war er nahe daran, von der Mörderhand eines seiner Landsleute zu sterben; doch fanden sich seine Wunden wenig gefährlich. Nachdem im May das neue Drittheil in den Rath getreten war, blieb er bis zum 18. Fructidor häufig aus den Sitzungen. In den darauf folgenden Sitzungen sah man ihn die Proscription der Clichi-Deputation und namentlich die von Boissy d'Anglas votiren. Im May 1798 trat er aus dem gesetzgebenden Körper, wurde wieder in denselben gewählt, und sodann in der Eigenschaft eines Bothschafters an den Berliner Hof gesandt, wo er bis im May 1799 residirte, der Zeitpunkt, indem er die abermalige Ernennung zum Direktor annahm.
Der bedenkliche Zustand, in dem sich damals Frankreich durch die Ungeschicklichkeit des Direktoriums befand, erweckte den Wunsch einer bessern Regierungsform. Sieyes, von der Unmöglichkeit überzeugt, die Direktorialkonstitition ins Gleis zu bringen, warf sich zum Organ seiner Parthey bey dem General Bonaparte auf, und unterrichtete diesen von den Gefahren, welche die öffentliche Sache bedrohten. Bey Bonapartes Rückkehr aus Egypten wurde nunmehr durch Vermittelung Taleyrands und Röderers der Revolutionsplan des 18. Brümaire zwischen ihm und Sieyes verabredet, und die Konsularkonstitution trat an die Stelle der des 3. Jahrs. Sieyes, anfangs Konsul ad interim, trat in den Erhaltungssenat und wurde dessen ersten Präsident; und die gesetzgebenden Kommissionen boten ihm, bevor sie sich auflösten, auf die Einladung der beyden andern Konsuln, Bonapartes und Rogers Dücos, als Erkenntlichkeitszeichen der Nation, das Guth Crosne an, das er annahm. Seitdem ist er im Erhaltungssenat geblieben.
Von Reisende.[]
F. J. L. Meyer.[]
- [1796]
Sieyes.
"Mes momens sont ceux d'un paresseux" s) antwortete mit der merkwürdige Mann, dem ich im Nazional-Institut, wo er Präsident der zweiten Klasse war, durch den vormaligen Bischoff Gregoire, Mitglied eben dieser Klasse, zugeführt ward, auf meine Aeusserung: dass um seine kostbare Augenblicke zu schonen, ich ihm meinen Besucht noch nicht gemacht hätte. Ohne nun gerade an eines Sieyes momens d'un paresseux zu glauben, benutzte ich doch den Wink, und ging am andern Morgen zu ihm.
- s) Meine Augenblicke sind die eines Müssiggängers.
Von wie vielen Fabeln, Schmähungen und Verläumdungen, ist nicht das politische Dasein dieses Mannes der Gegenstand gewesen! und er hat sie alle überlebt und vernichtet. -- War er es nicht, der eine starke Stütze der Volkspartei, den französischen Adel, stürzte? und doch, auch Orleans Agent sollte er gewesen sein! Orleans Agent, und Robespierre 's Vorarbeiter! In der That, diese von Sieyes verbreiteten Ungereimtheiten und Widersprüche, sind vollkommen im Geschmacke jener einst so mächtigen Kaste, deren Fall er bereitete, die ihm das, -- wie er selbst sagte, nie verzeihen, aber auch vergebens arbeiten wird, den Mann aus seinem Gleichgewichte zu bringen.
