Von Bastille bis Waterloo. Wiki
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BRIEFE

aus der

SCHWEIZ UND ITALIEN

von

GEORG ARNOLD JACOBI

in das väterliche Haus nach Düsseldorf geschrieben.

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Erster Band.

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LÜBECK UND LEIPZIG

bei Friedrich Bohn und Compagnie.

1796.

Erster Brief.[]

Constanz den 24ten August 1791.

Hier sind wir, an den Gestaden des herrlichsten Sees in Deutschland, in einer Stadt, die durch ihre Schicksale immer merkwürdig, aber auch immer ein Denkmal von Unrecht, Grausamkeit und Unterdrückung bleiben wird. Ihre Lage an dem Rhein und an einem See, der über dreyssig Stunden im Umkreise hat, bietet ihr zu allen Arten des Verkehrs und Gewerbes die grössten Vortheile dar; aber sie hat ihre betriebsamsten Bürger vorlängst mit ihrer Freyheit verloren; das Gras wächst auf den Strassen, und überall stösst man nur auf weitläuftige Klöster und eine zahllose Geistlichkeit. So gewährt der Besitz dieser Stadt dem Hause Oesterreich die wenigsten der gehofften Vortheile, und die Art, wie es dazu gelangt ist, wird nie vergessen werden.

Ihr habt die letzten Nachrichten von uns aus Carlsruhe erhalten. Es war der 16te, als wir uns von unsern dortigen Lieben trennten. Wir flogen durch die lange Pappelallee, und hatten Durlach bald hinter uns. Dort beginnt ein schönes Thal; dichter Wald krönt zu beyden Seiten das Gebirge, und unter prangen herrliche Wiesen, worinn grade itzt alles mit der zweyten Heuerndte beschäftigt war. Der heitere Morgen ward uns noch schöner dadurch, dass wir überall Wohlstand und Zufriedenheit sahen, wo wir in diesem Lande nur hinblickten. Sechs Stunden von Durlach liegt Pforzheim, die wichtigste Stadt des Badischen Landes, durch ihre Manufacturen und ihren beträchtlichen Handel. Eine Feuersbrunst verwüstete vor etlichen Jahren einen grossen Theil der Stadt; sie ersteht aber jetzt schöner aus ihrer Asche. Hier tritt man in das freundliche Thal, welches die Enz durchfliesst. Weinberge heben sich zur Linken, zur Rechten der Schwarzwald, und in der Mitte windet sich in herrlichen Wiesengründen der klare Fluss. Die Hitze war sehr drückend, und dazu hatten wir das Unglück, eine Stunde vor der Station einen Schwanenhals zu zerbrechen, dessen Ergänzung uns in dem Würtembergischen Städtchen Vayingen so lange aufhielt, dass wir erst nach Neun Uhr Abends in Studtgard anlangten. Das Würtemberger Land gleicht einem reichen Kornfelde, und ist unstreitig nebst dem Badischen das schönste in Schwaben. Studtgard, eine fast nur aus Holz erbaute Stadt, hat wenig Gefälliges; doch ist das herzogliche Schloss ein schönes Gebäude. Wir gingen Mittags in die Militairacademie, und kamen grade zurecht, um die jungen Leute mit einander speisen zu sehen. Der Saal ist schön, und Freude ist es, so viele muntere, wohlgenährte Knaben bey einander zu sehen. Nur das Niedersitzen, Aufstehen und Abmarschiren nach dem Commando ist eine eckelhafte Aefferey, und bringt dem Geschmack des Stifters keine Ehre. Die Anstalt hat übrigens viele gute Seiten. Die Schlaf-Säle sind räumlich und lustig; der Garten, wo jeder Zögling sein kleines Beet hat, ist gross und voll schöner Bäume, und an allen Arten von Lehrern und Aufsehern ist kein Mangel. Es sollen ihrer über Hundert seyn. Ein Zögling giebt, wenn der Vertrag auf mehrere Jahre gemacht wird, auf das Höchste 500 Gulden; sonst steigt das Kostgeld mit dem Alter. Viele junge Leute unterhält der Herzog auf seine Kosten. Nachmittags fuhren wir nach der Solitude, dem herzoglichen Lustschloss, welches anderthalb Stunden von Studtgard auf einem Berge liegt. Um das Schloss stehen Bildsäulen, die nichts weniger als schön sind, und der Garten ist ein unerträgliches Schneiderwerk in dem kleinlichsten Geschmack. Hätte man doch lieber den Wald stehen lassen, der ehemals den Berg bedeckt! Noch ist eine schöne Spur von ihm übrig, drey gewaltige Eichen, die einem Stamme entwachsen sind. Zwischen ihren Kronen war ein Tanzboden angelegt worden; warum er nicht noch da ist, weiss der Himmel; wenigstens hat ihn der Geschmack des Herzogs nicht vertilgt. Von dem Schlossplatz hat man eine herrliche Aussicht über die fruchtbaren Ebenen, und diese Gabe der Natur ist hier das einzige wirklich Sehenswürdige. Das Schloss selbst zu betreten, wird Niemanden verstattet; man darf nur durch die Fenster hineinsehen. Der Herzog wohnt gewöhnlich zu Hohenheim, einem andern Lustschloss, welches er seiner Gemahlin hat erbauen lassen. Es soll unsägliche Kosten darauf verwendet haben. Nicht ohne grosse Mühe erhält man von ihm die Erlaubniss, es zu sehen, und in seiner Abwesenheit hat er es schlechterdings verboten. Nur von den benachbarten Höhen darf es anstaunen, wer dieses der Mühe werth findet. Die Anlage soll mehr im Englischen Geschmack, aber doch sehr bunt und sonderbar seyn. Wir kehrten Abends nach Studtgard zurück, und waren mit der Verwendung dieser Nachmittags nicht sehr zufrieden.

