Von Bastille bis Waterloo. Wiki
Advertisement

Emigranten.[]

[1]
Emigranten, Emigrés (Ausgewanderte). Wiewohl die Geschichte uns zahlreiche Beispiele liefert, daß die Bewohner eines Landes, sämmtlich oder zum Theil, bald wegen Bedrückungen der Regierung, bald wegen Religionsverfolgungen, wie z. B. die Hugenotten in Frankreich und die Protestanten in Salzburg (1732), oder anderer Ursachen sich zu dem Entschluß genöthigt sahen, ihre Heimath zu verlassen, um in fremden Ländern und unter Fremdlingen sich niederzulassen; so pflegt man unter der Benennung Emigranten doch vorzugsweise diejenigen Ausgewanderten zu verstehen, die Frankreich verließen, theils als die Revolution begann, und die Stimmung des Volks sich gegen Hof und Adel aussprach, theils als sie bald nach ihrem Ausbruche jenen furchtbaren Character annahm, der die Schreckensperioden auszeichnete. Als in jener unseligen Zeit sich alle Bande der bürgerlichen Gesellschaft auflös'ten, Muth und Raserei an die Stelle der Ordnung traten, blutdürstige Pöbeltyrannen in schneller Folge auf einander die zerfleischende Geißel über ihr Vaterland schwangen, und Adel und Reichthum allein schon ein todeswürdiges Verbrechen waren, blieb Flucht die einzige Rettung aller derer, die auf diese Weise der Gegenstand des Hasses und der Verfolgung geworden waren. In zahlreichen Strömen ergossen sich damals die Unglücklichen in die Länder ihrer Nachbarn, theils mit einiger geretteten Habe, theils aber auch völlig hülflos und entblößt. Männer und Weiber, Kinder und Greise, Priester und Edelleute bildeten ein eben so buntes als ungleichartiges Gemisch. (Wir bemerken beiläufig, daß diese Scenen auch von Göthe in seinem Herrmann und Dorothea und in den Unterhandlungen französischer Ausgewanderten zur lebendigsten Erinnerung aufgefaßt worden sind.) Sie waren mit der Hoffnung geflüchtet, in kurzem ihr Vaterland nach hergestellter Ordnung wieder zu betreten, und blieben daher anfangs auch größtentheils in den zunächst an Frankreich gelegenen Provinzen. Erschütternd war der Anblick zahlloser Unglücklichen, die das gährende Vaterlande, wie ein Vulkan einen Lavastrom, auszuwerfen schien, und bot dem Menschenbeobachter die mannigfaltigsten Scenen dar. Die äußerste Verderbtheit beurkundete sich neben der edelsten Duldung und Selbstverläugnung, und wenn wir einer Seits Zeugen der zügellosesten Ausgelassenheit und Ausschweifung waren, so sahen wir anderer Seits Personen aus den ersten Geschlechtern entsprossen, und an alle Gemächlichkeit eines genußvollen Lebens gewöhnt, mit einer Resignation und einer Würde Entbehrungen ertragen und einer geringen Erwerbszweig ergreifen, die uns zur Bewunderung hinrissen. Ungerecht war das Verdammungsurtheil, wodurch man alle diejenigen für Nichtswürdige und Feige erklärte, die ihr Vaterland zur Zeit der Gefahr dem eigenen Schicksal überließen, und nur auf ihre eigene Rettung bedacht waren, statt daß sie die Wohlfahrt Aller zu Herzen nehmen sollten. Wo das Laster herrscht, und die Tugend ein Verbrechen ist, darf der Gutgesinnte nichts hoffen. Zu läugnen ist jedoch nicht, daß der größere Theil jener ersten Emigranten aus Weichlingen und aller Anstrengung und Thätigkeit entwöhnten Menschen bestand, die durch ein sittenloses und ausschweifendes Betragen gar bald für alles, was Emigrant hieß, ein ungünstiges Vorurtheil erweckten. Dies, noch mehr aber die Besorgniß, Frankreichs Rache zu erregen, war der Grund, daß ihnen bald in vielen Ländern der Aufenthalt versagt, in andern nur mit Einschränkung zugestanden wurde. An der Spitze der Emigranten standen die königl. Prinzen Condé, Provence und Artois, von denen der erstere aus den Flüchtlingen eine Armee bildete, die, mit den alliirten Heeren in Deutschland in Verbindung, zur Wiederherstellung der alten Ordnung mitwirken sollte. In Coblenz hatte sich ein eigner Gerichtshof gebildet, der die Justizsachen des sogenannten auswärtigen Frankreichs entschied. Allein der Erfolg entsprach den gehegten Hoffnungen nicht; Dumouriez Eindringen in die Niederlande und Holland vertrieb sie aus diesen Provinzen mitten im Winter und in dem kläglichsten Zustande, und die Schreckensscenen, die Frankreich indeß in seinen Innern darstellte, die blutigen Vorfälle in Lyon und Toulon vermehrten ihre Anzahl täglich. Sie zerstreuten sich nach und nach in alle Länder Europa's und ergriffen verschiedene Erwerbszweige, das condésche Corps trat zuletzt in russischen Sold, und lös'te sich in dem russisch-österreichischen Feldzug von 1799 auf. Als Napoleon an die Spitze der Regierung trat, wurden, bis auf wenige Ausnahmen, sämmtliche Emigranten aus der Liste gestrichen, und bekamen die Erlaubniß, in ihre Vaterland zurückzukehren, von der jedoch manche, die in Frankreich nichts mehr zu gewinnen und im Auslande bereits sich etablirt hatten, nunmehr keinen Gebrauch machten. Die neueste Aenderung der Dinge in Frankreich eröffnete den ehemaligen Emigranten neue bessere Aussichten, und bahnte ihnen den Weg zu ausgezeichnetem Einflusse am Hofe und im Staatsdienste. Ihre Hoffnung aber, daß ihnen ihre in der Revolution verlornen Güter wieder zuerkannt werden dürften, wurde von dem Gouvernement immer widersprochen; wie denn auch die Constitution die jetzigen Eigenthümer dieser Güter in ihrem Besitze ausdrücklich bestätigt.