In philosophischer Musse lebt der vordem so thätige Sieyes, in einen sehr kleinen Zirkel von Bekannten zurückgezogen; ein stiller Beobachter der jetzigen Lage und Verhältnisse Frankreichs. Sollte es ihm je geahndet haben, dass es dahin kommen würde, wohin dieser Wechsel der Dingen es gebracht hat? "Die französische Revoluzion, sagte er mit, war eine so schöne Sache; aber es haben sich schlechte Menschen hineingemischt." . . . . Dieser -- Gemeinplatz in eines jeden andern Munde, war merkwürdig genug in diesem, wiewohl eben so wenig Beweis von seiner Unzufriedenheit mit der Gegenwart, -- weil es keine Antwort auf jene Frage war, die ich ihm nicht that, -- als seine Weigerung, Mitglied des Direktoriums zu sein, ein Beweis von seinem Tadel der jetzigen Verfassung war. Dafür hat man sie gehalten, weil alles an Sieyes etwas anderes scheinen soll, als es wirklich ist: und doch hatte diese Weigerung ganz andre, und sehr einfache Ursachen.
Ich fand Sieyes, dessen Thür mir ohne Anmeldung geöffnet ward, im dritten Stockwerk, in seinem mittelmässig meublirten Wohnzimmer, das durch ein Fachfenster, von einem engen Hofe herein, nur sparsam erleuchtet ward, im Hausrock und der Nachtmütze, im Zimmer- auf und abgehend. Die "Augenblicke eines Müssiggängers" fielen mir hier wieder ein, -- aber sie waren es gewiss nicht: der, in seiner Studierstube umherwandelnde Sieyes ist mir so viel werth, als der, an seinem Schreibtisch arbeitende Minister. Aufgeschlagene Bücher lagen auf dem Schreibtisch, auch einige Papiere; und eine mit goldnen Borten und Quasten besetzte ungarische Mütze, wie sie vordem die Konventsdeputirten auf ihren Sendungen trugen, -- der zu diesem Kostüme gehörige grosse Säbel, hing dort an der Wand, und hinter seinem Armsessel, neben dem Kamine, Voltaire 's schlecht gearbeitetes Profil von Wachs.
Die Unterhaltung mit Sieyes ist nicht schwer; er lässt sich gern ein, und sein belebtes Gespräch, worin er jeden Gegenstand mit philosophischer Klarheit, und mit dem Scharfsinn des Menschenkenners ergreift, stralt von neuen Ideen. -- Man spricht von des Mannes mürrischem Äussern, und mehrere Fremde beschwerten sich gegen mich über seine drückende Einsilbigkeit, üble Laune, und selbst über seine Unurbanität. Ich hatte mich bei meinen wiederholten Besuchen nicht darüber zu beschweren; und konnte einem, sonst achtungswürdigen Manne, der mich in jenem Sinne fragte: "Was hat euch der Bär gesagt?"nichts anders, als mit der Gegenfrage: Ob er Sieyes kenne? antworten. -- Es gab zwar in unserer Unterredung Augenblicke, -- und ich werde sie nie vergessen, ohne den Mann darnach beurtheilen zu wollen, -- wo seine harte Entscheidungen, und mit leidenschaftlicher Heftigkeit ausgestossenen ungerechten Vorwürfe und Erklärungen, mich dahin brachten, dass ich mich selbst fragte, ob dies derselbe Mann sei, welcher einst so gross und schön gegen den Konvent ausrief: Ils veulent être libres, et ne savent pas être justes! t) Aber diese Unterredung ward durch individuelle Ursachen und persönliche Verhältnisse veranlasst, die ich hier nicht auseinander setzen kann. Und noch in derselben unvergesslichen Stunde, legte sich der Sturm in seine Seele, und der Mensch zeigte sich mit wieder in sanfter Abstimmung des Gesprächs, wodurch er den selbstempfundnen Eindruck jener ausschweifend heftigen Aeusserungen, wieder mildern zu wollen schien.
- t) Frei wollen sie sein, und wissen nicht gerecht zu sein.