Den 18ten Morgens traten wir unsere Reise nach Ulm an. Anderthalb Stunden von Studtgard liegt in einem reizenden Thale die freye Reichsstadt Esslingen. Lachende Weinhügel reihen sich auf einer Seite an einander; auf der andern krönt reiche Waldung das höhere Gebirge, und unten strömt durch fette Wiesen, in mannichfachen Windungen, der Neckar. In diesen Fluss fällt, nicht weit von hier, die Vils, an deren Ufer man von dort in gleich lachenden Thäler hinauf fährt. Das Städtchen Göppingen, wo die zweyte Station ist, hat einen Gesundbrunnen. Vor Neun Jahren verlor es durch eine Feuersbrunst 565 Häuser; sie sind aber schon meistentheils besser und regelmässiger wieder erbauet worden. Schön ist die Lage dieser Stadt, mitten in einer fruchtbaren Ebene, die von dem Neckar und der Vils durchströmt, und von fernen Gebirgen begränzt wird. Es beherrscht sie der Staufenberg, der in kegelförmiger Gestalt weit über alle Höhen der Gegend emporsteigt. Unter seiner Spitze sieht man das Dorf Hohenstaufen, und entdeckt auf dem Gipfel noch Spuren von der alten Stammburg des Schwäbischen Kayser-Hauses. Wir erinnerten uns der kraftvollen Menschen, die aus diesem Stamm entsprossen sind: der heldenmüthigen Friedrichs des ersten, des grossen Friedrichs des zweyten, und zuletzt gedachten wir mit Wehmuth des unglücklichen Conradins, dessen Haupt der verächtliche Carl von Anjou so schändlich unter dem Beile des Henkers fallen liess. Durch diese Erinnerungen ward uns die Gegend noch reizender, die sich ohnehin vor allen, die wir noch in Schwaben gesehen hatten, auszeichnete. An den Staufenberg reiht sich eine Kette von Bergen, die fast alle von einander abgerissen, ihre Häupter in den sonderbarsten Gestalten erheben, und meist mit Trümmern alter Burgen und Warten gekrönt sind. Auf der andern Seite thürmt sich die rauhe Alb, ein langes Gebirge, welches das Donaugebiet von dem Gebiet des Neckars scheidet. Ueberall sieht man kleine Städte, Flecken, Dörfer und Schlösser; überall fruchtbare Aecker, vermischt mit fetten Wiesen, und Forellen-Bäche, die der Vils zuströmen. Eine Stunde hinter Göppingen ist die Würtembergische Gränze, und dort, erzählte unser Postillon uns mit grosser Freude und sichtbarer Behaglichkeit, gehe Schwabenland an; das Andere sey nur Würtemberg. Den Mittag brachten wir in dem Ulmischen Städtchen Geislingen zu, welches in einem engen Thale zwischen waldigen Bergen liegt. Ein grosser Theil der Einwohner dieses Orts ernährt sich mit Verfertigung allerley kleiner Geräthschaften aus Knochen und Elfenbein, die durch das ganze Land verführt werden. Kaum waren wir in dem Zimmer des Gasthauses, so drängten sich sechs oder sieben Mädchen und Weiber hinein, und boten ihre Waare feil. Die fröhliche Geschwätzigkeit der Schwäbinnen ist wie die Beweglichkeit ihres Körpers unwiderstehlich reizend, und sticht gegen den Nordischen Ernst sonderbar ab. Die Weiber machten daher mit uns, was sie wollten, und die Keckste setzte das Meiste von ihrer Waare ab. Hinter Geislingen ist noch ein schönes Thal, welches von schroffen Felsenwänden und reicher Waldung begränzt wird. Dann hebt sich allmählig das Land, verliert alle Reize, die uns vorher so entzückt hatten, und wird öde und rauh. Aus einem Haberfelde, worinn grade geerndtet ward, hüpfte ein Mädchen uns entgegen, und reichte uns ein Räuschle, (einen Büschel Haber). Lebendige Erwartung, was sie dafür empfangen würde, funkelte aus ihren Augen, und als sie ein paar Batzen in den Händen hielt, sprang so zurück in das Feld, wie in ein Paradies. Welche Gegend kann ein zufriedenes Gesicht und frohe ländliche Einfalt nicht beleben? -- Als wir nach einigen Stunden die Höhe erreicht hatten, brauchten wir gegen unsere Erwartung nur wenig bergunter zu fahren, und langten um halbzehn Uhr in Ulm an.