Seit der zweyten Wiederherstellung der Bourbons gibt er eine neue Art französischer Emigranten, nämlich diejenigen, die vermöge des Amnestiegesetzes gezwungen sind ihr Vaterland zu verlassen, oder es aus Mißvergnügen mit der jetzigen Ordnung der Dinge freiwillig verlassen. Unter ihnen finden sich bekanntlich viele in der Geschichte unsrer Tage sehr ausgezeichnete Namen. M.


Von Reisenden.[]

Samuel Christop Wagener.[]

[2]

[1793]

Die Anzahl der Einwohner Nimwegens ist gegenwärtig durch ungefehr 1500 französische Ausgewanderte vergrößert. Man findet hier große charakteristische Gruppen von diesen durch die Stürme des Schicksals verschlagenen Unglücklichen. In dem einen der hiesigen Kaffehäuser sah ich sie in so traurigen verzweiflungsvollen Gestalten, daß sie mir nie herzlicheres Mitleid eingeflößt haben, als hier. Großentheils sie alle, die ich hier sah, waren einst wohlhabende Mitglieder des jetzt so unglücklichen, zerrütteten Staats. Fast alle verließen aus Liebe zu ihrem Könige und -- immerhin auch aus Liebe zu ihren liegenden Gründen [wer verliert das Seinige gern?] Weib und Kinder, Freunde und Verwandte, an denen ihr Herz jetzt im tiefen Gefühle ihres Elends inniger hängt, als je. Die ihnen von den schwelgenden französischen Prinzen vorgespiegelte Hoffnung, bald ehrenvoll in den ruhigen Besitz des Ihrigen zurückzukehren, hatte sie bisher so ganz getäuscht, dagegen wurden ihre Angelegenheiten immer verwikkelter, immer hoffnungsloser. Unserer Seits entließ man das Korps, unter welchem diese seit ihrer ersten Jugend an alle Arten des Luxus gewöhnten Edelleute großentheils als gemeine Soldaten gedient hatten -- Man wies ihnen nicht nur keinen Unterhalt an, sondern verweigerte ihnen sogar in den mehresten Provinzen Deutschlands einen sichern Zufluchtsort. Von Seiten Frankreich mordete man die Stütze ihrer Hoffnungen, ihren König, verkaufte ihre Güther, setzte Prämien auf ihre Köpfe und die unfehlbare Todesstrafe auf ihre Rükkehr ins Reich, verbot den zurückgelassenen Ihrigen, ihnen Geld und Geldeswerth ins Ausland nachzuschikken, verweigerte ihren Weibern und Kindern die erforderlichen Pässe, um ebenfalls auswandern, um das bittere Loos mit dem geliebten Manne, Vater und Bruder theilen zu können. Und zu dem allen kommt nun noch, daß die Baarschaften, mit welchen sie Frankreich verließen, bereits während der unfruchtbaren Zeit ihrer vorjährigen Kriegesdienste darauf gegangen sind, auch ihre Equipage ist bereits verkauft und verzehret. Die mehresten dieser Herren, unter denen ich harmvolle Greise und Männer fand, die einst ihrem Vaterlande als Admirale und Generale gedient hatten, tragen einen elenden Mantel oder einen veralteten Ueberrock, dem man es ansieht, daß er nicht für sie gemacht, sondern auf dem Trödel gekauft ist. Niemand im Auslande borgt ihnen einen rothen Pfennig, nur sie selbst stehen sich brüderlich unter einander bei, aber die Dürftigen unter ihnen konnten nur so lange von den Reichern unterstützt werden, als diese noch abzugeben hatten. Jetzt, wo letztere kaum selbst noch wissen, woher sie für ihre eigene Person die Befriedigung der ersten Bedürfnisse auf den morgenden Tag nehmen sollen -- jetzt ruhet diese lastende Sorge für den kommenden Tag bereits auf ihnen allen. Aus Mangel an einer warmen Stube versammeln sie sich hier täglich zu hunderten in den erwärmten Zimmern der Kaffehäuser, um sich einander ein kärgliches Wort des Trostes zu zu sprechen. Bei weitem die Mehresten verzehren aber keinen Stüber hier, weil sie oft keinen haben, und der harte Wirth beschwerte sich, da noch immer mehr in die schon angefüllte Billardstube eindrangen, ganz laut darüber, daß man seine einheimischen Kunden, die Geld bei ihm verzehrten, verdränge und weggewöhne, und meinte, daß er, um noch ferner für Licht und Heizung seiner Gastzimmer sorgen zu können, von seinen Gästen auch Verdienste zu haben wünsche. Es that mir in der Seele weh, bei diesen verscheuchenden und beschämenden Worten des Wirths zu bemerken, daß ein Paar kaum hereingetretene Franzosen, die kein Geld in der Tasche haben mogten, und das hörten, sich sogleich bescheiden und wehmüthig wieder wegschlichen.