Kraftvolle Selbstständigkeit in dem eignen und neuen Gang seines Urtheils über Gegenstände der allgemeinen Politik von Europa, lichtvolle Entwickelung der jetzigen Lage der Staaten; kühne Entscheidung über die auswärtigen neuen Verhältnisse der französischen Republik, und ein durchdringender Blick in die geschlossnen Verträge dieses Staates mit fremden Mächten; -- das war der Inhalt und Hauptkarakter der Aussrungen Sieyes, in einigen Unterredungen mit ihm; welche, öffentlich mitzutheilen, mir andre Rücksichten verbieten. Der Blick seines grossen schwarzen Auges ist stark und fest; seine Stimme, bei einer schwachen Brust, die ihm das öffentliche Reden sehr erschwert, in seinem Zimmer, und im Feuer des Gesprächs, voll und stark; seine Bewegungen sind rasch, und seine blasse Gesichtszüge belebt und geistvoll.
Sieyes spricht mit vielumfassender Kenntniss von Gegenständen der allgemeinen Literatur, und mit Achtung von der deutschen; nur die auszeichnende Vorliebe für diese, und eine genaue Kenntniss derselben, habe ich, in dem hohen Grade, in welchem andre Deutschen sie Sieyes zuschreiben, nicht bei ihm gefunden. Da er die deutsche Sprache nicht verstehe, sagte er, kenne er nur wenig Üebersetzungen und Auszüge deutscher Originale. -- Als ich in einer Sitzung des Nazional-Instituts, bei Camus 's Antrag über die Mittel zur Annäherung der französischen und deutschen Literatur, und bei einem andern Vorschlage zu gegenseitigen Mittheilungen französischer und deutscher Gelehrten und ihrer Schriften, Sieyes meiner Freude darüber bezeugte, antwortete er: "Auch ich freue mich darüber, und es ist wohl endlich Zeit, dass wir uns mit diesem Gegenstand ernstlich beschäftigen." -- Aber er lächelte über meine Frage, in Ansehung seiner, in Deutschland vorgegebnen unmittelbaren Korrespondenz und Verbindung mit deutschen Gelehrten und Philosophen, und leugnete sie schlechthin. -- "Man hat, sagte er, so viel ausgestreuet, so viel gesprochen, und man hat wahrlich Unrecht. Ich lebe ruhig, und möchte auch unbemerkt leben." "Sie haben, setzte er mit einer Wendung hinzu, überhaupt Gelegenheit in Paris, Wahrheit von Lügen zu unterscheiden; widerlegen Sie in Ihrem Vaterlande so viel leere Gerüchte, wodurch Wahrheit entstellt, und öffentliches Urtheil verschoben wird." Als ich hier jene, ihn selbst betreffende Sage, damit entschuldigte, dass man sich im Auslande gern auch mit dem Persönlichen der Männer beschäftige, die der grossen Sache der Revoluzion gedient haben; da war es, wo Sieyes mit bedeutendem Ausdrucke antwortete: "Ja, es war eine schöne Sache, -- aber schlechte Menschen haben sich hineingemischt," und das Gespräch abbrach. -- Über Kant 's Schrift zum ewigen Frieden, die er aus Auszügen kannte, sagte er: "Man wird den Verfasser über die Punkte eines ewigen Friedens wohl nicht um Rath fragen; und vielleicht schützt ihn nur sein Alter, in Rücksicht dieser Schrift, vor Mishandlungen."
Die Sitzungen des Raths der Fünfhundert versäumt Sieyes selten, aber wenn nicht wichtige Berathschlagungen vorfielen, sah ich ihn nie länger als eine halbe Stunde darin verweilen. Als Redner hört man ihn hier nicht mehr; in dem geheimen Ausschuss aber trat er einigemal als Berichterstatter der zur Untersuchung von Friedenstraktaten ernannten Kommissionen auf. -- Bei wichtigen und unwichtigen Verhandlungen des Raths, sass der Philosoph in sich gekehrt, oder er las in gedruckten Papieren. Selbst bei dem stürmischen Auftritt am 23sten Germinal, sah ich ihn mit dieser anscheinenden Gleichgültigkeit da sitzen; und er blickte, als der Lärm aufs höchste stieg, durch seine Brille in das Weite des Saals hinaus.