Unter manchen hässlichen Reichsstädten, die ich gesehen habe, ist Ulm die hässlichste; eine krumme und enge Gasse über die andere, und kein schönes Gebäude in der ganzen Stadt. Ich hatte nichts Merkwürdigeres hier zu sehen, als die Donau, und eilte daher gleich den andern Morgen mit N-- hinaus, um an ihren Ufern herum zu wandeln. Dieser Fluss des Unrechts und der Unterdrückung, der schon gleich bey seinem Ursprung zwey grössere Bäche um die Ehre des Namens bringt, verschlingt auch hier die viel stärkere, schiffbare Iler, ohne auf ihre gerechten Ansprüche zu achten. Die Donau ist hier nicht sehr breit, aber tief und schnell. Ein eigenes Gefühl ergriff mich, als ich sie dahinströmen sah zu so vielen und so macherley Völkern, die grösstentheils kaum durch etwas anders bekannt sind, als durch Elend und Barbarey, die unter ihnen herrschen, oder durch den Druck, worunter sie seufzen. Da das Donaubette so viel höher liegt, als das Bette des Rheins, so können ihre Ufer auch keinen Theil des Segens und des Reichthums aufweisen, den der Rhein den Seinigen gewährt. An Weinwachs ist, wiewohl bey einer Breite von 48 -- 49 Graden, gar nicht zu denken, und sogar die Obstgärten, die uns dort immer begleitet hatten, verliessen uns hier ganz. Man sieht keine Berge, sondern lauter flache, mehrentheils kahle Höhen. Das rostige Ansehen der Stadt macht die Gegend noch reizloser, und man darf nicht aus dem Würtembergischen kommen, um sie traurig zu finden. Wir brachten den grössten Theil des Tages in der Gesellschaft des liebenswürdigen Millers zu, und er zeigte uns den Nachmittag das Münster, welches die Hauptkirche der Stadt, und eines der grössten Gothischen Gebäude in Deutschland ist. Auch das Innere dieser Kirche zeichnet sich durch Grösse und Einfalt aus. Der viereckige stumpfe Thurm ist ungestaltet. Von dem Kranz, der die Spitze umgiebt, hat man eine weite Aussicht über das mit Städten, Dörfern und Schlössern angefüllte Donauthal und den Lauf des Stroms.

