Von Bastille bis Waterloo. Wiki
Von Bastille bis Waterloo. Wiki
Advertisement

Conciergerie.[]

[1]
Conciergerie, ein berühmtes Gefängniß in Paris; ehedem das Parlamentsgefängniß.


Conciergerie.[]

[2]
Man kennt allgemein den Eingang dieses Gefängnisses, das von jeher für diejenigen bestimmt war, welche das Gesetz wegen eines Verbrechens gegen die öffentliche Ordnung und Sicherheit vor ihre Obrigkeiten ruft. Wie wenige aber, welche durch diese prächtige Gallerien, diese so weitläufige Säle *) wandeln, denken daran, daß Menschen, daß ihres Gleichen zu ihren Füssen, in finstern Kerkern auf einander liegen, und daß in den lezten Zeiten die Zuckungen der Revolution selbst die eckelhaften Corridors, welche zu diesen Wohnungen des Elends, der Verzweiflung und des Todes führen, mit Schlachtopfern gefüllt hatten. Welcher Kontrast! Oben niedliche Kramläden, mit Parfümerien, und allem, was die Mode reizendes hat, reichlich ausstattet; artige verführerische Verkäuferinnen; Bibliotheken, mit Büchern überladen, worin von nichts als Philosophie und Menschlichkeit die Rede ist; unten, nach dem Zwischenraume eines Gewölbes, Schlösser, Riegel, Gitter, Wehklagen, Lumpen, unausstehnlicher Gestank, unreine Luft, besofne Thürwärter mit einer ungewöhnlichen Sprache, mit ungeheuren Schlüsseln, und von Hunden begleitet, die eben so schrecklich, als sie selbst sind.

*) Das Parlament von Paris hielt ehemals seine Sitzungen darin.

Die erst kürzlich eingerichteten Gefängnisse, das Luxemburg, Port-libre (ehemals Port-royal), die Karmeliten, die englischen Benediktiner, St. Lazarus, das englische Nonnenkloster in der St. Antoniusvorstadt, wo glückliche Gefangene lang nur die Fesseln der Liebe kannten, wo sie mitten unter Gärten, Gebüschen, Lauben und den Geschenken der Natur, in den Armen schöner Gefährtinnen köstliche Tage verlebten, alle diese Orte verdienen kaum den Nahmen von Gefängnissen. Die Thürwärter darin sind höflich, sie sprechen eine verständliche Sprache, und wenn man aus der Conciergerie, aus St. Pelagie, aus dem Magdalenenkloster, aus dem Hotel de la Force dahin gebracht wird, so kommt man in Versuchung, sich in eine Akademie versezt zu glauben. O ihr, die ihr nur an diesen Orten gewesen seyd, wollt ihr wissen, was es heißt, im Gefängniß zu seyn, laßt euch nach der Conciergerie bringen!

Der erste Eingang geht durch zwei kleine Einlaßpforten, die in einer größern Thüre angebracht sind. Jede hat ihren eigenen Beschließer. Stärke und ein richtiges scharfes Auge geben allein Ansprüche auf diese ehrenvolle Stelle. Man muß, sagen sie, Kopf für ein solches Amt haben. Auch warten die Kandidaten manchmal sehr lang. Ein Strauß über der Thüre kündigt eine neue Beförderung an. Der Beförderte läßt sich an diesem Tage durch einen Peruquenmacher frissiren, und zieht seine schönsten Kleider an. Sein zufriedener und selbstgefälliger Blick zeigt, daß er seine Würde fühlt, und der auf ihn gefallenen Wahl Ehre macht. Ströme von Wein beschließen den Abend eines so schönen Tages.

Durch das erste Einlaßpförtchen kommt man in ein Zimmer, worin man an dem Ende eines großen Tisches, auf einem Sessel, den Aufseher des Hauses erblickt, oder dessen verehrungswürdige Ehehälfte, oder auch den ältesten Beschließer, der das liebe Paar in einem solchen Fall repräsentiret. Diese Aufseher sind durch die Zeiten, worin wir uns befinden, sehr wichtige Personen geworden. Die Verwandten, Freunde oder Freundinnen der Gefangenen machen gewöhnlich dem Aufseher Richard sehr fleißig ihren Hof, um ein Einlaßpförtchen geöfnet zu bekommen. Man bückt sich sehr tief vor ihm; wenn er in guter Laune ist, antwortet er durch ein Lächeln; ist er dagegen übel gestimmt, so zieht er die Augenbraunen zusammen; er ist Jupiter, der durch einen Blick den Olymp erschüttert. Auch sind die Gefangenen immer sehr aufmerksam auf seine gute Augenblicke, und kaum haben sie einen solchen wahrgenommen, so eilen sie, in tiefster Unterthänigkeit ihre Bittschriften zu überreichen.

Von Richards Sessel gehen die Befehle aus, welche die Polizey des Hauses betreffen; vor diesem Sessel werden die Streitigkeiten der Thürwärter unter sich und mit den Gefangenen verhandelt; vor diesen Sessel bringen die unglücklichen Gefangenen ihr Anliegen, wenn man ihnen davor zu erscheinen erlaubt; von diesem Sessel geht manchmal ein Blick der Huld und Gnade aus, oft aber auch ein Blick, der niederdonnert.

Richards Frau steht übrigens ihrem Hauswesen auf eine bewundernswürdige Art vor; man kann nicht mehr Gedächtniß, nicht mehr Gegenwart des Geistes, noch eine genauere Kenntniß der geringfügigsten Kleinigkeiten haben.

