Acht Tage sind verstrichen, seitdem ich Dir zuletzt schrieb; nur acht Tage; aber die schrecklichsten, schaudervollsten meines Lebens. Was habe ich Indeß gelitten, was habe ich leiden sehen! Unsere Stadt liegt verwüstet, Hunderte, vielleicht Tausende ihrer Bewohner fielen, ein Opfer der Unentschlossenheit und beschränkten Einsicht des Mannes, dem ihre Beschützung vertraut wurde, der Feind erzwang sich den Besitz der Flotte, die -- -- nicht vernichtet wurde, und wir sind nun aus der Reihe der Völker ausgestrichen. Ein Heer von Miethlingen bezwang uns, nicht im freyen Felde durch Muth und des Schwerdes Gewalt; nein, die Mordfackel beugte den hohen, stolzen Sinn, der Flamme verzehrender Wuth mußten wir weichen.
Seit zwey Tagen schon hätte ich Dir das schreiben können, hätte ich Worte gefunden, meine Gefühle auszusprechen, hätte der Sturm in meinem Innern mir die Feder zu führen erlaubt, die Dir zitternd dieß traurige: auch wir waren einst ein Volk! niederschreibt.
Wie das Alles geschah? O, frage mich nicht, erlaß mir's, das Gemählde in seinem ganzen Umfange zu zeichnen, laß Dir diese wenigen Umrissen genügen, die ich mit zuckender Hand Dir entwerfe, und verzeihe der Thräne, due unaufhaltsam auf dieses Blatt niederzurinnen hervordrängt.
Eben war ich an jenem Tage, da ich Dir zuletzt schrieb, mit einbrechender Dämmerung ausgegangen, um den Rest des Tages in der Familie unsers Freundes K... zu verleben, nur wenige Schritte noch war ich von der Thür entfernt; als mit einem Mal ein rother feuriger Schein die beginnende Dunkelheit erhellte. Ich sah auf, und mit lautem Zischen fuhr ein Heer von Brandraketen gleich feurigen Schlangen über meinem Kopfe hin. Ein gräßliches Krachen von etwa dreyßig zugleich hereinstürzenden Bomben folgte nach. Nur wenige Augenblicke, und die Stadt war an mehrern Orten in Gluth. Die Anfangs öde Stille der Gassen, in denen nur das Krachen des Mordgeschützes wiederhallte, erfüllte bald ein wüstes, verwirrtes Getöse der herbeyeilenden Spritzen, das Geschrey der Brandleute und das eintönige Mahnen der Sturmglocken. Ich trat ins Haus. Bleich und athemlos stürzte mir K...s Familie entgegen: "Gottlob, daß Sie kommen, so haben wir doch einen Beschützer und Tröster, unser Vater ist mit den übrigen Brandleuten schon den ganzen Nachmittag am andern Ende der Stadt!" Und ich, ich konnte nicht bleiben, um die Stütze einer befreundeten verzweifelnden Familie zu seyn: schon wirbelte der Generalmarsch in den Gassen, und rief mich auf die Wälle: Gott schütze Euch, Kinder, ich kann nicht bey Euch bleiben! und riß mich mit blutendem Herzen von den Kleinen los, die mich fest umklammert hielten. Ihr Angstgeschrey folgte mir.
Da stand ich nun, ein Zuschauer des gräßlichen Schauspieles, hinter mit der Horizont geröthet von den Flammen, die nach und nach an sechs und dreyßig verschiedenen Stellen hervorbrachen, vor mir die zahllosen Feuerschlünde, die in jedem Augenblicke Tod und Verwüstung hereinspieen. Ein Blick in der Ferne -- und heulend flog auch schon die m:orderische Kugel durch die Lüfte, oder ein glühender Punct stieg langsam am Horizont herauf, um mit beschleunigter Eile krachend in unsere Mitte zu stürzen. Wehe, wenn das furchtbar prächtige Meteor ereilte! Der Tod war ihm gewiß.