Den 20ten Morgens verliessen wir Ulm. Das jenseit der Donau liegende Oesterreichische Gebiet hat durch fleissigen Anbau, durch die Menge der Dörfer, und durch schöne Mischungen von Aeckern und Wald ein lachendes Ansehen. Acht Stunden von Ulm liebt in einem reizenden Thal, an der lautern Riess, die freye Reichsstadt Biberach. Die grünenden Ufer des Flusses werden durch grosse Leinwandbleichen belebt. Die Stadt selbst hat ein fast nur dorfmässiges Ansehen. Hinter Biberach hebt das Land sich merklicher, das Laubholz verschwindet, und die mit grossen Tannen- und Fichtenwäldern angefüllte Gegend wird so kalt und rauh, dass man wähnen möchte, vielmehr in Norwegen oder Schweden, als in dem südlichen Deutschland zu seyn. Endlich erreicht man die mittägliche Gränze des Donaugebiets bey dem Städtchen Waldsee. Es war ehemals reichsfrey, hat sich aber unter Oesterreichischen Schutz begeben, und ist unter diesen Flügeln zu einer Landstadt geworden. Die Gegend ist so finster und rauh, und dabey hatte eine sehr üble Bewirthung uns gegen den hässlichen Ort so aufgebracht, dass wir bey der Abreise einhellig behaupteten, es müsse sich hier der Eingang zu dem Deutschen Erebus befinden. Wer weiss, was wir bey näherer Untersuchung für Schwäbische Sybillen gefunden haben möchten! -- Nicht weit von hier fingen wir an, hinabwärts gegen den Bodensee zu fahren, entdeckten den Abend noch Schweitzergebirge, und übernachteten in der kleinen, wohlgebaueten Reichsstadt Ravensburg. Den folgenden Morgen hatte die Luft sich erheitert. Zwey der begütertesten Reichs-Abteyen in Schwaben, Weingarten und Weissenau, haben in diesem reizenden Thale ihren Sitz aufgeschlagen, und ihre weitläuftigen Gebäude schmücken die Gegend. Noch mehr schmückte sie in unsern Augen das frohe Gewächs des Weinstocks, welches die nahen Hügel bedeckte, und uns, seitdem wir die Ufer des Neckars verlassen hatten, hier zum erstenmal wieder erschien. Froh unserer Erlösung aus dem kalten Reiche der Donau erreichten wir eine Anhöhe. Da entdeckte der Vater zuerst die hohen Tyroler Gebirge. Das Anblicks ungewohnt, hielt ich lange, was er mir zeigte, für ein Spiel der Wolken und seiner Phantasie; aber wie gross war mein Erstaunen, als meine Zweifel mit dem letzten Morgenduft schwanden! Berge, höher als die höchsten, die ich bisher gesehen hatte, standen gethürmt über einander, wie Wolken an einem heitern Sommerabend. Die hohen Schneegipfel glänzten in dem Scheine der hellen Morgensonne. An dem Einen blitzten nur einzelne Punkte, um den Andern lag ein Kranz von Schnee, und leuchtete gleich einer Krone von Edelsteinen an dem schwarzen Fels; die Wolken spielten wunderschön dazwischen, trennten oft die Spitzen der Berge von ihrem Fuss, und machten dann jedesmal meinen Glauben wieder wankend. Unter dem Gebirge dehnte sich der grosse Bodensee in herrlichem Grün vor uns hin, und seine lachenden Ufer erschienen besäet mit Städten und Dörfern. Zwey Stunden vor Lindau beginnt ein Weg zwischen herrlichen Obstgärten und Weinbergen, der bis zu der Stadt fortwährt.