Ausser dem Aufseher und seinem Repräsentanten, ist ein alter Beschließer in diesem Zimmer, der, ohne es zu scheinen, die aus- und eingehenden Personen beobachtet, und die Thürwärter in seiner Zigeunersprach auf dieselben aufmerksam macht.

Linker Hand kommt man in die Kanzleistube, die ein eisernes Gitter in zwei Theile absondert. Die eine Hälfte ist zu den Schreibereien bestimmt; in der andern werden die Verurtheilten aufbewahrt, die hier manchmal 36 Stunden waren müssen, ehe der Scharfrichter kommt, und mit den fürchterlichen Zubereitungen zu ihrem Tode fertig ist. Ich kann diese Zeilen nicht niederschreiben, ohne daß die grausamsten Erinnerungen, die herzzerreissendsten Ideen sich meiner Seele bemächtigen. Ihr, die ihr dieses leßet, ihr habt nicht gesehen Wesen voll Kraft, voll Gesundheit, welche die Heiterkeit der Unschuld auf ihrem Gesichte trugen, welche euch schriftliche Beweise davon gezeigt hatten, welche ein langer Umgang euch zu schätzen und zu lieben gezwungen hatte, ihr habt sie nicht gesehen, nur noch einige Stunden, einige Minuten von einem eben so gewissen als schrecklichen Tode entfernt, dem sie mit Ruhe entgegen giengen.

Ihr wart nicht, wie ich, in dem Falle, sagen zu können, dieses Wesen, das athmet, das geht, das denkt, das so eben noch mir die Hand gedrückt hat, ach! in wenig Augenblicken wird es nicht mehr seyn; dieser Körper, den ich belebt sehe, wird eine Leiche seyn; dieses Blut, das in seinen Adern wallt, wird die Erde gefärbt haben; dieser Kopf, dieses Aug, das noch gegen Himmel gerichtet ist, und denselben vielleicht wegen eines ungerechten und frühzeitigen Todes anklagt, wird nichts mehr, als das schreckliche und gräßliche Bild seiner Zernichtung darstellen; und mich, den beständig die reinste Redlichkeit beseelt, der nur für das Vaterland gelebt, nur für das Glück und die Freiheit seiner Mitbürger gearbeitet hat, mich erwartet vielleicht in etlichen Tagen das nämliche Schicksal.

Schreckliche Verhängnisse! Unglückliche Verirrungen des menschlichen Geschlechts! Menschen sprechen von Philosophie und Menschlichkeit, und morden mit mehr Leichtsinn und Gierigkeit ihre Brüder, als der Jäger sich erlaubt, um sich seiner Beute zu bemächtigen. Ihr sprecht vom Glück der Menschen, und vertilgt sie; von Freiheit, und ein unvorsichtiges Wort, ein übereilter Schritt, was sage ich, Unschuld, Redlichkeit, Talente, Vaterlandsliebe, führen auf das Blutgerüst. . . . . .

Verzeihung für diese Ausschweifung; sie hat meinem Herzen einige Erleichterung verschaft, und es wird mir nun weniger schwer, in meiner Erzählung fortzufahren.

Unmittelbar aus der Kanzleistube führen ungeheure Thüren in Gefängnisse, welche man die Mäusefalle nennt, allein mit größer Rechte die Ratzenfalle heißen sollte. Ein eben so redlicher als liebenswürdiger Bürger, Nahmens Beauregard, den, gedankt sey es seinem glücklichen Gestirne, das Revolutionstribunal freigesprochen hat, wurde bei seiner Ankunft in diesen Kerker geworfen; der gefrässige Zahn der Ratzen verschonte selbst seine Beinkleider nicht, und bei der Nacht mußte er die Hände über das Gesicht halten, um Nase und Ohren zu retten.

Kaum fällt ein Stral von Tageslicht in diese Gefängnisse; das Stroh, das den Gefangenen zur Lagerstätte dient, und durch den Mangel an Luft und den Unflath der Gefangtnen in kurzer Zeit in Fäulniß übergeht, verpestet die Luft in einem so hohen Grade, daß man, wenn die Thüren geöfnet werden, es selbst in der Schreibstube kaum mehr aushalten kann. Gleiche Bewandtniß hat es mit den übrigen Gefängnissen, und in diesen fürchterlichen Wohnungen musten Menschen, die in der Folge für unschuldig erkannt wurden, ganze Monate zubringen.

Der Eingangspforte gegenüber ist eine Thüre, welche zu den Weibern, zu der Krankenstube und überhaupt zu allem führet, was man, ich weiß nicht warum, die Seite der Zwölfe nennt. Wir werden darauf zurückkommen.

Rechts sind in zwei Ecken Fenster, welche sehr schlecht zwei Zimmer beleuchten, worinn die Thürwärter, welche die Wache haben, die Nacht zubringen, und auch die zum Tode verurtheilten Weiber aufbewahrt werden. Zwischen diesen zwei Ecken ist eine dritte Thüre, durch welche man in das sogenannte Préau kommt. Hier ist noch der angenehmste Theil des Gefängnisses, und der, so die Aufmerksamkeit des Beobachters am meisten verdient. Um dahin zu gelangen, muß man durch vier Thüren gehen. Linker Hand läßt man die Kapelle und das Rathszimmer liegen, welche aber in den lezten Zeiten den Gefangenen gleichfalls zum Aufenthalt dienten, und mit Betten angefüllt waren. Im leztern befand sich die unglückliche (Königin) Maria Antonia. . . . .