In seiner Liebe zum ruhigen beschauenden Leben, zur Zwanglosigkeit bei seinen Arbeiten, zur Bequemlichkeit, die seine schwankende Gesundheit zu bedürfen scheint, und in einem Widerwillen gegen alles feierliche Repräsentiren, lag die Ursache, warum Sieyes die Wahl zum Direktor ablehnte, weil er auf alles dieses dann hätte Verzicht thun müssen. Als eine Mitursache der Weigerung, giebt man seine persönliche Abneigung von dem Direktor Rewbell an.
Eine, durch die Zeitungen in Deutschland, im vorigen Sommer verbreitete hässliche Unwahrheit, womit man auf Sieyes 's Karakter ein falsches Licht hat werfen wollen, ist die: er habe in seiner Berichtserstattung, über den Entwurf des harten Friedenstraktats mit Sardinien, auf der Tribüne des Raths der Fünfhundert gesagt: Der König selbst hätte an der Barre der gesetzgebenden Versammlung erscheinen, und fussfällig um den Frieden bitten müssen. -- Ich kann mir die Entstehung dieser ärgerlichen, erz-terroristischen Ausstreuung, nicht anders als so erklären: -- Ein Pariser Journalist, (irre ich nicht, -- denn ich supplire hier bloss aus dem Gedächtnisse, das mit aber in dem Wesentlichen dieser Sache getreu geblieben ist, -- so war es Röderer), theilte in seinem Blatte Bemerkungen über das Für und Wider des Sardinischen Friedens mit, und zergliederte das verschiedne Urtheil des Publikums darüber. "Es giebt, ungefähr so hiess es unter andern, auch noch rasende Terroristen in unserm Publikum, welche diesen Frieden noch zu gelinde finden, und es wohl gerne gesehen haben würden, wenn der König in Person an den Schranken der gesetzgebenden Versammlung erschienen wäre, und knieend um Frieden gebeten hätte." Keine andre, auch noch so entfernte Veranlassung, ist mit bekannt, woraus die in Galle getauchte Feder irgend eines andern Pariser Korrespondenten, jene gehässige Anekdote von Sieyes gezogen haben kann, die ich in Paris selbst nie gehört habe.
Eine andre Erzählung von ihm trugen selbst mehrere Pariser Journale vor, von der es mit, wegen des darin liegenden karakteristischen, leid gewesen wäre, dass auch sie, wie ich aus der ersten Quelle weiss, grundlos war, wenn anders Sieyes, bei der Wahrheit selbst, nicht von einer andern Seite kompromittirt wäre. -- Sieyes 's Namen, so erzählten die Novellisten, sei in einigen, in Drouet's Verschwörungssache gefundnen, Papieren vorgekommen, worauf ihn das Direktorium eingeladen habe, sich zu stellen. Sieyes sei vor dem Direktorium erschienen, und der Präsident habe ihm nun die Papiere, mit der Aufforderung, vorgelegt, darüber sich zu erklären und zu rechtfertigen. Nachdem Sieyes ihn ruhig hatte ausreden lassen, sei er aufgestanden, und habe, -- im Geist des angeklagten Scipio, -- geantwortet: Est-ce-là tout ce que vous avez à me dire? -- Je n'ai rien à vous répondre; u) -- uns sei fortgegangen. -- Auch diese Anekdote ist falsch. Sieyes 's Namen fand sich durchaus nicht in den Akten dieser elenden, schlecht berechneten, und bei allen scheusslichen Vorbereitungen an sich selbst doch planlosen Verschwörung. Ich sah eine authentische alphabetische Liste aller derjenigen Namen, die, auch nur entfernt, in jenen Papieren des Komplots, berührt wurden; -- aber auch dem entschiedensten Gegner von Sieyes fiel es nicht einmal ein, dass der seinige darunter sein könne.