Lindau liegt auf einer Insel im Bodensee. Eine Brücke, die dreyhundert und funfzig Schritte lang ist, verbindet die Stadt mit dem nördlichen Ufer. Im Osten reihen sich in welchen Gestalten die Tyroler Vorgebirge, gleich einer dreyfachen Mauer, übereinander. An ihrem Fuss badet der See die weissen Mauern der Oesterreichischen Stadt Bregenz. Dann sieht man ein Thal, worinn der Rhein fliesst, die Tyrolischen Gebirge von den Helvetischen absondern. Diese liegen im Süden. Da heben sich die lachenden Höhen der Landvogteyen Rheinthal und Thurgau, wie ein mit Dörfern, Aeckern, Wiesen und Weingärten vermischter Obstwald. Ueber diesem Vorgebirge thürmt sich der Alpstein, die höchste Spitze des Cantons Apenzell, hoch in die Wolken, und an ihn reiht sich eine Kette von Schneegipfeln, die theils zu Tyrol, theils zu den Schweizerischen Langvogteyen gehören. Unten scheinen an dem Ufer die Städtchen Rheineck, Roschach und Arbon. Im Westen dehnt sich in unabsehliche Ferne der See, und gleicht der Höhe des Meeres. Nur die Bergfestung Hohentwiel ragt, wie eine ferne Insel, hinter ihm hervor. Das nahe nördliche Ufer streckt sich hin in lauter lieblichen Hügeln, die mit Wein und Obstgärten bedeckt sind. Die wilden Riesengestalten auf einer Seite, und auf der andern das sanfthingestreckte Gewässer, mit der Fülle des Segens, der es umgiebt, bilden eine Gegend, die so wunderschön ist, dass wir alle davon entzückt waren, und hier zu wohnen wünschten. Die Stadt selbst ist reichsfrey, und weder gross noch schön, aber auch die engen Gassen werden durch ihre Reinlichkeit und die weisse Farbe der Häuser freundlich. Es wohnen hier nicht über 4000 Menschen, aber diese sind durch den ansehnlichen Kornhandel und das Verkehr mit Italien sehr wohlhabend. Offenheit und Gefälligkeit, die aus ihren Augen, wie aus ihren Reden und aus ihrem Wesen sprechen, haben uns für sie eingenommen. Wir brachten den ganzen Tag auf und an dem See zu; ich dünkte mir etwas darauf, auch in dem Bodensee geschwommen zu haben. Den Abend setzten wir uns auf das Werft, um den Untergang der Sonne zu betrachten. Langsam tauchte sie ein, und ihr Bild strahlte herrlich über der glatten Fläche des Wassers. Keine Wolke war in dem Westen zu sehen, und die tiefen Thäler des Gebirges waren schon lange in finstere Nacht gehüllt, als wir noch dem hellen Abendroth zusahen, dass sich in dem stillen See spiegelte.