Ich werde es nicht unternehmen, alle Theile dieses weitläufigen und eckelhaften Umkreises zu beschreiben. Ich will bloß bemerken, daß rechter Hand, wenn man in den Hof kommt, an dem Ende einer Art von Gallerie eine doppelte Thüre sich befindet, wovon die eine ganz von Eisen ist; daß diese Thüren in das Gefängniß führen, das seit den Mordscenen im Sept. 1792 den Nahmen la Buche nationale erhalten hat, und daß man durch dasselbe, vermittelst einer dunkeln, und an zwei bis drei Orten zugeriegelten Geheimtreppe in die Gerichtssäle kommt. Die Gefangenen haben entweder Zimmer und Betten, die sie bezahlen, oder sie liegen auf Stroh, oder in den eigentlichen Kerkern. Leztere werden nur geöfnet, wenn das Essen gebracht, wenn nachgesehen, und wenn der Unrath ausgeleert wird. Zwischen den sogenannten Strohzimmern und den Kerkern ist kein anderer Unterschied, als daß die unglücklichen Bewohner der erstern täglich zwischen 8 und 9 Uhr dieselbe verlassen müssen, und erst ohngefähr eine Stunde vor Sonnenuntergang wieder eingelassen werden. Den ganzen Tag bleiben die Thüren ihrer Gefängnisse verschlossen, und sie müssen entweder sich im Hof aufhalten, oder, wenn es regnet, in den umherliegende, mit Gestank und Urin angefüllten Gallerien auf einander liegen. Uebrigens haben sie die nämliche Unbequemlichkeiten in ihren scheuslichen Wohnungen, keine Luft und verfaultes Stroh. Oft findet man ihrer 50 in dem nämlichen Loche, die Nase in ihrem eigenen Unrath, mit Krankheiten und Unsauberkeiten behaftet, die einer dem andern mittheilt. Man besuche einmal die Gefängnisse in den zwei großen Thürmen, welche man von dem quai de l'horloge sieht, jene, welche man den großen Cäsar, Bonbeck, St. Vincent, Belair xc. nennt, und sage dann, ob der Tod nicht einem solchen Aufenthalt vorzuziehen ist.

Hier war es unterdessen, wo man Bürger, denen man Revolutionsverbrechen zur Last legte, neben und unter Menschen antraff, die des Diebstahls oder Mords angeklagt, oft auch dieser Verbrechen überführt und zu der darauf gesezten Strafe verurtheilt waren, an denen aber wegen ergriffener Appellation das Urtheil nicht vollzogen werden konnte. In den lezten Zeiten waren die meisten Gefangenen in der Conciergerie von der ersten Klasse.

Man muß nicht glauben, daß die Unbequemlichkeiten der Wohnung die einzigen waren, mit welchen die Gefangenen zu kämpfen hatten; um zu beurtheilen, wie tief man die Menschen herabwürdigen kann, muste man gegenwärtig seyn, wenn die Thüren geschlossen und die gefangenen verlesen wurden. Man stelle sich 3 bis 4 besoffene Thürwärter vor, mit einem halben Dutzend Hunde, und in einer Hand eine fehlerhafte Liste haltend, die sie nicht lesen können. Sie nennen einen Nahmen, niemand erkennt sich darinn, sie fluchen, toben, drohen; sie rufen aufs neue, man erklärt sich, man hilft ihnen, und endlich zeigt sichs, wer gemeint ist. Sie lassen die Heerde herein kommen, im Zählen irren sie sich, mit einem Zorn, der immer heftiger wird, befehlen sie, wieder abzutretten; dies geschieht, man geht zum zweitenmal hinein, sie irren sie abermals, und oft muß dieser Auftritt drei bis viermal wiederholt werden, ehe ihr verwirrtes Aug sich versichert hat, daß die Zahl vollständig ist.

Allein welcher Abstand! Ist es eine Bizarrerie der Natur, oder eine Wirkung ihrer Weißheit? der leiseste Stral von Hofnung, die Annäherung eines Vergnügens, zerstreuen in einem Augenblick die schwärzesten Bekümmernisse, die grausamsten Unruhen, und das schauderhafteste Gefängniß, die Hölle selbst verwandelt sich in einen Tempel von Gnidos.

In dem Hofe des sogenannten Préau hört man ein beständiges Sumsen, ein dumpfes Gemurmel, und das Geschrei der Thürwärter, die sämmtlich die fürchterlichsten Stimmen haben. Nichts ist ermüdender, als dieser Lärmen und dieses Schauspiel.

Durch die erste von den vier oben angeführten Thüren kommt man auf einen Platz, der ringsum mit einem eisernen Gitter umgeben ist. Hier war es, wo die Gefangenen auf dieser Seite zur Zeit, als es noch erlaubt war, ihre Bekannten sahen. Die Weiber, die ein gefühlvolleres Herz, mehr entschlossenen Muth haben, die mitleidiger und theilnehmender sind, waren beinahe die einzigen, die diesen Ort betraten, und man muß es sagen, auch diejenigen, die man am liebsten kommen sah. Hier wurden Ehemänner wieder Liebhaber, und Liebhaber verdoppelten ihre Zärtlichkeit; Sprödigkeit und Schüchternheit verschwanden; die zärtlichsten Küsse wurden genommen und gegeben ohne Wiederstand und Bedenklichkeit; oft sah selbst die Liebe unter dem Schutz der Dunkelheit ihre feurigsten Wünsche gekrönt. . . . . Freilich wurden nicht selten diese Freuden durch den Anblick eines Unglücklichen gestört, der über diesen Platz von dem Tribunal zurückgieng, das ihn so eben zum Tode verurtheilt hatte. In einem solchen Fall herrschte auf einige Augenblicke tiefe Stille; man sah sich unruhig und ängstlich an; dann umarmte man sich mit zärtlicher Rührung, und nach und nach kehrte alles wieder in den vorigen Zustand zurück.