In der That, das Schicksal dieser Ausgewanderten -- selbst verschuldet oder nicht, gleich viel -- ist, so wie die Sachen jetzt stehen, in einem hohen Grade hart. Sie, die nur gewohnt waren, sich bedienen zu lassen, suchen jetzt als Schreiber, als Kammerdiener xc. unter einem angenommenen Namen Herrschaften, um nur nicht Hungers zu sterben. Aber auch das gelingt ihnen nicht einmal, wenn man ihren Stand entdeckt, oder die guten Zeugnisse ihrer vorigen Herrschaft zu sehen verlangt, und in Erfahrung bringt, daß die Vorliebe des Franzosen für seine Sprache ihm nicht erlaubt hat, sich auf die deutsche, holländische oder englische Sprache zu legen. Jetzt setzen sie ihre einzige Hoffnung noch auf ein im holländischen Solde zu errichtendes Freikorps gegen Frankreich, unter welchem sie wieder Dienste nehmen wollen.

Immer hat indessen der natürliche Gang der Dinge eine schwere Probe aufgelegt: aber ich bin dennoch vest überzeugt, daß eben dieser Gang der Dinge, der seit Ewigkeiten im Buche des Schicksals niedergeschrieben war -- in seinen Folgen fürs Ganze untadelhaft gut ist, gesetzt auch, daß Tausende als Schlachtopfer zum Besten des von Sterblichen unübersehbaren Ganzen darüber zu Grunde gehen müßten.

Ganz unleugbar ist es übrigens, daß mancher Franzose überhaupt, und viele von den Ausgewanderten insbesondere, auf die unverschuldetste Art vom Strudel des herrschenden Wirrwarrs ins Unglück unwillkürlich mit hineingerissen wurden. Ob je einmal auch für diese eine Zeit kommen wird, in welcher sie werden sagen können: Auf Regen folgt Sonnenschein?


Carl Gottlob Küttner.[]

[1794]

[3]

Helvötsluys.

Was uns diese ganze Reise durch Westphalen und die Niederlande äußerst beschwerlich gemacht hat, war die ungeheure Menge von Ausgewanderten. Von den holländischen habe ich Ihnen schon zu Hanover gesagt, aber so wie wir weiter kamen, stießen wir auch auf das ganze Heer französischer Ausgewanderter. Diese bedeckten alle Straßen, füllten alle Wirthshäuser; in der Stadt Osnabrück allein zählte man ihrer etliche hundert die alle ganz kürzlich erst angekommen waren.

Sie wissen, oder wissen nicht, daß eine Menge kleine Städte und Dörfer am Rheine, von Düsseldorf bis in die vereinigten Niederlande hinab, mit Franzosen angefüllt gewesen sind! Alle diese, bey den zeitherigen Fortschritten ihrer Republikanischen Landesleute von Furcht ergriffen, haben ihre Wohnsitze verlassen und ziehen sich nur etwas tiefer nach Deutschland zurück. Noch immer halten sie sich so viel als möglich in der Nähe der Französischen Gränzen, theils, weil es ihnen an Gelde fehlet, weiter zu gehen, theils weil viele wirklich selbst jetzt noch unvernünftig genug sind, zu glauben, daß sie von einem Monathe zum andern ihren Rückzug in ihr Vaterland werden machen können.