- u) Ist das alles, was ihr mir zu sagen habt? Ich habe euch darauf nichts zu antworten.
Die Wahrheit des folgenden Vorfalls kann ich verbürgen, weil ich die Erzählung aus dem Munde eines mit verehrungswürdigen Freundes empfing, den der Vorfall zugleich mit betraf.
Robespierre, dessen Falkenblick tödtend auf jeden schoss, der auch nur entfernt seinen ehrsüchtigen Planen gefährlich werden konnte, begnügte sich in Absicht auf Sieyes damit, ihn genau beobachten zu lassen; und dieser entzog sich, so viel er konnte, durch Entfernung von aller Theilnahme an Geschäften, und durch ein hartnäckiges Stillschweigen über alles, der eisernen Faust des Tyrannen, unter welcher sich alles beugte. Jener benutzte unterdessen alle Mittel, um Sieyes 's Schritten nachzuspühren, -- und auch die Brieferöffnungen auf den Posten, -- diese, auf Loyola's Lehre: "der Zweck heilige auch die schändlichsten Mittel" gestützte, ganz bequeme Erfindung der inquisitorischen Eigenmacht, raison d'état genannt, um Geheimnisse zu erfahren, worin Robespierre auch anderswo Vorgänger und Nachahmer genug fand. -- Alle, an Sieyes etwa ankommenden Briefe, sollten auf des Diktators Befehl eröffnet werden. -- Dieser hatte gerade damals in einer Unterredung mit einem deutschen Freunde, über Kant 's Philosophie, den Wunsch geäussert, eine allgemeine Übersicht dieses neuen Systems zu erhalten, und der letztere schrieb deswegen an seinen Bruder, einen Gelehrten auf einer deutschen Universität, welcher, weil ihm die lateinische philosophische Sprache geläufiger als die französische war, einen lateinischen konzentrirten Auszug der Kantischen Grundsätze entwarf, und ihn in einem, an Sieyes adressirten Briefe nach Paris absandte. Der Brief kam an, ward in das Polizei-Büreau geschickt, und erbrochen. -- "Ein lateinischer Brief von mehrerern Bogen, -- an Sieyes, -- aus einem feindlichen Lande? dahinter stecken Geheimnisse, wohl gar ein Verschwörungskomplot!" -- So dachte man mit diplomatischem Scharfsinn, und der wichtige Brief wanderte nach einem der revoluzionairen Ausschüsse. Diese höhere Instanz des Weisheit starrte den Brief an, verstand ihn eben so wenig, und schimpfte auf die Sprache des Pedanten. Der hohe lateinische Schulmeisterrath ward versammlet; man lieset, lieset noch einmal, streitet lange über den Inhalt dieses sonderbaren Briefes, -- findet wohl die Worte, aber den Sinn durchaus nicht, übersetzbar und verständlich. -- Nein, nein, ruft einer, die Buchstaben da lügen, es ist die Chiffersprache eines gefährlichen Geheimnisses! -- Endlich findet sich in der Minorität des Areopag's ein Weiser, der sich an die wirkliche Übersetzung einzelner Stellen wagt, und nun die grosse Entdeckung macht: der Brief enthalte keinen antirevoluzionairen Verschwörungsplan; aber -- freilich, die philosophische Sprache darin sei neu, der Sinn nicht recht verständlich, und die Begriffe ein wenig dunkel. -- Der Brief, an dessen Inhalt so viel grosse Köpfe gescheitert waren, ward nun wieder versiegelt, und an seinen Mann gesandt.
Quellen.[]
- ↑ Moderne Biographien, oder kurze Nachrichten von dem Leben und den Thaten der berühmtesten Menschen, von Karl Reichard. Leipzig, 1811. In Commission bey Peter Hammer.
- ↑ Fragmente aus Paris im IVten Jahr der französischen Republik von Friedrich Johann Lorenz Meyer Dr. Domherrn in Hamburg Hamburg bei Karl Ernst Bohn 1797.