Das Zimmer beim Eingang, das gleichfalls Gefangene von der Seite der Zwölfe bewohnten, bot einen nicht minder malerischen Anblick dar. Man sah Weiber und ihre Männer, Mädchen und ihre Liebhaber in einer Reihe auf Bänken; hier liebkosete man sich mit so viel Ruhe und Fröhlichkeit, als ob man in einer Rosenlaube sässe; dort war man gerührt und weinte. In der Schreibstube hörte man öfters zum Tode verurtheilte Menschen aus vollem Halse singen. Durch ein Fenster sah man auf einem Bette des Kummers ein unglückliches Weib, das ein Gensdarme bewachte, und das, die Schrecken und Blässe des Todes auf ihrer Stirne, den Augenblick ihrer Hinrichtung erwartete. Ueberall sties das Auge auf Gensdarmes; bald brachten sie Gefangene, denen sie die Hände losbanden, und dann in einen Kerker warfen; bald fragten sie nach andern, um sie zu binden und fortzuführen, während ein Huissier mit wildem Blicke und grobem Tone seine Befehle gab, und sich für einen Helden hielt, weil er ungestraft einen wehrlosen Unglücklichen mißhandeln durfte.

Es ist nichts übertriebenes in diesen Erzählungen, und viele Personen, die in diese Gefängnisse gekommen sind, oder darin gelebt haben, werden sich erinnern, alles dieses in einem und ebendemselben Augenblicke gesehen zu haben.

Ich habe schon bemerkt, daß die Hunde eine große Rolle in diesen Gefängnissen spielten; unterdessen kann ein Geschichtchen, das ich oft erzählen gehört habe, beweisen, daß ihre Treue nicht jede Probe aushält. Unter diesen Hunden war einer, der sich durch seine Größe, seine Stärke und seinen Verstand auszeichnete. Er hieß Ravage, und hatte bei der Nacht den Hof des Préau zu bewachen. Einige Gefangene hatten, um zu entwischen, ein Loch gemacht; nichts stand ihnen mehr im Wege, als die Wachsamkeit dieses Cerberus. Ravage schwieg, und des andern Morgens fand man an seinem Schwanz ein Assignat von 100 Sols nebst einem kleinen Billet befestigt, worauf folgende Worte standen: Man kann Ravage mit einem Assignat von 100 Sols und einem Päckchne Hammelsfüsse bestechen, Ravage, der auf diese Art selbst seine Schande zur Schau trug und bekannt machte, war ein wenig verlegen, als sich alles um ihn herum versammelte und in Gelächter ausbrach. Diese kleine Demüthigung, und einige Stunden Arrest sind, wie man sagt, seine ganze Strafe gewesen.

Kehren wir zur Seite der Zwölfe zurück. Diese Seite hat auch einen Hof, welcher den Weibern zum Aufenthalte dient; in dem von den Männern bewohnten Theil ist kein anderer Spaziergang, als ein dunkler Corridor, worin man am hellen Tag Licht nöthig hat, und ein kleiner Vorhof, welchen ein Gitter von dem Hofe der Weiber absondert. Die Männer können durch dieses Gitter mit den Weibern sprechen, selbst sie umarmen, und mehr als einmal haben Unglückliche in diesen zärtlichen Ergiesungen der Liebe ihr Elend vergessen.

Die Zimmer der Weiber werden auch in bezahlte und Strohzimmer eingetheilt. Estere sind im ersten Stock, leztere zu ebener Erde hinter einem Bogen; sie sind dunkel, feucht, und eben so ungesund als unreinlich. Die Regierung sollte niemals vergessen, daß die Unschuld diese Kerker bewohnt hat, und ernstlich daran denken, der Gesundheit zuträglichere und die Menschheit weniger herabwürdigende Einrichtungen zu treffen.

Auf dieser Seite giebt es für die Männer nur bezahlte Zimmer. In jedem derselben stehen so viele Betten, als es möglich ist, hinein zu bringen. Anfänglich kostete ein Bett 27 Pf. 12 Sols den ersten Monat, und 22 Pf. 10 Sols die folgende Monate. Man hat diesen Zins in der Folge auf 15 Pf. monatlich herabgesezt. Das nämliche Bett ist in einem Monate oft mehrmals bezahlt worden, und in den lezten Zeiten der Tyrannei Robespierre's kamen täglich 40 biß 50 neue Gäste, die gewöhnlich nur eine Nacht blieben, und für diese einen ganzen Monat bezahlen musten, so daß damals der Bettzins monatlich 18 bis 22000 Pf. abwarf. Auch ist die Conciergerie in Rücksicht des Ertrags das erste Hotel garni von Paris.