Den 22ten, da wir unsre Reise fortsetzten, mussten wir anfangs von diesen herrlichen Gestaden uns entfernen, um über die hochangeschwollene Arge zu kommen, erreichten sie aber wieder bey der kleinen Reichsstadt Buchhorn, wo man Pferde wechselt. Von dort läuft der Weg über lauter lachende Anhöhen, durch Dörfer, die den Schwäbischen Reichsabtheyen Weingarten, Salmannsweiler, Ottobeuren und Ochsenhausen und dem Hochstift Constanz gehören. Auch hier hat sich, wie überall, die Geistlichkeit in den Besitz der besten Plätze zu setzen gewusst, und häufig sieht man ihre Klöster und Landhäuser an den Ufern des Sees. Den Mittag erreichten wir Mörfpurg, die Residenz des Fürstbischofs von Constanz. Die fürstlichen Gebäude nehmen den grössten Theil der Stadt ein, die übrigens an dem jähen Abhang einer Anhöhe sehr mittelmässig gebaut ist. Den Nachmittag schifften wir uns ein, und fuhren über den See. Es leuchtete die schroffen Felsen des hohen Alpsteins, und es schimmerten die kleinen Wellen des mit Schiffen und Kähnen erfüllten Sees in dem Scheine der sinkenden Sonne. Als sie untergegangen war, zog ein leichter Duft über das Gewässer, das Gebirge schwand in der Dämmerung, und wie aus offenbarer See landeten wir hier an.

Constanz liegt an dem südwestlichen Ende des Bodensees, da wo er den lautern Rhein entlässt, dessen beyde Ufer eine hölzerne Brücke mit einander verbindet. Der Rhein ergiesst sich eine halbe Stunde von hier wieder in den untern See, der jenseit der Insel Reichenau auch der Zeller-See heisst. Wie sehr Constanz von seinem alten Wohlstande gesunken sey, habe ich Euch schon vorhin gesagt. Merkwürdig ist das sogenannte Conzilienhaus, eigentlich ein Kaufhaus. Der grosse Saal, worin die Kirchenversammlung gehalten ward, scheint ursprünglich ein Packraum gewesen zu seyn, und ist daher sehr unansehnlich. Man zeigt darinn zwey Sessel, auf denen Kayser Sigismund und Pabst Martin V. gesessen sind. Mir ward noch jetzt die Lust an dem Platz zu enge, wo, in der Person des edlen Huss, Unschuld und Wahrheit selbst verurtheilt werden durften. Ueber den Ort, was das Urtheil vollzogen worden ist, streitet man; doch setzt die wahrscheinlichere Meinung ihn vor das Paradiesthor, auf den innern Brühl (Ravelin.) Dahin gingen wir, voll Gedanken über das unglückliche Schicksal des Mannes, der den schrecklichsten Tod für die schönste Sache so standhaft duldete. Es ist eine Art von Wiese zwischen den Festungswerken und der Stadtmauer, und hat die Gestalt eines Dreyecks. Von dort wallfahrteten wir auch nach dem Hause, wo Huss gewohnt hat und eingezogen wurde. Noch sieht man sein Brustbild in einem Stein der Mauer. Es ist ein schöner Kopf; hoher Verstand und unerschütterliche Festigkeit blickt aus dem gen Himmel gerichteten Auge, und unaussprechliche Güte ruht in dem Hauptzuge des Mundes.

Den gestrigen Nachmittag haben wir zu einer Fahrt nach der Insel Reichenau angewandt, die anderthalb Stunden von Constanz, mitten in dem Zeller-See liegt. Die Ansicht dieses Sees ist so lieblich, als jene des Bodensees gross und erhaben durch die ihn umgebende Natur erscheint. Eine gleiche Fruchtbarkeit schmückt beyde Gestade, aber sie gleiten am Zeller-See sanfter in das Gewässer hinab, und strecken sich oft als Landzungen hinein. Auf der Insel Reichenau, die voll Wein und Obstgärten ist, liegt die uralte Benedictiner-Abtey, von Carl Martells Sohn, Carlmann, gestiftet, und dem Bischof von Constanz zugehörig. In der alten Kirche des Klosters ruht die Leiche Carls des Dicken. Unter dem ungemein reichen Kirchenschatz zeigt man einen vorgeblichen Vier und zwanzig Pfund schweren Smaragd, der höchst wahrscheinlich ein Stück gefärbtes Glas ist; den Leib des Evangelisten Marcus, der auch in Venedig seyn soll; ein wunderthätiges Kreutzlein, und Etwas Blut Christi. Die Kirche ist voll von historischen Gemählden der Wunder, die dieses Blut gewirkt haben soll. Wäre die Nordische Muse mir holder, so würde ich den Aberglauben des Mönchs besingen, der uns alle diese Dinge mit dem festesten Vertrauen zeigte; aber Muse und Feder versagen mir ihre Dienste, und so nenne ich Euch lieber noch einen uralten hölzernen Pokal, der mit trefflichen Figuren von Elfenbein geziert ist, und mir grade nicht zu einem geistlichen Schatz von unsern Vätern bestimmt zu seyn schien. Er gefiel mir zu gut; ich hätte gern ihn mitgenommen.