Oft, Freund, habe ich mit häusliche Freuden gewünscht, oft gewünscht ein liebendes Weib und Kinder um mich zu sehen: jetzt schien er mit Thorheit, dieser sonst heiße Wunsch, ja Raserey. Wie ruhig er da steht, der einzelne Mann, den nicht Pflichten und Sorgen für Weib und Kind an dieß Daseyn fesseln, der, unvermißt hinwegzuscheiden versichert, allein zu leiden, allein zu verlieren gewiß ist, wenn anders das Aufhören dieses Labens Verlust genannt werden mag! Mitleid, herzliches Mitleid mit dem Jammer, der die Stadt erfüllte, und heißes, kochendes Rachgefühl theilten meine ganze Seele, die verschlossen, todt für jede andere Regung blieb. Sprachlos starrte ich hinaus in die Nacht, die ein steter Blitz des Geschützes zuckend erhellte: da tönte ein Jammergeschrey hinter mir, eine Bombe hatte in dem nahen Hause eine säugende Mutter sammt dem Kinde in ihren Armen erschlagen. Heulend stürzten die ältern Geschwister aus der halb zertrümmerten Wohnung. Der Vater, der gedankenvoll bisher an meiner Seite gestanden hatte, erwachte bey dem Jammergeschrey der wohlbekannten Stimmen und taumelte den Wall hinab, in die Arme seiner Geretteten, um von ihnen die Schreckensnachricht zu vernehmen. Heiliger Gott! rief ich aus, sind das deine Menschen, die du schufest als Brüder neben einander diese Erde zu bewohnen und sich ihres Daseyns zu freuen!
Was dort hinter mir in dem weiten Raume der Stadt geschah -- ich sah es nicht, froh, daß ich es nicht sah. Am Morgen ging ich heim, denn das Bombardement hatte aufgehört, nachdem es volle zwölf Stunden gewährt hatte. Jeder Schritt, den ich meiner Wohnung entgegen that, führte über Spuren der Verheerung. Ein Engel der Verwüstung schien über die Stadt hin den eisernen Zepter geschwungen zu haben. Die Gassen flimmerten von Millionen Stücken zersplitterter Fensterscheiben, dort hatten die Kugeln die Straßen mit Ziegeln und Schutt übersäet, hier dampften mir die Trümmern der Häuser entgegen, die ein Raub der Flammen wurden. Eine Todtenstille herrschte überall, nur einzelne bleiche, verstörte Gesichter schlichen ängstlich an den Häusern entlang, deren Schutz sie zu erflehen schienen. Nur das Wimmern der Verwundeten, denen jeder Schritt der Träger ein Angstgeschrey auspreßte, unterbrach die gräßliche Stille. Ich eilte mit abgewandtem Gesichte vorbey und gelangte in meiner Wohnung an. Der Donner des Geschützes schwieg. Gegen Mittag kehrte die Besinnung wieder, jeder eilte nun, die Angehörigen und Freunde zu sehen, wenn sie etwa dem Tode entrannen. Wie froh wir einander in die Arme sanken!
Den übrigen Theil des Tages waren die Gassen mit Flüchtenden bedeckt, jeder suchte zu retten, was ihm das Liebste war, jeder sich und die Seinigen vor dem schrecklichen Tode in den Flammen sicher zu stellen. Viele Tausende flohen nach den entlegenern Theilen der Stadt, und weil sie sich auch da nicht sicher glaubten, nach Amager. Die Verwirrung war unbeschreiblich. Dasselbe Haus, das dieser verließ, schien dem andern ein sichrer Zufluchtsort. So kam der Abend heran, dem Tausende mit bangem Entsetzen entgegen sahen.
Anfangs schien der Feind uns schonen zu wollen: es fielen nur einzelne Bomben, Kugeln und Raketen, und schon fingen wir an, uns zu schmeicheln, daß seine Vorräthe durch die Anstrengung der vorigen Nacht erschöpft wären. Die spätere Nacht belehrte uns eines andern: gegen Morgen war das Bombardement eben so stark, als gestern. Dennoch gelang es auch dieß Mal der unermüdeten Thätigkeit unsers vortrefflichen Brand-Corps Meister der ausbrechenden Flammen zu werden. Am Tage, das Schauspiel von gestern, nur daß die Verwirrung noch grösser, die Erwartung der kommenden Nacht noch banger war.