Die Bisthümer Osnabrück und Münster, die Grafschaft Bentheim und diese sämtlichen Striche sind voll von Ausgewanderten, deren manche bey westphälischen Bauern wohnen und bey ihnen an die Kost gehen. Man hat mir von Frauenzimmern von hohen Stande erzählet, die durch Spinnen die armselige Summe gewinnen, die sie an den Bauern entrichten. Das Elend einiger derselben ist in diesen Gegenden unaussprechlich. Auf allen Postwegen, welche offen sind und Tag und Nacht reißen, sahe ich anständig gekleidete Frauenzimmer, und viele hatten kleine Kinder bey sich, die, so wie ihre Mütter, keinesweges eine Bedeckung hatten, die sie gegen das Ungestüm der gegenwärtigen Jahreszeit und Witterung sichern konnte.

Vieler dieser Unglücklichen wenden sich nach England, weil sie glauben, es sey das Land, wo man alle Französische Emigranten ernähren müsse. Welchem Ungemach sind sie nicht schon auf ihrer Reise durch dieses Holland ausgesetzt, wo der ärmere Theil solcher Menschen oft nicht einmal ein Obdach findet, weil alle öffentliche Häuser voll sind. Ich habe mehrere derselben diesen ganzen Nachmittag hier von der Thüre sitzen sehen, worunter sich eine mit einem Kinde von etwan 2 Jahren befand, die alle auf die nächste Ueberfahrt nach England warten. Mehrere wurden nicht nur ab, sondern mit Härte und Grobheit zurück gewiesen.

Wie ich Ihnen schon gesagt habe. Holland wird eine schlechte Vertheidigung gegen die Franzosen machen! Zwar habe ich auf meinem Wege hierher große Anstalten gesehen, besonders zwischen Utrecht und Gouda, wo man einen langen Strich Landes befestiget und die Werke bey Montfort und Oudewater ausgebessert hat; zwar mach die Oranische und Englische Armee grosse Vorbereitungen; allein ich fürchte, es wird Alles vergebens seyn. Wie kann der Soldat Muth, oder Interesse haben, ein Land zu vertheidigen, dessen reiche Einwohner, wenn sie nicht für die Französ. Partey sind, er schaarenweiße ausziehen sieht? Selbst die Engländer, die viele Jahre lang in Holland wie Einheimische gelebt haben, nehmen ihren Abschied, oder haben ihn schon genommen. Mehrere große Häuser von Amsterdam warten auf das nächste Packetboot, und zu Rotterdam sagten mir einige dort etablirte Engländer, daß sie jetzt in großer Unruhe wären, weil sie sich so eben damit beschäftigten, ihr Vermögen aus dem Lande zu schaffen.


Zeitungsnachrichten.[]

1808.[]

Andre Englische Merkwürdigkeiten. [4]

Am 8ten März wurden von dem Englischen Parlament 144,000 Pf. St. für Französische Emigranten bewilligt. Der Herzog von Orleans ist nach Gibraltar und der Duc d'Angouleme nach Maltha abgegangen, worüber Englische Blätter mehrere Muthmaaßungen enthalten.

Frankreich. [5]

Der Kassazionshof hat, bey einem vorkommenden Falle entschieden, daß eine Heirath, die ein Emigrirter, während seiner Emigrazion, im Auslande eingegangen hat, ungültig ist, daß diese Heirath, als an sich nichtig, durch die ihm ertheilte Amnestie nicht giltig geworden ist; daß ein Emigrirter die Heirath, die er während der Emigrazion eingegangen hat, vor den Gerichten angreifen kann, wenn er anders dieselbe Heirath, seit seiner Wiedereinsetzung in seine bürgerliche Rechte, nicht gerichtlich bestätigt hat. Der Hauptbeweggrund zu dieser Entscheidung war, daß das Gesetz die Heirath nur als bürgerlichen Vertrag ansieht, daß der Emigrirte als solcher, bürgerlich todt war, und die bürgerlichen Akten eines bürgerlichtodten keine rechtlichen Wirkungen haben können.


Quellen.[]

  1. Conversations-Lexicon oder encyclopädisches Handwörterbuch für gebildete Stände. Stuttgart bei A. F. Macklot. 1816.
  2. Ueber den Feldzug der Preußen gegen die Nordarmee der Neufranken im Jahr 1793. Von einem Beobachter, welcher die jetzigen Feldzüge der verbündeten deutschen Heere mitmacht. Stendal, bei Franzen und Grosse, 1795.
  3. Wanderungen durch die Niederlande, Deutschland, die Schweiz und Italien in den Jahren 1793 und 1794. Leipzig, 1796. bei Voß und Kompagnie.
  4. Politisches Journal nebst Anzeige von gelehrten und andern Sachen. Jahrgang 1808.
  5. Wiener-Zeitung. Nro 64. Mittwoch, den 10. August 1808.
Advertisement