Von dem Gipfel der Insel hat man eine schöne Aussicht; aber noch schöner ist sie auf dem Arenaberge, der an dem südlichen Ufer des Sees liegt. Dort übersieht man ihn ganz mit der fruchtbaren Aue in seiner Mitte und seinen schönen, Seegen und Ruhe verheissenden, Ufern. Es war ein entzükkender Blick, und uns allen fiel fast zugleich der Ploener-See in Holstein ein, obgleich er den Reichthum des südlichen Himmels nicht aufweisen kann, womit die Gestade der hiesigen Gewässer prangen.

Heute Nachmittag haben wir die Insel Meinau besucht, die eine halbe Stunde von der Stadt in dem Bodensee liegt, und der Deutschen Ordens Commenthurey Alschhausen gehört. Diese kleine Insel hat alles, was zu des Lebens Nothdurft erforderlich ist: Ackerbau auf ihrer Nordseite, Obst und Wein gegen Süden, und Wiesen und Wald an den Ufern des Sees. Von dem Schloss, welches auf der Höhe liegt, und dem Commenthur gehört, hat man eine entzückende Aussicht über den ganzen See, auf die hohen Tyroler und Appenzeller Gebirge. Jeder von uns wollte hier als Einsiedler seine Hütte bauen, und am Ende würde über die Theilung wohl kein Krieg unter uns entstanden seyn.

Morgen reisen wir nach Schafhausen. Lebt wohl!


Nachtrag.[]