Eine Hauptunannehmlichkeit auf dieser Seite war die Nachbarschaft der Krankenstube, worin lange Zeit die gefährlichsten Fieber wütheten. Die Kranken, die zwei und zwei auf elenden und schlechten Betten lagen, waren das sprechendste und bejammernswürdigste Bild des menschlichen Elends; die Aerzte würdigten sie kaum, ihren Zustand zu untersuchen, und es schien wirklich, als on es Herzen gäbe, die beim Anblick des Unglücks sich verhärten. Sie hatten ein oder zwei Tisanen, welche sie bei allen Krankheiten ohne Unterschied verschrieben, und diese wurden noch mit äusserster Nachlässigkeit zubereitet und gereicht. Es war merkwürdig und empörend zugleich, die Verachtung und die Selbstgenügsamkeit zu sehen, womit diese gefühllose Aesculape ihre Besuche abstatteten. Eines Tags näherte sich der erste Arzt einem Bette, und fühlte den Puls des darin liegenden Kranken. "Es geht besser mit ihm, sagte er, als gestern." "Ja, Bürger Doktor, antwortete der Krankenwärter, es geht besser mit ihm, aber es ist nicht der nämliche; der Kranke von gestern ist tod, und dieser ist an dessen Stelle gekommen." -- "Dies ist etwas anders; wohlan, man gebe ihn die Tisanne."

Man hat seitdem in dem bischöflichen Pallast ein neues Krankenhaus eingerichtet, worin, wie man sagt, die Kranken mit mehr Aufmerksamkeit und Achtung behandelt werden. Dem Himmel sei gedankt dafür!

Diese Anekdote ruft mir eine andere in das Gedächtniß zurück, die ohngefähr in die nämliche Zeit fällt. Ein gewisser Marat-Mauger, Kommissarius der vollziehenden Gewalt zu Nancy und in dem Meurthedepartement, war wegen einer Menge ausgeübter Bedrückungen und Ungerechtigkeiten angeklagt. Dieser Mauger gab ein schreckliches Beispiel der Qualen, welche Gewissensbisse einem Schurken verursachen können. Er erinnerte an Orests Rasereien, und le Kain würde ein Muster an ihm gefunden haben. Von einem äusserst heftigen Fieber angegriffen, richtete er sich in seinem Bette auf, und unter den fürchterlichsten Zuckungen und mit schrecklicher Stimme schrie er: "Seht ihr in dem Schatten dieser Gewölbe die Hand meines Bruders? Er schreibt mit blutigen Buchstaben: du hast deinen Tod verdient"! Wirklich starb er auch in diesem Zustande. Man ehrte sein Andenken durch folgende Grabschrift:

Dans un corps fale et pourri
Gissait une ame épouvantable:
Depuis ce matin, Dieu merci.
Et l'ame et le corps sont au Diable.

(In einen Körper voll Schmutz und Fäulniß, wohnte eine scheußliche Seele; seit heute morgens sind, Gott sey Dank! Seele und Körper beim Teufel.)

Es herrschte unter den Gefangenen auf dieser Seite eine Art von Muth und Heiterkeit, die wirklich bewundernswürdig sind; nie wird man sich einen richtigen Begriff von einer ähnlichen Existenz machen; auch werde ich es nicht wagen, sie zu beschreiben, ohngeachtet dessen, was ich davon gehört habe; ich werde mich begnügen, einige Stellen aus zwei Briefen anzuführen, welche einer dieser Gefangenen an seinen Freund geschrieben, und die dieser mit mitgetheilt hat.

"Es wird mit kein Vergnügen machen, meinen Kopf hinzugeben; ich werde alle Mittel zu seiner Vertheidigung anwenden, welche die Ehre zuläßt, und die Reinheit eines unangreifbaren Gewissens an die Hand giebt. Du kannst also ruhig seyn.

"Was du mit von den Antworten des . . . . sagst, scheint von ziemlich guter Vorbedeutung zu seyn, aber ändert nichts in der Art, wie ich die Dinge ansehe. Ich will mir mit keiner Hofnung schmeicheln; es würde zu schmerzhaft seyn, ihr wieder entsagen zu müssen. Ich werde festen Fusses die Begebenheiten erwarten. Mit Freuden würde ich den Augenblick sehen, der mich dem Leben zurückgäbe. Schon habe ich den Tod nicht nur mit Unerschrockenheit, sondern selbst mit Ruhe in das Gesicht gefaßt; er ist beständig meinen Augen gegenwärtig, und es soll dieses beständig seyn, damit ich endlich so vertraut mit ihm werde, daß ich selbst keinen Muth mehr nöthig habe. . . . .

"Wenn ich mit einigem kaltem Blute an den Augenblick denken kann, wo ich das Leben verliehren werde, so verdanke ich dieses hauptsächlich dem sich alle Augenblicke erneuernden Schauspiele in diesem Hause. Es ist das Vorzimmer des Todes, und dieser unser beständiger Umgang. Heute ißt man zu Nacht und lacht mit seinen Unglücksgefährten, die schon ihr Todesurtheil im Sacke haben; des andern Tags werden sie vor das Tribunal gefodert; einige Stunden darauf hören wir ihre Verurtheilung; sie lassen uns Komplimente sagen, und ihres Muths versichern. Solche Auftritte verändern nicht das geringste in unserer Lebensweise, die eine Mischung von Schauder über das, was um uns vorgeht, und von wilder und gefühlloser Lustigkeit ist. Oft scherzen wir über die schrecklichsten Gegenstände. . . . . höre, eben singt einer:

Quand ils m'auront guillotiné,
Je n'aurai plus besoin de né.

(Wenn sie mich werden guillotinirt haben, werde ich keine Nase mehr nöthig haben.)

"Um dir zu zeigen, wie viele Mittel der Verhärtung wir haben, setzt ich dir die Worte her, welche ein unglückliches Weib, das mich hat rufen lassen, zu mit gesagt hat: die Quelle meiner Thränen ist versiegt; seit gestern Abends habe ich nicht eine einzige vergossen. Die gefühlvollste der Weiber ist keiner Gefühls mehr fähig; die Empfindungen, welche das Glück meines Lebens machten, haben alle ihre Kraft verlohren. Ich bedaure nichts, und sehe mit Gleichgültigkeit dem Augenblick meines Todes entgegen.