Aber selbst diese kurze Frist gönnte des Feindes Unmenschlichkeit der geängsteten Stadt nicht. Schon um 4 Uhr Nachmittags eröffnete er sein Feuer aus allen Batterien furchtbarer als jemals. Nur wenige Augenblicke -- und der ungeheure Vorrath von Holz aller Art, der da draußen auf dem Zimmerplatze -- Tömmerpladsen -- aufgehäuft lag, stand, durch glühende Kugeln entzündet, in lichten Flammen, unsere dort errichtete Batterie mußte, nachdem ihr Pulvervorrath aufgeflogen war, verlassen werden, und Indeß von dieser Seite her der Stadt die drohendste Gefahr nahte, flammte in jenem Theile die Lohe schon himmelan. Umsonst war jedes Bestreben, der Verbreitung der Flammen Grenzen zu setzen. Was menschliche Kräfte vermögen, geschah. Lange kämpfte man mit der um sich greifenden Gluth, hie und da wurde gelöscht; aber die zahllos hereinstürzenden Bomben, Granaten und Feuerkugeln hatten Indeß an zwanzig andern Orten gezündet. Arbeiter, Pferde, Geräthschaften wurden erschlagen oder zerrissen oder unter dem Schutt der einstürzenden Häuser begraben. Was dem Tode entrann, ließ verzweifelnd die ermatteten Arme sinken, die eine dreytägige rastlose Arbeit lähmte, stummes Entsetzen im Blick, starrte der Bürger in die Gluth hinein, die sein Alles verschlang, und ein wilder Blick zum Himmel deutete die Verzweiflung, die auf seinem bleichen Gesicht sich mahlte. Ich war in einiger Ferne Zeuge der gräßlichen Scene. Vergebens suche ich Worte, Dir meine Gefühle zu beschreiben. Gewiß, der Anblick einer brennenden Stadt ist das furchtbarste Schauspiel in der Natur. Da stand ich, von dem Jammergeschrey der Flüchtenden, dem Wimmern der Zerrissenen umringt, vor mir das dunkelrothe Gluthmeer, das den Thurm der Frauenkirche, bis in seine Spitze entzündet, mit hellem, weißem Lichte, wie ein glänzendes Meteor, überstrahlte. Und als er nun unter furchtbarem Krachen zusammenstürzte, das Feuermeer unter ihm ihn verschlang, ein schwarzer gluthgemischter Dampf aufwirbelte, und in einem Feuerregen sich über die Stadt ergoß, das wilde Triumphgeschrey der Feinde sich gräßlich in den nahen Jammer mischte -- ein kalter Schauer überlief mich, des Todes Hand kann nicht kälter rühren.
Die Nacht, von der Gluth zum hellen Tage umgeschaffen, verlor sich unmerklich in den Morgen. Noch war unsrer Leiden kein Ende. Höre es, und ganz Europa sey Zeuge des unmenschlichsten Verfahrens, das je eine belagerte Stadt erlitt, 36 Stunden lang währte das Bombardement mit gleicher Wuth, wie in der ersten Stunde. Eitle Hoffnung, mit der wir uns schmeichelten, Brittaniens Großmuth werde mit dem kommenden Tage uns wenigstens einen Augenblick freyer zu athmen vergönnen! Das Tageslicht vermehrte noch die Schrecknisse. Mancher, unter Begünstigung der Nacht dem Tode entronnen, den das helle Licht der heranwirbelnden Bombe ankündigte, wurde jetzt vom Verderben ereilt, das ungesehen hereinstürzte. Schauderhaft war der Anblick der zerrißnen, zerschmetterten Körper, herzzerreißend die Klagen der Mütter, die vergebens ihre Kinder, der Kinder, die vergebens ihre Mütter suchten. Da lagen Kranke, Greise, Kinder, halbverbrannt, kaum den Flammen entrissen, auf den Gassen und öffentlichen Plätzen, das Restchen geretteter Habe neben sich. Auch hier noch keine Ruhe. Auch dieser Rest sollte ein Raub der Gluth werden, die das Mordgeschütz des teuflischsten Feindes unaufhörlich hereinspie.
An Löschen war jetzt nicht mehr zu denken. Schon hatte das Feuer zu weit um sich gegriffen. In der allgemeinen Verwirrung waren die Bewohner der Häuser davon gegangen, und hatten alle Thüren fest verschlossen. Dieß war ein neues Hinderniß ihrer Rettung. Alles verzweifelte. Die Verzweiflung machte gleichgültig und kalt. Man schien recht wohl damit zufrieden, dem Himmel so viel vorzuwerfen zu haben.
Dieser Zustand war der schrecklichste. Erst als endlich das Bombardement aufhörte, kam nach und nach die Besinnung wieder, mit ihr wurde auch der Jammer vom neuen wach und lauter als je. Dort suchte die Mutter, die Unmündigen an der Hand, das einzige Gut, das sie rettete, den Gatten, der für sie auf den Wällen zu kämpfen ausging, und fand ihn unter den Todten; dort starrte der Vater mit bebenden Knieen nach der Stelle, wo seine Wohnung stand, unter deren Schutte Weib und Kinder vergraben lagen; hier saß der Wahnsinn auf den rauchenden Trümmern seiner Habe, lachte wild den Vorübergehenden an, der ihm mitleidig ein Thräne im Auge zeigte; dort wankte das zarte Mädchen, im Ueberfluß erzogen, den spärlichen Rest dieser Ueberflusses unter dem ermatteten Arme, durch entlegene Gassen, den schamhaften Blick tief gesenkt –
Laß mich das Auge hinwegwenden von diesem Gemählde, laß mich's unvollendet dir senden. Ich habe geweint, wie ein Kind, und ich bin stolz auf diese Thränen.