Verschiedene Umstände hielten mich in der Schweitz ab, den Bericht von unserer Reise, wie ich ihn angefangen hatte, fortzusetzen. Statt der Briefe, welche diese Lücke füllen sollten, zeichne ich also hier nur kurz den Weg, den wir gegangen sind. Von Constanz reisten wir nach Schafhausen, und sahen dort das grösste Schauspiel seiner Art, den donnernden Sturz des Rheins von hohen Felsen in ein tieferes Bette. Den 26ten Abends kamen wir nach Zürich, und blieben bis zu dem 8ten September in dieser Stadt, wo unter der Herrschaft weiser Gesetze und edler Zucht die Freyheit sicher wohnt. Wir lebten mit trefflichen Männern, die das Joch des Zeitalters eben so wenig, als eines fremden Zepters tragen. Ich habe den Züricher-See umwandert. Umkränzt mit aller Fülle jedes Segens der Natur und des Fleisses gehört er zu den schönsten der Schweitz. Den 8ten reisten wir über Zug nach Lucern, und freuten uns der lachenden Gegenden um den Zuger See und des lieblichen Thals, welches die Reuss durchströmt. Zu Lucern blieben wir nicht lange, brachten aber drittehalb Tage auf dem Vier-Waldstädter-See und an seinen Gestaden zu. Da entsteigt unergründlichen Wassern die erhabenste Natur. Ueber Felsenwände, die schroff und starr bis zu dem ewigen Schnee emporsteigen, hängt der schwarze Fichtenwald, wie aus Wolken des Himmels herab, und schattet die stille Fläche des Wassers. Sicher und stark wohnen die Gemeinen von Schwyz, Unterwalden und Uri noch in ihren grünenden Thälern, und auf den fetten Alpen wimmelt es von ihren Heerden. Der muthige Schweitzerknabe sticht furchtlos mit seinen Kühen über den tiefen See, und tummelt sich auf grünen Matten an dem jähesten Abhang. Hier sind die alten Denkmäler des Ursprungs Schweitzerischer Freyheit. Hier ward die erzeugt und geboren aus Recht und Kraft. Von Lucern gelangten wir durch die reichen Thäler des Lucerner und Berner Gebiets nach Thun. Wir fuhren über den schönen Thuner-See, dessen Gestade allmählig von lachenden Rebenhügeln zu den höchsten Alpen werden. Hier sahen wir zum erstenmal die erhabenen Gipfel des Berner Oberlandes, das Schreckhorn und die Jungfrau sich neben dem grossen und kleinen Eiger thürmen. Wir schifften dann auch über den Brienzer-See, dessen Wasser zwischen zwey lange und wilde Alpen gedrängt sind. An seinem obern Ende beginnt das lachende Thal Oberhasli, welches ich das Thal der Wasserfälle nennen möchte, so viele Bäche fallen von hohen Felsen herab, und strömen der pfeilschnellen Aar entgegen. Seine eigene Schönheit hat jeder; aber alle verschwinden vor dem mächtigen Strom des Reichenbachs, der, gleich einer hohen fliegenden Wassersäule, sich stürmend in ein schwarzes Felsenbecken stürzt, und in tausend Strahlen glänzenden Staubes wieder aus ihm emporsteigt. Auf dem hohen Scheideck ergötzte uns der Anblick des Schweizerischen Hirtenlebens. Dort staunten wir auch vor dem wilden furchtbaren Felsen des Wetterhorns, und dem Donner der Lauwinen, die wir häufig in seine Gründe herabfallen hörten. Dann stiegen wir hinab, und sahen in dem Thal Grindelwald die ewigen Gletscher von den höchsten Schneegipfeln herabkommen. Zu Lauterbrunnen sahen wir an dem Fuss des Jungfrau-Gebirges den Staubbach von jähen, Neunhundert Fuss hohen, Felsen, wie dichter Staubregen, herabstürzen, und zu unsern Füssen einen wirbelnden Regenbogen bilden. Den 18ten reisten wir von Thun nach Bern, und blieben 3 Tage in dieser schönen und merkwürdigen Hauptstadt des mächtigsten Staats in der Schweitz. Wir wurden mit liebenswürdigen Menschen bekannt. Möge nur durch die wachsende Ueppigkeit, und den stets allgemeiner werdenden Gebrauch Französischer Sitte und Sprache die Schweitzerische Einfalt und Wahrheit hier nicht seltener werden. Den 23sten fuhren wir nach Neufchatel, sahen unterwegens die lieblichen Ufer des Bieler-Sees, und hielten unser Mittagsmahl auf der schönen Petersinsel, wo Rousseau eine Zeit lang ausruhte. Von dem freundlichen Neufchatel aus unternahmen wir einen Zug nach den höchsten Thälern des Jura, Locle und Chaux de Fond, wo Betriebsamkeit und Sitteneinfalt grünende Wiesen belebt, und ihnen unbeschreiblichen Reiz giebt. Dann sahen wir auf der andern Seite an der Französischen Gränze den Doux zwischen schroffen Felsenwänden zu einem See werden, wie wir noch keinen gesehen hatten, und sich dann in ein tieferes Felsenbette stürzen. Wir gelangten hernach wieder an die freundlichen Gestade des Neufchateller Sees, und fuhren von Yverdun durch sanftere Thäler nach Lausanne, wo wir den 26ten anlangten, und den Genfer-See begrüssten. Von einem Streifzuge, den wir von Lausanne aus unternahmen, erzähle ich in meinem nächsten Briefe. In Genf langten wir den 1sten October an, und blieben bis zu dem 16ten in dieser so mannichfach merkwürdigen Stadt und ihren Gegenden.

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