"Diese Frau ist die Bürgerin Laviolette von Tournay; sie versichert, ungeheure Summen für die Sache der Freiheit verwendet zu haben; Nationalkommissarien, Generäle, Offiziere der französischen Armeen wurden in ihrem Hause mit der zuvorkommendsten Höflichkeit aufgenommen und bewirthet. Sie schreibt ihr Unglück ihrem Manne zu. Sie hat sich dieser Tagen mahlen lassen, die Hand auf einen Todenkopf gestürzt; dieses Gemählde war für ihren Mann bestimmt. Die Allegorie ist grausam, wenn der Bewegungsgrund wahr ist.

"Die Menschen sind zu boshaft, zu zwecklos grausam, und ich mache mir nichts daraus, ein Daseyn zu verliehren, das so mühselig ist, und mit eine noch furchtbarere Zukunft zeigt. Du hälst mich vielleicht für wahnsinnig; aber ich bis es nicht.

"Niemals war ich mehr bei mir; ich sehe den wahren Werth der Dinge ein, und das, was du die gröste Wohlthat der Natur nennst, das Leben, scheint mir ein lästiger Frohndienst zu seyn, dessen die Natur, wenn sie mehr als blindes Ohngefähr ist, Wesen hätte überheben können, die nicht einmal Verstand genug haben, um ihre Thorheiten einzusehen. Ich bin so müd, unter den Menschen zu leben, daß es mit nicht schwer werden wird, sie zu verlassen. Schon habe ich, wie ich dir bereits gesagt habe, einen Versuch gemacht, und dies war der einzige Augenblick einer wahren Ruhe, den ich, seitdem ich hier bin, gekostet habe xc."

Es war rührend anzusehen, wie eine große Zahl Gefangener, denen man Verbrechen gegen das Vaterland zur Last legte, nur für dasselbe und seine Freiheit athmeten. Man machte Triumphgesänge auf die Eroberung von Toulon *), worin Menschen in Fesseln und einem gewissen Tode nah, nichts beklagten, als keinen Antheil an der Ehre dieses Sieges zu haben.

*) Da hier im französischen Originale viele Verse eingeschaltet sind, die aber in einer prosaischen Uebersetzung den grösten Theil ihres Werths verliehren würden, und daher wegbleiben, so war der Uebersetzer mehr, als sonstwo, genöthigt, Veränderungen zu machen, die jedoch nicht immer in Weglassungen, sondern hie und da auch, um den Zusammenhang zu erhalten, in kleinen Zusätzen bestehen. Die kleinern Gedichte, welche ohne Verschwendung des Raums zugleich in der Ursprache mitgetheilt werden können, wird man fortfahren, auf die nämliche Art, wie es schon einigemal geschehen ist, einzurücken, und dieses wird auch bei solchen Poesien geschehen, die zwar von einem größern Umfange sind, allein merkwürdige historische Züge enthalten.

Dieser Muth, welcher ihnen in ihrem Unglück zur Stütze diente, verließ sie auch im lezten Augenblicke nicht. Hier sind einige Beispiele.

Peter Dücourneau, ein junger Mensch von Bordeaux, und Theillard, Offizier unter der Gensdarmerie dieser Stadt, erhielten am 24 Nivose (13 Jän.) ihre Anklagsakte. Sie waren schon alte Bewohner des Gefängnisses; man hab ihnen Beweise des zärtlichsten und wärmsten Antheils. Wenn es mit einem Gefangenen einmal so weit gekommen ist, so wird er gewöhnlich von seinen Unglücksgefährten, die mit ihm das nämliche Zimmer bewohnen, des Abends bewirthet. Das Abendessen, das man Dücourneau gab, war traurig, lustig, rührend; allein die Bande einer so unglücklichen Freundschaft wurden fester, als man ein Liedchen singen hörte, worin Wein, Tod, Vaterlandsliebe und Freundschaft in seltner Mischung neben einander vorkamen. Dücourneau hatte selbst dieses Liedchen gemacht, und mitten unter Gläsern, Bouteillen und dem Lärmen einiger Personen, denen der Bordeauxwein in den Kopf gestiegen war, mit einem Bleistift auf den Tisch geschrieben. Auf diese Verse folgten andere voll cynischen Muthwillens, und am folgenden Abend vermehrte Dücourneau das erste Liedchen noch mit einigen Strophen. Am nämlichen Tage kam ein schon etwas bejahrter Mann in dem Gefängnisse an. Er war sehr überrascht, ein solches Fest anzutreffen. So viel Muth, so viel Ergebung und selbst so viel Lustigkeit, mitten in dem größten Unglück, brachten ihn aus aller Fassung. Ducourneau richtete sogleich aus dem Stegreif folgendes Gedichtchen an ihn:

O toi, vieillard vénérable,
Quoique tu viennes trop tard,
Tu parais convive aimable;
A nos plaisirs prends donc part,
Et trainé dans cette ecole
D'un malheur trop solemnel,
De notre ame qui s'envole,
Reçois l'adieu fraternel.

(O du, ehrwürdiger Greizs, du kommst zwar zu spät, allein du scheinst ein liebenswürdiger Gast zu seyn; Nehme daher Theil an unserm Vergnügen, und empfange bei deinem Eintritt in diese nur zu bekannte Unglücksschule das brüderliche Lebewohl unserer von hinnen scheidenden Seele.)