September 20.
Gern vermiede ich den Rückblick auf die rauchenden Trümmer unsrer unglücklichen Stadt, wie ich das Auge mit Wehmuth hinweg wende, das bey meinen täglichen Wanderungen jene Ueberreste ehmaliger Herrlichkeit erblickt; wäre ich es Dir, theuerster S., nicht schuldig, das einmal begonnene Gemählde, wenn auch nicht ganz und in allen Theilen zu vollenden, doch wenigstens nicht ganze Partieen desselben formlos da stehen zu lassen.
Schon früher sagte ich Dir, daß alle unsere Löschungsgeräthschaften unbrauchbar geworden waren, und daß man sich begnügen mußte, durch Niederreissung der Häuser in weiter Entfernung vom Feuer, um von ihm nicht übereilt zu werden, demselben Schranken zu setzen. Dennoch wüthete die Flamme am 7ten, 8ten, 9ten und 10ten fort. Furchtbar war insonderheit der Abend des 8ten. Ein düstres dichtes Gewölk hüllte den Himmel ein, der traurend über uns nieder zu hängen schien. Schwarze Schatten deckten den tiefern Theil der Stadt, Indeß die Zinnen der Thürme und Pallaste von den Strahlen des hochaufflammenden Feuers erglühten, oder ein langer feuriger Schein durch die der Gluth zugewandte Gassen fuhr, und der Finsterniß, mit der er sich mischte, ein grotesk schauerliches Ansehn gab. Noch jetzt, indem ich dieses schreibe, ist das Feuer nicht erloschen. Ueberall noch brennt es im Grunde fort, wenn es sich auch über dem Boden nicht weiter verbreitet. 305 Häuser, und unter ihnen manche große weitläuftige Gebäude liegen in der Asche. Die Summe von 2,400,000 Thaler, wofür sie in der Brandkasse versichert sind, erreicht bey weitem den eigentlichen Werth der bloßen Mauern nicht. Und welche Schätze gingen nicht innerhalb derselben verloren!
Statens Museum for Kunst, Kopenhagen
Das merkwürdigste sowohl als kostbarste dieser Gebäude war ohne Zweifel die Frauenkirche, deren 380 Fuß hoher Thurm ein Meisterstück der Baukunst zu heißen verdiente. Die Kirche selbst, welche 300 Fuß Länge und 100 Fuß Breite maß, war mit einer Menge prächtiger Monumente angefüllt, welche die eingehauenen Namen der Ewigkeit entgegen trugen. Auch über die schwang Vergänglichkeit den allesvernichtenden Stab. Der harte Stein ist gesprengt, das Metall geschmolzen und das Mordgeschütz tief in die friedlichen Gräber eingedrungen.
Wie durch ein Wunderwerk steht die Petrikirche noch von den Flammen unversehrt, obgleich von mehr als 500 Bomben fast in einen Schutthaufen verwandelt. Das weitläuftige Universitätsgebäude und eine große Anzahl der, der sehr reich dotirten Universität zugehörigen, Professorwohnungen sind abgebrannt und mit ihnen manche kostbare private Bibliotheken verloren gegangen, die von unsern Gelehrten zum Theil für unersetzlich gehalten werden. Recht sehr bedaure auch ich den Verlust derselben, ob es mir gleich scheinen will, als ob wir erst bey dieser Gelegenheit erfahren hätten, wie reich wir eigentlich waren. Wenigstens haben wir manche Bibliothek als verbrannt nennen und bejammern hören, von deren Existenz wir bisher wenig oder gar nichts wußten. Ueberdieß mag denn doch auch zwischen einem zusammengehäuften Wuste von Schriften, über Gott weiß welches gelehrte Steckenpferd des Besitzers, und einer wirklich schätzbare und nützlichen Bibliothek wohl einiger Unterschied seyn.
Quellen.[]
↑Seeland im Sommer 1807. In vertrauten Briefen an einen Freund in Berlin. Von einem Augenzeugen. Nebst dem Grundrisse von Kopenhagen und den Actenstücken. Germanien 1809.
Literatur.[]
Die Belagerung von Kopenhagen im Sommer 1807. Von D. Friedrich Münter. Kopenhagen 1807. Gedruckt und verlegt von dem Director J. F. Schulz, Königlichem und Universitäts-Buchdrucker.
Seeland im Sommer 1807. In vertrauten Briefen an einen Freund in Berlin. Von einem Augenzeigen. Nebst dem Grundrisse von Kopenhagen und den Actenstücken. Germanien 1808.