Nach seiner Verurtheilung machte Ducourneau neue Verse, welche nebst den übrigen und denen auf die Einnahme von Toulon noch lange von den Gefangenen Abends gesungen wurden. Sie nannten dieses, ihre Andacht halten.

Ohngefähr einen Monat nach Ducourneau's Tode gab Niklas Montjourdain, ehemals Commandant des Bataillons von der Section Poissoniere, das Beispiel einer ähnlichen Fassung. Die Romanze, wovon er die 5 ersten Strophen vor seiner Verurtheilung, und die drei folgenden nach derselben gemacht hat, haben ganz Paris mit Bewunderung und Rührung erfüllt.

Unter allen Deputirten, welche ich in der Conciergerie gesehen habe, ist Ducos von der Gironde einer derjenigen, der am meisten Heiterkeit gezeigt hat. Wenige Tage vor seinem Tode machte er noch ein poetisches Potpouri voll Witz, munterer und satyrischer Laune. Ich muß noch eines originellen Sonderlings erwähnen, den ich in diesem Hause gekannt habe. Das Leben war ihm so sehr zur Last, daß er in allen seinen Unterhaltungen von nichts, als vom Sterben sprach, und dennoch behielt er noch immer einen Reichthum von Lustigkeit, der nicht zu erschöpfen war.

Dieser Gefangene nannte sich Gosnay; er war ohngefähr 27 Jahre alt, und ehemals Gretnadier unter Artois. Er hatte seitdem unter den Hussaren von Berchiny gedient; man beschuldigte ihn der Emigration, und Ronsin hatte ihn zu Chalons sür Saone arretiren, und nach Paris bringen lassen.

Seine verbindliche und jovialische Manieren hatten ihm die Gunst eines jungen und schönen Mädchens erworben, das regelmäßig in die Conciergerie kam, um ihres engbrüstigen Oncles zu pflegen. So bald sie diese fromme Pflicht erfüllt hatte, brachte sie 3 bis 4 Stunden bei ihrem lieben Gefangenen zu, und es war stets ein süsses Vergnügen für sie, für seine Bedürfnisse und selbst für seine kleine Ergötzlichkeiten zu sorgen.

Gosnay war nicht unempfindlich gegen seine großmüthige Wohlthäterin; er hatte versprochen, sie zu heirathen, wenn er loskommen würde; al-allein der Unglückliche nährte beständig in seiner Seele den Wunsch, zu sterben.

Als man ihm seine Anklagsakte brachte, nahm er sie mit äusserster Kälte in die Hand, rollte sie zusammen, fuhr damit zum Lichte, und steckte seine Pfeife an; seine Kameraden stellten ihm unterdessen vor, daß es Narrheit sei, in seinem Alter bei Vertheidigungsmitteln, die so triftig und entscheidend seyen, wie die seinigen, sich muthwilliger Weise in den Tod zu stürzen. Gosnay schien diesen Vorstellungen nachzugeben; allein innerlich blieb er fest bei dem Vorsatz, zu sterben.

Ehe er vor dem Tribunal erschien, trank er weißen Wein, aß Austern mit seinen Kameraden, und rauchte bei einer Unterredung über die Zernichtung unsres Wesens ruhig sein Pfeifchen. "Dies ist nicht alles, sagte er endlich; da wir nun gut gefrühstückt haben, so müssen wir auch an das Nachtessen denken, und ihr werdet mit daher die Adresse an den Wirth in der andern Welt geben, um auf heute Abend ein gutes Nachtessen für euch zu bestellen."

Als man ihm vor dem Tribunal seine Anklagsakte vorlas, gestand er alles, was ihm darin zur Last gelegt wurde, ein, und als sein Vertheidiger die Bemerkung machen wollte, daß er seinen Kopf verlohren habe, antwortete er: "Niemals habe ich mehr meinen Kopf bei mir gehabt, ob ich gleich auf dem Punkt bin, ihn zu verliehrer. Vertheidiger, ich verbiete dir, mich zu vertheidigen, und man führe mich zur Guillotine."

Nach seiner Verurtheilung, gieng er durch den Hof, und grüßte seine Kameraden mit seiner gewöhnlichen Munterkeit, und ohne daß man die geringste Veränderung auf seinem Gesichte wahrnahm. Als der in dem Saal der Verurtheilten angekommen war, aß und trank er mit dem größten Appetit, und zeigte sich überhaupt ganz so, wie man ihn beständig gesehen hatte. Auf dem Wege zum Karren, der ihn zum Richtplatz führen sollte, redete er einen der Thürwärter des Gefängnisses an, mit welchem er in einiger Vertraulichkeit gelebt hatte. "Mein Freund Riviere, sagte er, wir müssen noch ein Glas Kirschenwasser mit einander trinken, sonsten werde ich dir gram bis in den Tod." Riviere brachte den Liqueur, und Gosnay schien ihn mit Vergnügen hinunter zu schlürfen. Als er zum zweitenmal durch den Hof gieng, zischten ihn einige Personen aus; er antwortet ihnen ganz kaltblütig: "Memmen, die ihr seyd, ihr verhöhnt mich! würdet ihr wohl auch mit so vielem Muthe zum Tode gehen, wie ich?" Am Fuse des Schaffots rief er: "endlich bin ich, wo ich seyn wollte," und ruhig reichte er seinen Kopf dem Scharfrichter hin.

Manuel wurde bei seiner Ankunft in der Conciergerie von allen Gefangenen mit Abscheu und als einer der Urheber der September-Mordscenen angesehen. Als er zu seinem Verhör vor dem Tribunal erscheinen sollte, näherte sich ihm ein Haufen Gefangener, und stieß ihn, ohnerachtet er eine Bedeckung von Gensdarmes bei sich hatte, gegen einen Pfeiler, der noch mit dem Blute der an diesen schrecklichen Tagen gefallenen Schlachtopfer gefärbt war. Einer der Gefangenen sagte mit starker Stimme zu ihm: "Sieh hier das Blut, das du hast vergießen lassen." Auf seinem Rückwege und schon zum Tode verurtheilt, hörte er, anstatt theilnehmender Klagen über sein Schicksal, nichts als Bravorufen und Aeusserungen der Freude.

Als Biron vom Tribunal zurück kam, grüßte er die Gefangenen mit jener edelmännischen Würde, welche den Hofleuten so eigen war, und sagte: Wahrhaftig, meine Freunde, es ist aus mit mir; ich muß fort."

Bailli wurde, nachdem er zum erstenmal vor seinen Richtern erschienen, sein Urtheil aber auf die nächste Sitzung verschoben worden war, von denjenigen, welche sich für ihn intereßirten, gefragt, wie seine Sache stehe. "Das kleine gute Männchen, antwortete er, indem er sich die Hände rieb, lebt noch." *)

*) Im Original ist hier eine Anspielung auf ein gewisses Spiel.

Als Lamourette schon zum Tode verurtheilt war, aß er noch mit seinen Zimmergenossen zu Nacht, und unterhielt beinahe ganz allein das Gespräch; er redete mit Innigkeit und Wärme von der Göttlichkeit und Unsterblichkeit der Seele. Einer von der Gesellschaft wurde gerührt, und beklagte sein Schicksal. "Nicht so, antwortete er; was ist denn der Tod? Ein Zufall, auf den wir uns vorbereiten müssen. Was ist die Guillotine? Ein Schneller auf den Hals."

Im Ganzen genommen, war das Leben der Gefangenen sehr einförmig. Die einzige Unterhaltung waren Karten, Damenbrett und das Triktrak. Alle Gattungen von Instrumenten waren verboten; man rauchte, man sang, man trieb Possen, man las. Das beständige Gesumse in dem Gefängnisse machte ganz betäubt.

Ich habe sechs Monate in der Conciergerie zugebracht, in ununterbrochener fürchterlicher Angst; ich habe Edelleute, Priester, Kaufleute, Banquieurs, Gelehrte, Künstler, Landleute und Sanscülottes darin gesehen, wovon den bei weitem größten Theil bereits __ Sichel der Zeit weggeraft hat. Unter dem __ habe ich die meisten Gegenrevolutionisten und Roialisten angetroffen; sie weinten über dem Grabe Ludwigs XVI. und forderten laut die alte Regierung zurück. Ich habe fanatische und unwissende Priester gesehen; ich bedauerte sie; ich habe aber auch unter ihnen Gegenrevolutionisten gefunden. . . . . Ich habe ehrwürdige Landpfarrer gesehen, die beim Schlafengehen ihr Brevier beteten, und einstens auf ihren Dörfern Handlungen der Tugend und Wohlthätigkeit ausgeübt hatten, sie sprachen mir von Wundern . . . ich lächelte. Ich habe Kaufleute und Banquiers gesehen, die schon ihre Anklagsakte erhalten hatten, und noch, ehe sie zu Bette giengen, ihre Kapitalien musterten, Rechnungen abschlossen, und die Bedingungen eines Gesellschaftshandels entwarfen. Ich habe Sanscülottes gesehen, warme Patrioten und Revolutionsfreunde, Opfer eines geheimen Hasses! Ihr Tod hat mich blutige Thränen gekostet. Ich habe Landleute gesehen, die ihre Morgen- und Abendandacht hielten, sich der H. Jungfrau empfahlen, das Kreuz machten, wenn es donnerte, die Fehler ihrer emigrirten gnädigen Herrn verwünschten, die Revolution segneten, allein nichts von ihrem geschwornen Pfarrer hören wollten, und die Messen und Predigten ihres alten Geistlichen zurückwünschten. O Voltaire! Rousseau! meine göttliche Lehrer, ihr hättet sie nicht guillotiniren lassen; ihr hättet ihnen eine Katechismus der Vernunft gemacht, und sie wären gute Bürger geworden.

Ich habe ausgelassene, unbesonnene junge Leute mit Anstand Kapriolen machen, ich habe sie das Liedchen des Tages singen, und Epigrammen auf die damalige Regierung machen gesehen. O Montesquieu, du hättest sie nicht guillotinieren lassen; einige Monate Einsperrung würde ihre Sinnen nüchtern gemacht, sie würden gute Gatten geworden seyn, und das Vaterland würde sie unter seine Kinder gezählt haben.

Ich breche hier ab. . . . Gefühlvolle, theilnehmende Herzen, nähert euch nicht der Conciergerie; Volksvorsteher, besuchet oft diese finstern Behälter des Grams und des Schreckens; bedenkt, daß es Menschen sind, die sie bewohnen!


Quellen.[]

  1. Conversations-Lexicon oder encyclopädisches Handwörterbuch für gebildete Stände. Stuttgart bei A. F. Macklot. 1816.
  2. Schilderung der Gefängnisse zu Paris unter Robespierre. Aus dem Französischen. Mannheim, bei Schwan und Götz 1795.
Advertisement